112-Peterson: Wie die Pille alles veränderte

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus einem Gespräch von Jordan B. Peterson mit dem Psychologie-Doktoranden und Autor Rob Henderson wieder.

Jordan B. Peterson: Der Zugang zu verlässlichen Verhütungsmitteln hat eine riesige gesellschaftliche Entwicklung in Gang gesetzt, deren vollständige Auswirkungen wir noch gar nicht komplett begreifen können.

Rob Henderson: Alleine sich anzuschauen, wie sich die Diskussionen ums Thema Dating verändert haben, ist sehr interessant. Ich erinnere mich, wie noch in den frühen 2010ern die Abschlepp-Kultur größtenteils als befreiend betrachtet wurde. Heute gibt es zumindest ein paar gebildete Leute, die sich fragen, ob diese Entwicklung wirklich so günstig ist.

Da fällt mir ein Artikel im Magazin Brookings ein, in dem es um die Auswirkungen der Verhütungs-Technologien ging. Es wurde argumentiert, dass Verhütung zumindest in mancherlei Hinsicht zerrüttete Familienverhältnissen gefördert hat. Denn in dem Moment, wo Mutterschaft als von der Frau kontrollierbare biologische Wahlmöglichkeit betrachtet wurde, wurde Vaterschaft zur sozialen Wahlmöglichkeit des Mannes.

In der Vergangenheit griff zumindest in den meisten Fällen die soziale Norm, dass ein Mann eine von ihm schwangere Frau heiraten soll. Im Amerikanischen gibt es hierfür den Begriff der sogenannten „Shotgun-Marriage“, also einer Heirat im Angesicht einer Schwangerschaft. Die sozialen Kontrollmechanismen waren oft mächtig genug, den Mann davon abzuhalten, die Frau sitzen zu lassen.

Jordan B. Peterson: Wir kennen ja noch nicht einmal den sozialen Effekt der Annahme, dass eine Frau für ihre Schwangerschaft allein verantwortlich ist, weil sie ja schließlich verlässliche Verhütungsmittel zur Verfügung hat. Oft ist es ja so, dass eine ungewollte Schwangerschaft dadurch zustande kommt, dass die Frau die Pille nicht richtig eingenommen hat. Ich möchte betonen, dass dies nicht meine Auffassung ist und ich nicht denke, dass Frauen die alleinige Verantwortung für eine Schwangerschaft obliegt. Aber die Verfügbarkeit der Verhütungsmittel lädt dazu ein, genau das zu proklamieren. Was ist die soziale Konsequenz, die daraus entsteht?

Rob Henderson: Genau hier knüpft besagter Brookings-Artikel an. Er besagt nicht, dass die Pille gesamtgesellschaftlich Frauen die Schuld an einer ungewollten Schwangerschaft in die Schuhe schiebt. Aber auf kleinere Ebene geschieht das sehr wohl. In manchen Kreisen wird durchaus angenommen, dass, wenn eine Frau ungewollt schwanger wird, der Mann nichts dafür kann, weil es ja schließlich die Pille gibt. Und ich glaube, zumindest hinter vorgehaltener Hand wird diese Logik häufig akzeptiert, sodas Männer sich hier aus der Affäre stehlen können.

Jordan B. Peterson: Zu einem gewissen Grad fällt es auch schwer, dies nicht zu akzeptieren, wenn es schließlich heißt, dass Frauen dank der Pille die Kontrolle über ihre Reproduktionsfähigkeit haben.

Ich glaube, das 20. Jahrhundert wird für dreierlei in Erinnerung bleiben: Die Wasserstoffbombe, den Computerchip und die Pille. Drei Bomben sozusagen. Bislang hat es noch keine Zeit in der Menschheitsgeschichte gegeben, in der Frauen die Kontrolle über ihre Reproduktion hatten. Es mag übertrieben klingen, aber diese Entwicklung könnte man fast mit dem Aufkommen einer neuen Spezies gleichsetzen. Denn es geht immerhin um eine dramatische biologische Transformation.

Rob Henderson: Um Gottes Willen, wenn dieses Zitat lose durchs Internet geistert (lacht) ...

Jordan B. Peterson: Viel Spaß! Ich möchte betonen, dass dies ein ernstes Thema ist und Frauen es mit dieser Zuschreibung wirklich nicht leicht haben.

Dies ist ein Auszug aus einem Gespräch von Jordan B. Peterson mit Rob Henderson. Hier geht’s zum Gespräch.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Achim de Jong / 27.10.2021

Nun, ich muss Sie alle enttäuschen. Die Pille ist wie die verhütende Wirkung einer Pflanze, die neu im Weidegebiet einer Rinderherde wächst. Zuerst sinkt die Population. Aber es gibt immer ein paar weibliche Rinder, denen diese Pflanze nicht schmeckt. Deren Gene werden sich über die Zeit wegen höherer Zahl der Nachkommen im Genpool vermehren, bis irgendwann, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kein Rind diese Pflanze mehr frisst. Evolution is a bitch.

