Historiker sagen, die Deutschen seien eine „verspätete Nation“. Soll heißen: Als sich die deutschen Staaten nördlich der Mainlinie im Jahre 1866 zum Norddeutschen Bund unter der Führung Preußens vereinten, hatten andere Nationen die Erfahrung der Selbstfindung schon hinter sich.
Auch als Kolonialmacht waren die Deutschen spät dran. Kaum hatten sie Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Togo unter ihre Kontrolle gebracht, mussten sie diese Kolonien wieder aufgeben. Bis in die jüngste Zeit ist das Zuspätkommen eine deutsche Spezialität. Die DDR-Deutschen hätten beinah den Zusammenbruch des Kommunismus verpasst, wenn sie nicht am 9. November 1989 Westfernsehen geschaut hätten.
Womit wir bei Martin Schulz und der SPD wären, die bei den letzten Wahlen am 24. September mit 20,5% das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erkämpft hatte. Noch schlechter hatte die Partei von August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Friedrich Ebert und Willy Brandt nur bei der Reichstagswahl im Jahre 1890 abgeschnitten, damals kam sie auf 19,8%.
Sechs Wochen dachte Martin Schulz über die Ursachen der Niederlage nach, bis er schließlich zu der Einsicht kam: „Nicht die Medien, nicht die Demoskopen und auch nicht die politischen Gegner sind schuld an unserer Wahlniederlage“, nein, „der Kanzlerkandidat und die gesamte SPD haben diese Wahl verloren“.
Wer hätte das gedacht! Am allerwenigsten der Kanzlerkandidat, der noch zwei Tage vor der Wahl siegessicher verkündete, er werde der Nachfolger von Angela Merkel.
Martin Schulz, das ist die Hohe Schule des Zuspätkommens. Die Grundausbildung dafür gibt es im Alltag.
Nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 wurden alle Berliner Weihnachtsmärkte post festum mit Beton-Sperren gesichert. Dieses Jahr werden sie vorsorglich zu Hochsicherheitszonen umgebaut. Der 19. Dezember soll sich nicht wiederholen. Andere Städte wollen dem Berliner Beispiel folgen. In Essen warten 17 tonnenschwere „Panzersperren“ auf ihren Einsatz; statt der geplanten 200.000.- Euro sollen sie nur 120.000.- Euro kosten. Die Stadt freut sich, sie spart 80.000.-Euro!
Weihnachten muss nicht teuer sein. Und das Christkind kommt im Panzerwagen zur Bescherung.
Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche