Ulrike Stockmann / 16.09.2023 / 12:00 / Foto: Tsui / 62 / Seite ausdrucken

Böhmermann und die Identitätsstörung

Vor rund einer Woche zog Jan Böhmermann die Traumatherapeutin Michaela Huber durch den Kakao, die auch Opfer ritueller Gewalt behandelt, die eine „dissoziative Identitätsstörung“ entwickelten. Über das Thema lässt sich in vielfacher Hinsicht streiten, über Böhmermanns Umgang damit aber nicht: Der ist schlicht auf billige Effekte gebürstet.

Jan Böhmermann sorgte gerade durch den sogenannten Schönbohm-Skandal für Schlagzeilen (Achgut berichtete). Böhmermanns Sendung vor rund einer Woche gab erneut Anlass zu unrühmlichen Schlagzeilen. Er verunglimpfte darin die renommierte Psycho- und Traumatherapeutin Michaela Huber, die auf Stress- und Traumafolgestörungen spezialisiert ist, und in diesem Rahmen auch die Therapie von Opfern organisierter sexualisierter Ausbeutung und ritueller Gewalt übernimmt. Bereits vor der Veröffentlichung der Sendung war bei der Polizei eine anonyme Anzeige eingegangen. Die Berliner Zeitung schrieb:

„Laut einem Bericht des Magazins Clap wurde gegen Böhmermann persönlich Strafanzeige erstattet. Er soll Ende Juni einen seiner Mitarbeiter unter falscher Berufsbezeichnung in eine Online-Weiterbildung geschmuggelt haben, die lediglich für ausgebildete Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten vorgesehen wäre. Zusätzlich soll sich der Mitarbeiter per Unterschrift zum Stillschweigen über die besprochenen Inhalte verpflichtet haben.“

Der betreffende Mitarbeiter hatte Michaela Huber nach dem von ihr geleiteten Online-Seminar in einer Mail darüber informiert, dass Inhalte der Weiterbildung in Böhmermanns Sendung besprochen würden – inklusive persönlicher Details der angeführten Patientenfälle. Pikanterweise ist der Undercover-Journalist jedoch kurz vor der Sendung vom Projekt abgesprungen und hat sich dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt anvertraut. Hatte er ein schlechtes Gewissen? Auch er kassierte jedenfalls eine Anzeige durch Hubers Anwälte. Gegen Böhmermann ermittelt nun der Staatsschutz.

Umstrittene Diagnose?

Michaela Huber ist laut ihrer Homepage „Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin, Ausbilderin, Übersetzerin und Autorin zahlreicher Fachbücher“. Seit 1989 ist sie in Kassel als Psychotherapeutin niedergelassen, 1998 hat sie das Zentrum für Psychotraumatologie Kassel e.V. mitbegründet. Gemeinsam mit Prof. Reddemann und Dr. Arne Hofmann initiierte sie die moderne Traumatherapie in Deutschland. Sie erhielt mehrere Preise, darunter 2008 das Bundesverdienstkreuz, nach eigenen Angaben „für ihr internationales Engagement für schwer traumatisierte Menschen, für die Initiierung der ersten Frauenhäuser und den Aufbau von Psychotrauma-Zentren sowie für die internationale Vernetzung von Kolleg/innen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten“. Als Expertin war sie in verschiedenen Fernseh- und Filmproduktionen zu sehen.

Ein Kernstück der Arbeit Michaela Hubers ist die Therapie von Personen mit „dissoziativer Identitätsstörung“, früher bekannt unter „multipler Persönlichkeitsstörung“. Die Klinik am Waldschlösschen beschreibt das Krankheitsbild wie folgt:

