Michael Miersch / 12.05.2014 / 00:19 / 5 / Seite ausdrucken

Feindbild Bauer

Stechender Blick, knallrotes Gesicht und ein Kragen aus braunen Federn: Solch einen Charakterkopf sieht man selten auf Wahlplakaten. Die Grünen werben im Europawahlkampf mit einem Hahn. Slogan: Artgerecht statt ungerecht! Schon im vergangenen Bundestagswahlkampf rückte die Partei das Thema Landwirtschaft in den Mittelpunkt. Bei den großen Öko-Verbänden steht es ebenfalls ganz oben auf der Agenda. „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ fordert der BUND, und Greenpeace verlangt die „Abkehr von der industriellen Landwirtschaft“. Seit 2011 demonstrieren in Berlin jeden Januar Tausende unter dem Motto „Wir haben es satt!“ gegen die Agrarindustrie und für die Rückkehr zum guten alten Bauernhof. Die Teilnehmerzahl wächst, 2014 waren es 30 000.

Landwirtschaft ist das neue Feindbild. Seit Jahrzehnten eilt die grüne Bewegung von Erfolg zu Erfolg. Der Ausstieg aus der Kernkraft und die Energiewende sind beschlossen. Pflanzengentechnik findet auf deutschem Boden nicht statt. Von der Lampe bis zum Duschkopf wird ohne Öko-Segen nichts mehr produziert. Doch die Siege bereiten Umweltverbänden und Grünen ein unerwartetes Problem. Sie haben immer davon gelebt, dass es Bösewichter gab, die sie anprangern können. Finste-re Widersacher gehören zur Selbstinszenierung als Retter des Planeten. Mit jeder weiteren Branche, die aufgibt, werden solche Feindbilder knapper. Welche Kampagne hätte noch das Potenzial, Mehrheiten zu gewinnen, so wie einst der Kampf gegen Atomkraft? Mit der Ernährungswirtschaft könnte es funktionieren, denn deren Ruf ist ohnehin angeschlagen. Und an den Methoden der Stalltierhaltung und Schlachtung gibt es viel berechtigte Kritik.

Den Verbänden an der Spitze der Anti-Agrar-Bewegung geht es jedoch nicht darum, etwas zu verbessern. Sie stellen die modernen Landwirte unter den Generalverdacht, Giftmischer und Tierquäler zu sein. Als Alternative preisen sie kleine Biohöfe in Familienhand an. Doch wer möchte auf solchen Zwergbetrieben arbeiten? Mehr als zwei Drittel der selbstständigen Landwirte in Deutschland sind nicht mehr die Jüngsten. Den meisten davon fehlt ein Nachfolger. Es ist abzusehen, dass der Strukturwandel hin zur arbeitsteiligen, technisierten Landwirtschaft voranschreiten wird.

Anstatt Illusionen über Bauernhofidyllen zu verbreiten, wäre es klüger, sich mehr Gedanken darüber zu machen, wie Großbetriebe ökologischer und tierfreundlicher wirtschaften können. Leider helfen die Regularien der Bioverbände dabei nicht weiter. Denn wer sie anwendet, erntet erheblich weniger - was nur durch Erweitern der Anbaufläche kompensiert werden kann.

Intelligente Züchtung, Kunstdünger und Pflanzenschutz haben den Ertrag pro Hektar in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdreifacht. Trotz Bevölkerungswachstums musste deshalb die globale Ackerfläche kaum ausgedehnt werden. Mit den ineffizienten Biomethoden hätten die Bauern über eine Milliarde Hektar Fläche zusätzlich benötigt. Seltsam, dass eine Anbauform ökologisch genannt wird, für die man mehr Natur opfern muss.

Obendrein ist es der Öko-Lobby gelungen, konventionell erzeugte Lebensmittel als ungesünder hinzustellen. Dabei waren Biosprossen 2011 die Ursache für die schlimmste Lebensmittelverseuchung in der Geschichte der Bundesrepublik. 53 Menschen starben, bei Hunderten versagten die Nieren.

