Was ich als Nichtgläubige bei vielen Christen vermisse, ist die Toleranz dafür, dass man nicht glaubt, dass es einen Gott gibt. Sofort wird einen vorgeworfen, dass man dann eben so ein komischer Mensch wäre, der nichts von Ethik und Humanität verstünde. Als ob die Eigenschaft, Mitgefühl zu empfinden, ethische und humanistische Maßstäbe zu besitzen, an einem Gottglauben gebunden wären. Ich unterstelle doch auch keinen Christen, dass er nur mündlich sich zu Gott bekennt, aber sonst lügt, betrügt und mobbt. Ich habe viele sich Christen nennende Menschen erlebt, als ich im Westen gearbeitet habe, die im Mobben besonders hervorragend aufgestellt waren, aber sonntags vielfach in die Kirche gegangen sind. Übrigens, ich habe auch jeden Tag Schmerzen, mal mehr mal weniger als Fibromyalgieerkrankte. Kein Gott nimmt einen Schmerzen ab, kein Gebet kann erreichen, dass die Schmerzen weniger werden, kein Gott straft einen mit Schmerz oder beglückt einen gar damit. Schmerz ist eine Sache, die man persönlich annehmen und dann überspielen muss. Ärzte helfen i.d.R. da nicht weiter. Man lebt mit dem Schmerz und er ist ein ständiger Begleiter und erhält i.d.R. von mir kaum Beachtung, soweit es möglich ist, Wenn es mal schlimm kommt, ziehe ich mich mit einen Buch zurück oder ich “ver"spiele den Schmerz am PC mit meinen Rollenspielen, weil man da seine Aufmerksamkeit ganz auf die bestimmte Rolle richten muss, die man verkörpert und sein taktisches Geschick schulen muss. Da bleibt nicht mehr so viel Raum für Schmerz. Über Gott zu diskutieren, geht im Prinzip nicht, da man einen Glauben nicht diskutieren kann. Wer glaubt, weiß nicht, deshalb kann man solche Menschen auch nicht mit der Ratio ansprechen. Mir ist es völlig egal, woran jemand glaubt und wie er es tun, Hauptsache, er respektieren mich ebenso wie ich ihn.
Wir können uns das Wunder des Lebens einfach nicht erklären. Warum teilt sich eine Zelle? Sie könnte es ja sein lassen. Warum fängt der Knoblauch in meinem Kühlschrank plötzlich an zu spriessen? Was (wer?) gibt den Impuls? Man kann die Frage, warum sich eine Zelle teilt, zwar in eine Suchmaschine eingeben, eine vernünftige Antwort kriegt man jedoch nicht. Die Biologie ist da überfordert. Weil wir unsere Unwissenheit nicht aushalten, flüchten wir zu Gott. Ganz befriedigend ist das aber nicht. Wir können auch noch ganz bescheiden werden und mit dem guten alten Sokrates sagen: Ich weiss, dass ich nichts weiss.
Für mich als evangelischen Christen besteht “die Kirche” aus drei Teilen: Bauten, Institution, Glaube. Die Bauwerke zerfallen vielfach, die Institutionen mit ihrer Obrigkeit in ihrem Anbiedern mittlerweile auch. Bleibt die Kernbotschaft, bei der die anderen beiden nur schmückendes Beiwerk sind: der Glaube. Und der Herr hat nicht nur Seele, Herz und Ratio geschenkt (Letzteres wird Christen oft nicht zugetraut - ein Geschenk, welches ich durchaus nutze, alles andere wäre Missachtung) - er gab auch den freien Willen. Nur wer sich selbst hilft, darf sich Gottes Kind nennen. Was durchaus nicht bedeutet, dass man keine Hilfe annehmen soll. Ich bleibe für mich dabei, dass ich (zumeist abends) meine Gebete spreche, im Gottesdienst aber an sich kaum zu sehen bin. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an.
Naja - die Unterschiede schwinden doch sehr. So tun als ob Gott wirklich wäre vs. an Gott glauben? Man braucht da quasi kein versus mehr, es ist die gute alte und ehrwürdige theologische Position des Glaubenszweifels. Viele beedeutende Christen haben die geteilt. Der Marxist Ernst Bloch hat einem verwandten Phänomen übrigens ein dickes Buch gewidmet: Atheismus im Christentum - ist interessant. Kann ich empfehlen. Dazu ein wenig Deitrich Bonhoeffer und Friedrich-Wilhelm Graf und - - - - Kirkegaard (ich glaube, weil es so unsinnig ist).
Gott ist das Virus und das Virus ist Gott! Beide kann man nicht sehen, seine Auswirkungen jedoch sind jederzeit spürbar.
