112-Peterson: Die Schlange in unserem Herzen

Im Grunde geht es in der Geschichte von Adam und Eva um nichts anderes als das unfreiwillige Treffen auf den Drachen des Chaos: Sie sitzen, nichts Böses ahnend, zu Hause, und ein Raubtier dringt in ihr Versteck ein. Kein Ort ist so sicher, als dass es dort keine Schlange gäbe. Dies ist wohl die grundlegendste Geschichte der Menschheit. Nicht einmal Gott kann einen Raum so eng und absolut definieren, dass das Raubtier des Unbekannten sich nicht in ihm manifestieren kann.

(...)

Ich komme nun zu einer Begebenheit aus der Genesis, deren Sinn mich 30 Jahre lang beschäftigt hat. Im Garten Eden befinden sich also Adam und Eva, die Urmenschen. Ihr Garten, das Paradies, ist von einer Mauer umgeben. Auf diese Weise wird die Vorstellung beschrieben, dass der richtige Lebensraum des Menschen eine Mischung aus sozialer Struktur und Natur sei. Und das stimmt. Denn wir leben nie nur in der Natur und niemals nur in der Gesellschaft, sondern stets in einer Mischung aus beidem.

Ein eingemauerter Garten. Ein gut bewässerter, produktiver Platz, an dem die Menschheit gedeihen und sich sicher fühlen kann. In dieser speziellen Geschichte wird sie zudem noch von einer Vaterfigur beherrscht. Diese könnte man als den Geist der Zivilisation betrachten, wenigstens wäre das eine denkbare Interpretation. Im Garten befindet sich eine Schlange, doch dies ist, grob gesprochen, Gott unbekannt. Obwohl er allwissend ist und man davon ausgehen sollte, dass er auch von der Schlange weiß.

Er weist Adam und Eva an, nicht mit dieser Schlange zu interagieren, was sie trotzdem tun. Durch die Schlange erwachen sie, denn durch sie erhalten sie eine Frucht, die ihnen die Augen öffnet und sie erkennen lässt, dass sie nackt und verwundbar sind. Dies verdammt sie zur Arbeit.

Und nun gibt es diesen seltsamen Gedanken, der sich im Laufe der Entwicklung des Christentums, Judentums und Religionen, die sich aus dem Christentum speisen, wie etwa der Zoroatrismus, herausgebildet hat. Es gibt eine Idee, die über einen ziemlich langen Zeitraum hinweg entstanden ist, nämlich, dass die Schlange im Garten, genau wie Satan, die Quelle alles Bösen sei.

Sonst wird man gefressen

Ich beschäftigte mich in der Folge lange Zeit damit, warum ausgerechnet die Manifestation dieses Raubtieres – also einer Schlange – dies ausdrücken soll. Schlangen werden mit Bäumen in Verbindung gebracht. Logisch – wir lebten einst auf Bäumen und Schlangen auch. Die Schlange war ein typischer Feind unserer Vorfahren. Das macht definitiv Sinn. Natürlich gibt es Raubtiere, die im Garten lauern. Und wenn man mit diesen in Interaktion tritt, „wecken sie einen auf“, das wäre auch besser für uns. Sonst wird man gefressen.

Also lieber aufwachen, auch wenn schmerzhafte Konsequenzen mit der Bewusstwerdung in Verbindung gebracht werden. Das manifestiert sich unmittelbar in der Geschichte von Adam und Eva. Und dann aber diese merkwürdige Assoziation, die in den biblischen Geschichten eher eine untergeordnete Rolle spielt und nicht viel mehr als die Konsequenz einer Wolke aus mythologischen Geschichten ist, die diesen Mythos umgeben.

Aber vielleicht kommt der weitere Sinn daher, dass Menschen stets versucht haben, das Wesen des Raubtiers zu entschlüsseln. Auf der einen Stufe der Analyse ist das Raubtier also etwas, das am Boden entlang schleicht und uns bedroht. Es ist unser sterblicher Feind, der dafür sorgt, dass wir „aufwachen“.

