Alexander Wendt / 12.03.2014 / 14:55 / 2 / Seite ausdrucken

Energiewende: Jetzt geht’s um die Kohle

Am 22. März werden viele mitteljunge Menschen in sieben deutschen Landeshauptstädten mit Trillerpfeifen, Schildern und Club-Mate-Flaschen zu einer Rettungsaktion antreten. Rufen erst einmal Organisationen wie Campact, der BUND, attac et al. zur Hilfeleistung für irgendetwas auf, dann steht es meist schlecht um das Objekt der Fürsorge. Am 22. März heißt es jedenfalls von München bis Kiel: „Rettet die Energiewende!“ In diesem Fall vor Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel, der, wenn man einer Fotomontage auf der Campact-Webseite glaubt, gerade ein Kettensägenmassaker unter Windrädern anrichtet. Die Organisatoren von Campact wissen auch schon, wie die Politiker der gebeutelten Energiewende helfen könnten: Indem sie endlich der endlich der garstigen Vettel Kohle den Garaus machen. „Kohle nur noch zum Grillen“, lautet eine der vorbereiteten Campact-Parolen.

Die neun verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland, die obendrein demnächst vom Netz gehen, geben keine lohnende Angriffsfläche mehr ab. Deshalb bieten sich Kohlekraftwerke geradezu als neues Kampagnenfeinde an: Sie gehören noch niedergekämpft, bevor die Energiewende endlich glücklich und in Frieden leben darf. „Statt die kostengünstige Windenergie zu deckeln, muss Gabriel die klimaschädliche Braunkohle aus dem Netz drängen“, fordert Christoph Bautz, einer der führenden Campact-Aktivisten. Vor kurzem stellte die Grüne Vize-Parteivorsitzende Bärbel Höhn fest: „Die fossilen Energien werden zur Armutsfalle.“ Und Renate Künast meinte in einem Streitgespräch in der Welt: „Schon heute kann eine Windkraftanlage zu wettbewerbsfähigen Kosten Strom erzeugen – Strom aus einem neuen Kohlekraftwerk wäre nicht billiger!“

Ja, das könnte Leute tatsächlich auf die Straße treiben: günstige Windkraft deckeln, um den Verbrauchern teuren Strom aus Kohle aufzuschwatzen. Werfen wir einmal kurz den Blick auf Preise und Vergütungen. Die Strompreise an der Börse liegen bei etwa 4 Cent pro Kilowattstunde, die Herstellungskosten für Strom aus Braunkohle zwischen 3,5 und 4 Cent pro Kilowattstunde, die Vergütungen für Windstrom an Land bei rund 9 Cent, für Solaranlagen 9,19 und 13,55 Cent, und für Offshorewindanlagen bei 19 Cent pro Kilowattstunde. Nun bekommt der Betreiber eines Offshorewindrads an der Börse ja auch nur 4 Cent für seine Kilowattstunde. Die restlichen 15 Cent subventioniert ihm der Stromkunde über die EEG-Umlage, die den Unterschied zwischen dem realen Börsenpreis und der privilegierten Einspeisevergütung ausgleicht. Deshalb zahlen fast alle Stromverbraucher seit Januar 2014 6,24 Cent Grünstromförderung pro Kilowattstunde. Die Hälfte unseres Strompreises besteht inzwischen aus Abgaben und Steuern. Ein Blick auf die Preise zeigt: Die Braunkohle kann als einziger Energieträger noch einigermaßen ein Kosten decken. Und sie soll also am besten aus dem Netz gedrängt werden, damit nur noch Subventionsempfänger übrig bleiben.

Wenn Windstrom heute schon „zu wettbewerbsfähigen Preisen“ produziert werden könnte, ganz „kostengünstig“ (Campact), dann bräuchten neue Windräder ja auch keine Subventionen mehr. Aber gerade dagegen, die Subventionen für Windstrom wenigstens etwas zu drosseln, gehen ja die Energiewenderetter erklärtermaßen auf die Straße. Übrigens deckelt Gabriel auch kein einziges Windrad; jeder, der eine Baugenehmigung für einen Rotor bekommt, darf ihn auch in Zukunft errichten. Es gibt nur oberhalb einer bestimmten Grenze keine Fördergelder mehr für neue Anlagen. Für die rund 23 000 Räder, die schon in Deutschland vor sich hin rattern, ändert sich gar nichts.

Unter der Parole „rettet die Windkraftgewinne, unser Haus auf Sylt ist noch nicht abgezahlt“ demonstriert es allerdings nur noch hab so gut. Warum junge Leute mit Kaputzenpullis und lustigen Frisuren trotzdem genau dafür marschieren, gehört zu den rätselhaften Erscheinungen der Gegenwart.

Bis zum Demonstrationstag am 22. März muss ein Energiewenderetter übrigens nicht warten. Auf der Campact-Seite findet sich auch der Punkt: „Sonne und Wind mies machen? Wir halten dagegen! Werden Sie Leserbrief-Schreiber/in“. Damit das Leserbriefverfassen zugunsten von Sonne und Wind und wider die Kohl nicht so viel Mühe macht, stellt Campact schon mal die wundervolle Textbausteine bereit, etwa „die Energiewende ist der Jobmotor schlechthin“ (s. hier: https://www.campact.de/energiewende/leserbrief-aktion/redaktionen/). Die Adressen der Leserbriefressorts von der allgemeinen Zeitung Mainz bis zum Weserkurier gibt’s gleich darunter. Und nicht zuletzt den wertvollen Tipp: Der Leserbrief soll „vor allem individuell“ klingen.

Muss aber nicht. Hauptsache, Landbesitzer in Norddeutschland bekommen auch weiter ihre 100 000 Pacht pro Jahr und Windrad. Auch Weltretter müssen schließlich von irgendetwas leben.

Mehr zur Energiewende in „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ unter
http://alexander-wendt.com/der-gruene-blackout/

Oder hier als eBook herunterladen:
http://www.amazon.de/dp/B00ITZ2L7S/ref=rdr_kindle_ext_tmb

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Michael Hampf / 12.03.2014

Einen Vorschlag hätte ich: Haushalte, die sog. Ökostrom kaufen, werden abgeschaltet falls es nicht genug Ökostrom gibt (Bei Flaute in der Nacht). Es ist diesen Menschen nicht zuzumuten, ersatzweise Strom aus Kohle- oder gar Kernkraftwerken geliefert zu bekommen. Dies wäre der optimale Einsatz für das sog. Smart Grid. Vielleicht würde dann ja mal ein wenig Realismus einziehen. Es ist so wunderbar einfach, gegen Kern- und Kohlekraftwerke zu protestieren, solange der Strom aus der Steckdose kommt.

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Althoff / 12.03.2014

Wundert sich da noch jemand, dass Grüne und (Un)Geistesverwandte alles daran setzen, in den Schulen Wissensvermittlung durch Indoktrination zu ersetzen? Genetik und überhaupt Biologie kann unschuldige Kinder auf die Idee bringen, sich objektiv informieren zu wollen. Und allein die Beherrschung der Grundrechenarten und des Dreisatzes kann, korrekt angewandt, dazu führen, die Parteiführung als das zu entlarven, was sie ist: Zahlen-Analphabeten und Zahlenfälscher.

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