Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie plötzlich entdeckten, dass Sie viel wohlhabender sind, als Sie angenommen hatten? Natürlich großartig. Nach der ersten Verblüffung würde Ihnen dann aber der Gedanke kommen, was Sie mit Ihren unerwarteten Reichtümern anfangen sollen. An diesem Punkt wird es meistens kompliziert.
Deutschland hat soeben von einem solchen überraschenden Reichtum erfahren. Nachdem aufgedeckt worden war, dass zwei Drittel der Goldreserven der Bundesbank im Ausland lagern, setzte eine öffentliche Debatte darüber ein, was mit dem Goldschatz des Landes geschehen solle. Es ist kein kleines Vermögen, über das wir hier reden, sondern fast 3.400 Tonnen des gelben Edelmetalls im Wert von rund 144 Mrd. €.
Die Geschichte hat einen eher kuriosen Hintergrund. Jahrzehntelang, seit der Ära des Kalten Krieges, lagerte Deutschland einen Teil seines Zentralbankgolds außerhalb der Landesgrenzen. Ein wenig davon wird in der Banque de France in Paris aufbewahrt (374 Tonnen), etwas mehr ist in den Tresoren der Bank of England in London eingeschlossen (450 Tonnen) und atemberaubende 1.536 Tonnen deutsches Gold zieren die Kellergewölbe der Federal Reserve in New York.
Wie das Gold dorthin gelangte und warum es dort blieb, ist Stoff für eine Doktorarbeit in Wirtschaftsgeschichte. Um es kurz zu machen: Ein Teil des deutschen Handelsüberschusses nach dem alten Bretton Woods System wurde in Zentralbankgold umgetauscht. Um den beschwerlichen physischen Transport des Goldes aus den Handelsdefizitländern nach Deutschland zu umgehen, zudem aus Sicherheitsgründen zu Zeiten einer Bedrohung durch die Sowjets, wurde vereinbart, einfach das Eigentum an Tausenden von Goldbarren auf die Deutschen zu übertragen. Das Gold selbst blieb jedoch dort, wo es seit jeher gewesen war: in Paris, London und New York.
All dies wäre kaum mehr als eine historische Kuriosität, wenn es nicht einen Bericht des Bundesrechnungshofs gegeben hätte. Deutschlands oberste Erbsenzähler rügten vor kurzem die Bundesbank wegen ihres laschen Goldmanagements.
Erstaunlicherweise waren die im Ausland gelagerten deutschen Goldvorräte noch nie ordnungsgemäß inspiziert und katalogisiert, geschweige denn auf Reinheit oder Qualität überprüft worden. Die Frankfurter Bundesbanker verließen sich praktisch auf das Wort ihrer ausländischen Kollegen. So ungewöhnlich das erscheint, die Bundesbank hielt es nie für erforderlich, sich zu vergewissern, dass ein Vermögen im Wert von rund 100 Mrd. € tatsächlich vorhanden war.
Mutet schon die ursprüngliche Sorglosigkeit der Bundesbank bizarr an, so ist die Debatte darüber, was mit den Reserven geschehen solle, noch bemerkenswerter. Nun reisen Bundestagsabgeordnete in der Welt herum und klopfen an die Türen der Zentralbanken, um das deutsche Gold in Augenschein zu nehmen. Ohne Erfolg: Führungen werden in den größten Golddepots der Welt normalerweise nicht angeboten.
Sogar eine basisdemokratische Aktion unter der Überschrift „Holt unser Gold heim!“ wurde gestartet. Man kann sich fast vorstellen, wie viele Deutsche sich demnächst für den guten Zweck, den nationalen Goldschatz in die Heimat zurückzubringen, goldgelbe Schleifen anheften werden.
Aber abgesehen von der eher boulevardmäßigen Aufregung gibt es einige ernsthafte Leute, die plötzlich erkannten, was für wunderbare Dinge man mit Gold im Wert von 144 Mrd. € anstellen könne. Oder auch nicht.
Der Financial Times-Autor Wolfgang Münchau schalt seine Landsleute in seiner Kolumne auf Spiegel Online für ihre übermäßige Erregung wegen des Auslandsgoldskandals. Angesichts der Tatsache, dass das deutsche BIP etwa den zwanzigfachen Wert des gesamten Bundesbankgolds habe, fand Münchau, wir sprächen eigentlich von „Peanuts“. Den Goldvorrat zu katologisieren sei lediglich „Beschäftigungstherapie für gelangweilte Notenbanker“, nicht aber ein Akt makroökonomischer Politik, schwadronierte er. Wie dem auch sei: Wenn 3.400 Tonnen Gold Peanuts sind, fragt man sich ja, wo für Herrn Münchau die ernsthaften wirtschaftspolitischen Themen anfangen.
Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, eines gewerkschaftsnahen keynesianischen Think Tanks, betrachtete die Sache mehr von der praktischen Seite. Warum nicht das Gold verkaufen und mit dem Erlös ein paar Konjunkturprogramme finanzieren? Herr Horn begründete dies damit, dass Goldbestände ohnehin nicht benötigt würden, da die Bundesbank nicht mehr für die Währungspolitik verantwortlich ist (zumindest solange der Euro existiert, möchte man hinzufügen). Die plötzliche Erkenntnis, dass mehr als 140 Mrd. € sofort für praktisch alles verwendet werden könnten, ist offensichtlich für einen Keynesianer eine zu große Versuchung, um gelassen zu bleiben.
Wolfram Weimer, Kolumnist des Handelsblatt, hatte einen kreativeren Vorschlag. Ja, das Gold sollte verkauft werden, aus all den Gründen, die auch Münchau und Horn angeführt hatten. Aber dann sei das Geld umgehend zu reinvestieren. Weimer zufolge ist das Horten von Goldbeständen unsinnig – nicht nur deshalb, weil er eine gigantische Goldblase befürchtet, die schließlich platzen könnte. Es ist außerdem totes Kapital, denn Gold bringt keine Zinsen.
Wie sieht also Weimers Lösung aus? Den Erlös in italienische, spanische und portugiesische Staatsanleihen zu investieren. Auf diese Weise könne die Bundesbank tatsächlich Zinserträge von etwa 10 Mrd. € im Jahr einnehmen! Statt das deutsche Gold zurückzuführen, würde sich Deutschland so zumindest einen Teil der Rettungsschirmgelder zurückholen, die es für die europäische Peripherie ausgegeben hat.
An diesem brillanten Gedanken überrascht nur, dass noch niemand anders darauf gekommen ist. Die einzige Frage dazu ist: Warum nur Gold verkaufen? Wenn das Investieren in die Staatsschulden der Peripherieländer ein so tolles Geschäft ist, warum nicht noch mehr deutsches Staatsvermögen verkaufen, um in die Spekulation im Mittelmeerraum einzusteigen?
Nun ja, vielleicht weil das den Unterschied zwischen Gold und Papier ausmacht. Wenn die Eurozone morgen zusammenbricht, könnte zumindest Deutschland seine neue Währung auf die zweithöchsten Goldreserven (und die höchsten Pro-Kopf-Goldreserven) der Welt stützen – ganz gleich, wo sie gelagert sind. Eine neue Deutsche Mark mit wertlosen portugiesischen Staatsanleihen zu decken, könnte etwas schwieriger werden.
Aber an solchen Peanuts würden sich nur Rechnungshöfe und andere Erbsenzähler stören.
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘Germany’s gold rush to the head’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 1. November 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).