Gerd Buurmann / 12.03.2024 / 14:50 / Foto: Cordcs / 106 / Seite ausdrucken

Oma Courage

Marie-Agnes Strack-Zimmermann inszeniert sich als „Oma Courage“. Weiß sie überhaupt, welches theatralische Bild sie da aufmacht?

Auf einem in schwarz-weiß gehaltenen Wahlplakat blickt die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ernst über einen aufstehenden Kragen hinweg, um für sich und die FDP bei der nächsten Europawahl zu werben. Darunter steht der Slogan: „Oma Courage – Streitbar in Europa, Strack-Zimmermann.“

Um Himmels willen, wer arbeitet denn da in der PR-Agentur der FDP? Wenn man schon literarische Vergleiche ziehen möchte, sollte man das Werk, zu dem man eine Verbindung aufbaut, wenigstens einmal gelesen haben. Das scheinen die Verantwortlichen des Plakats nicht getan zu haben.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann wird als „Oma Courage“ bezeichnet. Dies ist eine Referenz auf das Theaterstück Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht. Worum geht es in dem Stück?

„Mutter Courage und ihre Kinder“ handelt von einer Mutter im Dreißigjährigen Krieg, die versucht, ihr persönliches Geschäft mit dem Krieg zu machen. Am Ende des Stücks hat sie jedoch all ihre Kinder verloren. Das Theaterstück ist eine Warnung an all die Leute, die hoffen, durch geschicktes Handeln an einem Krieg profitieren zu können. Bertolt Brecht möchte mit seinem Stück unmissverständlich Abscheu vor dem Krieg vermitteln.

Keine positive Identifikationsfigur

Für Brecht steht fest: „Die Courage lernt nichts“, denn aus einem Lernen ergibt sich, das Verhalten zu ändern, aber gerade das tut Mutter Courage nicht. Sie glaubt vom Anfang bis zum Ende des Stücks daran, dass ihr der Krieg Profit bringt. Sogar nachdem all ihre drei Kinder tot sind, hält sie an ihrem Glauben an den Krieg fest. Für Brecht ist und bleibt die Courage eine Mitläuferin: „Sie glaubt an den Krieg bis zuletzt.“ Für ihn ist sie keine positive Identifikationsfigur: „Sie lernt so wenig aus der Katastrophe wie das Versuchskarnickel über Biologie lernt.“

Das Stück wurde erstmals mitten im Zweiten Weltkrieg im Jahr 1941 in Zürich aufgeführt. In Deutschland kam das Stück erst nach dem Krieg auf die Bühne, und es verstörte das Publikum.

Mit der Unfähigkeit, etwas aus der Geschichte zu lernen, sind wir beim deutschen Bildungsnotstand angekommen. Auch in der FDP scheint dieser Bildungsnotstand nun endgültig angekommen zu sein, anders ist dieses Werbeplakat nicht zu erklären. Deshalb soll nun ein Gymnasiallehrer zu Wort kommen. Sein Name ist Helmut Jendreiek. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Bertolt Brecht: Drama der Veränderung.“ Jendreiek schreibt:

Die Mutter, die ihre drei Kinder an den Krieg verliert, will den Krieg am Ende dennoch, um ihr Geschäft zu machen. Das lässt sich nicht mit tragischer Verblendung und schicksalhafter Unausweichlichkeit erklären, sondern muss der Courage als 'Schlechtigkeit' und 'Verbrechen' schuldhaft zugerechnet werden, auch wenn Schlechtigkeit und Verbrechen Ausdruck der herrschenden Zustände sind.“

Was also möchte mir die FDP sagen, wenn sie Marie-Agnes Strack-Zimmermann als „Oma Courage“ bezeichnet? Sollen wir etwa die Schlechtigkeit und das Verbrechen der Mutter Courage sympathisch finden?

Referenz-Leugnerin

Vielleicht kann Marie-Agnes Strack-Zimmermann persönlich Licht ins Dunkel bringen. Auf die Frage, ob die Verwendung des Begriffes „Oma Courage“ nicht vielleicht ein Eigentor sei, erklärt sie auf X:

„Vielleicht ist es auch einfach ein Eigentor, wenn man einen Zusammenhang herstellt, der nicht existiert und stattdessen den Zusammenhang zwischen Oma, Europa und Courage nicht versteht.“

So kann man sich natürlich auch rausreden. Oma Courage behauptet einfach, es gäbe keine Referenz zu „Mutter Courage“.

