Nach eineinhalb Jahren Corona-Politik ist es wichtiger, dass der Laie die entstandenen Dammbrüche benennt, als den reinen Streit um die Fakten zu führen. Die Menschen sind Anhängsel einer Dynamik geworden, deren Endpunkt wir noch nicht kennen.
Den Seufzer, keine Kinder bekommen zu wollen, weil man in diese Welt doch keine setzen könne, habe ich immer für einen wehleidigen Ausdruck misanthropischer Schwäche gehalten. Inzwischen muss ich ihm für diese Gesellschaft eine gewisse Berechtigung einräumen. Menschen mit der Grundversorgung an Lebensmitteln zu erpressen, sich einem medizinischen Eingriff mit einem nicht unwesentlichen Risiko zu unterziehen, kann man getrost als eine Form staatlicher Tyrannei gegenüber einer Minderheit bezeichnen.
Es sind Ungeheuerlichkeiten denk- und durchsetzbar geworden, wie ich sie selbst dem konformistischsten Verteidiger deutscher Realpolitik nicht zugetraut hätte. Doch Zivilisation ist nun einmal immer brüchig; seitdem ich in der Schule The Lord of the Flies gelesen habe, weiß ich das. Verändern sich die sozialen Rahmenbedingungen grundlegend, ist auf die gefestigte Verinnerlichung zivilisierter Verhaltensformen in den Menschen nicht mehr so ohne Weiteres zu setzen. Das Dunkle in ihnen ist nie weg, es ist höchstens eingehegt. Der Ausnahmezustand erlaubt die Freisetzung von Kräften, die ein bürgerlicher Staat normalerweise zu bannen weiß. Was jeder demokratischen Erziehung eigentlich spottet, erscheint den in ständiger Angst und Anspannung Lebenden als legitime Repression, die für einen staatsloyalen Musterbürger in Deutschland ohnehin nicht kriminell sein kann. In beklemmender Gegenwart haben wir einen Tabubruch nach dem anderen erlebt, was künftig auch andere Dinge ermöglichen wird. Und die meisten zucken nur mit den Schultern.
2020 galt als Verschwörungstheoretiker und Fake-News-Schleuder, wer eine Impfpflicht voraussagte. 2021 heißt es schon einmal: Wer sich nicht impfen lässt, soll auch nicht essen. Vor sechs Jahren wurde die Mehrheitsgesellschaft von der linksradikalen Gruppe TOP Berlin mit einem Transparent provoziert, auf dem „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ prangte. Heute ist derselbe Schlag Mensch ununterscheidbarer Teil einer faschistoiden Dynamik, der entgegenzuhalten wäre: Deutschland, du mieser Verräter von Freiheitsrechten.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Wir werden erst retrospektiv sehen, was der Fluchtpunkt dieser unheimlichen Entwicklung ist. Dafür, dass man sie stoppen, gar umkehren kann, spricht aktuell nicht viel, am wenigsten die Trägheit und der Konformismus einer Justiz, die sich als Kontrollinstanz der Exekutive in weiten Teilen genauso verraten hat wie eine weitgehend unkritische Ärzteschaft, die keine Fragen stellt und umstandslos die Narrative von Pharmaindustrie und den Kampagnen der Bundesregierung übernimmt – und dabei wie selbstverständlich davon auszugehen scheint, dass keine juristische Aufarbeitung wartet.
Dass die herrschenden Gedanken die Gedanken der Herrschenden sind, wie es sinngemäß bei Marx heißt, wird von einer Gegenwart bezeugt, in der zwischen der Meinung eines Wissenschaftlers, einer überprüfbaren Hypothese und gesichertem Wissen nicht mehr unterschieden wird, sondern einfach ein „Stand der Wissenschaft“ propagiert wird. Wo der Konsens einer etablierten Mehrheit mithilfe seiner eigenen Existenz und damit nur aus sich selbst heraus die von ihm behauptete Wahrheit zu beweisen behauptet, kommt die aufklärerische Dialektik von Rede und Gegenrede, der öffentliche Streit ums bessere Argument erst gar nicht in Gang. Was staatlicherseits begonnen wurde, wird dann ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen, solange man die verursachten Schäden ignorieren beziehungsweise aufrechnen kann – und das geht im frei flottierenden Seuchennarrativ sehr lange.
Eine Massendynamik zieht auch die Schulmedizin in ihren Bann, welche man zu Recht gegenüber der Esoterik zu verteidigen gelernt hat, weil diese die Ansprüche wissenschaftlicher Wahrheitsfindung nie akzeptierte. Doch wo auf Seiten des Staates das Erkenntnisinteresse fehlt, ergebnisoffen dem nachzugehen, was schon qua Regierungslinie einfach nicht sein darf, wird ebenfalls keinem wissenschaftlichen Ethos entsprochen. Vielmehr ist Tür und Tor für ein Leid geöffnet, von dem zukünftige Geschichtsbücher vielleicht noch unterrichten werden.
Nun lässt sich das Ausmaß der Impfschäden noch nicht klar umreißen; doch muss man auch kein Statistiker sein, um zu bemerken, dass die Massenimpfung nicht einfach im Lichte traditioneller Impfungen zu betrachten ist. Ihre historische Präzedenzlosigkeit gemahnt genauso zu Vorsicht und Skepsis wie ihre Einbettung in eine gesellschaftliche Bewegung, in der Kindermasken, ständiges Lüften in Klassenzimmern sowie inhuman strenge Besucherreglements in Krankenhäusern und Pflegeheimen als Ausdruck von Vernunft und Moral durchgegangen sind. Von einem solchen common sense kann sich kein Mensch, der noch bei Trost ist, in gesundheitlichen Fragen mit ernst zu nehmenden Risiken beraten lassen.