Dies ist aber nur eine mögliche Konzeptualisierung eines Raubtieres. Letzteres kann man erkennen und vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Eine vielleicht vollständigere Konzeptualisierung eines Raubtieres könnte sein, der Frage auf den Grund zu gehen, wo es herkommt. Wenn es sich um eine Schlange handelt, sollte man davon ausgehen, dass sich irgendwo ein ganzes Schlangennest befindet. Wenn wir also die Schlange loswerden wollen, sollten wir sie nicht bloß als Schlange konzeptualisieren, sondern als eine Manifestation eines ganzen Knäuels von Schlangen. Wir sollten der einen Schlange folgen, um zu sehen, wo sie herkommt, ihr Versteck finden und alle Schlangen ausmerzen.

Damit wären wir bei einer abstrakteren Repräsentation, nicht mehr bloß beim Räuber, sondern bei der Quelle des Raubüberfalls. Will man also dauerhaft das Problem mit den Räubern lösen, tötet man nicht nur eine einzelne Schlange, sondern wird alle Schlangen los.

(...)

Die Schlange im eigenen Herzen

Nach unseren Erfahrungen mit den Schlangen fragen wir uns vielleicht, was unsere schlimmsten Feinde seien. Dies sind nicht die Schlangen, sondern menschliche Feinde. Also verteidigen wir uns gegen unsere bedrohlichen Artgenossen, indem wir Mauern um unsere Städte errichten und unser Land verteidigen. Wir schützen uns gegen das Böse, das in den Herzen anderer Menschen lauert. Dabei handelt es sich sozusagen um eine Schlange einer höheren Ordnung.

Wir bauen also Mauern um uns herum. Doch das, was sich im Inneren befindet, wird immer größer. Und plötzlich tauchen die Schlangen mitten in unseren Städten auf. Denn wir haben uns vor all dem Bösen geschützt, das in der Außenwelt lauert. Nun haben wir jedoch einen Ort geschaffen, an dem sich das Böse im Inneren manifestieren kann. Beispielsweise gibt es Kriminelle in der Stadt. Oder Leute, die einen zu Fall bringen wollen. Und natürlich gibt es auch in der Stadt Böswilligkeit und nicht nur draußen.

Nun hat man also Sorgen mit Schlangen, die näher an einem dran sind. Und dann gibt es letztendlich noch das Problem, dass die Schlange im eigenen Herzen lebt. Das ist die Kapazität für das Böse, die jeder in sich trägt. Dies wurde als transzendenter Geist im Wesen Satans konzeptualisiert, der der Widersacher des Helden ist. Darum gibt es also diese Verbindung zwischen der Schlange im Garten und der großen Serie an Mythologie über die Existenz des Bösen selbst.

Dies ist eine Folge unserer stetig wachsenden Fähigkeit zur Abstraktion. Unser Raubtier-Erkennungssystem fing mit Schlangen, Raubkatzen und Raubvögeln an, doch dies kann nicht das Grundproblem lösen. Denn nur weil man sich heute vorm Greifvogel in Sicherheit bringen konnte, heißt das noch lange nicht, dass er morgen nicht schon wieder auf der Matte steht. Je klüger man wird, desto mehr denkt man an „morgen“.

Und wenn man einmal beginnt, auf abstrakte Weise über „den Räuber“ nachzudenken, wird die Natur, die diesen Feind hervorbringt, auch immer abstrakter. Schließlich versucht man, das Problem für alle Situationen gleichzeitig zu lösen. Es wird immer abstrakter und am Ende erscheint es einem wie eine Persönlichkeit. Eine ewige Persönlichkeit. Und so etwas hat einen ewigen Effekt auf alle zu jeder Zeit. Diese Ideen sind unglaublich interessant. Nicht zuletzt, weil die Menschen sie noch nicht begriffen, als sie sie hervor brachten.