„Die Dissoziative Identitätsstörung wurde ursprünglich als ‚Multiple Persönlichkeitsstörung‘ bezeichnet. Sie ist eine dissoziative Störung, die innerhalb der Persönlichkeit auftritt. Die Aufspaltung der Persönlichkeit zeigt sich durch unterschiedliche Teil-Persönlichkeiten, die abwechselnd die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen. Dadurch kann es, je nach Teilpersönlichkeit, zu manchmal sehr unterschiedlicher Wahrnehmung, Erinnerungsvermögen und Erleben kommen. Die DIS gilt als die schwerste Form der Dissoziation. Das Handeln der jeweils ‚anderen‘ Teil-Persönlichkeiten wird entweder nicht (Amnesie) – oder nur schemenhaft – erinnert oder eben als das Handeln einer fremden Person erlebt. Eine dissoziative Persönlichkeitsstruktur, die nur teilabgespaltene Selbstanteile besitzt wird auch als ‚Ego state disorder‘ bezeichnet.“

Bei MSD Manual heißt es: „Die dissoziative Identitätsstörung tritt normalerweise bei Personen auf, die in der Kindheit überwältigender Belastung oder einem überwältigenden Trauma ausgesetzt waren. In den USA, Kanada und Europa wurden ca. 90 Prozent der Betroffenen als Kinder schwer misshandelt (körperlich, sexuell oder emotional) oder vernachlässigt. Manche wurden nicht misshandelt, aber sie haben in früher Kindheit einen schweren Verlust erlitten (wie den Tod eines Elternteils), hatten eine schwere Krankheit oder es kam zu einer anderen sehr belastenden Erfahrung.“

Die LWL-Klinik Paderborn vermerkt: „Ob solch eine Störung wirklich existiert ist bei Forscherinnen und Forschern umstritten, zumindest ist sie recht selten.“

„Das kann man alles konditionieren“

Michaela Huber ihrerseits gibt an, Derartiges aus ihrer jahrzehntelangen Praxis unter anderem bei Opfern organisierter und ritueller Gewalt, in Verbund mit Kindesmissbrauch und Kinderpornografie erlebt zu haben. In ihrem Standardwerk „Multiple Persönlichkeiten. Seelische Zersplitterung nach Gewalt“, 1995 geschrieben und 2010 neu aufgelegt, beschreibt sie das Schicksal von Opfern „destruktiver Kulte“ in Gestalt verschiedener ideologischer Sekten. So gäbe es satanische oder germano-faschistoide Familien, die seit Generationen im Verborgenen grausame Rituale – darunter sogar Menschenopfer – durchführen würden und international vernetzt seien, auch zur organisierten Kriminalität. In diesem Rahmen werde auch Kinderpornografie produziert. Da die Täter mitunter Schlüsselpositionen in Ämtern sowie bei der Polizei und bei Gericht bekleideten, könnten sie ihre Taten leicht vertuschen, die Opfer würden meistens schweigen.

Nicht zuletzt würden im Rahmen dieses rituellen Missbrauchs die Geschädigten im frühesten Kindesalter gezielt durch unerträgliche Schmerzen und (sexuelle) Folter traumatisiert, sodass die oben beschriebene Identitätsstörung eintritt, wie Michaela Huber im Interview mit der Zeit beschreibt:

„Diese Trainings, die die Täter mit denen machen, die sind häufig so im Sinne des klassischen Konditionierens. Wenn – dann. ‚Der Schmerz hört auf, wenn du tust, was ich sage.‘ Oder: ‚Du hast diese und jene Aufgabe zu erfüllen und wenn du die machst, dann kriegst du entweder eine Belohnung oder eine Bestrafung'. Das ist klassisches Konditionieren. Dann wird das weiter aufrecht erhalten durch operantes Konditionieren, wie man das in der Lernpsychologie sagt. Das heißt, es wird ab und zu verstärkt oder ab und zu bestraft. Sodass das als Teil der Persönlichkeit schon automatisch gezeigt wird. Und am Schluss machen die Täter das dann meistens so, dass sie dafür bestimmte Signale setzen ­– Zeichen, bestimmte Musik, Worte, Buchstaben, Zahlen, Zahlenkombinationen, Sätze, irgendwelche inneren Reime. Auf diese Codes reagieren die Opfer dann automatisiert, indem sie eine bestimmte Teilidentität nach vorne katapultiert haben. Da können die in ihrem Alltagsbewusstsein gar nichts gegen machen. Da kommt jemand und reicht eine rote Rose und dann wechseln die, weil „rote Rose“ ist ein Zeichen für einen bestimmten Innenanteil. (Die) Alltagsperson ist abgemeldet (…) Das kann man alles konditionieren, das hat etwas mit Training zu tun.“