Hermine Mut / 27.10.2021

Wie schade, dass mit der durch die Pille ermöglichten “sexuellen Befreiung” vor allem die Sexualität von der Liebe befreit wurde , häufig auf das bloße Konsumgut/ Event reduziert.  Der Klangkörper z.B. eines Cellos wurde ja primär dafür geschaffen, dass wunderbare Musik mit ihm gespielt wird, nicht einfach nur kakophone Geräusche erzeugt werden .  Wenn wir lernen könnten, zu lieben,  (schließt Treue und Ver-antwortung ein) , dann könnte die Pille (oder sonstige Verhütungsmethoden) helfen, das ewige Menschheitsproblem der Überbevölkerung(en) zu bewältigen : eine Gesellschaft/ eine Staat könnte dann einfach sich auf die Größe beschränken, die die Ressourcen dieses Landes ernähren etc. könnte .- Eroberungen, Landnahmen wären dann nicht mehr “erforderlich” ?? Herzlichen Dank,@Johannes Schuster, für Ihre Gedanken, denen ich sehr zustimme !

Rolf Menzen / 27.10.2021

Schnickschnack. Mein Vater stieg trotz Ehe und ohne Pille schon in den 50er Jahren jedem zweiten Weiberrock hinterher. Und da war er auch schon damals nicht der Einzige. Außerdem ist Sex nur zum Vergnügen auch keine Erfindung der 68er.

Joachim Krone / 27.10.2021

Böswilligerweise könnte man auch sagen: es verschwand eine (ökonomische) Spezies, nämlich der Mann als “Ernährer”.  Die nun ihre Freiheit selbst von der Biologie geniessende mit- oder alleinarbeitende Frau senkte absurderweise das Familieneinkommen trotz der enormen Lohnsteigerungen der 1970er, da sie auch den Verlockungen des Konsums nun anders gegenüberstand und die Ansprüche mit dem selbstverdienten Einkommen stiegen. Man könnte sogar soweit gehen, den Bauboom durchaus gehobener Einfamilienhäuser seit der ersten grossen Koalition in Teilen der Pille zuzuschreiben. In der heute eingetretenen atomisierten bzw. gepatchworkten “Partnerschafts"situation ist ohne zwei Vollzeitstellen nicht einmal mehr an die Miete zu denken, geschweige denn an eine Immobilie (ohne Ererbtes zu beleihen oder zu verkaufen, wohlgemerkt).

Thomas Taterka / 27.10.2021

@ Volker Kleinophorst - Vielleicht wird Sie das überraschen : meine ganze Einstellung zur Ehe ist bewahrt in der Therapiestunde von “Good Will Hunting” . Also Treue bis in den Tod , denn ich wurde ” gewählt ” als Freund . Sex war nur mein Vorstellungsgespräch . Das immer wieder überarbeitet wird , solange das noch geht . Man wird ja täglich älter.

Volker Kleinophorst / 27.10.2021

@ T. Taterka Aus dem Bauch würde Ihnen wohl jeder, ich eingeschlossen, schnell zustimmen. “Es heißt ” seinen Mann WÄHLEN “, nicht ” sich an ihn GEWÖHNEN “.” Nur es ist beides richtig. Wenn man gewöhnen durch zusammenwachsen nennt, wird es deutlicher. Der Rausch der Anfangszeit lässt sich nicht aufrecht erhalten. Dafür sorgen Hormone, Pheromone, Schlüsselerlebnisse… Kurz die Natur. Die ist auf Fortpflanzung programmiert und schaltete den Rausch halt nach ca. zwei Jahren ab, wenn nix passiert. Dann muss man einen Draht haben. Ich denke Sie wissen, was ich meine. Wenn man es nicht schafft eine neue Ebene zu erreichen, was ohne Einsatz beider Seiten nicht geht, klappt es nicht. Und am Anfang kann man nicht sehen, wer für die Langstrecke taugt. Das Der/Die/Das auf 10 Metern vorn liegt, sagt darüber gar nichts. “Ist es der Sex? Es ist immer der Sex.” (Charlie Harper) PS.: Was mich gleich belustigt hat ist, wie Sie selbstverständlich die wahre Geschlechterhierarchie darstellen: “Einen Mann wählen” steht ja da und nicht “eine Frau wählen”. Zu Ergänzung, dazu bringt der patriarchalische Unterdrücker auch einen besser nicht zu billigen Ring mit und überreicht ihn “take a knee”. Der Beitrag der Frau an der Stelle:  Ja oder Nein. Als ich aus meiner Erschütterung über dieses Joch erwachte, wurde ich Feminist. Wirklich klasse @ T. Taterka wie Sie das so knackig auf den Punkt gebracht haben und warum nicht an der Stelle, ich les ihre Kommentare immer gern und mit Interesse.

Thomas Taterka / 27.10.2021

Zu tiefer Liebe ist überhaupt nur jemand fähig , der aus den Irrtümern seiner Erfahrungen lernen kann . Es heißt ” seinen Mann WÄHLEN “, nicht ” sich an ihn GEWÖHNEN “. Sich Gewöhnen ist psychisches Elend mit mehr oder weniger guter Laune . Und vielen Menschen kann man die gereizte Routine , die Tristesse ihrer Gewohnheiten schon von weitem ansehen . Bei Emerson heißt das : “die meisten Menschen leben ein Leben in stiller Verzweiflung “. Warum wohl ? - Festgefahren bis auf den letzten , unehrlichen Knochen im Leib.

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