Dies ist ein Auszug aus einer Vorlesung von Jordan B. Peterson. Hier geht's zum Vortrag.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Rainer Niersberger / 16.09.2020

Ich vermute, dass die Schlange sehr bewusst gewählt wurde, und nicht etwa der Loewe, weil sich mit ihr zusätzliche Zuschreibungen verbinden lassen, die bei einem Loewen nicht moeglich waeren. Form und Fortbewegung lieferten die Konnotationen zu List und Heimtuecke, zu etwas, was, zumal bei Giftschlangen, um die es hier gehen duerfte, natuergemaess nichts mit einem offenen Kampf zu tun hatte, sondern mit einem ueberraschendem Zuschlagen aus einem Versteck. Zudem ist bei Schlangen keine Mimik erkennbar, die etwas ankündigt, im Unterschied zu Raubtieren, die vorher erkennbar machen, was sie vorhaben.  Sie sind undurchsichtig und in der Lage, durch kleine Öffnungen einzudringen, waehrend man Raubtieren mit gewissen Mechanismen, relativ leicht fernhalten kann. Damit wird die Schlange zu einer ebenso gefährlichen wie nicht erkennbaren und kaum abzuwehrenden Gefahr. Die aktuellen Gefahren, oder das Böse, wenn man diese Kategorie waehlen moechte, zeichnen sich eher durch Schlangenaehnlichkeit, als den vorher angekündigten, offenen Angriff eines Loewen aus. Auf die “Verbindung” im Vorgehen zwischen Schlange und Frau gehe ich hier selbstredend nicht ein. Die Boesenabwehr ist allerdings beim Loewen nach wie vor leichter, als bei der Schlange.

Wilfried Cremer / 16.09.2020

Ich kläre hier mal auf. Die besagte Schlange hing am Mann.

Joerg Haerter / 16.09.2020

Ich denke, es geht hier um etwas völlig anderes. Die Schlange verkörpert hier den Teufel, das Böse. Den Menschen war geboten, nur von einem Baum nicht zu essen, wenn man so will, ein Gehorsamstest. Angsprochen wird die Frau, auch kein Zufall, Frauen lassen sich “bequatschen”. Es werden Zweifel gesät: Sollte Gott gesagt haben? Dann die Lüge, ihr werdet mitnichten sterben sondern sein wie Gott, erkennen was gut und böse ist. In dem Moment des Ungehorsams sind die beiden schon gestorben, der physische Tod greift Raum, wenn auch nicht sofort. Auch interessant, Adam wird zur Rechenschaft gezogen, weiter, er beschuldigt die Frau, sie habe ihm zu essen gegeben. Dann Rauswurf aus dem Paradies, Acker und Dornen mit allen Folgeerscheinungen. Muss man nicht glauben, viele halten das für ein Märchen. Das erklärt aber vieles, wenn man dem folgt und sich mit der Geschichte eingehend befasst.

Volker Kleinophorst / 16.09.2020

So lange eine Schlange das Kanzleramt besetzt hält, interessiert mich meine innere Schlange nicht so sehr. Außerdem ist die Zuschreibung Schlange = Böse diskriminierend. Schließlich wollte Eva ja den Apfel. Zweibeinige Schlangen sind eh viel gefährlicher. PS.: Natürlich kriechen Schlangen nicht nur über den Boden, sie leben auch auf Bäumen. Egal, mir sind schon einige in freier Wildbahn begegnet. Keine hat mich attackiert. Man muss halt Abstand halten.

Fritz kolb / 16.09.2020

In Celle hatte jemand den Mut, die Schlange zu töten. Fernab aller philosophischen Betrachtungsweisen zolle ich dem Mann, der seine Frau damit beschützt hat, großen Respekt. Das Feedback in den Medien ist noch unscharf, „beruhigend“ wurde nur erwähnt, daß es Deutsche gewesen sein sollen. In Frankreich hat eine Umfrage ergeben, dass die Mehrheit der Befragten für die Wiedereinführung der Todesstrafe gestimmt hat. Überraschend? Die Menschen beginnen langsam, ihre Mauern wieder hochzuziehen. Die Klärungen im Inneren stehen noch weitgehend aus, aber es ist zumindest ein Anfang, daß die Menschen beginnen, darüber nachzudenken. Daß sie ihre „Anführer“  immer mehr infrage stellen, nährt meinen Glauben an die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft.

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