Von Ulrike Prokop.
Kaum zu glauben: Das Familienministerium (Ministerin: Franziska Giffey, SPD) beklagt „sexistische Gewalt“, weil in der Sendung Germany’s Next Topmodel „Heidis Mädchen“ in hautfarbenem Tanga – Busen und Scham züchtig in Schaum gehüllt – über den Laufsteg schritten. Das soll sexistische Gewalt gegen Frauen sein? Schon mal gehört von Genitalverstümmelung? Von Zwangsehen? Von unterfinanzierten Häusern für geschlagene Frauen? Von ungestrafter Gewalt gegen Prostituierte auf der Basis deutscher Gesetzgebung? Und vieles mehr! Aber diese Themen kommen natürlich nicht so unkompliziert daher wie das Geschrei über ein Scheinproblem. Sie sind keine Gewaltopfer. Optisch waren die Bilder dazu noch verpixelt. Es ist zynisch, so die Bedeutung der Worte Gewalt, Ohnmacht und Versklavung um ihren Sinn zu bringen. Das Ministerium benutzt die vorhandene Aufmerksamkeit, um sich selbst als feministische Staatsabteilung in Szene zu setzen. Was wäre der Feminismus ohne die schützende Hand von Väterchen Staat? Jedenfalls ein Feminismus mit weniger Posten, Karrieren und staatlich alimentierten Fernreisen.
Die ministerielle Würdigung adelt den Erregungssturm auf Twitter. Nicht nur das Ministerium hat etwas davon, auch ProSieben kann sich freuen. Der Sender konnte fest damit rechnen, dass der Schaumwalk, als Tabubruch wahrgenommen, die Empörungskultur auf den Plan rufen und damit die ersehnte Medienerregung herbeizaubern würde. GNTM ist immer am Skandal entlang gesegelt. Das gehört zur strategischen Absatzplanung seit 15 Jahren. So auch in diesem Fall. Es handelt sich um ein kalkuliertes Risiko mit einem Scheinproblem. In einer Welt, in der jede Perversion ein eigenes Gütesiegel führt, dürfen Frauen sich nicht vor der Kamera ausziehen? Weil das nur der Intimität vorbehalten ist?
Attacken hoffnungslos altbacken
Die Produzentin Heidi Klum war sehr vorsichtig. Sie vermied es, dass Angekleidete über Nackte urteilten, und daher befanden sich sowohl sie selbst als ihre Mitjurorin, die Fotografin Ellen von Unwerth, bei dem Schaumwalk in unbekleidetem Zustand auf dem Podium – was dem Publikum durch dicke schwarze Balken über den sekundären Geschlechtsmerkmalen angezeigt wurde. Das war schlau: Erstens zwei mächtige Frauen und die dann auch nackig.
Der Empörung ist also auf kluge Weise vorgebaut. Sie kann nicht zum Sturm auflaufen, es reicht aber zur Mobilisierung der bekannten Fronten. Die eine Seite führt die ewige Klage: Frauen entfremden sich als hirnlose Modepuppen von ihrem besseren Selbst. Was wollen diese bösen Frauen? Den liebeskranken männlichen Blick und damit illegitime Macht. Das bedeutet etwa: über die Kerle zum Erfolg kommen. Tatsache ist, dass für diese Position so langsam die sozialen Voraussetzungen schwinden. Erfolgreiche Männer wollen keine Hausfrauen – zu teuer. Sie suchen den Hetero oder auch Nicht-Hetero-Kompagnon, die sogenannte Powerfrau. Der männliche Blick verspricht in der Realität nicht einmal einen ordentlichen Unterhalt im Austausch für treue Liebe.
Daher sind die Attacken aus dieser Richtung so hoffnungslos altbacken. Ein Blick auf Heidi Klum als Role Model sollte genügen. Wer glaubt, dass die sich für den männlichen Blick schmückt oder entkleidet, dem ist wirklich nicht zu helfen. Verfügung über Männerseelen will sie vielleicht, aber nur, um den Skalp an ihren Gürtel zu hängen.
