Das Bemerkenswerteste an der globalen Finanzkrise ist ihre schiere Dauer. Seit nunmehr fünf Jahren stecken die entwickelten Volkswirtschaften in Schwierigkeiten – viel länger, als ‘normale’ Rezessionen meistens anhalten. Und das trotz zahlloser Versuche, die industrialisierten Länder wieder auf ihren früheren stetigen Wachstumskurs zurückzuführen.
Doch trotz aller Konjunkturprogramme, Bankenrettungen, quantitativer Lockerung und einer Fülle anderer staatlicher Aktivitäten können weder die USA noch Japan, geschweige denn Europa, ihre wirtschaftlichen, finanziellen, haushalts- und geldpolitischen Probleme überwinden. In vielen Ländern spricht man von einer ‘Double-Dip’-Rezession (wobei vermutlich gleich hinter der nächsten leichten Erholung ein ‘Triple-Dip’ lauert) oder der Aussicht auf ein ‘verlorenes Jahrzehnt’ oder auch zwei wie in Japan.
Es muss eine immens frustrierende Erfahrung sein, unter diesen Bedingungen Zentralbanker oder Keynesianer zu sein. Zentralbanken haben die Märkte mit frischem und billigem Geld geradezu überschwemmt – vergebens. Allem Sparsamkeitsgerede zum Trotz haben viele Regierungen ihre Defizite in der Krise erhöht – und die Konjunktur hat sich kaum bewegt. Die gewöhnlichen Reaktionen auf gewöhnliche Rezessionen bleiben in diesen außergewöhnlichen Zeiten einfach ohne Wirkung.
Wenn man solche Maßnahmen schon früher befürwortet hatte und nun sieht, dass sie nicht funktionieren, könnten Sie dem natürlich entgegenhalten, dass man sie nur zu zögerlich eingesetzt hat. Wenn die Währungspolitik noch mehr Impulse gegeben und man die Verschuldungspolitik noch entschiedener betrieben hätte, wäre alles in Ordnung gewesen. Auch wenn solche Äußerungen gelegentlich selbst von Nobelpreisträgern unter den Ökonomen zu vernehmen sind, klingen sie ein wenig wie von Verfechtern des Kommunismus: Wenn man es nur richtig versucht hätte!
Aber vielleicht waren alle diese Aufrufe zu Wachstumsanreizen, Gelddrucken und Neuverschuldung von Anfang an vollkommen fehlgeleitet? Vielleicht hätte man etwas ganz anderes probieren sollen?
Dies ist das Kernargument des Starökonomen Vito Tanzi. In einer gerade erschienenen kurzen Streitschrift für den britischen Think Tank Politeia betont Tanzi, dass keynesianische Lösungen für die Wirtschaftskrise nicht funktionieren und dass radikale Kürzungen von Staatsausgaben in Verbindung mit weit reichenden strukturellen Reformen die einzige realistische Antwort darauf sind.
Tanzis akademische Qualifikationen sind makellos. Mit einem Doktorgrad von Harvard, Ehrentiteln von Universitäten in vier Ländern, zahllosen Auszeichnungen und sogar einem nach ihm benannten wirtschaftlichen Effekt ist er einer der namhaftesten Experten der Welt auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzen.
Tanzi ist jedoch nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler, sondern auch ein erfahrener Praktiker. Er leitete fast zwei Jahrzehnte lang die Abteilung Finanzpolitik beim Internationalen Währungsfonds und war von 2001 bis 2003 zudem Staatssekretär für Wirtschaft und Finanzen in der italienischen Regierung.
In seinem Politeia-Beitrag ‘Realistic Recovery – Why Keynesian Solutions Will Not Work’ erläutert Tanzi, dass überschuldete Länder nur drei Möglichkeiten haben, ihren Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Leider verlässt sich eine davon auf das Übernatürliche, eine ist wirkungslos und die letzte ist hart und schmerzhaft.
