Richard Wagner / 29.05.2015 / 07:52 / 1 / Seite ausdrucken

Warum Bachtin nicht auf den Karneval der Kulturen geht

In Berlin ist der Karneval der Kulturen ein weiteres Mal zu Ende gegangen, und es war schön wie eh und je, wenn die Kreuzberger Straßen mit diesem fröhlichen Brasilvolk volllaufen, bei dessen lautstarkem Eros man auch jetzt wieder glauben will, dass es uns gut geht, und die Samba, die hält das aus.

Wir aber erinnern uns an eine Zeit, in der es darauf ankam, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, heute tanzt man bestenfalls noch in den Mai. Stellen Sie sich den ganzen Rummel mal bei einer Polka vor, bei einem Humpen und im Wams.

Gäste können einen so richtig in Stimmung bringen, wer wüsste das nicht? Die ersten, die wir uns zur guten Unterhaltung ins Land und ins Stadel holten, waren bekanntlich die Fußballlegionäre. Sie wurden eingebürgert, oder naturalisiert. Was für ein Wort!

Jetzt sind es die Migranten, die unsere Küche bereichern, unsere Köche, und nicht zu vergessen, die Literatur.  Soll es doch unter Kritikern das von Zeit zu Zeit dringend werdende Bedürfnis geben, etwas verblüffend Neues in den laufenden Büchern erkennbar zu machen, und schon lassen sie sich berauschen und bespaßen uns, die Leser, gleich mit.

Diesmal hat es wohl Volker Weidermann erwischt. Folgt man ihm auf die aktuellen Seiten des Hamburger Nachrichten-Magazins, so erfährt man, dass es Autoren nichtdeutscher Herkunft seien, die die besten deutschen Bücher unserer Gegenwartsliteratur schreiben würden.  Dann setzt er noch eins drauf und schnippelt sich einen Vergleich. Sie könnten, sagt Weidermann, heute so eine Kraft in der deutschen Literatur sein, wie es die Juden in Deutschland vor 1933 waren.

Für den Fall, dass Sie es wirklich nicht wissen sollten: Die Muttersprache der deutschen Juden, und der aus ihrer Mitte hervorgegangenen Schriftsteller war und ist deutsch. Und sie sind auch nicht als „Einwanderer“ zu kennzeichnen. Man bedenke, seit wann sie hier leben.

Wahr ist, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von ihnen, deutsche Schriftsteller jüdischer Herkunft, zeitweise nicht in Deutschland gelebt hat. Sie, Davongejagte, gingen schweren Herzens aus ihrem Deutschland fort, sie waren im Exil.

Was - so fragt man sich - lässt den Literaturverwalter von heute zum Jubelperser werden? Die Tatsache, dass deutsche Literaturhäuser reihenweise die Einwandererliteraten feiern? Ist es mehr als nur die Beflissenheit, zum multikulturellen Modezwirn zu greifen, und dazu eifrig die Fahne des Konformismus zu schwenken? Oder ist es gar ein Ergebnis der Betrachtung der Logistik des Literaturbetriebs als Teil des Gesamtmechanismus unseres Sozialstaats?

Die einladenden Bühnen des Multikulturellen werden regelmäßig von den Einwandererbrigaden bespielt. Einer der erfolgreichsten Exponenten, ein wahrer Veteran, ein Supersurfer der ersten Welle, ist der aus Bulgarien stammende Ilia Trojanow. Weidermann zitiert ihn wie folgt: Wir brauchen eine universelle Utopie und keine europäische. Mehr muss er gar nicht sagen, um sich einschlägig zu empfehlen. 

Die Tatsachen der universellen Utopie lassen sich durchaus besichtigen, angefangen mit einem neuen Videogenre der weltumspannenden islamischen Kunst der Enthauptung.  Oder angesichts der gezielten Zerstörung Jahrtausende alter Kulturdenkmäler.

Etwas bescheidener aber nicht weniger selbst entlarvend fällt die literaturkritische Anverwandlung des Universalgeistes Trojanow aus. Der Roman „Der Weltensammler“ machte ihn in der ganzen Welt bekannt, lässt uns Weidermann wissen und den so geschmeichelten Autor, verlangte es umgehend nach alternativen, nach gelebten Visionen.

Ich aber verzichte darauf, mir die Vorteile einer ungelebt gebliebenen Vision auszumalen, um an der Stelle zu verweilen, die der Ort meiner eigenen Herkunft ist. Wir deutschen Autoren, die nicht die Beiboote der UNESCO-Galeere in Schuß gehalten haben, dafür aber in den zahlreichen deutschen Landschaften des Ostens und des Südostens die Segel der deutschen Seele hißten, wir, deren Vorfahren zu den Völkern des Kaisers Franz Josef gehörten, unter ihnen auch Deutsche und deutsche Juden, Ostjuden und Volksdeutsche. Gregor von Rezzori und Edgar Hilsenrath, Joseph Roth und Nikolaus Lenau. Ob wir alle zusammen eine Nation bleiben oder nicht, wird weder Weidermann noch Trojanow noch sonst wer entscheiden.

Machen wir es uns einfach: Werfen wir einen Blick ins Magazin, auf die Bestsellerliste der Belletristik, die auf den Artikel von Weidermann folgt. Auf Platz zwei finden wir dort Dörte Hansen, Altes Land. Es ist ein norddeutscher Heimatroman, in bester Regionaltradition. Platz sechs nimmt der Kollege Klaus Modick ein, der sich immer schon um das Oldenburgische kümmerte, und diesmal über die Künstler aus Worpswede geschrieben hat, also einen sehr deutschen Künstlerroman, über Heinrich Vogeler und die Seinen.

Die von Weidermann Genannten und – nimmt man`s genau - auch Ernannten glänzen auf dieser Liste durch Abwesenheit. Wer eine Linie von Dörte Hansen zum Heimatroman zieht, der kommt zu Hermann Sudermann und Horst Lange, und von Modicks Künstlerroman zu Peter Härtling und Gert Hofmann . Wer hingegen von Trojanow ausgeht, wird immer nur bei Trojanow landen, und auch Katja Petrowskaja führt immer nur zu Katja Petrowskaja. Und der in Bagdad geborene Abbas Khiber hat er nicht etwas von Omar Sharif? Wir wollen zwar wissen, mit wessen Geigenton sich die Komposition entfalten lässt. Trotzdem geht es in der Literatur nicht um eine Sol Gabetta.

Das Gesäusel um die jungen Weltenbummler- Bücher, macht diese zu Bausteinen der digitalen Version der Aufklärung, bei der alles gleich und gleichberechtigt und letzten Endes austauschbar ist wie Angelina Jolie. Macht es wirklich keinen Unterschied, ob ein Autor, der eine Familiensaga über die Banater Schwaben schreibt, weiß, ob diese katholisch sind oder nicht? Nein? Schließlich geht es um nichts als um das Bisschen Lokalkolorit, dass Bisschen Schnee, das jeder Pamuk braucht. Krass, nicht wahr? Was hältst du davon, Fräulein Smilla?

 

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Lukas Casutt / 29.05.2015

Einmal mehr: Einem meiner Meinung nach inhaltlich gelungener Achse-Text wird durch eine miserable Interpunktion die “Lesefreundlichkeit” derart genommen, dass zumindest ich gewisse Sätze drei- oder viermal lesen musste, bis dass ich sie verstand - ärgerlich und schade.

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