Heiko Maas ist ein anständiger Mann, der weder andere beleidigt, noch sich selbst beleidigen lassen will. Das ist okay. Wir alle sollten unseren Knigge stärker achten.
Wer dies in der Öffentlichkeit, in der Familie, unter Freuden oder in den Netzwerken nicht tut und dabei noch maßlos überzieht, Verbrechen verharmlost, Verbrechen das Wort redet, andere Menschen schwer beleidigt usw. usf., dem kann seit jeher ohne das Maas'sche Weltanschauungserziehungsgesetz per Strafanzeige und juristischem Verfahren beigekommen werden. Allerdings: kein Staat kann feststellen, ob jemand beleidigt wurde. Ob und wie sich jemand beleidigt fühlt, obliegt der dicken oder dünnen Haut des Adressaten.
Heiko Maas entstammt, und das kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, einer Generation, deren Eltern von den Westalliierten mit deren Freiheits- und Grundwerteverständnis befreit und geschützt worden sind. Die Worte Zensur und ideologische Unterdrückung lernten Heikos Mitspieler nur im Geschichtsunterricht und in Nachrichten aus dem Ostblock kennen. Während im freien Westen scheintodesmutig vermummt Steine auf Polizisten geworfen werden konnten und können, dies unter Meinungsfreiheit läuft (sofern es Linksaußensteine sind), stritten im Osten tatsächlich mutige unvermummte Menschen für geistige Freiheit und gegen ideologische Unterdrückung und waren 1989 endlich erfolgreich.
Heiko Maas kennt also nur die von den Westalliierten geschenkte Meinungsfreiheit. Dafür kann er nichts. Nichts dazu gelernt zu haben, dafür kann er dann doch was. Und er hat nichts dazu gelernt. Er versteht nicht einmal im Ansatz, dass er mit seinem Netzwerkunterdrückungsgesetz das Meinungsfreiheitskind mit dem zuweilen sehr unappetitlichen Bade ausschüttet und uns damit auf leisen Sohlen ein deutliches Stück der Unfreiheit näher bringt. Heiko Maas muss Einhalt geboten werden. Ich setze besonders auf diejenigen meiner ehemaligen Kollegen im Deutschen Bundestag, die zu meiner Generation der Selbstbefreiten gehören.
Ideologischer Pfusch und handwerkliche Fehler
Maas macht mit seinem ideologischen Pfusch ohnehin schwere handwerkliche Fehler. Er sollte sich bei Erich Mielke gründlicher informieren. Der frühere Polizistenmörder hatte es im Ministeramt zwar leichter, vor allem als seine Millionen Frechdachse wegen Mauer, Stacheldraht, MfS und Schießbefehl nicht mehr abhauen konnten, doch seien wir nicht zu kleinlich und lassen diesen Aspekt außer Acht.
Was hätte Mielke effektiver als Maas gemacht? Richtig! Zuerst hätte er zwei zu therapierende Ebenen lokalisiert: die analoge und die digitale. Wobei die analoge Ebene der herkömmliche Stammtisch und die digitale die Herausforderung des Internets ist.
Zur analogen Ebene: Maas muss die Wirte dieser Republik in die Verantwortung nehmen. Die müssen die Stammtischgespräche in ihren Kneipen nach oben melden. Macht das nicht jeder Wirt mit, muss er enteignet und durch einen geeigneten Blockwart ersetzt werden. Auch informelle Mitarbeiter wären nicht schlecht. Natürlich richtige, dem Staat ideologisch verpflichtete IMs und nicht obskure V-Leute, die selbst zur kritischen Szene gehören und gegen Geld falsche oder richtige Informationen verkaufen!
Die digitale Ebene würde der gute Erich auch effizienter als der gute Heiko angehen. Die Schaltstellen oder besser die Köpfe von Facebook, Twitter und Co. müssen durch Frau Kahanes Leute ersetzt werden. Mielke wäre zudem für richtige IMs in den Netzwerken und nicht für freiwillige Spinner. Das kann doch wieder keiner kontrollieren! Besser wäre die Verstaatlichung von Facebook.
Als einer von 1989 bin ich erschüttert, was ausgerechnet ein Sozialdemokrat unternimmt, um Anstand und Würde zu ihrem Recht zu verhelfen: Er vergewaltigt die Meinungsfreiheit auf Gesinnungspolizistenart. Ihm muss Einhalt geboten werden!
Gunter Weißgerber ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD (1990 - 2009) und gehörte in der DDR zu den Leipziger Gründungsmitgliedern der Partei.