Oliver Zimski / 17.04.2018 / 06:25 / Foto: Len Rizzi/Off-shell / 33 / Seite ausdrucken

Ein Fake-Berliner teilt aus

Im Berliner „Tagesspiegel“ kam es kürzlich zu einem besonders krassen Zusammenstoß zwischen Realität und Ideologie. In der letzten Woche durfte die 66-jährige Leserin Carmen Schiemann unter dem Titel „Willst du eins auf die Fresse?“ ihre alltäglichen Erfahrungen mit Belästigungen und Vandalismus im öffentlichen Nahverkehr schildern: pöbelnde Jugendliche, die ganze Bahnhöfe mit Handy-Musik beschallen, Gruppen von Trinkern, die ungeniert auf den Bahnsteig pinkeln, überforderte oder sich wegduckende BVG-Mitarbeiter. Dabei verschwieg sie nicht, dass etliche der von ihr beobachteten Akteure offenbar einen arabischen oder osteuropäischen Migrationshintergrund besaßen. Diese offensichtliche Tatsache stand jedoch keineswegs im Vordergrund ihres Artikels. Entsprechend lautete die zentrale Forderung an Politik und BVG: „Mehr Personal auf die Bahnhöfe!“, um der grassierenden Verwahrlosung und Verrohung der Sitten Einhalt zu gebieten.

Schiemann beschrieb Beobachtungen, die jeder teilt, der wachen Auges die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin nutzt und muss damit einen Nerv getroffen haben, vermutlich weil solch authentische Darstellungen in den Medien eher selten zu finden sind. Jedenfalls war ihr Erfahrungsbericht der meistdiskutierte Beitrag der Woche im „Tagesspiegel“ und wurde in hunderten User-Kommentaren diskutiert und um eigene Erfahrungen ergänzt.

In dieser Woche kam nun ein anderer „Tagesspiegel“-Leser mit einer Art Gegenrede zu Wort. Was wie ein guter demokratischer Brauch klingt – vielleicht hatte dieser Leser den vorwiegend negativen Erfahrungen von Frau Schiemann ja andere, positivere entgegenzusetzen – entpuppte sich als Mogelpackung. Denn der von der „Tagesspiegel“-Redaktion als normaler Leser ausgegebene Autor war in Wirklichkeit ein grüner Lokalpolitiker namens Matthias Oomen. Sein Beitrag enthielt keinerlei persönliche Erfahrungen, sondern strotzte vor Ressentiments, Unterstellungen und Verdrehungen, mit einem einzigen Ziel: die Erlebnisse von Carmen Schiemann kleinzureden und diese in die rechte Ecke zu schieben.

Früher war alles besser, bis die Osteuropäer und Araber kamen“ legt Oomen der Leserin etwas in den Mund, was sie weder gesagt noch gemeint hatte. Mit krampfhafter Ironie bemüht er „meine Kindheitserinnerungen an das Berlin früherer Tage… Der Hardenbergplatz war für uns Kinder vom Bahnhof Zoo so toll, dass wir jedes Wochenende unsere Eltern anquengelten, mit uns dahin zu gehen… Und dann kamen die Osteuropäer und Araber und nahmen uns dieses Paradies weg.“

Gefühlte Berliner Kindheit

Ein kurzer Blick auf die Biografie des grünen Nachwuchspolitikers Oomen zeigt, dass er 1981 in Baden-Württemberg geboren wurde, dort auch Abitur gemacht hat und frühestens 2008 nach Berlin gezogen sein kann. Sein „Rückblick“, mit dem er den Eindruck zu erwecken versucht, er habe frühere Berliner Verhältnisse gut gekannt und könne zwischen damals und heute vergleichen, ist somit frei erfunden.

In demselben arroganten Duktus geht es weiter. Während Carmen Schiemann konkrete Erlebnisse einer einzigen Fahrt zwischen drei Bahnhöfen der U-Bahnlinie 8 beschreibt, schwadroniert Oberlehrer Oomen über den U-Bahnhof Leopoldplatz (Linien 6 und 9), lässt den Soziologen heraushängen und klatscht dann der Leserin in der Rolle eines Pegida-Sympathisanten ironischen Beifall: „Die linksversifften Gutmensch*innen behaupten, dass das, was am Leo(poldplatz) passiert, typische Armutserscheinungen sind… Was bitte sollen Armut und Kriminalität gemeinsam haben?... Heute, seitdem die Osteuropäer und Araber da sind, ist die Jugend plötzlich verdorben… Hört nur noch laut Hüpf-Hopf-Musik statt Heino.

Platter und dümmlicher kann man „Satire“ nicht simulieren! Es steht zu befürchten, dass der grüne Alles-Checker, der auch schon bei anderer Gelegenheit von sich reden machte, den Erfahrungsbericht von Carmen Schiemann gar nicht gelesen hat, sondern – getriggert durch das Reizwort „arabische Jugendliche“ – sofort zum blindwütigen Rundumschlag gegen „Rassismus“ ausholt. Dass er dies auf dem ihm eigenen Niveau im Tagesspiegel tun darf, ist das eigentlich Erschreckende. Fake- und Hate-News sind in diesem Blatt offenbar dann salonfähig, wenn sie nur dem „richtigen“ Zweck dienen. 

