Die Grünen schnitten ihre männlichen Berliner Direktkandidaten aus einem Bild heraus, um der Union Gruppenfotos, auf denen sich „wieder alte Männer zusammendrängen“, vorwerfen zu können.
Angela Merkel geht, und die Berichterstattung grün-links tickender Journalisten über die Union nimmt langsam aber merklich eine neue Tonalität an. Ein gutes Beispiel ist ein aktueller Kommentar von Sabine Henkel (ARD-Hauptstadtstudio) zum „Sofortprogramm“ der Grünen für den Klimaschutz. Hier auf taggesschau.de können Sie den Beitrag lesen und anhören, der am 3. August auch im linearen Fernsehprogramm der ARD gesendet wurde.
Henkel meint: „Überhaupt liegen zwischen Grünen und Union Welten, was den Klimaschutz betrifft. Kohlefreund Laschet betrachtet Industrie und Klima stets getrennt und Wirtschaftsfan Merz meint, durch Klimaschutz würde das Land deindustrialisiert. Das ist schon sehr weit rechtsaußen und mit den Grünen nicht kompatibel.“ [Hervorhebung meine, K. Z.]
Bekannte und von vielen geachtete Köpfe der CDU – der eine könnte bald Bundeskanzler sein – sind für die ARD-Journalistin also nicht nur rechtsaußen, sondern sogar sehr weit rechtsaußen, weil sie die Positionen der Grünen zur Klima- und Energiepolitik nicht 100-prozentig teilen. „Sehr weit rechtsaußen“, das hieß bis vor wenigen Jahren noch Die Republikaner, DVU, oder NPD. Ist diese Formulierung auf Laschet und Merz bezogen noch zwangsgebührenfinanziertes Framing, oder schon zwangsgebührenfinanzierte Verleumdung? Zum Begriff „Wirtschaftsfan“ fiel mir noch folgende Verballhornung einer alten Weissagung der Cree-Indianer ein: „Erst wenn die letzte Autofabrik stillgelegt und die letzte Tankstelle geschlossen ist, werdet ihr merken, dass die ARD keine Autos baut und die Grünen nachts kein Bier verkaufen.“
Wo wären wir bloß ohne derlei aufklärerische Beiträge?
Ein weiterer Unionspolitiker, der diese Woche am Pranger stand, ist das CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach. Der langjährige Bundestagsabgeordnete und Vizefraktionschef reiste am Wochenende ins beschauliche Zella-Mehlis (Thüringen), um mit dem von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgesetzten ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und rund 200 Zuschauern zum Thema „Wie geht es weiter mit Deutschland?“ zu diskutieren. CDU-Mitglied Maaßen kandidiert in Südthüringen für einen Sitz im Deutschen Bundestag.
Bosbach hat nach eigener Aussage noch nie eine Einladung eines Kreisverbandes der Partei ausgeschlagen, nur weil ihm deren Kandidat nicht gefallen hat. Eine vorsichtige, indirekte Distanzierung, die bei Maaßen wohl geboten ist. Der ehemalige Verfassungsschutzchef ist schließlich eine ganz umstrittene Figur. Er sagt Dinge wie „Ich bin vor dreißig Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen“, spricht vom „Great Reset“ und „Globalisten“. Ersteres ist, wie der Focus weiß, eine „antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorie“, letzteres „ein in der rechten Szene einschlägig bekanntes antisemitisches Codewort“.
Wo wären wir bloß ohne derlei aufklärerische Beiträge? Ich habe kürzlich zum Beispiel beim Suhrkamp Verlag ein Rezensionsexemplar von „Zwischen Globalismus und Demokratie: Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus“, von Wolfgang Streeck, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, angefordert. Dank Focus weiß ich nun, dass ich dieses fragwürdige Traktat lieber verstecken sollte, wenn Gäste kommen.
