Hans Scheuerlein, Gastautor / 03.12.2022 / 16:00 / Foto: Artzevent / 19 / Seite ausdrucken

50 Jahre „Das war André Heller“

Schauspieler, Moderator, Liedermacher, Schriftsteller, Avantgardekünstler, Designer, Landschaftsarchitekt, Veranstalter, Kulturmanager, Produzent: André Heller hat sich in die verschiedensten Richtungen und Genres entfaltet und passte in keine Schublade.

„Marilyn Monroe, dein Tod kam wie ein weißer Zeppelin. Flieg' zu den Popcorn-Wolken. Der Atem Gottes trocknet dir den Nagellack.“ Genial! Mit diesen plastischen Wortbildern beginnt André Hellers drittes Album, dessen Titel schon klingt wie ein Nachruf auf eine lange zurückliegende Karriere. In der letzten Strophe des Liedes über die tragische Diva heißt es: „Marilyn Monroe, du warst ein Teil von dem Roulette, in dem Amerika sich selbst verspielt.“ Das sind Worte, die im Kopf explodieren und aufleuchten wie Blitze am Firmament. Eine sprachgewaltige Allegorik, die lyrisch, geistreich und vielsagend zugleich ist. Ganz großes Kino!

Eigentlich wollte der 1947 als französischer Staatsbürger in Wien geborene Francis Charles Georges Jean André Heller-Hueart ursprünglich auch Dichter werden. Aber es war gerade die Zeit, als erfolgreiche Songpoeten wie Bob Dylan, Donovan und Leonard Cohen aufkamen, weshalb sich der strebsame junge Mann dazu entschied, seine Gedichte in Form von Liedern zu präsentieren. Auf diese Weise ließ sich schneller ein größeres Publikum erreichen als über „Lyrikbändchen im Selbstverlag oder bei Suhrkamp“, wie er selbst einmal in den Linernotes zu seiner „Kritischen Gesamtausgabe“ von 1991 anmerkte.

„Das war André Heller“ erschien (vermutlich) Anfang Dezember 1972 (so genau lässt sich das gerade nicht feststellen) und war Hellers erster großer Erfolg als Sänger und Liedermacher, mit dem er es bis auf Platz 6 der österreichischen Albumcharts schaffte. Mit seinen beiden vorherigen Platten konnte er bereits Achtungserfolge erzielen und hatte mit dem Song „Catherine“ sogar schon einen kleinen Hit verbuchen können (zu dem übrigens der noch unbekannte Reinhard Mey den Text schrieb). Davor hatte er es schon mehr oder weniger erfolgreich als Schauspieler an diversen Wiener Avantgardetheatern versucht. Mehr Glück hatte er als Discjockey, als ihm dieser Job die Gelegenheit verschaffte, beim ORF den ersten deutschsprachigen Popmusik-Sender Ö3 mitzugestalten und sich als Moderator der Sendung Musicbox einen Namen zu machen. Ein Höhepunkt dieser Zeit dürfte für ihn das Interview mit Beatle John Lennon im Jahr 1967 gewesen sein, den er anschließend noch zum Grab von Franz Schubert auf dem Wiener Zentralfriedhof führen durfte.

Einer der letzten großen Universalkünstler

Der Liedermacher André Heller ist aber nur eine Facette im künstlerischen Gesamtwerk des Wieners. Wahrscheinlich muss er sogar als einer der letzten großen Universalkünstler betrachtet werden, der sich in die verschiedensten Richtungen und Genres entfaltet hat, weshalb er auch nie in irgendeine Schublade passte. In seiner nun schon bald sechzig Jahre umspannenden Karriere hat er mitunter als Schauspieler, Moderator, Liedermacher, Schriftsteller, Avantgardekünstler, Designer, Landschaftsarchitekt, Veranstalter, Kulturmanager oder Produzent gewirkt. So gründete er 1975 zusammen mit Bernhard Paul den Zirkus Roncalli oder zeichnete als Kulturkoordinator für die Eröffnungszeremonie der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland verantwortlich, deren Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ ebenfalls auf sein Konto geht. Weitere seiner Produktionen sind etwa das poetische Varieté Flic Flac oder der Chinesische Nationalzirkus wie auch die Show „Afrika! Afrika! – Kontinent des Staunens“.

Zudem realisierte er diverse Installationen, darunter das Wonderhouse am Broadway in New York City, sowie verschiedene schwimmende oder fliegende Großskulpturen, eine Reihe von Gartenkunstwerken, wie zum Beispiel den Botanischen Garten am Gardasee, und sogar einen avantgardistischen Jahrmarkt und Vergnügungspark: den Luna Luna auf der Hamburger Moorweide, zu dem Leute wie Miles Davis und Philipp Glass die Jahrmarktsmusik komponierten. Alle Realisationen, Inszenierungen und Kunstaktionen dieses Tausendsassas aufzulisten, ist ein nahezu aussichtsloses Unterfangen und soll hier erst gar nicht versucht werden. Allein bei seinem musikalischen Werk ist es schon schwierig genug, den Überblick zu behalten, wenn man nicht nur seine eigenen Veröffentlichungen, sondern auch seine Opern- und Konzertinszenierungen miteinbeziehen will.

