Vera Lengsfeld / 14.05.2012 / 13:23 / 0 / Seite ausdrucken

Die schwarze Legende

In den letzten Jahren kamen so viele bundesdeutsche , linke Geschichtsmythen zu Fall, dass es Zeit ist, die Geschichte der Bundesrepublik neu zu schreiben, unter Berücksichtigung des Anteils der Staatssicherheit der DDR. Der Mörder von Benno Ohnesorg war ein Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, die Türöffner-Funktion der RAF-Terroristin Susanne Albrecht wird in den Stasiakten als „Einsatz“ beschrieben. Die Bundespräsidentenkandidatin der Linken Beate Klarsfeld musste einräumen, Material in Ostberlin empfangen zu haben und für ihre berühmte Ohrfeige von der DDR-Führung prämiert worden zu sein. Die Liste ließe sich fortsetzen…
Nun hat sich der Autor Julius Wintermanthel, nach eigenen Aussagen „seit rund vier Jahrzehnten auf unterschiedlichen Pfaden in der deutschen Kulturlandschaft unterwegs“, aufgemacht, in seinem Krimi- Debüt einer weiteren Legende zu Leibe zu rücken: der Legende vom Schweigen des Papstes zum Holocaust.
Wir erinnern uns: Anfang der 60er Jahre löste das Drama von Rolf Hochhuth „Der Stellvertreter“ weltweite Erschütterungen aus. Entscheidend für den Erfolg war die Berliner Erstaufführung der von Erwin Piscator erstellten und ins Werk gesetzten Bühnenfassung des Stücks. Es löste eine bis heute andauernde Debatte über die Rolle von Pius XII während der Zeit des Nationalsozialismus aus.
Wintermanthels Protagonist Andrian Friedhoven, ein Drehbuchautor auf dem absteigenden Ast, bekommt unerwartet den Auftrag seines Lebens: ein Drehbuch für die Verfilmung des Welterfolges zu erstellen. Statt sich unverzüglich an die Arbeit zu machen und das Stück für den Film umzuschreiben, beginnt Friedhoven zu recherchieren. Begleitet von seiner platonischen Freundin Margarethe Rabenschlag begibt er sich nach Rom, um in den Archiven des Vatikans Material für die Richtigkeit der These des Weltautors zu suchen, der im Krimi Flor Kapp heißt. Das sollte sich sehr bald als gefährlich herausstellen. Monsignore Ansbach, ein Professor für Kirchengeschichte im Vatikan, wird, kurz nachdem er seine deutschen Besucher verabschiedet hat, ermordet. Bald darauf wird auf das Domizil seiner Hausangestellten ein Brandanschlag verübt, dem Friedhoven und seine Freundin nur knapp entkommen. Auf ihren weiteren Wegen, über Zürich und Hamburg nach Israel gibt es noch mehr Tote in unmittelbarer Umgebung des Paares. Wer glaubt, eine der üblichen Hetzjagden serviert zu bekommen, wird positiv überrascht. Denn außer ein Krimi ist das Buch ein Bildungsroman-, und Entwicklungsroman, in dem der Leser auf elegante Weise viel Neues erfährt. Zum Beispiel, dass „Der Fels“, wie das Drama im Buch heißt,  in seiner Intention keineswegs neu oder singulär ist, sondern perfekt in die stalinsche Strategie passt, den Vatikan in die Nähe Hitlers zu rücken, die in Filmen und wissenschaftlichen Büchern propagiert wurde. So liest sich der Klappentext des Werkes eines sowjetischen Historikers, Scheinmann, „Der Vatikan im zweiten Weltkrieg“ wie ein Skript des Stückes über Pius XII. Scheinmanns „Antireligiöses Lehrbuch“ schaffte es 1940, in der Zeit des Hiltler- Stalin- Paktes, übrigens in die Deutsche Staatsbibliothek .
Dennoch ist Wintermanthels Plot weit entfernt von allen Verschwörungstheorien. Im Gegenteil. Er macht auf unterhaltsame Weise klar, dass es die freiwillige Akzeptanz von Halbwahrheiten ist, mit denen die Propaganda totalitärer Diktaturen erfolgreich wird, die zur Verbreitung und Festigung von Geschichtslegenden beiträgt.
Am Ende des Buches werden alle Morde aufgeklärt, wenn auch auf überraschende Weise. Der Drehbuchautor bekommt zwar nicht den Filmauftrag, dafür darf er die Frau seines Herzens ehelichen. Es bleiben aber genug Fragen offen, die den Leser gespannt auf Teil zwei der „Schwarzen Legende“ warten lassen.
Julius Wintermanthel, “Die schwarze Legende” , van Eck Verlag, 2012

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