Und „Heidis Meedchen“? Ja, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht: Das ist der Weg. Hier geht es um den kühlen Blick. Und die armen Jungs, die zu Hause geblieben sind, die Freundin eher mit Hundeblick als dominant anschauen, die sehen wir ja in den Laptops, wie sie schauen und vielleicht schon ahnen, dass sie da nicht dabei sein werden, bei der Reise der Erfolgreichen in die endlosen Welten.
Im Paradies der Gleichberechtigung endlich angekommen?
Es gab immer viel auszusetzen: Über 15 Jahre läuft die Show. Zunächst waren da die überschmalen Mädchen unter Magersuchtverdacht. Dann die Frage nach der angepassten Frauenschönheit (männlicher Blick). Dann das autoritäre Kommando der Chefetage: Heidi Klum und Kooperierende. Und jetzt? Alle Hautfarben vertreten, Kleidergröße 44+ vertreten, und Alex, vom jungen Mann zum Mädchen verwandelt, spielt selbstverständlich mit.
Und jetzt wieder Gemecker? Was will man denn noch? Das lässt sich nur noch philosophisch bewältigen. Sind wir im Paradies der Gleichberechtigung endlich angekommen? Wer das nicht glaubt, kann sich worauf berufen? Da bleibt nur ein Unbehagen, das sich sehr schwer tut mit der erscheinenden fortschrittlichen Realität
(3. Folge). Und so sieht es aus: Eines Abends: Alex ruft den Mädchenkreis zusammen und erzählt von ihrer Verwandlung zur Frau. „Ich wollte mich öffnen“. Es ist so still und alle hören mit verschiedenen Ausdrucksformen der Ergriffenheit zu. Die Kamera hält alles fest.
Die jungen Gesichter in Großaufnahme, die selbst gerührte Alex, deren Worte um Persönliches bemüht, doch dem rührenden Schema folgen: Einsamkeit, Selbstprüfung, Selbstbehauptung. Wie ich zu mir selbst wurde. Eine junge Frau sagt ihr, dass sie großartig sei, so ganz zu sich zu kommen. Andere drücken die gleiche Bewunderung aus. Über allem liegt eine konzentrierte Wachheit und Anspannung. Jetzt nur nichts falsch machen! Es ist ganz sicher: hier eine falsche Mimik, das wäre der soziale Untergang. Das passiert nicht. Alle geben sich Mühe, passen auf.
Aufführung mit verteilten Rollen, bitte keine Nachfragen!
Was passiert mit einem intimen Geständnis, das hier nicht in einer vertrauten oder therapeutischen Situation, sondern in einer Versammlung von eher fremden, vielfach konkurrierenden Anderen, gebrochen durch die Kamera-Regie, vor einem Millionenpublikum in Szene gesetzt wird?
Unvermeidlich entsteht eine Aufführung, bei der die Rollen festgezurrt sind und in der jeder zum Darsteller wird. Alex müht sich, die passenden Worte zu finden, um das Thema der mutigen Selbstfindung authentisch vorzubringen. Für die Zuhörenden ist die Aufgabe der Demonstration von Rührung und anschließenden Akklamationen ebenso festgelegt. Niemand darf hier aus der Rolle fallen. Die Gefahr besteht auch nicht, weil alle das Schema kennen und sich zu eigen gemacht haben. Und weil eine Abweichung gefährlich ist.
Auf den zweiten Blick hat eine solche Umgangsweise etwas Archaisches, als ob die Frommen einer Freikirche gemeinsam das Erweckungserlebnis eines Gemeindemitglieds feiern. Ja, darum geht es, um eine Feier der guten Werte, die als Personendrama vorgeführt werden. Es gibt Tabus: Keine Fragen, keine Zweifel, keine Abweichungen.
Das Paradies der Gleichberechtigung – Aufführung mit verteilten Rollen, bitte keine Nachfragen! Ja, was jetzt! Sollen sich die Leute schlecht benehmen, sich peinliche Fragen stellen oder ratlos dreinblicken?