Manche schafften es, sich eine einigermaßen stabile „Alltagsperson“ zu erhalten. Patienten mit voll ausgebildeter Dissoziationsstörung gelänge es hingegen nicht, ein robustes Alltags-Ich zu bewahren. In beiden Fällen würden Erinnerungen an andere Identitäten schwer abrufbar, den einzelnen Teil-Persönlichkeiten „fehlen“ daher mitunter Stunden oder Tage. Diese Praxis der bewusst herbeigeführten Dissoziation nennt Michaela Huber „Mind Control“ oder auf Deutsch „Gehirnwäsche“. Innerhalb einer Traumatherapie werde versucht, diese zersplitterten Anteile eines solchen Patienten derart anzunähern, dass einzelne Informationsteile im Inneren ausgetauscht werden können.

Video nicht mehr abrufbar

In jedem Falle also ein sehr ernstes, bestürzendes und komplexes Themenfeld, das sicher viele – auch kritische – Fragen aufwirft. Was Jan Böhmermann in seiner Sendung zum Sachverhalt anbot, war allerdings nichts als geschmacklose Effekthascherei gegen die Therapeutin, der er den Glauben an eine „satanistische Weltverschwörung“ unterstellt. Ziel seiner Attacke scheint, die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ ins Lächerliche zu ziehen sowie die generelle Existenz ritueller Gewalt zu leugnen.

In erster Linie werden verschiedene Video-Auszüge Michaela Hubers eingeblendet und lächerlich kommentiert, ohne sich inhaltlich wirklich mit dem Gesagten auseinanderzusetzen. Vor allem bemüht sich Böhmermann, die Therapeutin durch alberne Schnitte möglichst schrullig und unseriös erscheinen zu lassen. Nachdem der investigative Böhmermann-Teilnehmer ihres Online-Seminars sich enttarnt hatte, sandte das Büro Michaela Hubers eine ärgerliche E-Mail an den Comedian. Daraus zitierte er auch in seiner Sendung. Von einem „unwiderruflichen Vertrauensbruch“ ist darin die Rede, die „illegal erschlichene Teilnahme (…) erinnert in diesem Kontext erschütternd an Täterkreise“. Böhmermann gibt den Empörten und unterschlägt natürlich, dass sein Mitarbeiter gegen eine Verschwiegenheitsklausel verstoßen hat.

In erster Linie stört sich Böhmermann am von Huber im Kontext ritueller Gewalt verwendeten Wort „Mind Control“, das auch in einem Aufklärungsvideo der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren e. V. mit Ecpat Deutschland e.V. verwendet wurde, 2019 finanziert vom Bundesfamilienministerium. In diesem Video wurden „Mind-Control-Methoden“ als systematische schwere körperliche und psychische Gewaltanwendung durch Täter beschrieben. „Sie erzwingen in den Betroffenen oft gezielt Abspaltungen einzelner Persönlichkeiten“, heißt es in einem Ausschnitt, der im Böhmermann-Video vorgespielt wird. Und weiter: „Die entstehenden Persönlichkeitsanteil werden für bestimmte Zwecke trainiert und benutzt. Täterinnen und Täter schaffen mit Gewalt eine innere Struktur, die steuerbar ist und kommerziell sexuell ausgenutzt wird. Vom Geschehenen haben die Kinder und später die Erwachsenen im Alltag keine bewusste Erinnerung.“

Auf Anfrage der Böhmermann-Redaktion habe sich das Familienministerium vom Begriff „Mind Control“ distanziert und angekündigt, den Verein Die Kinderschutz-Zentren e.V. zu bitten, das fragliche Video aufgrund der zweifelhaften Verwendung des Begriffes „Mind Control“ zu löschen. Dies ist offenbar geschehen, denn das Video ist nicht mehr abrufbar.