„Dafür müsste er einen guten Charakter haben”
Zum gemeinsamen Wahlkampfauftritt von Maaßen und Bosbach twitterte der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz: „Ich bin erschüttert und zornig. Aber leider in diesem Fall nicht wirklich überrascht.“ Noch weiter holte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach aus. Auf Twitter schrieb er: „Das ist eine Blamage für die ganze CDU. Maassen ist einfach zu nah an Nazi Positionen. Laschet hat offenbar nicht ausreichend Einfluss in der CDU oder er billigt diese öffentliche Verbrüderung. So etwas darf man nicht zulassen.“
Im Gespräch mit den Kölner Express schoss Bosbach zurück: „Trotz politischer Differenzen habe ich Karl Lauterbach zwar immer als anstrengend – aber auch als fair und menschlich anständig empfunden. Aber jetzt, nach dieser substanzlosen Hetze, nicht mehr.“ Der SPD-Politiker sei herzlich eingeladen, am Sonntagmorgen vorbeizukommen, sich selbst ein Bild zu machen und sich dann zu entschuldigen. „Aber dafür müsste er einen guten Charakter haben.”
„Wer Wahlkampf für #Maassen macht, darf nicht von Charakter reden“, antwortete Lauterbach wiederum am Samstag auf Twitter. „Es gibt viele Konservative in der CDU, die ich sogar schätze, trotz anderer Meinung. Aber hier geht es um #Maassen. Und somit auch um unsere Geschichte und den Nationalsozialismus.“ Wie der Amerikaner sagt: „Boy, that escalated quickly.“
Autoritären Fantasien freien Lauf lassen
Vor dem Hintergrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern verbotener sogenannter Querdenken-Demos und Polizeikräften am Wochenende in Berlin hat der SPD-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Dirk Wiese ein Verbot dieser amorphen und politisch äußerst heterogenen Szene angeregt. Laut Welt sagte er: „Da haben sich einige von den Prinzipien unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung endgültig losgesagt und das Denken eingestellt.“ Die Beobachtung der Bewegung durch den Verfassungsschutz müsse „womöglich intensiviert werden“, so der SPD-Politiker weiter. „Wenn konkrete Ergebnisse der Beobachtung vorliegen, muss dann auch ein Verbot geprüft werden.“
Begeistert schließt sich beim Tagesspiegel Frank Jansen dieser Forderung an und lässt seinen autoritären Fantasien freien Lauf:
„Die Ausschreitungen vom Sonntag waren keineswegs die ersten Exzesse und wohl auch nicht die letzten. So provozieren die Querdenker geradezu den Ruf nach dem Verbot ihrer Organisationen. Eine vereinsrechtliche Auflösung von Querdenken 711, der Keimzelle des Spektrums, und womöglich weiterer Gruppierungen würde die Bewegung hart treffen. Die Polizei könnte Wohnungen und Büros der Anführer durchsuchen, Computer und Smartphones würden beschlagnahmt und ausgewertet, die Kommunikation und Organisation der Querdenker wären erschwert. Außerdem würden Mitläufer abgeschreckt. Ein Verbot wäre kein Allheilmittel, aber ein Dämpfer. Von dem sich die Szene so schnell nicht erholen würde. Der Staat darf sich nicht länger von radikalisierten Corona-Leugnern vorführen lassen.“
Das ist genau die Art von spießbürgerlichem Knüppelt-sie-nieder-Journalismus, den Linke noch immer den Publikationen des Springer Verlags zum Vorwurf machen, obwohl dort seit Jahrzehnten so etwas nicht mehr veröffentlicht wird, weder über langhaarige Studenten mit Mao-Bibeln noch über sonst irgendeine Gruppe.