Daher gilt im Zweifel: I would prefer not to. Was heute als anekdotische Evidenz heruntergespielt wird, entspricht in Wahrheit der Fähigkeit, mit lebendigen Sinnen durch die Welt zu gehen und seine individuelle Erfahrung mit dem abzugleichen, was einem die ideologischen Apparate im Gestus infantilisierenden Bescheid-Wissens tagtäglich um die Ohren hauen. Die Mitmenschen, die von dieser nahezu totalen Propaganda als verfolgende Unschuldslämmer aufgehetzt werden, sind ein Trauerspiel gegenüber den Hoffnungen bürgerlicher Revolutionäre auf einen freien und rücksichtsvollen Bürger.
Historisch überwunden geglaubte Dynamiken
Bevor der Zweck der Pandemiebewältigung peu à peu härtere Mittel heiligte, wäre für die meisten unserer Zeitgenossen noch undenkbar gewesen, jemanden zu einem medizinischen Eingriff zu drängen, dessen Sicherheit nicht einmal von den Herstellern abschließend behauptet wird. Die beängstigende Unverfrorenheit, mit welcher gesellschaftlicher, universitärer, gar schulischer Druck offen als legitimes Mittel zur Erhöhung der Impfquote gepriesen wird, erschüttert vor dem Hintergrund des Nürnberger Kodex, für den die Freiwilligkeit in medizinischen Fragen heilig ist.
Fragen Sie doch mal öfters im Bekanntenkreis, ob nachdenklich stimmende Erfahrungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung gemacht wurden. Sprechen Sie den Arzt Ihres Vertrauens ruhig darauf an, ob er alles Auffällige auch wirklich dem Paul-Ehrlich-Institut meldet. Fordern Sie die Politiker einfach dazu auf, eine Kosten-/Nutzen-Rechnung bezüglich der Corona-Impfstoffe durchzuführen und dabei die doch im Grunde altbekannte Symptomatik von Covid-19 genauso zu berücksichtigen wie das doch recht imposante Spektrum an Impfreaktionen und Nebenwirkungen. Wenn etwas einem gesellschaftlichen Tabu unterliegt, erfordert dies ein Bewusstsein, das zur Sprache und damit ins Denken bringt, was nicht einmal in Erwägung gezogen werden soll, geschweige denn Gegenstand ergebnisoffener Forschung.
Es wird in Europa bis auf Weiteres keinen Faschismus mehr geben, in dem ein Bündnis aus Mob und Elite in Pogromstimmung gegen ethnische oder religiöse Minderheiten gerät. Die nachbürgerliche Gesellschaft wird jedoch gerade in ihrem stolz vor sich hergetragenen Anspruch, aus der Geschichte gelernt zu haben, betriebsblind für überwunden geglaubte Dynamiken, die sie nun in anderer Konstellation und Gestalt zu sich kommen lässt. Mit der Mischung aus Konformitätsdruck, Sündenbocksuche und sich stetig schamloser aussprechenden Bestrafungsgelüsten setzt die Politik vor aller Augen durch, was in jedem kritischen Geschichtsunterricht einem vernichtenden Urteil anheimfällt. Man könnte es als einen Treppenwitz verlachen, dass 2G überhaupt in Erwägung gezogen wird, wo sich die angeblichen Gegner jeglicher Diskriminierung doch tagtäglich auf ihre ach so rechtsstaatlichen Schultern klopfen. Doch dafür ist es zu ernst.
Der Blick für die Gegenwart verschwimmt
Die Unfähigkeit, banalste Widersprüche zwischen ideellem Anspruch und gelebter Wirklichkeit überhaupt noch wahrzunehmen, kennzeichnet das nachbürgerliche Subjekt in der Corona-Krise. Als Anhängsel der gesellschaftlichen Irrfahrt ins Ungewisse biegt es sich stets als Vernunft zurecht, was je aktuell im Bereich des technisch und politisch Machbaren liegt. Tritt zu einer vollkommen selbstüberheblichen Wissenschaftlichkeit noch ein Mangel an rechtsstaatlichem Bewusstsein sowie an ästhetischem und sittlichem Gespür für ein zivilisiertes Miteinander hinzu, regiert die virologische Technokratie einfach durch, ohne sich als solche überhaupt betrachten zu müssen.
An den 3G- bzw. de facto 2G-verunstalteten Universitäten dozieren Professoren und lernen Studenten, deren Orientierung am Unrecht der Vergangenheit derart unvermittelt und verschult zu sein scheint, dass ihnen der Blick für das Faschistoide der Gegenwart vollkommen verschwimmt. Man muss sich organisieren und den Mund aufmachen, am Arbeitsplatz, in der Polizeigewerkschaft, der Schule, in der Kita oder auch im SchwuZ. Doch können die Deutschen anscheinend systematische Verfassungsbrüche nur retrospektiv aufarbeiten. Klopfen diese an die Pforten der Gegenwart und bitten, als neue Normalität empfangen zu werden, werfen sich jene ihnen erneut schicksalsergeben an den Hals.
Am 11.9.1942 notierte Hans Scholl in sein Tagebuch: „Die Deutschen sind unverbesserlich. Ihre Falschheit steckt ihnen schon so tief im Fleisch, dass man sie nicht exstirpieren könnte, ohne den ganzen Körper zu töten. Ein verlorenes Volk.“ Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, wir befänden uns auf einer Reise ins Vierte Reich. Ich nehme mir aber die Freiheit heraus, zu sagen: Die aus seinen Zeilen sprechende aufrichtige Verachtung ist mir in den letzten eineinhalb Jahren immer vertrauter geworden.