„Ganz normale cringe-ige Nerds“

Besonders lustig macht sich Böhmermann über folgende Stelle in Michaela Hubers Standardwerk „Multiple Persönlichkeiten“: „Wir wissen, dass die verschiedenen 'Personen' in einer Mulitplen sich unterscheiden können hinsichtlich einer Fülle von körperlichen Merkmalen: Die einen sind z. B. gegen Bienengift allergisch, die anderen nicht; die einen sind drogenabhängig, die anderen nicht; die einen haben blaugraue Augen, die anderen braune – alles zur gleiche Zeit im gleichen Körper.“ Zugegebenermaßen hört sich das ziemlich verrückt an. Doch dazu weiter unten mehr.

Außerdem habe Böhmermanns Team alle Landeskriminalämter sowie das Bundeskriminalamt nach dem Vorkommen ritueller Gewalt befragt. Die Behörden hätten fast alle geantwortet, dass ihnen keinerlei derartige Fälle bekannt seien, einzig das Bayerische LKA führe dazu keine Statistik. Ähnliche Statements aus der Schweiz und den Niederlanden werden ebenfalls zitiert. Am Ende des Videos beruft sich Böhmermann auf eine „echte Expertin“, die beschreibt, dass ganze Erinnerungsketten falsch erinnert werden können. Der Moderator schließt, dass vermeintliche Opfer ritueller Gewalt dies lediglich von einer „Therapeuten-Szene“ eingeredet bekämen und überhaupt Programmierung durch „Mind Control“ nicht möglich sei. Bei YouTube kommentierten viele Nutzer die Böhmermann-Sendung verärgert, da er eine ernste Diagnose wie eine „dissoziative Identitätsstörung“ ins Lächerliche gezogen und somit Opfer verhöhnt habe.

In ein ähnliches Horn blies zuvor schon der Spiegel, der Anfang dieses Jahres berichtet hatte, „dass die Leiterin der Beratungsstelle (Organisierte sexuelle und rituelle Gewalt des Bistums Münster), die Psychotherapeutin Jutta Stegemann, in ihrer Praxis einer Patientin eingeredet hatte, dass sie Opfer satanischer ritueller Gewalt geworden sei“. Laut Spiegel-Bericht habe es für die Existenz von rituellem Missbrauch in diesem Fall keine Belege gegeben. Das Bistum schloss daraufhin die gesamte Beratungsstelle und nahm ein Aufklärungsvideo aus dem Netz.

Bereits im letzten Dezember habe der Spiegel die Missbrauchsbeauftragte des Bundes mit seinen Recherchen konfrontiert. Daraufhin seien auf dem offiziellen Hilfsportal der Missbrauchsbeauftragten Formulierungen „zur Aufspaltung der kindlichen Persönlichkeit ‚in mehrere Identitäten‘“, die durch „planmäßig wiederholte Anwendung schwerer Gewalt“ und von „Mind-Control-Methoden“ möglich seien, verschwunden. In der Folge veröffentlichte der Spiegel weitere Beiträge, um diese gezielte Spaltung der Persönlichkeit im Rahmen ritueller Gewalt als „Gefährliche Mythen“ zu diskreditieren. Auch Michaela Huber wird vom Spiegel als Teil einer „Szene von Therapeuten“ beschrieben, die ihren Klienten einredeten, Opfer ritueller Gewalt zu sein, wodurch diese stark geschädigt würden. Beweise für die angebliche Unseriosität Hubers nennt das Magazin keine. Auch die Angriffe des Blattes gegenüber anderen Therapeuten in diesem Zusammenhang bleiben ähnlich nebulös.

