Rainer Bonhorst / 04.07.2019 / 06:00 / Foto: Gloria / 88 / Seite ausdrucken

Angela Merkel, eine merkwürdige Verliererin

Ab und zu handele ich mir gerne ein bisschen Ärger ein. Darum melde ich leise Zweifel an, dass Angela Merkel die große Verliererin des EU-Posten-Schacherns sein soll. Nicht mal Ursula von der Leyen soll sie gewollt haben, sondern von ganzem Herzen einen Sozialdemokraten namens Frans Timmermans. Volle Bruchlandung also?

Ich weiß nicht. Irgendwie ist es ja seltsam, dass alles so gekommen ist. Die Kunst, über Bande zu spielen, gehört bekanntlich zu den wichtigsten Gaben eines Politikers. Und Frau Merkel ist darin schon lange eine Meisterin. Und siehe: Plötzlich und unerwartet wird eine enge Freundin aus dem Hut gezaubert. Wessen Hut war das wohl? Mir kommt das wie eine bühnenreife Nummer vor. Keiner hat gesehen, wie es gemacht wurde. Schwupps taucht Ursula von der Leyen aus dem vermeintlichen Nichts auf und das Publikum ist so verblüfft, dass es sogar vergisst, Beifall zu klatschen.

Natürlich ist das Europa-Parlament beleidigt. Wäre ich auch. Da hat es sich wenigstens ein halbes Mitbestimmungsrecht bei der Besetzung von Spitzenposten ergattert, fast schon wie ein richtiges Parlament, und da wird den armen EU-Abgeordneten das halbe Stückchen von der Macht wieder unter den Füßen weggezogen. Mal sehen, ob sie den Mumm haben, mit einem vierfach donnernden „Nein!“ eine europäische Verfassungskrise heraufzubeschwören. Wer weiß. Aber in einem politischen Spiel, in dem urplötzlich Ursula von der Leyen für den Spitzenposten der EU nominiert wird, in so einem Spiel ist alles möglich.

Vertreter einer Halbdemokratie

Beim Thema europäische Demokratie will ich mich nur kurz aufhalten. Ich mag die EU ja, auch wenn sie etwas schief gewachsen ist. Aber die Demokratie habe ich lieber etwas näher vor Ort. Da kann man den Leuten besser auf die Finger klopfen. Um den Europa-Abgeordneten auf die Finger zu schauen, braucht man ein Fernrohr. Wegen der Entfernung und wegen der nur halben Rechte, sind sie für mich Vertreter einer Halbdemokratie, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Das erste oder das letzte Wort, haben die nationalen Regierungen. Das ist zwar auch ziemlich schief, weil es kungeln bedeutet, aber unter den Schiefen ist der Schiefe kein Fremdkörper.

Zurück zum Kungeln, also zu den Freundinnen Angela Merkel und Ursula von der Leyen. Das Kunststück besteht ja darin, dass die Hand, die da zaubert, mit dem bloßen Auge nicht verfolgt werden kann. Sie muss entweder so langsam oder so schnell sein, dass sie unsichtbar bleibt, bis zum letzten Moment. Dazu gehört das gekonnte Ablenkungsmanöver. In diesem konkreten Fall scheint mir das Ablenkungsmanöver darin bestanden zu haben, dass die Zaubererin, wer immer das gewesen sein mag, die Kandidaten, die sowieso keine Chance hatten, selbstständig in die Sackgasse laufen ließ. Und dann haben andere Frau Merkels Freundin als Alternative vorgeschlagen. Wie sind die nur auf den Namen von der Leyen gekommen.

Soll ich noch die Frage stellen, ob Ursula von der Leyen die richtige Frau für diesen Job ist? Lieber nicht. Dann kommt wieder die Kompetenzfrage auf, als ob Kompetenz in der ganz großen Politik jemals das allein entscheidende Kriterium gewesen wäre. Wann werden schon die Besten an die wichtigsten europäischen Posten befördert! 

Na klar: Sie ist ne Frau

Im übrigen ist Kompetenz relativ. International ist Ursula von der Leyen als überdurchschnittlich lang dienende Verteidigungsministerin sicher kompetent. Französisch spricht sie auch noch, wovon Emmanuel Macron besonders schwärmt. Ungarisch spricht sie, glaube ich, nicht, aber auch der Osten schwärmt für sie. Allein schon, damit es dieser Timmermans nicht wird, der in der EU doch tatsächlich europäische Grundwerte hochhalten will. Alles, nur das nicht, sagen da Orban und Freunde.

