Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 02.09.2012 / 06:35 / 0 / Seite ausdrucken

Der Mythos von der mächtigsten Frau der Welt

Haben Sie den Namen Alexander Dobrindt schon einmal gehört? Er muss Mitglied der „Anonymen Superhelden” sein, denn der Provinzpolitiker hat soeben die „mächtigste Frau der Welt“ angegriffen - Angela Merkel. Zumindest hat das Forbes Magazine der deutschen Kanzlerin erneut diesen Titel verliehen.

Aber bei Lichte betrachtet ist Dobrindt vielleicht nur ein sterblicher Bayer … und Angela Merkel nicht annähernd so dominant, wie Forbes annimmt.

In den letzten Wochen hat Dobrindt Maßnahmen zur Rettung des Euros scharf kritisiert, den EZB-Präsidenten Mario Draghi einen Falschmünzer genannt und prognostiziert, Griechenland werde in Kürze aus dem Euro ausscheren (was es ja wirklich sollte) – alles eine offene Herausforderung von Kanzlerin Merkel. Und obwohl Dobrindt wie ein Oppositionspolitiker klingt, ist er in Wirklichkeit der Generalsekretär der Christlich Sozialen Union, Merkels bayrischer Schwesterpartei und Koalitionspartner.

In gewisser Hinsicht sind solche unverhüllten Differenzen zwischen verbündeten Parteien und „friendly fire“ von Provinzpolitikern nichts Ungewöhnliches. Stellen Sie sich Herrn Dobrindt als Deutschlands Barnaby Joyce [ein bekannter australischer Politiker aus dem ländlichen Queensland mit einer legendären Neigung zu schlagzeilenträchtigen Statements] vor, dann wird das Bild klarer. Aber daran zeigt sich eigentlich recht deutlich, dass die angeblich supermächtige Merkel ungefähr so stark ist wie eine leere Batterie. Wenn sie nicht einmal ihre eigene Koalitionsregierung zusammenhalten kann, warum sollten dann Griechen, Spanier oder Zentralbanker sie ernst nehmen?

Merkels Machtlosigkeit ist nicht allein ihre Schuld. Der letzte mächtige deutsche Regierungschef beging 1945 Selbstmord und ließ Europa als Ruinenfeld zurück. Seither war Deutschlands politisches System darauf ausgerichtet, den Aufstieg einer weiteren Hitler-ähnlichen Figur zu verhindern - aus vollkommen nachvollziehbaren Gründen.

Daher wurde das Amt des Bundeskanzlers in ein kompliziertes System gegenseitiger Kontrollen eingebettet. Der Föderalismus, das Zwei-Kammer-System, das Verhältniswahlrecht, ein Verfassungsgericht, eine unabhängige Zentralbank: Alle diese politischen Institutionen wurden eingerichtet, um die Macht der Regierung und der Person, die sie angeblich leitet, zu beschränken.

Bezeichnend ist, dass es im Grundgesetz, der deutschen Verfassung lediglich heißt: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“ (Artikel 65). Die Kabinettsmitglieder hingegen sind allein für ihre Ministerien verantwortlich und Meinungsverschiedenheiten zwischen Ministern sollen vom Kanzler geklärt werden. Grandios – die mächtigste Frau der Welt hat die Aufgabe, zwischen ihren zankenden unabhängigen Kabinettskollegen zu vermitteln.

Vergleichen Sie das einmal mit der Macht, die einem amtierenden US-Presidenten, einem britischen Premierminister oder sogar Australiens Premierministerin Julia Gillard zu Gebote steht, dann wird offensichtlich, dass von ihnen allen die deutsche Kanzlerin, ob sie nun Merkel heißt oder anders, stets die am wenigsten mächtige Position innehat. Sie kann keine Richter ernennen, sie ist nicht Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Friedenszeiten und sie hat kein Vetorecht bei Gesetzen. Was die Regierungschefs betrifft, wirken deutsche Kanzler zum Beispiel aus britischer oder amerikanischer Perspektive etwas unzulänglich.

Die Beschränkungen ihres Amtes sind aber nicht der einzige Grund für Merkels Machtlosigkeit. Sie mag keine großen Machtbefugnisse haben, doch selbst wenn sie sie hätte, wüsste sie nichts damit anzufangen. Denn Merkel fehlt sowohl das richtige Verständnis der Eurokrise als auch eine klare Strategie für ihre Lösung.

Denken Sie nur daran, dass sie zu Beginn der Krise, Anfang 2010, zunächst jede Unterstützung Griechenlands ablehnte. Einige Monate später stimmte sie für das erste griechische Rettungspaket. Sie schloss Eurobonds aus, „solange ich lebe“, führt aber durch die Hintertür des Europäischen Stabilitätsmechanismus die europäische Schuldenunion ein. Sie besteht auf Preisstabilität als dem alleinigen geldpolitischen Ziel, unterstützt aber Mario Draghis Ankündigung, den Euro um jeden Preis zu retten.

Einige ihrer Kritiker behaupten, mit allen diesen Handlungen verfolge Merkel einen raffinierten Plan, die Demokratie zu untergraben, Deutschland in einen europäischen Superstaat zu führen oder andere europäische Länder dem Diktat Berlins zu unterwerfen. Alles Unsinn.

Merkels Handlungen und Nichthandlungen mögen vielleicht real all diese Konsequenzen haben, sie entsprechen jedoch nicht ihren Absichten. Sie versucht nichts weiter, als an der Macht zu bleiben, doch ihre Führungskompetenz, geschweige denn ihre Fähigkeit, in der Eurokrise die Richtung vorzugeben, ist begrenzt. Gezügelt durch die verfassungsmäßig verordnete Schwäche, gebremst durch einen Mangel an Überzeugung und behindert durch das Fehlen ökonomischen Verständnisses, sieht man sie nicht gerade hart vor dem Wind durch die Krise segeln. Trudeln wie Treibholz wäre eine bessere Metapher.

Da verwundert es dann nicht, dass es selbst politischen Zwergen wie Dobrindt gelingt, Merkel in Verlegenheit zu bringen, indem sie ihr Autoritätsdefizit öffentlich sichtbar machen.

Und nicht nur Dobrindt: Der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, hat soeben dem Spiegel ein langes Interview gegeben, in dem er erläuterte, warum die deutsche Zentralbank sich so vehement gegen künftige Anleihenkäufe der EZB wendet.

Zur Stellungnahme zu Weidmanns kaum verhüllten Angriffen auf Mario Draghi aufgefordert, hatte Merkel keine andere Wahl, als ihn zu unterstützen und die Unabhängigkeit der Bundesbank zu bekräftigen. Ebenso, wie sie vor einigen Wochen keine andere Wahl hatte, als Draghi und die Unabhängigkeit der EZB zu stützen. Was Merkel wirklich glaubt und will, bleibt ihr gut gehütetes Geheimnis.

Und was immer das Forbes Magazine geritten hat, Merkel zur Nr. 1 der mächtigsten Frauen der Welt zu erklären, bleibt ein Rätsel. Ein Platz irgendwo zwischen Shakira (Nr. 40) und Angelina Jolie (Nr. 66) wäre angemessener gewesen. Es steht zu befürchten, dass sich das Forbes-Ranking für Frauen eigentlich nur am schönen Schein orientiert.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘The myth of mighty Merkel’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 30. August 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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