Sowohl im Falle Böhmermanns als auch des Spiegels fällt die reflexhafte und kampagnenhafte Abwehr der – zugegebenermaßen haarsträubend anmutenden Vorwürfe – ritueller Gewalt auf. Doch so skeptisch und kritisch man als Journalist sein sollte, sollte man unglaubliche Geschichten nicht pauschal diskreditieren, sondern sich ihnen mit Neugier und einer gewissen Aufgeschlossenheit nähern, ehe man sein Urteil fällt. Sowohl Böhmermann als auch der Spiegel zeigen in ihrer Kolportage eher Vorurteile als Erkenntniswunsch. So überrascht es wenig, dass Böhmermann in seiner Sendung auch auf die Spiegel-Berichte Bezug nimmt. Kurios mutet hingegen an, dass Böhmermann sich berufen fühlt, ausgerechnet die Gruppe der Satanisten vor jedweder Verdächtigung zu bewahren und darauf besteht, dass sie „ganz normale cringe-ige Nerds“ seien.

„Gruppenstabilisierende Wirkung geteilter Ideologien“

Der Betroffenenrat der erwähnten UBSKM, der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs bezog im April nach dem ersten Spiegel-Artikel zur Anzweiflung der Existenz ritueller Gewalt auf der Homepage der UBSKM Stellung:

„Der Betroffenenrat hat in seiner ersten aktuellen Positionierung die laufenden Diskussionen als unwürdig bezeichnet (BR 2023). Die Perspektiven, die im SPIEGEL-Artikel erstaunlich einseitig Raum erhalten haben, sind nicht neu. Bereits 2018 hat der Betroffenenrat angemerkt, dass die Debatte um die Frage, ob es rituelle Gewalt eigentlich gäbe, alt ist (BR 2018)

(…)

Wer rituelle Gewalt als fragwürdig hinstellt, beruft sich häufig darauf, dass es keine weltumspannende, satanische Elite gäbe, die heimlich unser aller Geschicke lenke. Dieser Aussage dürften mehr als 99 Prozent aller Menschen – einschließlich Betroffener ritueller Gewalt – zustimmen. Die verbliebenen Prozentanteile entfielen auf QAnon-Anhänger*innen. Hingegen berichten Aussteiger*innen teilweise von international vernetzten Täter*innen. International vernetzt zu sein, ist inzwischen nicht nur für manche Täter*innen (digitaler) Alltag, sondern normal.“

Als Beispiele für Gruppen, die „unter Nutzung einer Ideologie (sexualisierte) Gewalt“ betreiben, gibt der Betroffenenrat zum Beispiel die „Children of God“, „Colonia Dignidad“, und Michael Eschners „Thelema-Orden“ an. Auch „Gruppen wie die Cosa Nostra, die für klassische organisierte Kriminalität bekannt sind, (bedienen sich) der gruppenstabilisierenden Wirkung geteilter Ideologien und Rituale“.

„Urteile tragen nicht das Etikett ‚Rituelle Gewalt‘“

Innerhalb dieses Beitrags kann ich selbstverständlich die Frage nach Vorkommen und Ausmaß ritueller Gewalt nicht einmal ansatzweise klären. Im Internet gibt es verschiedene Berichte von Personen, die angeben, Opfer derartiger Verbrechen geworden zu sein und in der Folge eine Dissoziative Identitätsstörung entwickelt zu haben.

Vor allem die Beschreibung Michaela Hubers von physiologischen Unterschieden – etwa in Bezug auf Allergien oder die Augenfarbe – zwischen einzelnen Teil-Persönlichkeiten bei Betroffenen mutet natürlich phantastisch an. In ihrem Buch „Multiple Persönlichkeiten“ erklärt Michaela Huber, dass sie Derartiges selbst nicht glauben wollte, bis sie „fast alle der oben genannten Unterschiede in einer – multiplen – Persönlichkeit mit eigenen Augen sehen konnte“. Außerdem verweist sie auf entsprechende Fachliteratur, die dies bestätige.

In einem Video von Zeit-Online kommen vier Betroffene einer „dissoziativen Identitätsstörung“ zu Wort. Eine der Befragten gibt an, als Brillenträgerin für „die (Teilpersönlichkeiten), die oft da sind, Kontaktlinsen in der jeweiligen Stärke“ zu haben. Sie ergänzt, dass Alkohol oder Medikamente immer nur bei der Teilperson wirken würden, die die jeweiligen Substanzen zu sich genommen hat. Auch eine andere Interviewte erzählt, dass, wenn eine ihrer Teilpersönlichkeiten krank oder betrunken ist, dies nicht auf alle anderen zutrifft. „Crazy“, meint sie dazu.