Spricht sonst noch was für die Kandidatin? Na klar: Sie ist ne Frau. Das war in dieser Lage schon die halbe Miete. Jetzt müssten die Grünen als politische Frauengruppe mit schlechtem Gewissen gegen eine Frau stimmen. Sogar gegen zwei Frauen. Da steht ja auch noch Christine Lagarde für die Spitze der EZB bereit, die – anders als der deutsche Stabilitätsfreund Jens Weidmann - zur Freude der Südländer die Billiggeldpolitik ihres Vorgängers fortsetzen wird. Zwei Frauen in einem Viererfeld. Wer kann da widerstehen.

Ganz nebenbei darf sich Ursula von der Leyen auch noch aus dem für sie gefährlich gewordenen Haifischbecken Berlin und Verteidigungsministerium an ein sicheres Ufer retten. Und nach einem halben Jahrhundert käme erstmals wieder ein(e) Deutsche(r) an die Spitze der EU-Kommission. Das ist alles andere als nebenbei. Also ich hätte mir Angela Merkel als große Verliererin des Hinterzimmer-Poker anders vorgestellt. Zum Beispiel so: Keine Deutsche, keine Frau fürs Girlscamp, kein Garnichts. 

Als die Kanzlerin vor dem letzten Gang ins Brüsseler Vorder-, Neben-, oder Hinterzimmer stand, sagte sie doch tatsächlich: „Ich gehe fröhlich in die Verhandlung.“ Fröhlich? Könnte es sein, dass sie etwas geahnt hat?        

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Leserpost

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Karl Mallinger / 04.07.2019

Angela Merkel ist und bleibt eine bauernschlaue Opportunistin, der es letzten Endes nur um die eigene Macht geht, dass sie immer wieder und immer weiter Bundeskanzlerin sein kann. Das zeigt sich auch bei der Personalie Ursula von der Leyen.

Harald Hütt / 04.07.2019

“Allein schon, damit es dieser Timmermans nicht wird, der in der EU doch tatsächlich europäische Grundwerte hochhalten will. Alles, nur das nicht, sagen da Orban und Freunde.” Bitte Ironie - wenn so gemeint - kenntlich machen. Andernfalls empfehle ich Ihnen, sich noch einmal mit Aussagen Timmermanns auseinanderzusetzen. Wenn Sie dann immer noch der Meinung sind, Herr Bonhorst, Timmermanns stehe für ein Europa der Vaterländer und Demokratie auf Basis souveräner Nationalstaatlichkeit, sollten Sie für sich für die EUSSR als Kandidat aufstellen lassen. Und ob Frau Merkel über “Bande gespielt” hat, kann man auch anders sehen. Ich empfehle die Lektüre des Artikels von Josef Kraus vom 03.07.19 auf TE! Fazit: Die reine Fokussierung auf die agierenden Politdarsteller verstellt den Blick auf die Krise, in der sich die Scheindemokraten der EU Konglomerate manövriert haben. Ihr “Promi-Feuilleton” besitzt in der Systemkrise einen nachrangigen Informationsmehrwert!

peter luetgendorf / 04.07.2019

Lieber Herr Rühle, “die Sparer mit Null Zinsen” scheinen nicht zu wissen, daß es eine ganz exotische Anlageform gibt, die pro Jahr allen Ernstes ein Plus erzielt. Es soll Firmen geben, die verkaufen an jedermann Anteile. Und danach soll man auch an diesen Firmen beteiligt sein. Gruß peter luetgendorf

