Thomas Rietzschel / 21.11.2018 / 14:01 / 12 / Seite ausdrucken

Hessen: Demokratie Pi mal Daumen

Am Montag, drei Wochen nach der hessischen Landtagswahl, hat der Frankfurter CDU-Stadtrat Jan Schneider noch einmal Besserung gelobt. Fehler, wie sie am 28. Oktober vorkamen, werde es zukünftig nicht wieder geben, sagte der für die Stimmenauszählung zuständige Dezernent. Eine neue, speziell entwickelte Software soll das verhindern.

Auch würden die Schriftführer der Wahlbüros eine „Fortbildung“ durchlaufen, die sie fit machen sollte für die „telefonische Übermittlung“ der Ergebnisse, was nun wiederum den Verdacht nährt, beim Hochamt der Demokratie könnten bisher Ministranten ausgeholfen haben, die nicht wussten, wie der Fernsprechapparat zu bedienen ist.

Allein, welche Rolle spielt das schon. Am Ende, nach der nochmaligen Auszählung etlicher Stimmbezirke – allein in Frankfurt waren das 81 von 490 – blieb es bei dem, was der Landeswahlleiter errechnet und geschätzt hatte. Die Grünen dürfen sich über ein Ergebnis freuen, das sie bereits am Wahlabend bejubelten. Nach der CDU sind sie die zweitstärkste politische Kraft in Hessen, wennschon ihr Vorsprung gegenüber der SPD von 94 auf 66 Stimmen geschrumpft ist.

Gültig oder ungültig, was solls?

War also alles nur ein Sturm im Wasserglas: die ganze Aufregung über 900 Stimmen, die falschen Parteien zugeordnet wurden, über gültige Stimmzettel, die auf dem Stapel der ungültigen landet? Wen soll es jetzt noch um den Schlaf bringen, dass ganze Packen von Wahlzetteln in einem unverschlossen Wahllokal liegen blieben? Zwar ist das für den Verfassungsjuristen Joachim Wieland, Vorsitzender der „Vereinigung Deutscher Staatsrechtler“, Anlass genug gewesen, „am geordneten Ablauf der Landtagswahl“ zu zweifeln, doch hat sich die Politik längst darauf verständigt, von bedauerlichen „Pannen“ zu sprechen.

Kein Grund, länger viel Aufhebens darum zu machen, auch nicht um die „Schätzungen“. Obwohl gesetzlich nicht vorgesehen, heißt es, seien sie bei Verzögerungen der Auszählung ein probates Mittel zur Festlegung des Wahlausgangs. Lieber ein vermutetes Ergebnis auf die Schnelle als eines, auf das man warten müsste, womöglich so lange, bis die Ursachen der „Pannen“ aufgeklärt sind.

Waren sie die Folge menschlichen Versagens oder wurden sie absichtlich herbeigeführt? Mit Sicherheit zu beantworten sind die Fragen bislang nicht. Ein begründeter Anfangsverdacht für den Vorsatz besteht durchaus, da eine „erhebliche Asymmetrie der aufgetretenen Fehler zu Lasten bestimmten Parteien (CDU, FDP, AfD)“ auffalle, wie Joachim Nikolaus Steinhöfel auf der Achse schrieb. Für den Juristen wiegt dieser Verdacht so schwer, dass er zusammen mit Ramin Peymani „Strafanzeige wegen Wahlfälschung“ erstattete. 

Lieber eine echte Fälschung

Und selbst wenn dabei kaum etwas herauskommen sollte, sich der Staatsanwalt weigert, Ermittlungen aufzunehmen, wäre doch zu hoffen, dass es sich so verhält, wie es die Verfasser der Anzeige für möglich halten. Dürfte man doch so wenigstens noch von einer wissentlich verübten Straftat ausgehen. Die anfängliche Wahlfälschung wäre auf das kriminellen Verhalten Einzelner zurückzuführen. Sie könnten dafür juristisch belangt und verurteilt werden.

Sollte es sich indes um eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen gehandelt haben, stellt sich die Frage, wie es die Deutschen überhaupt mit der Demokratie halten. Tatsächlich spricht die lässige Organisation der Hessenwahl dafür, dass das Grundgesetz zunehmend als ein Regelwerk angesehen wird, auf dessen Verbindlichkeit wenig gegeben wird.

Mit der Orientierung auf die pragmatische Lösung verlieren die Paragraphen ihre Bedeutung. Liegen sie nicht rechtzeitig vor, werden Wahlergebnisse kurzerhand geschätzt und Stimmzettel schon einmal nach Belieben zugeordnet, Wahlunterlagen für jedermann zugänglich irgendwo zurückgelassen. Wie das geht und wie leicht man damit durchkommt, haben die Hessen mit ihren „Pannen“ vorgemacht: Demokratie Pi mal Daumen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

armin wacker / 21.11.2018

Ich nehm seit den letzten beiden Wahlen meinen eigenen Kuli mit.