Ich muss da an die dritte Szene des Stückes „Mutter Courage und ihre Kinder“ denken. In der Szene wird das Lager überfallen, in dem sich die Mutter mit ihren Kindern befindet. Mutter Courage versucht, ihre Tochter zu retten, indem sie ihr das Gesicht mit Asche beschmiert, um sie unattraktiv zu machen. Ihrem Sohn Schweizerkas, der Zahlmeister ist, sagt sie, er solle die Kasse wegwerfen. Doch ihr Sohn will die Regimentskasse retten und versteckt sie in einem Maulwurfloch nahe dem Fluss. Als er schließlich verhaftet wird, gesteht er unter Folter, die Kasse versteckt zu heben. Den Ort will er aber nicht verraten. Schweizerkas wird daraufhin erschossen. Als man seiner Mutter die Leiche bringt, verleugnet sie ihren Sohn, um sich selbst zu retten.

So wie Mutter Courage ihr Kind Schweizerkas verleugnet, so leugnet heute „Oma Courage“ die Referenz zu dem literarischen Kind „Mutter Courage“. Es ist alles nur noch eine Farce.

 

Gerd Buurmann ist Schauspieler, Stand-up-Comedian und Kabarettist. Er spielt, schreibt und inszeniert in diversen freien Theatern von Köln bis Berlin. Seit April 2022 moderiert er den Podcast „Indubio“ der Achse des Guten. Im Jahr 2006 spielte er im Konradhaus Koblenz die Rolle des Kochs in „Mutter Courage und ihre Kinder“.

Foto: Cordcs CC BY-SA 4.0, Link

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Elizabeth Bennett / 13.03.2024

Seit Längeren erscheint mir das Gebaren des Berliner Grusel-Kabinetts wie eine Sonderserie aus „Switch reloaded“ , dabei sind aber das Groteske und die Fucking Problems, die uns staunenden Zuschauern fast täglich geboten werden, leider echt, live, in Farbe und buuunt. Das Lachen ist schon längst dem Lächerlichen gewichen. Und inzwischen scheint die Realsatire ins Horrorgenre zu kippen: wetterwendiges Kieselsteingeklopfe ans Kremlfenster, allergeilste Kriegsbesoffenheit im alleralbernsten Trikot, neue Wunderwaffengläubigkeit und der typisch deutsche Grössenwahn, als teutonischer US-Dackel („wef! wef! wef!“) könnte mann*in dem russischen Bären die Höhle so sehr zuscheissen, dass es diesem „die Beine wegzieht“. Na, wer so eine Regierung hat, der braucht keine Feinde mehr und man kann wohl nur noch beten, dass auch diesmal wieder ein Russe klüger ist und den roten Knopf nicht drückt, so wie weiland der stille Menschenfreund und Mitdenker Petrow, Friede und Ehre seinem Andenken, der den Dritten Weltkrieg verhinderte, indem er angesichts einer eskalierenden Lage eben nicht blind und stupide Instruktionen und Freund-Feind-Denkmuster befolgte .

Roland Völlmer / 12.03.2024

Welcher Politiker ist im Schützengraben gestorben? Ich kenne keinen aus der FDP. welchen Mut hat die FDP? Ich finde keinen.

A. Ostrovsky / 12.03.2024

Das hat was von Fledermäusen vor dem ersten Sonnenstrahl.

Wolfgang Schüler / 12.03.2024

An Sam Lowry: ein epischer Kommentar, genau das gleiche ist mir immer wieder durch den kopf gegangen. Gabs eigentlich auch einen “Papa Adolf” oder “Onkel Führer” ? An Patrick Meiser Natütlich. True Lies. “Du bist gefeuert “. Harhar… Grandioser Film.

Peter Bernhardt / 12.03.2024

@Fred Burig         ... ersatzweise die “Haare auf den Zähnen des schwachen Geschlechts” nicht unterschätzen! Die Geschichte der Frau ist die Geschichte der schlimmsten Tyrannei, die die Welt je gekannt hat. Die Tyrannei der Schwachen über die Starken. Es ist die einzig dauernde Tyrannei. Oscar Wilde

Peter Bernhardt / 12.03.2024

Verehrter Samuel Roesen   ” ........ eine Hanna Reitsch der US Imperalisten!”  Bitte, Kann diese Dame der US Imperialisten auch fliegen??  Adler fliegen allein, aber Schafe scharen sich zusammen.

Moritz Cremer / 12.03.2024

halt die Tochter der “german mut”!!!.... ;-) HAHAHAHAHAHAHAHAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA

Robert Korn / 12.03.2024

Ich halte ihr zugute, daß sie das Theaterstück wohl nicht kennt. In dubio pro reo… Aber Courage?? Welche Courage, also Mut, oder altmodisch “Schneid”?? Mut, Courage oder wie auch immer: diese Prädikate dürfen, müssen nur die armen Schweine in Anspruch nehmen, welche diese Dame in den Schützengräben sehen will. Es widert mich nur noch an…

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