Die gipfellose Zeit ist vorüber und die professionellen Euro-Retter sind wieder an die Arbeit gegangen. Nach dem ersten Krisentreffen der EU-Regierungschefs in diesem Jahr ist die Zukunft der europäischen Gemeinschaftswährung ebenso ungewiss wie zuvor - nicht trotz, sondern wegen des vereinbarten Fiskalpakts. Die Europäer bemühen sich nach wie vor um die Lösung der falschen Krise.
Einstweilen hat sich die deutsche Darstellung der Dinge durchgesetzt. Nach Auffassung der Kanzlerin Angela Merkel wurde die Krise dadurch verursacht, dass die Peripherieländer über ihre Verhältnisse gelebt haben. Sie drängte daher auf strengere Haushaltsvorschriften als Gegenleistung für eine weitere Finanzierung der verschiedenen Rettungsschirme. Vereinfacht gesagt: die Deutschen sind nur dann bereit, für andere Länder zu zahlen, wenn diese bereit sind, ihrerseits deutscher zu werden.
Es gibt nur ein Problem mit Merkels Logik. Sie beruht auf einer falschen Voraussetzung. Die hohe Staatsverschuldung in den Krisenländern ist ein Symptom für eine weit schwerere strukturelle Krise, aber sie ist nicht das zentrale Problem.
Die wirklich schwierigen Themen sind die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit und die Zahlungsbilanzungleichgewichte. Bei nüchterner Betrachtung der europäischen Krise fällt Merkels moralisches Lehrstück von den rechtschaffenen Deutschen gegenüber dem gewissenlosen Rest in sich zusammen.
Die Deutschen sind natürlich sehr mit sich zufrieden. Auch wenn ihr Haushalt keinen Überschuss ausweist, so ist doch zumindest das Defizit gering. Finanzminister Wolfgang Schäuble bekommt Kredite zu minimalen Zinsen. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig.
Deutsche Exporteure befinden sich auf ausgeprägtem Wachstumskurs in Schwellenmärkten. Wenn nur die Griechen, die Portugiesen und die Spanier und vielleicht auch die Italiener und die Franzosen dem ein wenig ähnlicher sein könnten, wünschen sich die Deutschen. Dann brauchten sie zumindest nicht für alle zu zahlen.
Nur verstehen die Deutschen nicht, dass nicht jeder sein kann wie sie.
Deutschlands Stärke entsteht teilweise aus der Schwäche seiner Nachbarn. Der Hauptgrund dafür, dass Deutschland sich so billiges Geld beschaffen kann wie zur Zeit, ist nicht etwa seine eigene Schuldenquote. Die offizielle Staatsverschuldung liegt bei 82 Prozent des BIP und hat damit jede unproblematische Höhe deutlich überschritten.
Die Finanzinvestoren stehen nur deshalb Schlange, um dem deutschen Fiskus Geld zu leihen, weil dieser vorübergehend wie ein sicherer Hafen wirkt, wenn man ihn lediglich mit Ländern wie Griechenland und Italien vergleicht. Auf einen solchen Erfolg können Schäuble und Merkel nicht gerade stolz sein.
Die Stärke der deutschen Wirtschaft ist also zweifelhaft. Zwar wurden in den ersten Jahren des Jahrhunderts tatsächlich kleine Schritte zur Liberalisierung des Arbeitsmarkts unternommen. Wirklich angekurbelt wurde das deutsche Wachstum jedoch durch die zehn Jahre anhaltende Politik der Lohnzurückhaltung, verbunden mit einem schwachen Euro-Kurs, der nicht mehr die Exportstärke Deutschlands abbildete, sondern die Schwäche der Peripherie.
Diese Bedingungen führten insgesamt zu einem merkantilistischen System, in dem Deutschland die Weltmärkte mit hochwertigen Erzeugnissen zu mehr als wettbewerbsfähigen Preisen überschwemmte und seinen internationalen Kunden gleichzeitig Kredit einräumte. So erfolgreich all das gewesen sein mag - tragfähig ist es nicht. Auch ist es nicht plausibel, dass die Deutschen als Steuerzahler aufgefordert werden sollten, ständig die Peripherieländer zu retten, während sie als Arbeitnehmer mit ihren niedrigen Lohnstückkosten einige der Probleme in der Peripherie überhaupt erst verursacht hatten.
