Ulrike Prokop, Gastautorin / 18.02.2021 / 16:00 / 15 / Seite ausdrucken

„Bridgerton“ auf Netflix: Diversity im 19. Jahrhundert

Von Ulrike Prokop.

Die Serie Bridgerton würde als Teenie-Schmonzette mit Soft-Porno-Einlagen kaum weitere Beachtung finden, wäre da nicht der Einfall, PoC-Menschen als Königin, Liebhaber und Domestiken einzubringen. London um 1820, die Queen very black und betont unattraktiv, dafür mit Herrenmensch-Allüren ausgestattet. Der jugendliche Liebhaber, der Duke of Hastings, ist prächtig und dunkel; die weibliche Heldin ein blasses, schmalbrüstiges Täubchen mit blauen Augen. Die Entwicklung der Geschichte folgt der (fast) allen Leserinnen vertrauten Dramatik von Begierde und Verbot. Hier aber nun aufgeladen durch die schwarz-weiße Optik, die – und das ist der Trick bei Bridgerton – nicht thematisiert wird. Das Verbot resultiert nicht aus dem Hautfarbenspektrum, sondern aus einem Familientrauma: Der schwarze Duke hatte eine sehr schwere Kindheit und dafür seinem herzlosen Vater Rache geschworen: Nie werde ich Dir einen Enkel zeugen!

Damit ist die Dynamik in Gang gesetzt: Wie kommt er vom Eid wieder los? Es geht um eine Liebesprobe, wie wir sie schon bei Twilight so geschätzt haben: Jungfrau liebt Vampir. Wenn er liebt, beißt er der Geliebten die Kehle durch. Was tun? Es folgen dramatische Verwicklungen. So auch im Schicksal von Duke Hastings und dem schmalbrüstigen Täubchen: Phase 1: Er will nicht heiraten, sagt aber nicht, warum (Trauma). Phase 2: Sie erpresst ihn zur Heirat. Phase 3: Koitus interruptus – eine Gemeinheit seinerseits. Phase 4: Sie erfährt vom Eid. Trennung. Phase 5: Verzeihung und Kindsgeburt.

Die Inszenierung demontiert lustvoll die Tradition der historischen Rekonstruktion im Kostümfilm. Es entsteht eine Mischung aus Versatzstücken. Die Kostüme, die Gestik, die Sprache enthalten grobe historische Anspielungen. Das sind die Schnittmuster der Empire-Kleider, die unentbehrlichen Kratzfüße und Verbeugungen der Aristokraten oder das Siezen der Liebenden auch in Nähebeziehungen. Frauen unterliegen dem seit Jane Austen wohlbekannten Schicksal der Bräute auf dem Heiratsmarkt. Das war es auch schon. Der Rest ist Soap der Gegenwart: Mädchenzicken, Männerboxen, Müttersorgen, alles wie bei uns zu Hause. Gespielt wird unterirdisch miserabel, denn es geht nicht um Charaktere, sondern um Typen, die schematisch angelegt sind. Aber das macht nichts, denn es gibt schöne Körper, wilde Farben und die Steigerung zu bizarren Kleiderorgien in Kunstseide.

Da ergeben sich sofort fürchterliche Fragen

Und warum 58 Millionen Klicks und seitenlange Besprechungen im Edel-Feuilleton?
Die Serie Bridgerton steht in 76 Ländern auf Platz 1 der Netflix-Serien, auch in Deutschland. Die Produzentin Shonda Rhimes ist die einzige schwarze Frau im großen Filmbusiness – äußerst erfolgreich mit Grey’s Anatomy, der Thriller Serie Scandal, und How to get Away with Murder. Sie hat schon früh auf Diversität gesetzt und gilt als Wegbereiterin für Frauen, Schwarze und andere Minderheiten. Dem Prinzip folgt sie auch in Bridgerton – durch kommentarlose provokante Besetzung, ganz unabhängig von der historischen Farbenmischung bei Hofe. Es gibt die bemühte Idee, der historischen britischen Königin Charlotte XX. über die portugiesische Familienlinie afrikanische Prinzenahnen anzudenken. Aber Genaues weiß man nicht.

Es gibt tatsächlich Rezensenten, die in Bridgerton vor allem die politische Korrektheit suchen und finden. Siehe das Interview mit Ineye Komonibo und Kathleen-Bremang. Sie sind bekannte Journalistinnen und Aktivistinnen im Bereich schwarze Pop-Kultur und Lifestyle (siehe auch hier und hier).

Da ergeben sich sofort fürchterliche Fragen: Wenn doch schwarz und weiß so tun, als seien alle gleichermaßen bonbonfarben, trägt das zur politischen Bildung bei? Wo bleibt der woke Schmerz der Beleidigten? Eine echte Denkfalle: gut oder schlecht? Ruhm oder Shitstorm? Erschwert wird die Antwort durch die Tatsache, dass die Bridgerton-Produzentin ihrerseits eine berühmte PoC ist, die es nach ganz oben geschafft hat. Von ihr hätte man – so die bekennende Moralfraktion – doch eigentlich mehr erwarten dürfen.