Der christlich geprägte YouTube-Kanal „Life Lion“ veröffentlichte zwei Gespräche mit vorgeblich Überlebenden ritueller Gewalt. Sowohl Elena als auch Claudia geben einen bewegenden Einblick in ihr Aufwachsen in satanischen Strukturen, beide wirken schwer gezeichnet. Elena wurde gemeinsam mit Dr. Lauer von Lüpke, Juristin und Traumafachberaterin, interviewt. Letztere leitet die Emanuel-Stiftung, „für Überlebende ritueller Gewalt und organisierter Ausbeutung durch Zwangsprostitution bzw. Kinderpornografie“. Auf ihrer Homepage distanziert sich die Stiftung von „Weltverschwörungs-Narrativen“ und beklagt andererseits das pauschale Leugnen ritueller Gewalt als ebenso verschwörungstheoretisch, selbst wenn in einzelnen Fällen unseriöse Therapeuten ihre Patienten zu falschen Erinnerungen verleiteten.

Die Stiftung ist wiederum einer der Betreiber der Website „Infoportal Rituelle Gewalt“. Dort wird unter anderem der Frage nachgegangen, warum man in der deutschen Justiz unter dem Schlagwort „rituelle Gewalt“ nicht fündig wird:

„(Diese) Urteile tragen nicht das Etikett ‚Rituelle Gewalt‘. Diese Bezeichnung gibt es nämlich im deutschen Strafgesetzbuch nicht. Entsprechende Verbrechen werden den einzelnen Straftatbeständen zugeordnet (Körperverletzung, Mord und Totschlag sind strafbar, Vergewaltigung ist strafbar, Entführung ist strafbar, Vernachlässigung Schutzbefohlener ist strafbar, usw.) Laut deutschem Strafrecht müssen diese Einzel-Aspekte nachgewiesen und angeklagt werden, damit man jemanden – einen einzelnen Menschen – dafür verurteilen kann. Bei Verbrechen, an denen mehrere Täter/innen beteiligt sind, muss die Beteiligung jedes/jeder Einzelnen möglichst genau nachgewiesen werden. Und das gilt nur für die Straftaten. Mitgliedschaft in einem Geheimkult ist nicht strafbar. Das Verwenden okkulter Symbole bei bestimmten Handlungen ist nicht strafbar, usw., deshalb taucht Rituelle Gewalt als Begriff in Gesetzen oder in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht auf.“

„Oft in gesellschaftlich angesehenen Berufen“

Und in einem Bericht vom Deutschlandfunk aus dem Jahr 2002 heißt es:

„Über sexuellen Missbrauch wird in Deutschland seit vielen Jahren gesprochen. Rund 15.100 Anzeigen registrierte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr. Wie viele dieser Straftaten einen satanistischen Hintergrund hatten, wird von der Polizei allerdings nicht erfasst. Die Behörde registriere das Problem zwar, so ein Sprecher des Bundeskriminalamtes, doch dienten ihr vor allem die zunehmenden Berichte von Opfern in den Medien als Quelle. Eigene Erkenntnisse über die Zahl solcher Gruppen und über ihre Strukturen gebe es noch nicht. Doch in den Beratungsstellen mehren sich offenbar die Fälle, in denen Opfer von solch satanistischen Ritualen um Hilfe bitten.“

Ähnliches bestätigt eine Dokumentation von Zeit Online aus dem Jahr 2020, die eine Anfrage bei der Pressestelle des Bundeskriminalamtes zum Thema stellte. Die Antwort lautete: „Das Phänomen 'ritueller Missbrauch' wird in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht als solches erfasst. Vor diesem Hintergrund sind Aussagen hierzu nicht möglich.“