Aufgrund der uneingeschränkten Freiheit, die „Glaubens-Infizierte“ implizit in ihrem Glaubensinhalt ihrem „Glaubensgegenstand“ zuschreiben, müsste Er auch die kontralogische Fähigkeit besitzen, beliebig von Seiner Existenz in Seine Nichtexistenz wechseln zu können und umgekehrt. Seine Freiheit wäre nämlich eingeschränkt, wenn Er ständig auf die Substanz angewiesen wäre, die nach der Zuschreibung der „Glaubens-Infizierten“ Seine Existenz ausmacht. Denn etwas, was existiert, weist notwendigerweise eine irgendwie geartete Substanz auf, aus der es beschaffen ist.
Wenn sich ein Atheist darauf einlässt, darüber zu diskutieren, ob wohl ein „supranaturales Bibel- und / oder Koranwesen” irgendwie existieren könnte oder nicht, dann müsste er dazu bereit sein, die Logik aus dem Spiel zu lassen. Denn Menschen, die sich dem christlichen oder islamischen Glauben ausgeliefert haben oder ihm ausgeliefert wurden, müssen die Logik nämlich ständig aus dem Spiel lassen, weil dies dort die erste und alles entscheidende, glaubensimmanente Prämisse ist. Diese Faktenlage macht es für Atheisten natürlich wenig attraktiv, sich mit „Glaubens-Infizierten“ auf eine Diskussion über deren „Glaubensgut“ einzulassen. Wenn der „Glaubensgegenstand“ der „Glaubens-Infizierten“ existieren sollte, dann scheint Er in der Vergangenheit kein Interesse an der Verbesserung der Lebensverhältnisse für Mensch und Tier gehabt zu haben. Auch gegenwärtig scheint es so zu sein, obwohl Er, wie von „Glaubens-Infizierten“ geglaubt wird, sogar über kontralogische Fähigkeiten verfügen soll, die es Ihm möglich gemacht haben und gegenwärtig möglich machen müssten, das Leben von Mensch und Tier auf vielerlei Art und Weise zu erleichtern. Da der „Glaubensgegenstand“ der „Glaubens-Infizierten“ offensichtlich Seine kontralogischen Fähigkeiten nicht zum Wohle von Mensch und Tier nutzen will, ist es völlig irrelevant, ob Er irgendwie und irgendwo existieren könnte oder nicht. Eigentlich müssten es „Glaubens-Infizierte“ als einen blasphemischen Eingriff in die Denk- und Handlungsautonomie ihres „Glaubensgegenstandes“ interpretieren, wenn sie glauben, dass Er nur „gut“ sein kann und alle Menschen liebt. Oder wenn sie Ihn gegenüber Atheisten dahingehend verteidigen, dass Er existiert. Denn zum Zeitpunkt ihres Glaubens in vorstehender Art und Weise oder ihrer genannten Verteidigung oder auch schon sehr viel früher könnte sich der „Glaubensgegenstand“ der „Glaubens-Infizierten“ doch entschieden haben, vorübergehend oder auf Dauer nicht (mehr) existent zu sein.
Vielleicht ist Glaube zunächst einmal Vertrauen. So wie ein Kind seinen Eltern vertraut. Komme, was da wolle. Das setzt voraus, dass die Eltern es mit dem Kind gut meinen. Dass es sich bei ihnen um reife Menschen handelt, die das Beste für ihr Kind möchten. Die seine Entwicklung voranbringen möchten, anstatt sie zu unterbinden. Die dem Kind auch etwas zumuten, wenn diese Zumutung der Entwicklung des Kindes förderlich ist. Die Eltern haben das Ziel, dass ihr Kind ein, von ihnen unabhängiges, selbstverantwortliches, erwachsenes Leben zu führen lernt. Ein angstbefreites Leben. Doch sind dem menschlichen Leben natürliche Grenzen gesetzt. Die Fähigkeiten des Menschen sind begrenzt. Im Wissen um diese Begrenztheit kann der Mensch mit Hilfe des Vertrauens zu Gott trotzdem voranschreiten. Hinein in den dichten Nebel des vor ihm Liegenden. Des Unbekannten. Jederzeit kann etwas „Schlimmes“ passieren. Das gilt auch für den Gläubigen. Gott ist sicher keine Lebensversicherung. Das Leben ist eine fragile Angelegenheit, dessen Rahmen wir nicht erfassen. Vertrauen. Was das Ganze dann soll? Vielleicht eine Hinführung zur Gotteserkenntnis. Es ist ein Geheimnis. Derjenige, der „reif“ genug und in ausreichendem Maße aufnahmebereit dafür ist, kann es möglicherweise lüften. Nur kundtun kann er es danach nicht. Denn verstehen kann ihn nur, wer ebenfalls dem Geheimnis auf der Spur ist.
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