M. Kulla / 04.07.2019

Keine Angst, Herr Bonhorst, Sie handeln sich mit diesem Artikel und Ihren Ansichten keinen Ärger ein - höchstens Anderen. Menschen wie Sie sind es nämlich, die Frau Merkel nicht nur auf ihren Posten gebracht, sondern auch da gehalten haben. Menschen wie Sie glauben immer noch, dass Frau Merkel irgendwelche besonderen Fähigkeiten hätte. Und immer, wenn Sie eine Handlung Merkels nicht verstehen oder/und nachvollziehen können, zweifeln Sie nicht an Frau Merkel, sondern an sich selbst. Sie sind der Überzeugung, dass Ihr eigener Intellekt nicht nur unter dem Frau Merkels liegt, sondern nicht einmal dazu ausreicht, um die Merkelschen Beweggründe zu verstehen. Frau Merkel denkt ja schließlich alles vom Ende her. Frau Merkel verfügt über Hintergrundwissen und Spezialkenntnisse, die, zusammen mit ihren strategischen FRähigkeiten zu Ergebnissen führt, die der profane Untertan nicht nachzuvollziehen in der Lage ist. Und weil Sie sich aber bemühen, stellen Sie solcheThesen auf, wie in Ihrem Artikel, auf den ich mich hier beziehe. Um so unverständlicher eine Handlung Merkels ausfällt, für desto genialer halten Sie Merkel. Aber keine Sorge, Herr Bonhorst, mit diesem Syndrom sind Sie wahrlich nicht alleine. Ich sage dazu nur Folgendes: Wenn etwas aussieht wie ein Huhn, gackert wie ein Huhn und ein Ei legt, handelt es sich höchst wahrscheinlich auch um ein Huhn und nicht um einen Frosch im Fasching. Freundliche Grüße, M. Kulla

Albert Pflüger / 04.07.2019

Mal ganz im Ernst: Merkel zeigt Symptome einer Medikation mit Amphetaminen und Psychopharmaka. Daß sie alles strategisch plant, ist eine Überschätzung. Sie ergreift lediglich sich bietende Gelegenheiten. Die Folgen sind ihr egal. Sie ist taktisch, nicht strategisch. Sonst säßen wir wohl kaum so tief in der Tinte. Daß sie soweit gekommen ist, liegt lediglich an der Unfähigkeit all ihrer Widersacher. Allerdings muß man ja zugestehen, daß es viel einfacher ist, Machtpolitik zu betreiben, wenn man Inhalten und Folgen eigener Entscheidungen völlig gleichgültig gegenübersteht. Aufrechte, geradlinige Leute werden unter solchen Bedingungen zuverlässig aussortiert.

Albert Pflüger / 04.07.2019

Es heißt ja des öfteren, Satire habe es schwer in diesen Zeiten. Die Personalie v.d. Leyen ist ein Beleg für die Richtigkeit dieses Gefühls. Daß diese Frau nicht im Gefängnis landet, sondern womöglich an der Spitze der EU- Kommission, das ist als Realsatire so eindrucksvoll, das kann man sich eigentlich nicht ausdenken. Jemand, der nie irgendwo von irgendwem gewählt wurde, eine Frau, die nachweislich keines der von ihr übernommenen Ministerien je im Griff hatte, niemals Verantwortung für das von ihr angerichtete Chaos übernimmt, einerseits beratungsresistent, andererseits von Beratungsfirmen abhängig ist, das Wort Korruption nur buchstabieren kann, aber inhaltlich für sinnentleert hält, krude Lesbennetzwerke im Schlepptau hat, die sie mit reichlich Geld versorgt, wie auch die Firmen, in denen ihre Kinder arbeiten, so jemand soll das höchste EU-Amt bekleiden? Um was zu erreichen? Sollen wir uns freuen, weil der beschleunigte Niedergang dieses Bürokratentollhauses unter dieser Leitung nun endlich in eine Schußfahrt münden wird?

Caroline Neufert / 04.07.2019

Immerhin !  Schöner wäre zwar ” Angela Merkel, die kluge Siegerin”, aber so liberal ist ja AchGut nicht. Schon vor zwei Jahren hatte sie VDL ins Gespräch gebracht und wer sah, wie sie mit Manfred Weber sprach, wusste, dass sie ihn nicht favorisierte. Auch Weidmann wird nicht vergessen. Sie werden sehen ... Wir könnten auch mal stolz sein auf AM !

Manfred Bühring / 04.07.2019

Werter @max bieber, einfach mal in die EU-Verträge schauen. Da steht nirgends etwas von einem Spitzenkandidaten oder einem Initiativrecht des EU-Parlaments bei der Wahl des Kommissionspräsidenten. Der EU-Rat schlägt dem EU-Parlament unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses einen Kandidaten vor Art. 17 (7).  Gerade deshalb war die Chose mit dem Spitzenkandidaten eine pseudodemokratische Marketingstrategie, den Wähler an die Urne zu kriegen, um ein befürchtetes Abkippen nach rechts zu verhindern.

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