Wenn die EU an einem „Medienfreiheitsgesetz“ arbeitet, muss man sich um die Pressefreiheit wohl Sorgen machen, denn selbige soll ja neu „reguliert“ und „harmonisiert“ werden. Sogar sonst unkritische Fachverbände äußern Bedenken, doch das Gesetz wird bald kommen.
Wenn auf EU-Ebene von „Freiheit“ die Rede ist, lohnt es sich immer, näher hinzuschauen. Aktuell wird das „Europäische Medienfreiheitsgesetz“ (European Media Freedom Act, kurz: EMFA) auf den Weg gebracht. Die EU-Kommission hatte das Gesetz am 16. September 2022 vorgeschlagen. Am 3. Oktober dieses Jahres wurde es nun in einer überarbeiteten Fassung vom EU-Parlament mit 448 zu 102 Stimmen bei 75 Enthaltungen verabschiedet. Dadurch ist der Weg frei für die Verhandlungen über die endgültige Gesetzesform mit dem Rat, der sich im Juni 2023 auf seinen Standpunkt geeinigt hatte.
Im Vorfeld gab es allerdings fundierte Kritik an dem neuen Gesetz. So hatten mehr als 400 Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und Verbände aus ganz Europa, darunter der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP), in einem auf den 27. Juni dieses Jahres datierten offenen Brief ihre Bedenken formuliert. Darin heißt es: „Als Presseverlage setzen wir uns unmissverständlich für den Schutz der Medienfreiheit und der europäischen Werte ein, die im Mittelpunkt unserer Tätigkeit stehen. Dennoch möchten wir im Hinblick auf die bevorstehende Festlegung der jeweiligen Verhandlungspositionen im Namen der Presseverleger auf noch bestehende, ernsthafte Bedenken hinweisen.“ Nach Auffassung der Unterzeichner seien mehrere Bestimmungen des EMFA kontraproduktiv für den Schutz der Pressefreiheit und missachten einige bewährte nationale Rahmenbedingungen sowie verfassungsrechtlich geschützte Verfahrensweisen: „Medienfreiheit und Pluralismus werden nicht dadurch erreicht, dass die Medienregulierung europaweit harmonisiert und in funktionierende und seit langem etablierte rechtliche Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten eingegriffen wird.“
Doch nicht nur die europaweite „Harmonisierung“ der Medienregulierung und die damit einhergehende Einschränkung der Kulturhoheit der Mitgliedstaaten sind problematisch, sondern beispielsweise auch die Zuständigkeit großer privater Online-Plattformen (Very Large Online Platforms, kurz: VLOPs), die den Status von Mediendienstanbietern überprüfen müssen. Mediendienstanbieter müssen nämlich mehrere Kriterien erfüllen, um die Plattformen nutzen zu können. So müssen sie beispielsweise eine transparente Eigentümerstruktur, eine von Regierungen, Parteien und unternehmerischen Akteuren unabhängige Redaktion, die Aufsicht durch eine nationale Behörde sowie die Einhaltung „anerkannter Selbstregulierungsstandards“ vorweisen können. Allerdings sind die VLOPs durch das kürzlich in Kraft getretene EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: DSA) dazu verpflichtet, beispielsweise „Hate Speech“ und „Fake News“ einzudämmen (wir berichteten hier). Bei Verstößen kann die EU bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes einer Plattform als Strafzahlung kassieren. Daher ist es für die VLOPs ratsam, im Zweifel lieber einen Inhalt zu löschen, als eine Strafe zu riskieren. Wenn VLOPs wie etwa Facebook oder Twitter (jetzt X) nun den Inhalt eines Mediendienstanbieters löschen wollen, müssen sie diesen laut dem „Medienfreiheitsgesetz“ 24 Stunden vor der Löschung darüber informieren und ihr Vorgehen begründen. Jetzt kann der Mediendienstanbieter zwar Einspruch erheben, doch bis die Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten oder eine außergerichtliche Streitbeilegungsstelle über den Fall entscheiden, vergeht Zeit.
„Debatten im Keim zu ersticken“
Auf genau diesen Umstand weist auch der Deutsche Journalisten-Verband in einer Stellungnahme vom 17. Juli dieses Jahres hin: Die VLOPS wären nach wie vor berechtigt, journalistische Inhalte erst einmal wegen AGB-Verstößen zu sperren. Dadurch könnten die Berichterstattung und die Verbreitung von Nachrichten allein durch die Auffassung davon, was beispielsweise Facebook für unangemessen, unsittlich oder für eine Desinformation hält, wesentlich eingeschränkt werden. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme: „Die Filter-, Sperr- oder Löschroutinen sind außerdem geeignet, gesellschaftliche Diskurse schon im Keim zu ersticken. Sie vermögen nicht Kunst oder Satire zu erkennen und differenzieren nicht zwischen aufklärerischen Nacktfotos und Pornografie.“ Hinzu kommt, dass der Mediendienstanbieter die Beweislast trägt, wobei sich die Frage stellt, wie dieser Beweis zu erbringen sein soll.