Wie inflationär und unreflektiert Mitglieder der „Tagesspiegel“-Redaktion die Nazikeule schwingen, zeigte sich letzte Woche auch im Beitrag von Caroline Fletscher, die sich in ihrem Artikel über die von Uwe Tellkamp, Henryk M. Broder und vielen anderen unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung 2018“ zu folgendem Satz verstieg: „Um hellhörig zu werden, muss man beim Begriff „Wiederherstellung“ nicht an das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ denken, das 1933 Juden und Oppositionelle aus ihren Posten warf.“ 

Was für ein erbärmlicher Taschenspielertrick, nur um einem Text, mit dem man nicht übereinstimmt, NS-Geruch anzuhängen. Offenbar gibt es so wenig sachliche Argumente gegen die „Erklärung“, dass deren Gegner ihr einziges Heil in Denunziation und Diffamierung sehen. Nach dem Motto: Wer es wagt, Kritik an der unkontrollierten Massenzuwanderung oder an Auswüchsen der real existierenden multikulturellen Gesellschaft zu üben, den drängen wir mit allen Mitteln in die rechte Schmuddelecke!

So stellt sich in der Nachbetrachtung auch der scheinbar demokratische Dialog zwischen zwei „Lesern“ als volkspädagogische Maßnahme heraus: Dafür, dass eine Vertreterin der Bevölkerung etwas gesehen hat, was sie nicht sehen sollte, darf ein Vertreter der Elfenbeinturm-Eliten ihr öffentlichkeitswirksam „auf die Fresse“ hauen.

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Andreas Günther / 17.04.2018

Der Tagesspiegel hat schon in den 90er Jahren politisch korrekt gerne die Herkunft von Straftätern verschwiegen. Mir fiel das immer sehr unangenehm auf, aber damals gab es noch eine Springer-Presse, die über das berichtete, was den Leser interessierte: A: Was ist passiert? und B (fast noch wichtiger): Wer war’s? Wer tut so etwas? Dass der Tagesspiegel als Vorreiter der Volkserziehung merkwürdigen Gestalten gerne ein Forum bietet, ist nichts Neues. Schade nur, dass fast alle anderen Zeitungen nachgezogen haben. Gottlob gibt es das Internet.

Norbert Rahm / 17.04.2018

Das selbstzerstörerische, extrem dogmatische und weltblinde Auftreten äußert sich leider nicht mehr nur in Worten, es wird mittlerweile auch handgreiflich. Der Zustand Berlins, oder über was auch immer gerade berichtet wurde, der wird ausgeblendet. Die Stadt ist ein Schandfleck geworden! S- und U-Bahn fahren in Berlin ist eine Erfahrung, die man nicht so einfach wegideologisieren kann! Über Hamburg und die G-20 Proteste habe ich mit Gruseln gelesen, im Großraum Nürnberg und in München stelle ich aus persönlicher Erfahrung einen Niedergang fest. Solange diese, wie soll man das nur nennen, wirre, gestörte, Bekämpfung der Kritiker Priorität hat, wird da auch nichts besser werden.

Kathrin Zimmer / 17.04.2018

Jeder, der in Berlin lebt und täglich den öffentlichen Nahverkehr benutzen muß, weiß doch, daß Frau Schiemann recht hat, da klingen solche Meinungsäußerungen wie die von Herrn Oomen wie blanker Hohn! Auf meiner Arbeitsstelle benutzen die meisten die Öffis, einfach mal, weil die Parksituation in der Innenstadt katastrophal ist und man natürlich Zeit spart. Selbst die Grünlastigsten unter meinen Kollegen meckern ( und zu recht!). Also: entweder fährt der Herr Oomen nicht mit S-und U-Bahn oder er leugnet einfach mal die Realität. Berlin hat fertig, und das betrifft die Schulen, den Nahverkehr, den BER (Flughafen) sowie auch die innere Sicherheit. Man fühlt sich ( vor allem abends nach 22 Uhr) extrem unsicher. Meist nehme ich dann doch ein Taxi, wenn mein Lebensgefährte nicht da ist. Und was noch schlimmer ist: ich habe den Eindruck, diese ganze Situation verschärft sich von Monat zu Monat…..

Dieter Petereit / 17.04.2018

Oomen ist der Geselle, der vor Gericht gestanden hat, weil es seinerseits zu einem Gewaltdelikt gegen seine Frau gekommen sein soll. Da kann es durchaus sein, dass das Verhältnis zu Gewalt ein anderes ist.

