Vince Ebert / 07.06.2014 / 11:32 / 6 / Seite ausdrucken

Kennste… Kennste…?

Der große Jerry Lewis sagte einmal: Es braucht Jahre, um über Nacht berühmt zu werden. 2001 habe ich zusammen mit meinen Comedy-Kollegen Roberto Capitoni und Mario Barth eine gemischte Show auf die Beine gestellt. Das Projekt hatte den hammer-witzigen Titel „Die Drei Komiker“ und schlug in der deutschen Kleinkunstszene ein wie eine Bombe. Einmal spielten wir bei einer Open Air Veranstaltung im Westerwald sogar vor über 30 zahlenden Zuschauern! Schon nach wenigen Minuten war die Stimmung auf dem Siedepunkt. Was allerdings nicht unbedingt an unserer genialen Performance lag, sondern eher an der Tatsache, dass die Veranstaltung mitten im August bei über 30 Grad im Schatten stattfand. Doch wir hielten tapfer durch. Nach der Show zahlte uns der Veranstalter die opulente Gage mit den Worten aus: „Egal, was die anderen sagen, ich fand’s gut ...“ Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Inzwischen spielen Roberto und ich unsere Programme in den renommiertesten Kabarett-Häusern der Republik. Mario dagegen muss sich immer noch mit Open Air Veranstaltungen über Wasser halten.

Rund zwei Millionen Zuschauer sehen im Schnitt seine Bühnenprogramme, die inzwischen so durchgestylt sind wie große Rock-Konzerte. Mit Bühnenbild, Pyrotechnik und Vorgruppe. Mario Barth verkauft mehr Konzertkarten als Robby Williams oder die Stones. Kein Comedian weltweit hat einen vergleichbaren Erfolg.

Ich gestehe hiermit: Auch ich bin ein großer Fan von Mario! Denn es ist ihm gelungen, die Comedy-Branche auf ein vollkommen neues Level zu heben. Mit einer künstlerischen Vision, unternehmerischem Mut, einer hohen Professionalität und – natürlich – mit einer gehörigen Portion Größenwahn. Als er 2007 die Idee hatte, das Berliner Olympia-Stadion anzumieten, um darin die größte Live-Show eines Wort-Künstlers zu veranstalten, hielten ihn alle für verrückt. Nicht wenige wünschten ihm, gnadenlos zu scheitern. Und genau das wäre tatsächlich möglich gewesen. Der Bühnen-Weltrekord 2008 war im Vorfeld alles andere als klar. Es war unmöglich vorauszusehen, ob die 70.000 Karten wirklich verkauft werden würden, oder ob sich die Aktion als gigantischer wirtschaftlicher Flop und damit als nachhaltiger Image-Verlust entpuppt hätte.

Was die vielen Barth-Kritiker übersehen, ist die unternehmerische Leistung des Berliner Großmauls. Mittlerweile hat der Barth-Konzern 50 feste Mitarbeiter. Zig weitere Techniker, Bühnenarbeiter, Veranstaltungsmanager und Ticketverkäufer leben von seinem Erfolg. Barth hat unzählige Newcomer inspiriert und die etablierten Kollegen zu neuen Geschäftsmodellen und moderneren Bühnenperformances animiert. Dadurch setzt die Comedy-Branche in Deutschland fast 300 Millionen Euro im Jahr um. Comedy-Events sind in allen Altersklassen beliebt und – Überraschung, Überraschung – auch in allen Bildungsschichten!

Insofern ist es verstörend, dass fast alle Kultur-Journalisten Mario Barth mit Häme und Missachtung übergießen: „Flache Männer-Frauen-Witze“, „peinliche, unintelligente Texte“ schreiben sie wieder und wieder. Gerade so, als ob Texte wie „She loves you – Yeah Yeah Yeah“ oder „Smoke on the water“ intellektuelle Leuchttürme darstellen. All jenen, die in Herrn Barth einen „Kollateralschaden der Demokratie“ sehen, sei gesagt: er verstößt meines Wissens nicht gegen die Genfer Konvention. Was die feixenden Journalisten nicht bedenken: Im Grunde verachten sie mit ihren vernichtenden Kritiken nicht den Künstler, sondern die Millionen Fans, denen sie zu verstehen geben: „Im Grund seid ihr alle zu blöde!“ Mehr Arroganz und Selbstgerechtigkeit geht kaum.