Um Europa wieder ins Gleichgewicht zu bringen, braucht Deutschland eine Wechselkurssteigerung ebenso sehr wie Griechenland eine Abwertung seiner Währung. Berlin stellt ebenso sehr ein Problem dar wie Athen. Die beiden Länder repräsentieren zwei Seiten der gleichen Euro-Münze.
Und das ist der Punkt, an dem die deutsche Geschichte von den Eurosündern und -heiligen brüchig wird. Es genügt nicht, Griechenland und andere zur Umsetzung strikter Sparprogramme zu zwingen. Der Abbau des Staatsdefizits leistet keinen Beitrag zur Lösung der grundlegenderen Probleme Griechenlands. Selbst wenn es der griechischen Regierung irgendwie gelänge, ihre Bilanz auszugleichen, wäre die griechische Wirtschaft nach wie vor dem Untergang geweiht und für alle Zeit von internationalen Kapitaltransfers abhängig.
Einfach ausgedrückt: ein Sparkurs unter deutschem Mandat hätte zur Folge, dass eine beschädigte griechische Regierung eine beschädigte griechische Wirtschaft verwaltet. Die einzigen Gewinner in einem solchen Szenario wären die Deutschen, die dann auch künftig Europas Exportdampfwalze bleiben könnten.
Eine wirkliche Hilfe für Griechenland wäre hingegen ein Umfeld, in dem seine Unternehmen wieder mit ihren europäischen Wettbewerbern konkurrenzfähig wären. Bei Griechenlands unzureichender Produktivität ist dies jedoch in naher Zukunft unwahrscheinlich. Diese Entwicklung wäre nur unter einer von zwei Voraussetzungen möglich: einer griechischen Deflation (der so genannten ‘internen Abwertung’, die durch Lohnkürzungen erreichbar wäre) oder einer deutschen Inflation (beispielsweise durch beträchtliche Erhöhung deutscher Löhne).
Da Griechenland keine Deflation herbeiführen kann und Deutschland keine Inflation herbeiführen will, gibt es für die Krise keine Lösung – ganz gleich, wie sehr die griechische Regierung die Ausgaben kürzt, und ganz gleich, wie sehr Angela Merkel auf Haushaltsdisziplin pocht. Das liegt daran, dass das Haushaltsproblem nur das sichtbare Symptom einer darunter verborgenen Schieflage der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone ist.
Aus den gleichen Gründen haben die Deutschen kein Interesse daran, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet oder sie selbst die Eurozone verlassen. Beide Handlungsalternativen würden ihr Geschäftsmodell erschüttern.
So verdreht es klingt: Deutschland geht es nur so lange gut, wie seine europäischen Nachbarn zu kämpfen haben. Sobald sich die europäische Peripherie erholt, wird Deutschland seine ultraniedrigen Kreditkosten und seine Exportvorteile verlieren. Der deutsche Exportboom wäre auf der Stelle vorbei und zugleich würden für Deutschlands beträchtliche öffentliche Schuldenlast von einem Tag auf den anderen realistischere Schuldendienstkosten anfallen.
Das bedeutet, dass Deutschland versuchen wird, einen griechischen Ausstieg aus der Eurozone zu verhindern, da er den deutschen Interessen zuwiderläuft. Und natürlich hält die gleiche Logik Deutschland davon ab, selbst aus der Eurozone auszutreten. Zu verändern wäre dies nur durch eine Revolte deutscher Steuerzahler, sobald die ersten deutschen Garantien gegenüber der Eurozone in Anspruch genommen werden. Einstweilen jedoch profitiert Deutschland sogar von seinen Rettungskrediten an Griechenland, da die von Griechenland gezahlten Zinsen höher sind als Deutschlands Kreditkosten.
Für eine Lösung der europäischen Krise braucht es mehr als nur Haushaltsanpassungen. Leider ist es für eine Neuorientierung der europäischen Wirtschaft unumgänglich, dass die Deutschen ihr Wirtschaftsmodell aufgeben. Das würde auch bedeuten, den Euroraum neu zu definieren, entweder indem Deutschland hinausgedrängt wird oder indem Griechenland der Ausstieg erlaubt wird.
Berlin konzentriert sich momentan nur deshalb auf die Haushaltskrise, weil es seinen Kurs nicht ändern will. Solange die Deutschen jedoch nicht bereit sind zu akzeptieren, dass sie ein Teil des Problems sind, können sie auch anderen keine praktikablen Lösungen anbieten.
‘An EU fix stuck at German denial’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 2. Februar 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).