Wissen Sie, was ich an den Reaktionen über die momentane arabische Hysterie bedenklich finde? Den Umgang mit dem Begriff „Film“. „Film“ ist für viele Politiker offenbar nur ein Synonym für „irrelevant, lässlich, im Zweifel der politischen Opportunität zu opfern“. Leicht kommen da Wünsche hoch, den Macher des Youtube-13-Minüters, in dem, wie es heißt, „Mohammed verunglimpft“ werde, einfach zu verhaften oder den Film zu verbieten. Das sind eben die Vorzüge der Zensur: Dass sie die Notwendigkeit, nachzudenken und zu diskutieren, aus der Welt schafft. Funktioniert aber in Zeiten des Internet leider nicht.
Gesehen hat den Film, also den ganzen, kaum jemand. Im Netz steht nur ein unkonventionell bis hektisch zusammengeschnittener Trailer. Der ist stellenweise so krude gemacht, dass sich klare Thesen nicht ausmachen lassen. Beispiel: Mohammed sei homosexuell, behaupte er? Nein, tut er nicht. Es diskutieren lediglich zwei Protagonisten Mohammeds mögliche Homosexualität. Das ist, auch wenn das die Teilzeit-Filmkritiker in Khartum oder Tunis nicht für möglich halten, nicht dasselbe.
Womit ich nicht sage, Filme seinen ethisch nicht beurteilbar. Das sind sie, und das tun gute Filmkritiker auch. Wenn ein Film plumpe Stereotypen abliefert, kritisiert man das. Wenn er historischen Unsinn erzählt, auch. Das ist Teil eines etablierten und kulturell reichen Diskurswesens. Aber Kunsterzeugnisse sind komplizierter zu verstehen, als das momentan nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch in deutschen Parteizentralen geschieht. Es scheint, als machten wir uns ohne Not die eindimensionale Perspektive auf Kunsterzeugnisse als politische Statements zueigen. Dabei ist das ganze Phänomen – englischsprachiger Film, viral verbreitet, mit extremen Reaktionen in der moslemischen Welt – kulturanalytisch interessant. Genau mit dieser Haltung – Interesse, filmwissenschaftliche, medien- und sozialtheoretische Analyse – sollten wir ihm aber auch begegnen. Und nicht mit der Ängstlichkeit, welche ihn auf die üblen Reaktionen reduziert und daher am liebsten schnell aus der Welt schaffen würde.
Durchaus möglich, dass der Film „Innocence of Muslims“, der ganze, der offenbar nur einmal in einem Kino auf dem Hollywood-Boulevard fast ohne Publikum gezeigt wurde, Mohammed in ein provozierend schlechtes Licht rückt. Das mag für Moslems schwer erträglich sein. Gläubige Christen waren auch nicht erfreut über die jüngsten Covergestaltungen der Titanic. Aber problematisch ist, wie bereitwillig man hierzulande den Mechanismus „Internet-Film ist unschön – Botschaften brennen“ für einen Automatismus hält. Vielleicht sollte man mal hinterfragen, wann eigentlich abstruse Internetfilmchen plötzlich globale außenpolitische Krisen auslösen. Ich vermute stark, dass dieser Trailer nicht das erste Kunsterzeugnis ist, das mit dem Gedanken spielt, Mohammed könne schwul gewesen sein. Googelt man den Satz „Mohammed was gay“, kommt man jedenfalls auf über 5500 Einträge. Also: Wieso wird so wenig untersucht, auf welche Weise antiwestliche Interessengruppen die ach so spontanen Emotionsausbrüche religiös dünnhäutiger Moslems initiiert haben könnten?