In der Pressemitteilung des EU-Parlaments klingt dagegen alles positiv: Durch das „Medienfreiheitsgesetz“ solle die Vielfalt und die Unabhängigkeit der Medien gesichert werden. Außerdem soll es die Medien davor schützen, von Regierung, Politik, Wirtschaft oder Privatpersonen beeinflusst zu werden. Journalisten sollen beispielsweise davor bewahrt werden, dass sie mit Spähsoftware ausspioniert werden. Zur Bewertung der Unabhängigkeit der Medien möchte das Parlament alle Medien, auch Kleinstunternehmen, verpflichten, Informationen über ihre Eigentumsverhältnisse zu veröffentlichen. Darüber hinaus soll eine neue EU-Behörde eingerichtet werden, nämlich das Europäische Gremium für Mediendienste. Es soll sich aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzen und von einer „unabhängigen Expertengruppe" beraten werden. Dadurch wird abermals mehr Verantwortung von den einzelnen Mitgliedstaaten auf die EU-Ebene verlagert. Was umso bedenklicher ist, als die EU-Kommission aufgrund des „Gesetzes über digitale Dienste“ im Fall einer Krise, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die menschliche Gesundheit darstellt, einen Notstand ausrufen und direkten Zugriff auf die VLOPs erhalten kann.
Öffentlich-Rechtliche auch betroffen
Auch der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverbands der freien Presse (MVFP) bleiben kritisch: Zwar habe es im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission Verbesserungen gegeben, doch auch in der vom EU-Parlament angenommenen Fassung seien wesentliche Probleme ungelöst. „Das europäische Medienfreiheitsgesetz darf nicht dazu führen, dass funktionierende Mediensysteme und bestehende Medienrechte und -freiheiten in Deutschland ausgehebelt werden“, erklären die beiden Verbände. Dies gelte insbesondere für die interne Arbeitsweise und Organisation von Medienunternehmen, in die nicht eingegriffen werden dürfe. BDZV und MVFP appellieren an die Verhandlungsführer der EU-Institutionen, in den anstehenden Trilogverhandlungen dafür zu sorgen, dass die verbliebenen Lücken geschlossen werden und die freie Presse in der Europäischen Union weiterhin frei bleibt. Auch der Rundfunk wäre von dem „Medienfreiheitsgesetz“ betroffen: Laut dem Amsterdamer Protokoll von 1997 steht der öffentlich-rechtlichen Rundfunk nämlich in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten.
Bereits am 25. November 2022 hatte der Bundesrat den Kommissions-Vorschlag für das „Medienfreiheitsgesetz“ gerügt und die Verletzung des Subsidiaritätsprinzip festgestellt. In einem Beschluss des Bundesrates vom 31. März dieses Jahres heißt es dann wörtlich: „Gestützt auf die allgemeine Binnenmarktklausel des Artikels 114 AEUV beabsichtigt der Verordnungsvorschlag der Kommission, die Medien, die kein allein dem Binnenmarkt unterfallendes Wirtschaftsgut darstellen, einer weitgehenden europäischen Regulierung zu unterwerfen. Ein großer Teil der vorgeschlagenen Regelungen fällt jedoch in die Kulturhoheit der Mitgliedstaaten und ist darüber hinaus nicht geeignet, den Binnenmarkt zu fördern.“ Und weiter: „Die angestrebte Harmonisierung des Binnenmarktes steht der mit der Medienregulierung in erster Linie verfolgten Vielfaltssicherung gegenüber und gefährdet dieses Ziel. Für das eigentliche Ziel der Kommission, die in einigen Mitgliedstaaten festgestellten Rechtsstaatsdefizite anzugehen, stehen ihr andere Mittel zur Verfügung, die zielgenauer und effektiver sind (zum Beispiel Vertragsverletzungsverfahren beziehungsweise Rechtsstaatlichkeitsmechanismus).“ Damit bezieht sich der Bundesrat auf einen der Hintergründe des „Medienfreiheitsgesetzes“: die Annahme der EU-Kommission, dass in Ländern wie Ungarn und Polen Medien zunehmend in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt und politisch instrumentalisiert würden.
Der Bundestag stimmte im Dezember 2022 ebenfalls für einen Antrag zur Nachbesserung des Gesetzesvorschlags. Es sieht im Moment jedoch nicht danach aus, als würden sich die kritischen Stimmen in den anstehenden Trilog-Verhandlungen von EU-Kommission, EU-Parlament und Rat der EU durchsetzen können.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.