Georg Etscheit / 21.10.2021 / 16:30 / 18 / Seite ausdrucken

Berliner Schwulenzentrum: Streng diskriminierungsfrei!

Wenn man anruft, landet man zunächst in der Warteschleife. Von einer Stimme, die so klingt, wie Klein-Fritzchen sich einen Homosexuellen vorstellt, wird man durchs Menü gelotst. Plötzlich klingelt im Hintergrund eine Türglocke, die Telefonstimme sagt genervt: „Dann mach ich jetzt halt die Tür auf, wenn sonst keiner geht!“ Huch, wie lustig!

Willkommen im SchwuZ, dem nach eigener Darstellung „ältesten queeren Club“ und „größten queeren Kulturinstitution Deutschlands“, gegründet 1977, als zwar noch kein Transmensch im Bundestag saß, aber die Welt ansonsten noch halbwegs in Ordnung war. Nach mehreren Umzügen befindet sich das Berliner Schwulenzentrum, das sich heute aller Mensch*innen annimmt, die irgendwas nicht auf die Reihe kriegen, in den Räumen der alten Kindl-Brauerei in Neukölln, die jetzt zum Teil als Kulturzentrum dient.

„Du sollst Dich hier wohlfühlen, egal wer Du bist“

Durch den Umzug in die neuen Räumlichkeiten „am Standort Neukölln“, so erfährt man auf der Webseite, seien „bis heute“ rund 1,5 Millionen Euro investiert worden. Darüber hinaus habe das SchwuZ aktuell rund 100 Beschäftigte und im Durchschnitt monatlich rund 300 Dienstleister, die „bezahlt werden müssen“. Man darf vermuten, größtenteils aus öffentlichen Mitteln, wie das in Berlin üblich ist.

Das SchwuZ will ein gastfreundlicher Ort sein. Unter dem Stichwort „Unser Selbstverständnis // Barrierearm“ liest man folgendes:

Wir freuen uns über die vielen verschiedenen Menschen, die das SchwulenZentrum zu dem machen, was es ist. Es kann uns gar nicht bunt und abwechslungsreich genug sein, das zeigt auch unser vielfältiges Programm. 1977 als Ort des Aufbegehrens und der Emanzipation Schwuler und Tunten gegründet, arbeiten und feiern wir hier heute als Männer und Frauen oder nichts von beidem, als Queers, weiße Menschen, Bartmädchen, Butches und Femmes, Schwarze, Persons of Color, als Personen mit und ohne Behinderungen, Migrant_innen, Junge und Alte, trans* und inter*geschlechtliche Menschen und so viel mehr. Wir sind dabei schwul, lesbisch, bi- und a- oder vielleicht sogar auch heterosexuell. Wir wünschen uns einen respektvollen Umgang miteinander – Du sollst Dich hier wohlfühlen, egal wer Du bist.

Leider kein Ort für alle

Wie alle Clubs in Berlin und anderswo musste auch das SchwuZ wegen Corona seine Tore schließen. Im Juli waren es triste 500 Tage, bis heute sind noch ein paar dazugekommen. Doch ein Ende der Misere ist in Sicht: Am Samstag, 30. Oktober, soll mit einer großen Party unter dem Motto „The Comeback of Love“ die Wiedereröffnung gefeiert werden. Zeitgleich nimmt die neue „Pepsi Boston Bar“ den Betrieb auf, der „neue queere Hot Spot von Berlin“.

„Mit der Dankeschön-Party möchten wir uns bei allen Besucher:innen bedanken, die uns während der Pandemie unterstützt haben. Es wird daher auch an diesem Tag freien Eintritt für alle geben. Der Tanzhunger kann endlich wieder gestillt werden. Darauf haben wir schon so lange gewartet. Und das die queere Community damit wieder einen Ort der Begegnung hat, freut uns umso mehr.“

Leider kein Ort für alle, denn gemäß der 2G-Regel werden nur Geimpfte und Genesene Zutritt haben. „Alle Veranstaltungen werden unter 2G-Regeln stattfinden und durchgeführt“, heißt es kurz und knapp auf der Webseite. Digitaler Nachweis samt Lichtbildausweis sei zwingend erforderlich. Berlin mit seiner viel gerühmten „Klubkultur“ hatte als eines der ersten Bundesländer ein Optionsmodell eingeführt, wonach sich Clubbetreiber und Gastronomen für 2G oder 3G entscheiden können. Der Nachweis muss auch digital nachprüfbar sein.

Das SchwuZ entschied sich offenbar durchgehend für die strengere Variante. Auf Achgut-Nachfrage schrieb dessen PR-Abteilung im Kumpelton:

Danke für deine Nachricht. Das SchwuZ öffnet wie alle Berliner Clubs unter 2G Bedingungen. Das ist die einzige Möglichkeit als Club wieder den Betrieb aufzunehmen. Denn es handelt sich dabei um die Vorgabe des Berliner Senats. Insofern verstehen wir deine Sicht auf die Dinge, werden jedoch die Möglichkeit nutzen, wieder zu öffnen und nicht weiter geschlossen zu bleiben, bis die Pandemie vorbei ist. Das ist betriebswirtschaftlich und sozial gegenüber unseren Mitarbeiter:innen und Künstler:innen nicht vertretbar.