Die Zukunft liegt weder in Kleinstrukturen noch in den starren Geboten der Bioverbände. Viel wahrscheinlicher ist, dass die stetige Weiterentwicklung der modernen Landwirtschaft neue, überraschende Lösungen hervorbringen wird - wie so oft in der Vergangenheit. Wer tierfreundliche und ökologische Produktionsformen möchte, sollte Bauern darin unterstützen und sie nicht zum Feind erklären.

Erschienen im FOCUS-Magazin

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Leserpost

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Klaus Kalweit / 12.05.2014

Nachdem sie uns den Strompreis verdoppelt haben und ihn noch einmal verdoppeln werden, machen sie sich nun daran, die Lebensmittelpreise zu verdoppeln, und wenn sie das geschafft haben, werden sie die Preise ein weiteres Mal verdoppeln. Diese Menschen sind alles Dinkis oder Yuppies und haben durchschnittlich einen fünfstelligen Kontostand am Monatsende. Oder sie leben von den Steuern solcher Leute. Das Verrückte ist, daß heute die schlimmste Bodenerosion, die schlimmste Naturzerstörung und Grundwasserverseuchung gerade von diesen Zurück-zur-Natur-Aposteln zu verantworten ist. Man denke nur an die endlosen Maisfelder zur Erzeugung von Biomasse für den behaupteten Klimaschutz. Stoppt die Naturzerstörung, stoppt die Wohlstandsvernichtung, rettet das Land vor den Naturschützern!

Werner Nowak / 12.05.2014

Vor 40 Jahren oder so pflanzte mein Vater das erste mal Kartoffeln mit einer Maschine und benutzte Kunstdünger.Meine Oma meinte da kommt niemals was raus.So grosse Kartoffeln hatten sie bis dahin noch nie gehabt…

Ralf Tetzner / 12.05.2014

Weit entfernt davon die Grünen zu verteidigen, muß ich aber sagen: Schade, da hat sich wohl jemand vergaloppiert. Wer ‘Bauernhöfe statt Agrarfabriken’ propagiert, kann doch kein ‘Feindbild Bauer’ haben?! Meines Wissens werden Bauernhöfe eben von jenen Bauern betrieben, oder? Und auf Bauernhöfen wird auch Landwirtschaft betrieben, stimmts? Wenn der Artikel sich lediglich über das (anzustrebende?) Verhältnis von kleinem Bauernhof zu großem Agrarbetrieb ausgelassen hätte, dann wäre er ein Gewinn gewesen…

Peter Kammer / 12.05.2014

Klasse! Ähnlich wie Herr Miersch dürften die SED- resp. Bauernpartei-Bonzen argumentiert haben, als es um die Zwangskollektivierung der DDR-Landwirtschaft ging. In Wirklichkeit baut Her Miersch hier natürlich selbst das “Feindbild Bauer” auf und verbindet es mit seinem eigenen Feindbild “Grün”. Denn nicht der freie Landwirt ist sein Idealbild, sondern der Agrarkonzern mit entsprechenden Management-Strukturen. So gesehen darf Herr Miersch sich wohl auch freuen, dass die Strukturen in der DDR-Landwirtschaft sich über die Wende hinaus gerettet haben (googeln Sie mal nach Dr. Jörg Gerke bzw. “Das ostdeutsche Agrarkartell”). Knackpunkte, die sich tatsächlich massiv gegen die Landwirte richten wie zum Beispiel Nachbaugebühren, werden von Herrn Miersch wohl besser verschwiegen. Das würde das Bild des angeblichen Freundes der Landwirtschaft ja auch etwas ankratzen.

Chris Deister / 12.05.2014

Hä?!? Lieber Herr Miersch, da sind Sie im Jahr 1995 stecken geblieben! Damals war die Reaktion der Grünen im hessischen Kabinett Eichel auf Proteste gegen eine sie belastende Grundwasserverordnung: “das ist uns egal, die wählen uns ohnehin nicht”. *schnipp* Wer profitiert am meisten von der “Energiewende”? Pacht für Windmühlenstandplätze, Mais für “Bioenergie” (und zwar riesige Monokulturen!) etc.? Das waren noch Zeiten, als Flächenstilllegungsprämien gezahlt und Feldraine sorgsam verwildert wurden…  

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