Vince Ebert / 20.01.2009 / 18:44 / 0 / Seite ausdrucken

Das böse Wort mit „N“

Laut einer Umfrage haben über 40 Prozent der Deutschen Angst vor der Marktwirtschaft. Damit liegt der Kapitalismus noch vor der Klimakatastrophe und Virginia Woolf. In Zeiten der weltweiten Finanzkrise erfährt „links sein“ eine Renaissance. Sogar schon bei vielen FDP-Anhängern. Denn der entfesselte Raubtierkapitalismus hat uns alle an den Rand des Ruins getrieben. „Mehr staatliche Regulierung“ fordert der kleine Mann und vergisst dabei, dass es paradoxerweise gerade die staatliche Niedrigzinspolitik der Zentralbanken war, die die Krise verursachte. Dass sich jetzt selbst viele Politiker hinstellen und die „unverschämte Gier der Banker“ brandmarken, ist in etwa so, als ob ein Brandstifter die Streichholzindustrie für’s Feuer verantwortlich macht.
Trotzdem wird zur Zeit dem Staat wieder mal so ziemlich alles zugetraut: Die Reform der Finanzmärkte, die Rettung der Automobilindustrie, die Stabilisierung des Meeres- und des Cholesterinspiegels. Wer sich demgegenüber skeptisch zeigt, wird als unsozial beschimpft. Oder noch schlimmer – als neoliberal. 
Als neoliberal gelten hierzulande Leute, die sich mit den Gesetzen der Ökonomie den Problemen der Wirklichkeit stellen und dabei auch noch Sympathie für die Marktwirtschaft erkennen lassen. Das ist für viele Linke ungefähr genauso, als wenn man zuhause Plutonium anreichert oder einen schwunghaften Organhandel betreibt. Für Oskar Lafontaine ist ein Mensch sogar schon neoliberal, wenn er darauf besteht, das zwei und zwei vier ergibt.
Der erste prominente Neoliberale war übrigens Ludwig Erhard. Dem waren nämlich die Sorgen und Nöte der kleinen Leute erst mal ziemlich schnuppe. Erhard hat sich vornehmlich um die Interessen der Großkonzerne gekümmert. Würde er heute noch im Amt sein, dann wäre der „Vater der sozialen Marktwirtschaft“ etwa so beliebt wie Guido Westerwelle im Körper von Josef Ackermann. Bekanntlich kam jedoch unter Erhard das Wirtschaftwunder zustande. Diesen ökonomischen Ausrutscher verzeihen ihm die Linken bis zum heutigen Tage nicht.
Auch viele meiner Kabarett-Kollegen verteufeln konsequent die Marktwirtschaft und bezeichnen sich als links. Die linksten unter ihnen verdienen sogar richtig viel Geld, indem sie ihrem Publikum jeden Abend erzählen, dass die Schere zwischen reich und arm immer weiter auseinander geht. Neulich erst saß ich nach einer TV-Aufzeichnung mit einem berühmten Polit-Kabarettisten zusammen und habe ihn gefragt: „Was würdest Du eigentlich tun, wenn du im Jahr eine Million Euro zur Verfügung hättest?“ und er antwortete mir: „Ich müsste mich sehr einschränken…“
Nach außen hin erweckt er jedoch das Bild eines bescheidenen Kleinsparers. Im Gegensatz zu vielen Comedians. Die machen oft keinen Hehl daraus, dass sie es hauptsächlich wegen dem Geld machen. Dem Kabarettisten ist das zu profan. Der macht es wegen des Geldes. Außer Ost-Kabarettisten natürlich. Die sind links, aber arm. Das ist tragisch, aber konsequent.
Ist der Staat wirklich der gerechtere und bessere Unternehmer? Bei genauerer Betrachtung eher nicht. In vielen staatlichen Unternehmen sind die Gehaltsunterschiede oft messbar größer als in Privatkonzernen. Die heftigsten Ungerechtigkeiten existieren nicht in freien Marktwirtschaften, sondern in Ländern, in denen der Staat das Sagen hat. Wenn Sie das nicht glauben, dann versuchen Sie einfach mal, in Nordkorea eine Bürgerinitiative zu gründen.
Selbst der neoliberalste Großkonzern hat weit weniger Macht über mich, als ein einziger kleiner Beamter, der selbstherrlich entscheidet darf, ob mein Auto eine Feinstaubplakette bekommt.
Die Geschichte zeigt, immer dann, wenn man versucht hat, Wettbewerb und Konkurrenz zu unterdrücken, ist man damit gegen die Wand gefahren. Bestes Beispiel: Schweden. Die hatten jahrelang in Deutschland ein Zündholzmonopol. Welthölzer. Deswegen haben die Schweden auch lange Zeit nichts Brauchbares hingekriegt. Erst als das Monopol auslief, sind sie kreativ geworden. Sie haben die Zündhölzer einfach zu Möbeln zusammengeklebt.

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