Kurioses Eigentor
Die Grünen haben diese Woche auf Twitter ein kurioses Eigentor geschossen. Sie verbreiteten ein Foto, das die Direktkandidatinnen der Partei für das Berliner Abgeordnetenhaus und den Bundestag zeigt, darunter auch Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Beschriftet war das Foto mit folgendem Halbsatz: „Während sich auf den Gruppenfotos der Union wieder alte Männer zusammendrängen …“
Peinlich nur: Um den Effekt der reinen Frauentruppe zu erzeugen, mussten drei männliche Kandidaten am Rand des Bildes weggeschnitten werden, die ausgerechnet alle einen Migrationshintergrund haben: Ario Mirzaie (Direktkandidat in Berlin-Wedding), Taylan Kurt (Direktkandidat für Berlin-Moabit) und Jian Omar (Direktkandidat in Berlin-Tiergarten). (Quelle: BILD)
„Christen im Widerstand“
In Berlin-Wedding mobilisiert die Antifa gegen das Café Mandelzweig. Letzteres wird betrieben von Christian Stockmann, einem evangelikalen Pastor und Chef einer Organisation namens „Christen im Widerstand“, der sich auch in der Querdenken-Bewegung engagiert. Man muss wahrlich kein Fan von Stockmanns bizarren Äußerungen zum Beispiel zu Corona oder Homosexualität und seinen geschmacklosen Versuchen sein, sich mit dem im KZ ermordeten christlichen Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer gleichzusetzten, um zu erkennen, dass Formulierungen wie diese ein kaum verhohlener Aufruf zu Gewalt gegen Andersdenkende (und deren Eigentum) sind:
„Wir dürfen nicht länger zulassen, dass Rechte, Pandemieleugner*innen und Antifeminist*innen vom Wedding aus Aktionen organisieren. Schluss mit der Hetze in der Seestr. 101! Weg mit dem rechten Treffpunkt Cafe Mandelzweig! Rechte und Coronaleugner*innen raus aus dem Kiez!“ (Quelle: Antifa-Plakat)
Forderung zur Abschaffung der Schauspielerei
In den USA haben die Amazon-Studios neue Diversity-Richtlinien eingeführt. Diese geben bei Eigenproduktionen des Onlineversandhändlers nicht nur Quoten für Geschlecht und Herkunft der Schauspieler, Kameraleute und so weiter vor, sondern stipulieren auch: „Es sollen nur noch Schauspieler engagiert werden, deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt.“
Sogar die der Identitätspolitik nicht ganz abgeneigte taz findet das absurd und schreibt: „Wie soll so etwas überprüft werden? Wird man Nachweise verlangen, die belegen, dass eine Schauspielerin auch wirklich lesbisch ist wie die Rolle, die sie spielen soll? Was ist mit all den ungeouteten Schauspielerinnen? Werden sie auf diese Weise indirekt zum öffentlichen Outing gezwungen, weil sie ansonsten keine Rollen annehmen können, die nicht ihrer Identität entsprechen?“ Die Richtlinien muteten fortschrittlich an, forderten aber im Grunde die Abschaffung der Schauspielerei.
Schwere Niederlage für Facebook
Gibt es auch eine gute Nachricht? Ja. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Facebook eine schwere Niederlage zugefügt. Die oberste Instanz der Bundesrepublik in Zivil- und Strafverfahren hat letzte Woche festgestellt, dass die aktuellen, seit 2018 geltenden Nutzungsbestimmungen von Facebook unwirksam sind, weil die Nutzer des Dienstes im Falle der Löschung ihrer Posts nicht darüber informiert werden, und auch keine genaue Begründung für die Löschung erhalten, und außerdem Nutzer ohne vorherige Anhörung gesperrt werden können. Der BGH gab mit dieser Entscheidung zwei Nutzern recht, die gegen ihre Zensur und Sperrung auf Facebook geklagt hatten. Was die beiden Urteile für die Meinungsfreiheit im Netz bedeuten, erklärt Rechtsanwalt und Achgut.com-Autor Joachim Nikolaus Steinhöfel in diesem aktuellen Video.
Und damit endet der wöchentliche Überblick des Cancelns, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Entlassens, Verklagens, Einschüchterns, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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