Richard Wagner / 06.05.2009 / 08:02 / 0 / Seite ausdrucken

Der Israelbeobachter. Status und Geist

Es gibt keinen Anschlag, dessen Symbolik nicht mit seinen tatsächlichen Auswirkungen konkurrieren würde, und es gibt auch kaum eine Reflexion darüber, die ohne die Schuldzuweisung auskäme. Das dürfte auch einem Bin Laden bekannt sein. Das eine wie das andere. Für die Symbolik sorgte er spätestens mit der Zerstörung der Twin Towers selbst, die Schuldzuweisung überlässt er unseren kritischen Köpfen. Das ist nicht ungeschickt.

Landen diese doch, wie man weiß, und auch Bin Laden wird es wissen, egal worum es geht, regelmäßig bei Israel oder bei den Palästinensern, oder bei beiden. Das hat, und auch dies ist bekannt, zwar herzlich wenig mit den Beweggründen der islamischen Destabilisierung zu tun, dafür aber umso mehr mit der Denkweise unserer Kolumnisten. Auf sie ist Verlass. Zumindest auf ihre Denkweise.

Es sind die altbekannten Verfechter des Kausalzusammenhangs, denen nur Schuldige und Unschuldige begegnen. Das aber liegt nicht in der Natur der Dinge, wie sie meinen, sondern in der Natur ihres Denkens. In ihrem Kopf ist Platz für genau drei Begriffe: Täter, Opfer und Dialog. Und da sie in die Schule der Dialektik gegangen sind, vor allem in jene der Dialektik der Aufklärung, sind diese Begriffe auch nicht feststehend. Man lässt vielmehr den forschenden Blick über sie gleiten, und schon sind die Täter die Opfer und die Opfer die Täter. Und was ist der Schluss, den man daraus ziehen muss? Dass, wenn alle Beteiligten im Irrtum sind, als einziges Mittel der Dialog bleibt?

Zunächst einmal betätigen sich die Herrschaften als wortgewaltige Israelkritiker. Sie schlagen sich geradezu für den begehrten Status des Israelbeobachters. Das Prinzip der Israelbeobachtung besteht darin, Israel so lange zu beobachten, bis sich eine Menschenrechtsverletzung einwandfrei dokumentieren lässt. Auf die gleiche Weise hatte man es in anderen Zeiten ja auch schon einmal zu einem so genannten Russel-Tribunal gegen die Bundesrepublik gebracht. Damals, als es noch die DDR gab, und die Sowjetunion dazu. Vielleicht wäre es hilfreich, die folgende Maxime zu beachten: Menschenrechte kann man nur verletzen, wo es sie gibt, wo sie offiziell anerkannt sind.

Israel ist nämlich ein Rechtsstaat, und daher kommen auch die meisten Probleme, die es mit unseren kritischen Intellektuellen hat. Denn sie sehen diesen Rechtsstaat in ständiger Gefahr, und zwar durch ihn selbst. Anders: Je mehr Israel seinen Rechtsstaat verteidigt, desto mehr bringt es ihn in Gefahr, könnten doch die Mittel, mit denen es ihn verteidigt, diesen Rechtsstaat untergraben. Mit genau dieser Denkschleife begleitete man früher auch die Bundesrepublik, die in den Augen des selbsternannten Bundesrepublikbeobachters ständig nach rechts zu kippen drohte, zum Polizeistaat werden konnte, indem sie nach der RAF fahndete oder gar eine Volkszählung plante. So sah man im eventuellen Datenmissbrauch seinerzeit eine größere Gefahr als in der Existenz der Stasi. Das ist auch heute nicht viel anders, bloß dass vom Datenschutz nicht mehr die Rede ist.

In den Augen unserer kritischen Intellektuellen ist es zwar zulässig, den Rechtsstaat zu verteidigen, aber keineswegs mit allen Mitteln. Die Wahl der Mittel würden am besten gleich die Israelbeobachter selbst treffen. Außer dem Schweizermesser, das dem Prinzip der friedlichen Nutzung der Waffe folgt, was bis vor einiger Zeit sogar in der Luftfahrt Konsens war, wäre wahrscheinlich nur noch der Ölzweig zugelassen. Auf israelischer Seite, versteht sich.

Bei den Palästinensern ist alles anders. Die haben keinen Staat, jedenfalls nicht offiziell, nicht wirklich, also haben sie weder einen Rechtsstaat noch einen Unrechtsstaat, dafür haben sie aber eine Regierung, im Augenblick sogar zwei, wenn ich nicht irre, und Briefmarken haben sie irgendwie auch. Aber wer hat die nicht? Schließlich will man ja auch was sammeln, und Briefmarkensammeln hat noch nie zu kriegerischen Handlungen geführt. Oder ist Ihnen ein Briefmarkenkrieg bekannt?

Mit Briefmarken ist es wie mit dem Dialog, sie tauchen in der Folge von Kriegen auf, nie als deren Ursache. Briefmarken kann jeder sammeln. Und an einer Briefmarkensammlung wird man schwerlich den Täter oder das Opfer erkennen können. Weil es bei einer Briefmarkensammlung um Vollständigkeit geht, und um sonst gar nichts. Die ideale Briefmarkensammlung deckt ein Briefmarkengebiet vollständig ab. Und so ist es auch mit dem Weltbild des Israelbeobachters.

Obwohl es ausreichend palästinensische Briefmarken gibt, wie man mir versichert, sind diese vor Ort weniger verbreitet als die Waffen, die aber nur wenig Ähnlichkeit mit einem Schweizermesser haben und so kaum der friedlichen Nutzung dienen können. Trotzdem hat der gelernte Israelbeobachter volles Verständnis für das Waffenarsenal des Palästinensers, dass jenes viel diskutierte eines Erfurter Schülers jederzeit in den Schatten stellt. Schließlich hat der Palästinenser, so unser Israelbeobachter, keine reguläre Armee zur Verfügung, die ihn gegen Israels Übergriffe verteidigen könnte. Man sieht also Gründe genug, um die Waffensammlung des Durchschnitts-Palästinensers als eine Art Briefmarkensammlung gelten zu lassen, obwohl sich darin weder ein Schweizermesser noch eine blaue Mauritius befindet. Im besten Fall noch das Blau vom Himmel, das ihm seine Führung verspricht, Hamas und Fatah, die so genannte palästinensische Autorität, und dass er letzten Endes mit dem Israelbeobachter teilt.

So hat der Palästinenser nicht nur das volle Verständnis des Israelbeobachters, er hat auch sein ganzes Mitgefühl, vor allem dieses. Weil der Israelbeobachter, genauer der Dialektiker in ihm, ohne das Vergleichen nicht auskommt, sieht er in dem Palästinenser, und das nach ausgiebiger Reflexion, den Juden, vor allem dessen Schicksal. Wenn er schon nicht die Juden vor den Nazis zu retten vermochte, ja, nicht einmal der vielgescholtenen Bundesrepublik den fatalen Rechtsruck nachweisen konnte, die Unrechtsnachfolge, so möchte er jetzt wenigstens die Palästinenser vor den Juden retten. Auch das ist kein leichtes Unterfangen. Aber man tut, was man kann. Und manchmal auch mehr.

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