Natürlich ist es aller Ehren wert, wenn ein Arbeitgeber auf die Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern pocht. Doch wie verträgt sich die behaupteten „Barrierefreiheit“ und die Sensibilität der „queeren Community“ gegenüber Diskriminierungstatbeständen aller Art mit dem Ausschluss Ungeimpfter? Einst gingen die Homosexuellen für ihre Rechte auf die Straße und prügelten sich mit der Polizei, wie bei den legendären Stonewall-Aufständen von 1969 in der New Yorker Christopher Street, die bis heute als „Christopher Street Day“ gefeiert werden. Heute diskriminiert man fröhlich mit und lässt sich das Maul mit Steuermillionen stopfen.

(Ich danke einem Achgut-Leser für seinen Hinweis auf dieses Thema!)                                                      

Foto: BikerFan22 via Wikimedia Commons

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Stefan Hofmeister / 21.10.2021

“[...] und im Durchschnitt monatlich rund 300 Dienstleister, die ‘bezahlt werden müssen’.” - Eiderdaus. Welche Dienste die da so anbieten würde mich aber jetzt schon interessieren ...

Silas Loy / 21.10.2021

Menschenskinder, wie erotisch: “Schwulenzentrum”, und die Abkürzung erinnert glatt an einen Wegweiser der Wehrmacht: “SchwuZ”. Das sind die Urenkelkinder der Spiesser, die nach Paris fuhren, um sich ausgerechnet im “Moulin Rouge” die Augen auszuglotzen und ihre verschütteten Weltstadtgefühle zu entdecken. Nur mit 2G? Jawoll!

Gert Köppe / 21.10.2021

Ich wünsche denen Allen viel Spaß in ihrem “Homo-Club” und noch mehr Spaß auf dem anschließenden Nach-Hause-Weg, mit Merkels “Goldstücken”. Mir sind, ab sofort, sämtliche Angelegenheiten, was die Schwulen betrifft, auch egal.

Karol Bayer / 21.10.2021

Fairerweise muss man den Betreibern zugute halten, dass sie vermutlich keine Wahl haben. Würden sie sich gegen das Regime auflehnen und die Öffnung unter den Vorgaben verweigern, wird man ihnen einfach die Mittel streichen, die Geschäftsführung als “Corona-Leugner” entlassen und brave Systemdiener installieren. Wer einen normalen Beruf ausübt, kann sagen, dass man sich das nicht bieten lässt und zur Konkurrenz wechseln. Für Abhängige in Subventionsberufen, die irgendwas mit Kultur machen, ist das nicht möglich, schließlich hängt die Existenz am guten Willen des Hofstaats.

Dirk Piller / 21.10.2021

Weshalb hat man in den 80gerneigentlich so darauf geachtet, dass man die Schwulen nicht bedrängt zu offenbaren, ob sie HIV positiv oder Hepatitis positiv sind. Und die Positiven nicht genötigt auf Sexualverkehr zu verzichten und sich überhaupt aus der Gesellschaft zurückzuziehen? Weil man niemanden ausschliessen wollte. Wie viele HIV Neuinfektionen hätte man damals und auch heute eigentlich verhindern können, wenn man sie damals und auch heute mit Bändchen und Gesundheitspass kenntlich gemacht und/ oder ausgegrenzt hätte?

Peer Munk / 21.10.2021

@Thomas Müller: Klar. Auf diese Art kann man immer argumentieren. “Was sollte ich denn machen? Ich musste halt in die Partei eintreten…” Auf die Idee, zu protestieren, kommen die nicht. Ich kenne auch einen Laden in Berlin, der Besitzer hat dann argumentiert, er könne seinen Mitarbeitern nicht zumuten, so lange ne Maske zu tragen. Vorher ist er allerdings immer über all die “Covidioten” hergezogen, die gegen die Maßnahmen auf die Straße gingen und sich anstellen, nur weil sie ne Maske tragen sollen. Wenn die Leute sich wenigstens vorher mit den Demonstranten und Protesten solidarisiert hätten, dann hätte vielleicht Verständnis für deren Lage. So sind das in meinen Augen nur erbärmliche Mitläufer.

k-rasch / 21.10.2021

“Einst gingen die Homosexuellen für ihre Rechte auf die Straße und prügelten sich mit der Polizei.” Wenn Sie mir ein Beispiel nennen könnten, wann die Schwulen in Deutschland auf die Straße gingen und sich mit der Polizei prügelten? Die Schwulen in Deutschland hatten leider schon immer den Schwanz eingezogen und sich schikanieren lassen. Denken Sie an den §175 bis 1996 hier in Kraft, denken Sie an Herrn Westerwelle, der sich erst kurz vorm Ministeramt outen traute. “Klemmschwestern” nannte man das mal. Hier laufen alle im autoritären Gleichschritt mit, solang es sein muss. In Amerika beginnen sich die Leute zu wehren, in Italien ebenfalls: sie kündigen Ihre Jobs, sie melden sich krank, sie bestreiken die Werften, sie gehen wöchentlich zu Tausenden auf die Straße. Es ist etwas unfair, das Problem an den Schwulen festzumachen, hier in Deutschland betrifft es leider alle, hetero oder schwul oder sonstwas, schon länger Hier-keine-Eier-Habenden.

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