Die Verweigerung der historischen Rekonstruktion hat Methode. Etwa durch die Zerstörung von Eleganz und Form durch weibliche Trampel. Die Regie zerstört die höfische Form zugunsten einer lustvollen Demonstration von pöbelhaftem Auftreten. Das Diverse bezieht sich nicht auf die Hautfarbe, sondern auf die Hierarchie. Es macht einfach Spaß, verkehrte Welt zu spielen. Hier tobt ein besonderer Karneval: Das Niedere wird das Hohe und umgekehrt. Damit stieß Rhimes intuitiv auf eine Goldader. Es geht um das Aufsprengen geschlossener Welten. Dazu passt: Zur Zeit arbeitet sie an einer Serie über die Hochstaplerin Anna Sorokin in New York, die das dortige Establishment um Millionen betrogen hat und dazu vor Gericht die Betrogenen der kompletten Lächerlichkeit preisgab. (2019 wurde Anna Sorokin wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Januar 2021 auf Bewährung entlassen.)

In der verkehrten Welt sind einfach alle Idioten. Und nichts ist ernstzunehmen. Das ist eine zweischneidige Sache. Der Stachel, dass andere Welten etwas Ideales enthalten könnten, das wir gern hätten, das wir begehren, was wir aber nicht zugeben können, weil es unerreichbar ist – dieser Stachel wird hier einfach gezogen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Udo Lange / 18.02.2021

“Frauen, Schwarze und andere Minderheiten” - auf die Weltbevölkerung bezogen sind weder Frauen noch Schwarze eine Minderheit.

Paul Siemons / 18.02.2021

Nie von gehört, nie gesehen (habe kein Netwix). Also die Suchmaschine angeworfen und Bilder gesucht. Ja, kommt hin. Als hätte es vor 200 Jahren schon einen IKEA Katalog gegeben und Amazon die Herren- und Damenmode Sommer 1820 präsentiert (übrigens: Amazon hat jetzt ein Männermodel, das GLEICHZEITIG schwarz und weiß ist). Und jetzt gucke ich wieder Farbe beim Trocknen zu.

Hilde Maas / 18.02.2021

Wenn eines Tages alle Kulturen so vermischt sind, dass niemand sich mehr vorstellen kann, was eine Kultur eigentlich konstitutiv auszeichnet und von anderen unterscheidet, dann wird man sich die Vergangenheit so vorstellen wie in dieser unerträglichen Schmonzette und die „Demontage“, wie Sie es nennen, für eine zeitgeschichtliche Rekonstruktion halten. Vielleicht sind wir auch heute schon an diesem Punkt. Filme wie diese beschleunigen jedenfalls den geistigen und somit auch den kulturellen Durchmischungsprozess und damit die totale Entdifferenzierung. Alles soll gleich sein und so wird es geschehen: Keine Kulturen, keine Epochen. Das hatte schon Alexis de Tocqueville vorausgesehen.

Harald Unger / 18.02.2021

In der “Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 zu den Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa (2018/2899(RSP)” erfahren wir ” … in der Erwägung, dass Menschen afrikanischer Abstammung im Laufe der Geschichte erheblich zum Aufbau der europäischen Gesellschaft beigetragen haben, … nationale Strategien zur Bekämpfung von Rassismus zu entwickeln … mit denen die Teilhabe von Menschen afrikanischer Abstammung in Fernsehsendungen und anderen Medien gefördert wird, damit ihrer fehlenden Repräsentanz sowie dem Mangel an Vorbildern für Kinder afrikanischer Abstammung angemessen entgegengewirkt wird;” - - - Abgesehen davon, folgt die Verflachung von Kultur hin zu lauwarmen und wässrigen Brühen, dem zeitlosen Diktat marxistischer Herrschaft. Was in den USA fürs TV und Kino auf den Markt kommt, muss die Zensur der CCP in Beijing bestanden haben. Im Gebiet der Despotin ist derlei aber nicht nötig. Bei uns sorgt die eigene Zensurbehörde dafür, sie nennt sich ‘Filmförderung’, daß kein abweichender Gedanke die Hintersassen erreicht. Sondern ausschließlich ein Kessel Abgestandenes, Einfältiges und Erziehendes. Ganz nach dem Geschmack der FdJ Sekretärin für Agitation und Propaganda, deren kultureller Horizont das alleinige Maß allen Kulturschaffens ist.

Frank Baumann / 18.02.2021

Ich würde mir so etwas nicht anschauen, selbst wenn alles historisch korrekt wäre. Aber ich habe hier die verzückte Reaktion einer politisch völlig Ungebildeten live miterlebt: Die Serie sei so toll und es wäre eine sooo wunderbare Idee gewesen, hier Diversity miteinzubringen. Ich habe das nicht kommentiert, aber offensichtlich geht der Plan bei schlichteren Gemütern voll auf. Der erste Diversity Film, den ich mir ansehe, wird der sein, in dem Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Hermann Göring allesamt von POC dargestellt werden und der Ort der Handlung nach Afrika verlegt wird. Sollte doch kein Problem sein, da doch heute alles und jedes überall beliebig und gleich ist.

Tobias Schlüter / 18.02.2021

Wenn ich schon “PoC-Menschen” lese geht mir die Hutschnur hoch. Warum das Vokabular der Woke-Spinner nutzen? Was spricht dagegen einfach von scharzen oder meinetwegen farbigen Menschen zu schreiben?

Bert Keller / 18.02.2021

Ist nicht irgendwo Fußball?

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