Michael Miersch / 06.01.2015 / 00:18 / 14 / Seite ausdrucken

Wir sind das Völkchen

Mist, jetzt war Gideon Böss schneller (hach, diese jungen Leute). Ich stelle meinen Erlebnisaufsatz dennoch auf die Achse, weil ich ihn jetzt nicht wegschmeißen mag.

So wird das nichts mit der Rettung des Abendlandes. Wer in einer 3,5 Millionen-Stadt nur 300 Leute auf die Beine bringt, wird die muselmanischen Reiterhorden nicht aufhalten. Gestern versammelte sich „Bärgida“ in Berlin. Doch kein Vergleich zum großen Auftritt der Dresdener Volksgenossen: In der traditionellen Rivalität zwischen Preußen und Sachsen geht Platz eins im Marschieren eindeutig an Letztere. 

Angst machten die dreihundert Verlorenen hinter dem Roten Rathaus nicht, man bekam eher ein bisschen Mitleid, wenn man sie so enttäuscht im Regen stehen sah – eingezwängt von der zehnfachen Zahl an Gegendemonstranten (wenn man die die mitzählt, die am Brandenburger Tor vergeblich auf sie warteten). 

Äußerlich haben die Bärgida-Anhänger wenig gemein: Ganz normale Männer aller Altersklassen und Dresscodes, kaum Frauen. Dazu ein paar Deutschlandfahnen und eine norwegische (???). Wenige Schilder. Ich sah eigentlich nur zwei: „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“ und „Ich will Schweinefleisch auf dem Gartengrill. Bin ich jetzt ein Nazi?“

Nur einer hatte sich für die Fotografen herausgeputzt mit Bundeswehr-Tarnkleidung und Rauschebart. Die Fotojournalisten und Kameraleute waren zahlreich und verzweifelt auf Motivsuche. Kann gut sein, das Gideon Böss und ich morgen als Bärgida-Rädelsführer in irgendeiner Zeitung abgebildet sind. Meine schicke, schwarze Heizermütze zog jedenfalls ziemlich viele Blitzlichter an.

Auf meinem Lieblingsschild bei den Gegendemonstranten stand: „Angst, Neid und Missgunst sind schlechte Ratgeber!“ Stimmt. Die Bärgida-Gegner riefen irgendwas gegen Faschismus. Die Bärgida-Anhänger riefen: „Räumen! Räumen!“ Das war an die Polizei gerichtet, damit diese die Straßenblockade der Gegendemonstranten auflösen sollte. Was sie nicht tat. Und dann riefen alle Abendlandretter gemeinsam: „Wir sind das Volk“, was den Mitleidsfaktor nochmal erhöhte, weil es natürlich komisch wirkt, wenn ein verlorenes Häuflein behauptet, ein Volk zu sein.

Wenn ich mich für eine der beiden Versammlungen hätte entscheiden müssen, wäre ich zu den Gegendemonstranten gegangen. Gründe: Musik, viel mehr Frauen, bessere Stimmung. Allerdings waren bei Anti-Bärgida auch mehr aggressive Krakeeler, die gern ein bisschen gerauft hätten.

Vielen erfahrenen Berliner Demonstranten und Schaulustigen war das Gebotene nicht spektakulär genug. „Is ja nüscht los hier,“ beschwerte sich einer mit Zipfelmütze. Wir schauten dann noch am Brandenburger Tor vorbei. Dort hatten türkische Verbände 10 000 wackere Anti-Bärgidianer angekündigt. Was aber wohl orientalischer Übertreibungslust geschuldet war. Es kam laut RBB nur ein Zehntel der Angekündigten. Am Schluss blieben ein Häuflein ost-ukrainische Separatisten und ein paar von der Elsässer-Seuche befallene Mahnwächter. Und noch ein einzelner Protestierer, der dafür warb, dass man besser staatenlos sein soll. Ich werd’s mir überlegen.

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Leserpost

netiquette:

Thomas Schmied / 06.01.2015

Wir haben in Städten wie Köln und Berlin seit Jahrzehnten eine bestens vernetzte und, teils staatlich gefördert, organisierte Linke. Die haben Geld, die haben Strukturen und die werden von allen möglichen Institutionen unterstützt. Das herrschende Establishement sagt “ja!” zu ihnen.  Sie sind “die Guten”, weshalb es sicher kein Nachteil fürs Berufs- und gesellschaftliche Leben ist, auf der Gegendemo gesehen zu werden. ...und jetzt betrachten Sie oder Gideon Böss mal die andere Seite, die man ja jetzt “Rechte” nennt.

Ingo Heiter / 06.01.2015

Die Norwegenflagge ist natürlich eine Anspielung auf Anders Breivik.  Offenbar auf der Kundgebung toleriert.

Sebastian Häfer / 06.01.2015

Unaufgeregter amüsanter Bericht. Liest man selten dieser Tage. Andererseits gehört schon einiges an Mut dazu, ausgerechnet in Berlin auf eine Pegida Demo zu gehen. Ich zumindest würde mich das ohne Helm und Schild nicht trauen.

Marc Welker / 06.01.2015

“Angst, Neid und Missgunst” (Kernkraft, Kapitalismus und Reiche) sind die tragenden Säulen des Erfolges der politisch Linken. Scheinbar gibt es politisch korrekte und inkorrekte Ängste. Der gute Mann mit dem Schild unterschreibt Ihnen bestimmt, dass Genfood den sicheren Tod bedeutet, der Kapitalismus die Armen ärmer macht und die Welt in Wahrheit von der Familie Rothschild beherrscht wird.

Alexander Wilde / 06.01.2015

“Dazu ein paar Deutschlandfahnen und eine norwegische (???)” Da dürfte es sich bei letztgenannter wohl eher um eine 1944 vom deutschen Widerstandskämpfer Josef Wirmer entworfene Fahne gehandelt haben, die nach einem erfolgreichen Attentat auf Adolf Hitler die Fahne des neuen Deutschlands hätte werden sollen : Wikipedia - Josef Wirmer

Georg Klein / 06.01.2015

Herr Miersch, bevor Sie weiterschreiben, klären Sie doch bitte einmal restlos auf, was es mit Ihrem Beitrag http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/menschen_aus_der_mitte auf sich hat. Momentan steht im Raum, dass in diesem Beitrag Herrn Steinhöfel ein frei erfundener Text in den Mund geschoben wurde.

Maria Cebotari / 06.01.2015

Mein Töchterlein, welche im Chor der Semper Oper wirkt, habe ich gebeten, sich unter die Pegida Mischlinge zu mischen. Sie postete mir soeben einige Fotos, die sie unauffällig geschickt mit dem iPhone aufnahm. Da sind Pegidas mit Schildern, “Sachsen bleibt Deutsch”, “Keine Volksschädlinge in Deutschland”, Deutsch bleibt Deutsch” nicht etwa die Ausnahme, sondern “Brauchtum”.

Frank Wilke / 06.01.2015

Herr Miersch, haben Sie nicht auch mal eifrig gegen Atomkraft demonstriert? Jetzt machen Sie sich über PEGIDA und das primitive Völkchen lustig. Ich bin gespannt, wie Sie in zehn Jahren darüber denken werden. Ich hoffe Sie behalten recht und es löst sich alles in Wohlgefallen auf.

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