Udo Niggebrügge / 17.04.2018

Der Tagesspiegel eine “extrem linke Postille”? Wir wollen doch mal die Kirche im Dorf lassen. Obwohl ich mit der politischen Linie des Tagesspiegels oft nicht übereinstimme, behaupte ich, dass er sich hier fair verhalten hat. Er hat den Bericht von Frau Schiemann veröffentlicht, und das sicherlich nicht “aus Versehen”, wie weitere, ähnlich gelagerte Beiträge, z.B. zum Mobbing an Berliner Schulen, zeigen. Ja, er hat auch den Beitrag von Matthias Oomem veröffentlicht, jedoch als Leserbrief und nicht als Position der Zeitung. Und der Tagesspiegel hat in seiner Online-Version nicht die zahlreichen Kommentare unterdrückt, in denen Herr Oomen enttarnt wird und aus denen ihm ein Sturm von Argumenten und Meinungen entgegenschlägt. Das alles gehört zur Meinungsfreiheit, ob uns das gefällt oder nicht. Der Meinungsäußerung von Caroline Fetscher hat der Tagesspiegel drei Ausgaben später eine Replik (“Worum es uns geht”) von Vera Lengsfeld folgen lassen, was ich wiederum sehr fair fand. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass sich direkt neben dem Artikel von Frau Fetscher ein “Zwischenruf” von Barbara John zu Rückkehrhilfen fand, dessen Inhalt wohl kaum in das linksgrüne Narrativ passt. Und schließlich gibt es beim Tagesspiegel immer noch - und hoffentlich noch sehr lange - Harald Martenstein ...

B.Große-Lordemann / 17.04.2018

Matthias Oomen, lt.Wiki. Journalist und Lobbyist des Vereins “Pro Bahn”, medial negativ aufgefallen durch eine “mißverständliche” Äußerung zur erneuten Bombardierung Dresdens, findet Bahnreisen vermutlich toll und Umstände und Umfeld seit Jahren unverändert. Als kurzzeitiger Chefredakteur der Zeitschrift “Der Fahrgast” ist er selbstverständlich unvoreingenommen und kompetent. Wie komme ich nur auf den Kalauer, Nomen est Oomen?

Martin Landvoigt / 17.04.2018

Mal zum Inhalt: Oomen bemüht in pseudo-satirischer Form die gute alte Zeit. Ohne Frage weiß auch der nicht-Berliner, dass die Vergangenheit nicht rosig war, und auch wenn Oomen das nicht selbst erlegt hat, dass Drogenkriminalität und anderes Übel schon sprichwörtlich war. Was aber will Oomen damit sagen? Dass die aktuellen Probleme weniger schlimm wie die früheren waren? Oder dass es immer gleich schlimm ist? Sollen wir uns mit den Misständen anfreunden? Also nicht dagegen tun, denn früher war es ja auch nicht gut?  Er behauptet satirisch - also wohl eher das Gegenteil:  ‘Denn nur das verhindert, dass wir unsere wertvolle Zeit mit angeblichen modernen Erkenntnissen zur Gebäudekunde, sozialer Kontrolle, Armutsprävention, Sicherheitspräsenz oder den Konsequenzen des Rückzuges der öffentlichen Hand aus öffentlichen Räumen verschwenden.’ Als ob genau das getan würde. Wo aber sind dann die Erfolge dieses umfassenden Programms, zu dem sich Carmen Schiemann gar nicht ausließ?

Lieselotte Müller / 17.04.2018

@Ulrike Teich und Nico Schmidt: Die Bezugnahme auf “Sudel-Ede” ist etwas eigenartig. Wer auch immer diesen Oomen sozialisiert hat: Es war ja nicht die DDR und kann kaum noch Sudelede gewesen sein, dafür ist Oomen zu jung. Herrschte in seiner Heimat ein Mangel an Propagandisten, fällt Mathias Oomen völlig aus dem Rahmen - oder wie kommt das zustande? Im übrigen hat er z. T. recht:  Das Areal zwischen Jebensstraße und Budapester, der Hardenbergplatz und der Bahnhof Zoo waren schon vor Jahrzehnten, mindestens bereits 1990, kein “Ort der inneren Harmonie und der kleinstädtischen Glückseligkeit. Es war dort nicht sauber, sicher und alle waren freundlich.” Seither mag es ja durchaus noch schlimmer geworden sein; aber das ähnelt doch leider so ein klein wenig dem Versuch,  bestimmte Rückstände nach ihrem Geruch zu sortieren.  Große Stadt, große Ausfallerscheinungen, so ist das nunmal. Ein Ort, den ich gar nicht mehr wiedererkenne, ist hingegen der Alexanderplatz. Der war tatsächlich mal sicher und sauber; sogar, wenn dort wilde Kleinstadt-Party angesagt war.  Die Architektur war - nunja, gewöhnungsbedürftig. An die jetzige Gestaltung kann man sich aber gar nicht gewöhnen, die ist brutal (Alexa!) Und brutal sind auch die Typen, die sich dort rumtreiben - nur dass man sie heute weder an ihren Lederjacken, noch an ihren Uniformen erkennen und ihnen rechtzeitig ausweichen kann; sehr ärgerlich. - Wann das angefangen hat? Na eben - nach Sudel-Edes Zeiten ...     

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