Roland Schmiermund / 21.11.2018

Das sind die letzten Auswüchse der Berliner Republik. Deutschland muss nun seine Richtung wählen: Bananenrepublik oder echte Republik. Letzters wäre eine Stärkung des Souveräns, was aber von vielen politischen und destruktiven Kräften in den Massenmedien und Berufspolitik mit aller Kraft verhindert werden soll. Die gemachten Nester und die korrupten Netzwerke sind zu Gewinnversprechend, als das Ideal.

M. Kulla / 21.11.2018

Demokratie Pi mal Daumen und Rechtssprechung nach Gesinnungart - aber anderswo nicht an Kritik sparen und den Finger in vermeintliche Wunden legen wollen. Hauptsache “Haltung zeigen”.

Robert Bauer / 21.11.2018

Die BRD als Bananenrepublik oder Failed State zu charakterisieren wäre eine Beleidigung aller Failed States und Bananenrepubliken. Über 50 Jahre Gesamtschule bleiben zudem nicht ohne Spuren. Man sollte die Durchführung künftiger Wahlen dem Deutschen Lottoblock übertragen.

Wolfgang Kaufmann / 21.11.2018

Je mehr wir aller Welt ungefragt Nachhilfestunden geben, von oben herab, im Besserwissermodus, desto mehr wird deutlich, dass unser eigenes Niveau mit unserer Arroganz nicht Schritt halten kann. Rechnen, Schreiben und Lesen, Sorgfalt und Rechtsstaatlichkeit gelten als böse Sekundärtugenden, im Land des Bauchdenkens.

Max Gaier / 21.11.2018

LT Niederdachsen: In der Stadt Hildesheim liegt die AFD in 12 von 14 zusammengefassten Briefwahlbezirken unter ihrem Ergebnis von 8,5% für die Stadt Hildesheim,die CDU liegt in 4 von 14 Briefwahlbezirken unter ihrem Ergebnis von 30,8%. Bei der Bundestagswahl in Braunschweig erreichte die AFD bei 146657 gültigen Zweitstimmen 8,4%,in Niedersachsen 9,1%. In Braunschweig gibt es 52 Briefwahlbezirke.Die AFD kommt nur in 7 über das Gesamtergebnis von Braunschweig,in 1 BW-Bezirk stimmt das Ergebnis mit dem Gesamtergebnis von 8,4% überein. Hameln-Die AFD liegt in allen Briefwahlbezirken unter ihrem L.-Ergebnis,die CDU in allen BW Bezirken über ihrem Ergebnis. ————— In der Stadt Göttingen gab es bei der Bundestagswahl 29 Briefwahlbezirke.Die AFD kommt nur in 4 BW Bezirken über ihr Ergebnis von 6,28% bei den Zweitstimmen und zwar mit 6,88% 8,95% 6,37% und 9,03%;Statistisch gesehen müsste es logischerweise eine ungefähr gleich grosse Anzahl an BW-Bezirken geben die darüber oder darunter liegen. Die FDP liegt in 22 BW-Bezirken über ihrem Ergebnis von 9,2% DIE LINKE liegt in 10 BW-Bezirken über ihrem Ergebnis von 12,55% Die Grünen liegen in 19 BW-Bezirken über ihrem Ergebnis von 17,17% Die SPD liegt in 8 BW-Bezirken über ihrem Ergebnis von 26,06% Die CDU liegt in 17 BW Bezirken über ihrem Ergebnis von 24,15%

R.Krug / 21.11.2018

Da kann ich nur sagen BRD = Bananenrepublik Deutschland. Ein Schande.

Christian Frank / 21.11.2018

Da glaubt man, sich im Staatsrecht auszukennen und auch sonst im Leben schon einiges gesehen zu haben…aber beim Stichwort Schätzung des Wahlergebnisses fiel ich vom Glauben ab. Dass wir kein Staatsgebiet mehr haben und kein Staatsvolk, wurde uns ja bereits eingetrichtert. Dass jetzt aber die Staatsgewalt letztlich nicht von den “Wähler*innen” (oder “Wählenden”?) ausgeht, sondern auf Schätzungen beruht, ist die neueste Erkenntnis.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 25.09.2022 / 13:00 / 35

Vom heißen Herbst kalt erwischt

Die Angst geht um in den deutschen Regierungsbezirken, die Angst vor einem „heißen Herbst“. „Natürlich“, so tönt aus allen Amtsstuben, aus dem Kanzleramt sowie aus…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com