Ich persönlich hörte von André Heller das erste Mal Mitte der Siebzigerjahre. Und zwar in Zusammenhang mit seiner kongenialen Version von Hermann Leopoldis ursprünglich klavierhumoristischem Stück „Schnucki, ach Schnucki“. Für so unbedarfte Kinder wie uns war das allerdings nur eines dieser Nonsens-Lieder wie „Ein Loch ist im Eimer“ vom Medium Terzett oder „Mein Gott, Walther“ von Mike Krüger. Wir hatten ja keine Ahnung, dass es im Original von jemandem stammte, den die Nazis ins KZ gesteckt hatten und der trotzdem noch den Humor aufbrachte, solche fröhlichen Lieder zu komponieren. Für André Heller war „Schnucki, ach Schnucki“ sicherlich eine Herzensangelegenheit, wenn auch nicht sonderlich repräsentativ für seine sonstige Musik.

Wie er wohl heute zu „Schnucki, ach Schnucki“ steht?

Wobei er aber schon auf besagtem „Das war André Heller“-Album im zweiten Teil des varietéartigen Stückes „Ich fordere“ das Hollaender/Liebmann-Lied „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln“ adaptiert, welches in dem Film „Einbrecher“ aus dem Jahr 1930 von Willy Fritsch gesungen wurde und das vom Prinzip her in dieselbe Kerbe haut. Typischer für Heller sind jedoch neben dem eingangs erwähnten „Marilyn Monroe“ schon eher die Liebesballade „Du, du, du“ oder das selbstreferenzielle „Komm, Heller, komm“ sowie die beiden symphonischen Stücke „Jeder Zeitraum hat etwas Eigenes“ und „Und dann bin i ka Liliputaner mehr“, dessen Intro musikalisch eng an das anmutige „La Califfa“ von Ennio Morricone angelehnt ist und in dem es einmal mehr um das größte Gefühl von allen geht – das Gefühl, über sich selbst hinauszuwachsen.

Im Moment scheinen sich unsere vorgeblich sprachmächtigen Liedermacher jedoch eher ganz klein zu machen und wegzuducken – zumindest was den erweckungsbewegten Zeitgeist mit seiner engstirnigen „Political Correctness“ und seiner zerstörerischen „Cancel Culture“ angeht. Wie wohl André Heller heute zu dem satirischen Indianer-Lied „Schnucki, ach Schnucki“ steht oder zu dem Text, in dem er seinen Körper schwarz bepinseln lassen und dann zu den Fidschi-Inseln fahren möchte? Würde er auch einknicken und sich entschuldigen, wenn er in den denunziatorischen Suchscheinwerfer der Regenbogen-Armee geriete? Oder würde er kleinlaut einräumen, Lieder wie solche heute nicht mehr singen zu wollen?

Jemand, der sich gerade wohltuend vom opportunistischen Mainstream der „Musikschaffenden“ hierzulande abhebt und den Mumm hat, öffentlich mit seiner Meinung dagegenzuhalten, ist Heinz Rudolf Kunze. Die allermeisten seiner ansonsten um keine noch so abgedroschenen Worthülsen verlegenen Kollegen hüllen sich hinsichtlich des ganzen woken Irrsinns (Sprachverhunzung durch „Gender-Neusprech“, hanebüchene Rassismusvorwürfe, Auftrittsverbote wegen „kultureller Aneignung“ etc. pp) in feiges Schweigen und hoffen wohl insgeheim, dass dieser Kelch an ihnen vorübergehen möge und der Spuk irgendwann von allein wieder aufhört. Auch von Heller war diesbezüglich – soweit ich sehe – noch nichts zu vernehmen. Der 75-Jährige lebt abwechselnd in seiner Wiener Wohnung im 1. Bezirk und in dem von ihm angelegten Anima-Garten in der Nähe von Marrakesch oder – wie seiner Website zu entnehmen ist – „auf Reisen“. Wie war das mit den „Somewheres“ und „Anywheres“? Egal! Es sei ihm von ganzem Herzen gegönnt.

