Richard Wagner / 24.11.2010 / 12:49 / 0 / Seite ausdrucken

Irische Buchführung

Irland war für die deutsche Öffentlichkeit stets ein Land, dem man Sympathien entgegenbrachte. Das hat viele Gründe, und noch mehr Voraussetzungen, und sie alle haben mehr mit Deutschland zu tun, mit seinen Umtrieben in der Geschichte, als mit Irland. Von dort kamen zwar in den dunklen Zeiten die Mönche, aber wer sagt das schon?

Das Land ist weit genug entfernt, und man hatte trotzdem einen gemeinsamen Gegner, um nicht zu sagen, ein Feindbild, das Empire. Das aber ist ein Thema, das immer schon für große Missverständnisse sorgte. Einen gemeinsamen Gegner zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass man tatsächlich etwas gemeinsam hat. Irland war nicht nur weit genug entfernt, es war tatsächlich auch ein Randphänomen.

Lange Zeit konnte man es unter zwei Begriffe subsumieren. Einen politischen und einen touristischen. Irland war der Nordirland-Konflikt und die Grüne Insel. Der Nordirland- Konflikt hatte nur indirekt mit Irland zu tun, er rührte vielmehr aus den Defiziten des Empire her, und die grüne Insel war in Wirklichkeit eher einer euphemistische Beschreibung des schlechten Wetters als der landschaftlichen Aussicht. Noch Heinrich Böll hat in den Siebzigern sein Irisches Tagebuch veröffentlicht, in dem er eher Scotch und Scones meinte, als das zwanghafte Drum und Dran.

Was wäre Dublin, jenseits der Ulysses-Topographie des James Joyce? Was aber darf es sein?. Auch Joyce setzt Grenzen. Es ist die Hauptstadt der Iren, aber eine europäische Metropole ist es nicht.  Vor einiger Zeit nun, begünstigt und beflügelt von den Versprechungen der Globalisierung, dachte man das kulturhistorisch grundierte Schicksal zu überwinden, gab sich einen Ruck und erklärte, den Tiger reiten zu wollen. Man verpasste sich eine Niedrig –Steuersystem, dessen Kernstück eine minimale Unternehmenssteuer war. Damit erreichte man nicht nur ein gesteigertes Interesse der ausländischen Direktinvestoren, sondern auch die Aufmerksamkeit des unseriösen Geschäftsgebarens.

Irland wurde zur Steueroase. Man blieb damit das Randphänomen, das es immer schon gab. Was in der Mitte Wachstumsstrategie zu sein hat, wenn es zu etwas führen soll, nimmt in der Peripherie gerne die Form eines Tricks an. Irland konnte mit seiner Leicht- Gesetzgebung eine Steigerung seiner Attraktivität und nicht zuletzt seiner Ratings erreichen. In der Folge konnten Aktienfonds auf Immobilien in Irland setzen, nicht weil die es wert gewesen wären, sondern weil Irland einen guten Ruf hatte.

Jetzt ist nicht nur der gute Ruf weg. Das Land hat ernsthafte Schuldenprobleme, und nicht zuletzt Haushaltsschwierigkeiten. Niedrigsteuern einzuführen, bedeutet letzten Endes, den Steuersatz unterhalb der Ausgabenbedürfnisse anzusetzen. Das aber ist fahrlässig. Entweder orientiert sich der Steuersatz an den Ausgaben, oder die Ausgaben orientieren sich am Steuersatz. Irland hat den Gewinnsprung versucht, indem es alle Grenzen und Sachzwänge für irrelevant erklärte. Jetzt bleibt ihm nur eines übrig: Wieder zur Normalität zurückzukehren. Zu den Grundrechenarten und zur Buchführung. Und das so bald wie möglich.

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