Die übernatürliche Lösung der Krise besteht darin, gar nichts zu tun und darauf zu warten, dass sich das Wirtschaftswachstum durch Zauberei oder einen glücklichen Zufall wieder einstellt. Sobald erst das wieder einsetzende Wachstum die Schatullen der Finanzminister füllte, würden die Staatsschulden mit der Zeit schrumpfen und die Welt wäre gerettet. Unglücklicherweise besteht keine realistische Hoffnung auf ein solches “Wirtschaftswunder”. Und selbst dann würden die im Wirtschaftsboom steigenden Zinsen es den Regierungen noch mehr erschweren, die bis dahin aufgehäuften massiven Schuldenlasten abzubauen.
Die zweite Lösung der Haushaltskrise ist der Versuch, die Konjunktur durch zusätzliche fiskalische und geldpolitische Maßnahmen zu stimulieren. Nach Tanzis Einschätzung kann auch das nicht gelingen. Sein trockener Kommentar: „Wenn Haushaltsdefizite bis zu zehn Prozent des BIP in einigen Ländern, darunter die USA und Großbritannien, das nicht geschafft haben, ist es unwahrscheinlich, dass noch höhere Defizite die erhofften Auswirkungen auf ihre Volkswirtschaften hätten.“ Er behauptet ferner, dass steigende Defizite die Finanzmärkte weiter verunsichern und sich damit als kontraproduktiv erweisen würden.
Damit bleibt nur die dritte Lösung, die zwar schmerzhaft ist, doch nach Tanzi die einzige realistische Option. Die Regierungen in hoch defizitären / hoch verschuldeten Ländern müssten ihre Ausgaben drastisch senken und zugleich ihre Volkswirtschaften reformieren, um sie flexibler und wachstumsfreundlicher zu machen.
Tanzis Empfehlung geht weit über die Aufforderungen zum Sparen hinaus, das ja meist nur eine vorübergehende Maßnahme zur Beruhigung nervöser Märkte ist. Vielmehr schwebt Tanzi etwas vollkommen anderes vor.
Vergleicht man Regierungen mit einer niedrigen Staatsquote - z.B. Australien und Korea - mit solchen mit einer hohen Staatsquote wie Frankreich und Italien, fällt zweierlei ins Auge. Erstens kann die Differenz zwischen den Staatsquoten bis zu 20 Prozent des BIP ausmachen. Zweitens gibt es jedoch keinen dementsprechenden Unterschied in der Bereitstellung und Qualität öffentlicher Güter.
Tanzi hat in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen wiederholt darauf hingewiesen, dass ab einer Staatsquote von rund 35 Prozent des BIP zusätzliche Staatsausgaben im Allgemeinen keine sozialen Grenzeffekte bewirken. Wenn das so ist, gibt er zu bedenken, warum sollten die Länder dann 45 oder 50 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für öffentliche Dienstleistungen und Umverteilung ausgeben? Statt dessen sollten sie ihre Ausgaben auf die Höhe der Industrieländer mit der niedrigsten Staatsquote senken.
Um diese Kürzungen zu erreichen, hält Tanzi es für unumgänglich, dass einige öffentliche Dienstleistungen, die gegenwärtig in Ländern mit hoher Staatsquote vom Staat erbracht werden, in Zukunft privaten Dienstleistern übertragen werden. Auf diese Weise könnten diese Leistungen in einem stärker wettbewerbsorientierten Umfeld erbracht werden, was die Kosten für die Steuerzahler verringern würde.
Wenn Ihnen Tanzis Überlegungen wie Hirngespinste vorkommen, sollten Sie sich daran erinnern, dass die Alternativen zu seiner Strategie sämtlich getestet wurden – und fehlgeschlagen sind. ‘Nichts tun’ ist nur dann eine Option, wenn Sie an göttliche Fügung glauben; Konjunkturprogramme verschärfen das Problem der Staatsschulden, ohne dabei Wachstumseffekte zu erzielen, die mehr sind als bloße Strohfeuer.
Wenn sich schließlich die Erkenntnis durchsetzt, dass diese Wirtschaftskrise keine normale Rezession ist, dann werden wir vielleicht aufhören, keynesianische Rezepte zu verwenden, und die von Tanzi empfohlenen grundlegenderen Reformen einleiten. Aber es hat schließlich auch mehrere Jahrzehnte gedauert, bis den Apologeten des Kommunismus die Ausreden ausgingen – und manche erfinden noch heute welche.
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘A radical exit from global financial crisis’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 15. August 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).