Dies dürfte erklären, warum Böhmermanns Team bei seiner Polizei-Abfrage zum Thema „rituelle Gewalt“ nicht fündig wurde. Das „Infoportal Rituelle Gewalt“ listet außerdem Beispiele für Straftaten mit rituellem Hintergrund auf. Darunter den Fall des deutschen Sektenführers Arno W., der 2006 von der deutschen Staatsanwaltschaft angeklagt worden war, 1994 in seiner Sekte die damals 13-jährige Lea Saskia Laasner mehrfach vergewaltigt und sexuell misshandelt zu haben und daraufhin nach Uruguay floh, wo er 2016 ermordet am Strand gefunden wurde. Oder der Fall des Ehepaars aus Steinheim im Kreis Höxter/NRW, das 2011 verurteilt wurde, die eigene Tochter elf Jahre lang sexuell misshandelt zu haben, teilweise im Rahmen von Teufelsaustreibungen.

Eine 2020 veröffentlichte Studie von Johanna Schröder, Pia Behrendt, Susanne Nick und Peer Briken vom Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf trägt den Titel „Was erschwert die Aufdeckung organisierter und ritueller Gewaltstrukturen?“ Die Untersuchung kommt durch die Befragung (mutmaßlicher) Opfer zu dem Schluss, dass Täter „durch psychische Gewalt in Form von Androhung körperlicher Gewalt, Verfolgung und Erpressung (z. B. mit Bildmaterial von erzwungener Mittäterschaft) Kontrolle über die Betroffenen ausübten“. Die Täter würden zudem „als sozial angepasst und unauffällig bis hin zu gesellschaftlich angesehen“ beschrieben, würden „oft in gesellschaftlich angesehen Berufen“ arbeiten, etwa bei der Polizei, in der Justiz, in der Kirche oder in der Kommunalpolititk. Die Opfer gäben außerdem an, dass die Täter gut organisiert und vernetzt seien und „teilweise politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich einflussreiche Positionen“ bekleideten.

Die Studie wurde durch die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UKASK) gefördert, die vom damaligen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) ernannt wurde. Studien-Mitautor Peer Briken war zu diesem Zeitpunkt Mitglied der UKASK, die Studienurheber geben jedoch an, dass kein Interessenskonflikt bestünde. Dies ist natürlich fragwürdig. Auch Peer Briken gehört zu den Psychologen, der im Rahmen des thematisierten Spiegel-Beitrags diskreditiert wurde.

Aufklärung sabotieren

Michaela Huber beschreibt im Gespräch mit der Zeit, dass Anzeigen Geschädigter bei der Polizei oft ins Leere liefen, da die Opfer sich aufgrund ihrer Fragmentierung bei ihren Aussagen oft verhedderten, Aspekte zurücknähmen und andere ergänzten, sich ständig widersprächen, was sie als „Opferzeugen unbrauchbar“ mache. Außerdem gälte eine erhaltene Traumatherapie, die mitunter kohärente Aussagen unterstützen könnte, juristisch als Beeinflussung. Dies sei ein „großes Dilemma“. Ähnlich wie bei der Zwangsprostitution sei es auch bei Überlebenden ritueller Gewalt oft der Fall, dass sie kein Interesse mehr an einer Anzeige hätten, sobald sie sich ein neues Leben mit neuer Identität aufgebaut haben, weil sie Angst hätten, wieder in den Fokus der Täter zu geraten.

Im Zeit-Gespräch erklärt Michaela Huber, dass Menschen mit DIS spezielle Hirnmuster entwickelten, die auf einem MRT- oder EEG-Bild sichtbar würden, was die Existenz dieser Störung beweisen würde. Die Umstrittenheit der DIS-Diagnose erklärt sie damit, dass Menschen sich „das nicht vorstellen möchten“, weil ihnen eine solche Jekyll-und-Hyde-Persönlichkeit Angst machen würde. Sie betont die Wichtigkeit zu wissen, „ob die Mafia (aus Missbrauch und Kinderpornografie) aus einem zerstörerischen Familiensystem besteht, oder aus irgendeiner Form von jahrelanger Ausbeutung durch irgendeine Form von Fremdtätern“.