 

YouTube-Link zum allegorischen „Marilyn Monroe“

YouTube-Link zu „Und dann bin i ka Liliputaner mehr“ mit skurrilem Fluxus-Video

YouTube-Link zum varietéartigen „Ich fordere“

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Leserpost

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qualtinger karl / 03.12.2022

der artikel zeugt von tiefer liebe zu AH, vergisst aber die soeben anlaufenden ermittlungen der staatsanwaltschaft wegen betrug,es geht um 800.000 euro

Gerd Maar / 03.12.2022

Hellers bestes Stück ist nicht von ihm:  “Es wird Heller” von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung.

giesemann gerhard / 03.12.2022

Süß, der André, g’schneckelt. Gut, auch in die Jahre gekommen. Porca ... .

M. Feldmann / 03.12.2022

@Michael Hinze. “Marrakesch muss das Mekka der #Anywheres# sein.” Marakesch und Umgebung ist das Mekka der “Anywheres”. Aber nicht nur dort. Das liegt wohl daran, dass Marokko überwiegend franz. Protektorat war. Die Landessprache war Arabisch und Französisch, sogar Amtssprachen. Und so hat sich über die Zeit eben ein Hort für Künstler, Feingeister, allgemein Müßiggänger, Kultur allgemein und in der neueren Geschichte auch Esoteriker entwickelt. Cabaret und Schauspiel gab es überall, für jeden Geschmack.  Und Alles ohne Geschrei und Klamauk. ... Esourea die Kleinstadt am Antlantik z.B. hat sich zu “Klein San Francisco” in der Hippie Zeit entwickelt. Musik und Surfen waren in den 60ern das Stadtbild. Selbst Hendrix verbrachte eine Zeit seines kurzen Lebens hier. Zu diesem Ort hatte ich eine ganz persönliche Beziehung. Wie aber auch zu ganz Marokko. - Ich schreibe im Imperfekt, und das hat seine Gründe. Wie alle arabischen Länder verliert sich auch Marokko. Der noch verdeckte Fundamentalismus ist auch hier auf dem Vormarsch. Das Land verkommt und verroht. Was das bedeutet, sehen wir zunehmend auch hier. - Es bleibt so in meiner Erinnerung, wie ich es kennengelernt habe. ... Noch mal hinreißen oder gar eine Zeit leben. ... Nein!

Olaf Dietrich / 03.12.2022

Ja, Frau Heinrich, stimme Ihnen zu! Der und so viele andere “Unterhaltungskünstler” haben Hochverrat an Ihrer Vergangenheit begangen, ach diese bittere Zeit!! Ich will sie alle bestraft sehen, en taule, wird nicht passieren. Diese Ar***löcher waren auch schon vor Corona Klemm- ärsche. Der kleine Heinz - Rudolf sowieso.

Claudius Pappe / 03.12.2022

Sorry Hans Scheuerlein, für meinen bissigen Kommentar, aber Achgut lässt in vielen Beiträgen nach…......

Manuel Leitgeb / 03.12.2022

Ach bitte, André Heller war immer schon ein Gutmensch und linker Opportunist. In der Kreisky-Peter-Wiesenthal Affäre hat er zwar Kreisky kritsiert aber unterstützt hat er ihn gleichzeitig bei Wahlkämpfen immer. Ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, was für Figuren Kreisky in seine Kabinette als Minister holte. Natürlich war Heller auch lautes Mitglied der “Friedensbewegung” und natürich hat er auch “als Jude in Wien” schon mal Israel kritisiert, Sie können ja Ihren Kollegen Herrn Broder fragen, wie das damals gelaufen ist. Und es wurde anscheinend vergessen, die aktuellen Entwicklungen zu Heller in den Artikel reinzunehmen: Gegen ihn wird wegen Betrugs ermittelt, weil er ein Kunstwerk gefälscht und als echt verkauft hat, für schlappe 800.000€. Er nennt es einen “Bubenstreich” ...

Talman Rahmenschneider / 03.12.2022

Wichtig: “Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein”. Andre Heller, Buchtitel. Broder empfahl es mal. Dazu passt Roncalli, der erste Zirkus, der mit der Phantasie spielte und mit der Poesie. Pic war genial. Was gut gemacht ist für Kinder, ist von Erwachsenen gemacht, die bei sich Kind sein können und wird auch von Erwachsenen genossen, die meistens etwas klüger dabei werden, auch innerlicher und spiritueller. Heller gehört in eine geniale Familie, zu der Selma Lagerlöf, Clive Staples Lewis, Michael Ende oder Astrid Lindgren gehören, auch James Krüss fällt mir ein. Nein, er ist ganz und gar kein Scheinriese, sondern ein Leuchtturm auf unseren Hungerklippen (nach “Der Leuchtturm auf den Hummerklippen”). C’est sûr, Monsieur, vous devez devenir cent ans au moins. @ Autor Scheuerlein: Schön. Erst war ich sehr erschreckt, denn die meisten Ihrer Kollegen schreiben erst zu Persönlichkeiten, wennn .... Sie wissen schon.

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