Es genügt vielleicht zu wissen, dass der öffentliche Raum der Gegenwart nicht der Ort gewaltloser Verständigung ist. Vielmehr wird hier einem in Körper und Sprache streng codierten Skript gefolgt. Das Skript steht nicht nur allgemein fest: Es ist ganz genau ausziseliert. Es funktioniert gerade über die Details: Stimmführung, Körperhaltung, Blick. Das ist ebenso wichtig wie das Wort.
Gestylte Emotionen sind gefordert
Der Vorgang hat Anklänge einer Beweisaufnahme per Kamera vor dem Blick der Millionen, die nur eines kennen: Daumen hoch oder runter. Eine Arena, in der Bekenntnisse geprüft werden: glaubwürdig? Hat Frau das verstanden, erschließt sich auch das strenge Verhaltensregiment. Vor den unerbittlichen Augen der Betrachter, der Gnade der Regie als der Verwalterin des Kameraauges ausgesetzt, mühen sich alle Mädchen, sehr brav zu sein. Verliererinnen lächeln, Freundinnen müssen sich trennen, dürfen durchaus Gefühl zeigen, aber nicht zu viel, und zum Schluss erweist sich sogar Kanzlerin Merkel als stilbildend. Wenn die Trennung der Freundinnen beklagt wird – dann fallen die berühmten Worte: Es bricht mir das Herz.
Das Problem: In dieser Konstellation wird alles eingefroren. Es gibt kein Richtig und Falsch mehr. Alles ist funktional, erregungssteigernd, befriedigend. Aber was bedeutet das? In dieser Konstellation kann es gar nichts bedeuten, denn alles ist gestanzte Verlautbarung. Die autoritäre Vorgabe und die latente Gewalt zerstören alle Inhalte. Selbst die schönsten und besten Absichten lösen sich auf, und die Worte nutzen sich ab – wie Freundschaft und Bruderkuss.
In der vierten Folge erzählt Soulin aus Aleppo von ihrer Flucht, auch hier das Ritual: Betroffenheit in allen Gesichtern. Kein Gespräch. Die Regie will nur kurz verdeutlichen, dass die Wertegemeinschaft wichtig ist. In dieser Folge werden aber vorwiegend andere Werte nach vorn gebracht. Etwas brutal gesagt: Es geht um die frische Stimmung von Leuten, die eigentlich wenig zu lachen haben. Sie können zwar froh sein, dass sie es bis ins Loft geschafft haben. Aber was für eine Situation: ohne jede Privatheit, Tag und Nacht in Gruppe, keine Auszeit?
Beobachtet von Kameras, wird jede Kommunikation ambivalent. Alles zielt einerseits auf die anderen Mädchen. Aber alles zielt zugleich auf den Kamerablick. Es geht darum, selbst attraktiv zu sein und die Mitspielerin dafür zu funktionalisieren. Gestylte Emotionen sind gefordert. Es ist alles immer eines und zugleich etwas anderes. Es findet ein Bewerbungsgespräch sozusagen Tag und Nacht, in Permanenz über Wochen statt. Da ist es kein Wunder, dass die Emotionen hochschießen, was wieder schöne Bilder ergibt. Menschen in Extremsituationen sind besonders fotogen.
Das Arbeitsziel der Veranstaltung heißt Professionalität. Für das Foto posieren und Laufen. Faktisch wird nur festgestellt, wer Talent hat für Hüftschwung, Posieren und Laufen. Das Lernen bezieht sich nicht auf konkrete Übungen zur Verbesserung von Gang und Haltung, was vielleicht auch im kurzen Lehrgang kaum möglich ist. Was aber gelernt werden kann und zugleich die Botschaft an das Publikum ist: Das ist die Einübung von inneren Haltungen. An erster Stelle steht da: Glaube an Dich! Dann: Wo willst Du hin? Dann: Was bist Du bereit, dafür zu geben? Jede Kandidatin wird mit diesem Mantra aufgeladen. Es ist Nahrung für das Ego, besonders in der Extremsituation. Jede tritt einzeln vor, fühlt sich einzeln gesehen. Und gerade darum wird das stockautoritäre Gehabe eines Tribunals dankbar angenommen. Heidi muss über allem stehen, nur dann kann sie die Dosis Optimierungsfutter verteilen.