In jedem Fall wirkt es anrüchig, wenn Medienvertreter den Anschein erwecken, sie wollten die Aufklärung solcher Strukturen sabotieren.

 

Anm. d. Red.: Das Tätigkeitsfeld Michaela Hubers wurde im Text nachträglich präzisiert. Sie ist auf Stress- und Traumafolgestörungen spezialisiert, in der das Thema der organisierten sexualisierten Ausbeutung einen Randbereich dieses umfangreichen Tätigkeitsfeldes darstellt.

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Leserpost

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Oliver Lang / 16.09.2023

Es ist üblich für die Täter und deren Umfeld, die Opfer und deren Helfer zu desavouiren. Bösermann macht also nicht mehr, als das, was von ihm zu erwarten war.

S. E. L. Mueffler / 16.09.2023

Vor Jahren kam eine Doku im Fernsehen, in der ein Frsu auftrat, die angeblich u. a. auf der Wewelsburg bei Ritualen missbraucht worden sein wollte. Kurze Zeit später wurde sie als krankhafte Lügnerin entlarvt. Nichtsdestotrotz: Auch wenn die Diagnose heute kaum noch gestellt wird und überhaupt angezweifelt wird, was ist damit ausgesagt oder bewiesen? Impfschäden gibt es ja angeblich auch so gut wie keine ... Ich kann mir mittlerweile so ziemlich alles vorstellen ...

Sebastian Laubinger / 16.09.2023

Mittlerweile bin ich so zynisch, was die Medien anbelangt, dass ich mich frage, wer den sauberen Herrn Böhmermann auf diese Sache angesetzt hat? Sollen diese Frau und ihre Arbeit diskreditiert werden, damit bestimmte Personen weiterhin ungestört ihre Sauereien abziehen können? Oder ist Herr Böhmermann einfach nur ein widerlichers Charakterschwein, das nicht anders kann, als auf Wehrlose einzutreten? Fragen über Fragen…

Peter Krämer / 16.09.2023

Ich bin kein Profi-Satiriker wie Böhmermann. Für mich ist dieser Mann ein Strassenstricher, der Menschen gesellschaftlich vernichten will und diese lächerlich macht, um sich den Applaus seiner linken Fan-Gemeinde zu sichern. Ausdrücklich weise ich darauf hin, das ich dies nur als Hobby-Satiriker schreibe.

Wiebke Ruschewski / 16.09.2023

F.Collini. Habe mir eben den Beitrag “Die Politik überfordert die Menschen” angesehen. Dass es diese Frau ins Fadenkreuz der Bluthunde des ZDF geschafft hat, ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass man dort offenbar jegliche Bodenhaftung hoffnungslos verloren hat.

Sam Lowry / 16.09.2023

p.s.: Menschen wie Böhmermann könnte man auch jegliche Persönlichkeitsstörung vom Gutachter mittels FPI-R attestieren lassen… und sicher ist da auch was zu finden…

Sam Lowry / 16.09.2023

@Johannes Bader: Meine Kokosduft-Persönlichkeits-Störung (ICD-10 F60.X) hat mich gerade zu veranlasst, einen Kokos-Kuchen zu backen. Würde jetzt ein Psychologe feststellen und mich für immer wegsperren… in der Forensik und Geschlossenen waren jedenfalls die Patienten genauso “normal” wie die Pfleger, Ärzte und Psychologen. In der Psychologie gibt es keine Wahrheiten, sondern nur Diagnosen. Und ob diese auch nur zu 10 % stimmen, wage ich zu bezweifeln. Da war ich mal dies, und mal jenes… aber am Ende so ziemlich alles, was der ICD-10 F60-69 hergibt. MFG

Reinmar von Bielau / 16.09.2023

Böhmermann. Nancys Mann im ÖRR Mafia Zirkus. Muss man noch mehr sagen? Unerträglicher noch, als der Durchschnitztalker des ÖRR. Jede weitere Äußerung zu dem Mann (?) wäre justiziabel. Harald Schmidt meinte übrigens auf X, dass er ihn auf der Straße aufgelesen hat und auch nix für Böhmermanns Entwicklung kann.

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