An Pfingsten hat Mario übrigens einen weiteren Weltrekord angekündigt. In zwei Tagen will er vor insgesamt 100.000 Fans im Berliner Olympia-Stadion auftreten. Das Bühnenbild wird dieses Mal der neue Berliner Flughafen sein. Und im Gegensatz zum Original wird die Eröffnung pünktlich und reibungslos ablaufen. 

Der Artikel ist usprünglich erschienen auf http://www.welt.de/debatte/kommentare/article128789792/Ein-Lob-auf-Mario-Barths-Groessenwahn.html

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Leserpost

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Richard Belzer / 08.06.2014

Roberto Capitoni war ja neulich bei “Wer wird Millionär”, aber nicht beim Promi-Special.

Thomas Schlosser / 07.06.2014

Bei allem Verständnis für die kollegiale Solidarität, Herr Ebert, kann ich Ihnen meinen Standpunkt nicht ersparen: Mario Barth finde ich einfach nur zum Kotzen…..

Klaus Beck / 07.06.2014

Na ja, Herr Ebert. Spricht da nur der Neid? Oder ist es eher die Sublimierung und Reaktionsbildung, die Sie zu dieser kruden Lobhudelei treiben? Ohne das Phänomen mit dem Häufchen Sch… vertiefen zu wollen, das durch die um ihn kreisenden Fliegen sicher kein intellektuell und/oder sozial höheres Niveau erreicht, kritisiere ich tatsächlich nicht die leider endemisch gewordenen “Comedians” von Barth über Mittermeier und Appelt bis Ebert mit ihren hör- und sichtbar mühsam auswendiggelernten, oft genug fremdschäm-holprig vorgetragenen und vor dem häuslichen Spiegel tausendmal mit dem Stemmeisen in den eigenen Cortex eingefrästen Witzchen mit multipler Verzahnungs- ujnd Kombinationsmöglichkeit. Nein, ich kritisiere die voranschreitende Verblödung einer Gesellschaft, an der Sie und Ihre “Comedian”-Kollegen dankenswerterweise kräftigst mitgestrickt haben. Die Komödie in der Gesamtschau der Jahrhunderte vom alten Rom bis in die Neuzeit war noch nie so flach, so gewalttätig, so abwegig sinnlos und so perseverierend egoman wie die von Barth & Co.: Hauptsache, es sind 100.000 Leute im Stadion. Dutzende von Humor-Professionalisten vom Schlage eines Kulenkampff, Ekel Tetzlaff, Loriot und Charly Rivel würden nicht mal schmunzeln über den Anspruch eines Herrn Barth, im Olympiastadion 100.000 Vertreter jenes Prekariats begrüßen zu wollen, das das identische Programm dieses “Comedians” schon 4 Mal als DVD zuhause, 3 Mal in voller Länge auf RTL angesehen sowie 12 Mal in Verbal-Häppchen in diversen Talkshows angehört hat (Herr Barth kann nämlich gar nicht sprechen - zumindest nicht außerhalb seiner rekombinanten Programm-Kalauerchen). Allerdings: Niemand muss jetzt mehr die Tafel “Lachen!” hochhalten, da alle Zuschauer definitiv jedes “Kennste ... kennnste?” tatsächlich schon kennen. 

Karl Schurz / 07.06.2014

Richdiesch… Wenn ich die Wahl hätte zwischen Mario und Vince, ja, dann würde ich Vince vorziehen. In Vince steckt mehr Anarcho. Mario ist schon zu angepasst. Aber der Erfolg gibt ihm recht.

Jochen Seelig / 07.06.2014

Das geht wieder am eigentlich Interessanten vorbei: Warum ist ein Witzeaufwärmer wie Barth so erfolgreich? Selbstverständlich bedient er den kleinsten gemeinsamen Nenner, geteilt durch Null. Das tun aber viele. Wers wissen möchte, schaut in titanic, September 2008: “Ähnlich verfährt Mario Barth; mit dem kleinen Unterschied, daß er die Stellen, die ihm als Pointen geeignet erscheinen, in ­anschwellender Lautstärke so oft wiederholt, bis der erwünschte Lacherfolg eintritt – ­unabhängig von der Qualität oder Originalität des Gebotenen. Agitatoren jeglicher Couleur verfahren seit Jahrhunderten nach d­ieser Methode, deren Erfolg vom Vertrauen des ­Publikums abhängt, das ein geheimes Einverständnis und die offene Bereitschaft, dem Vortragenden zu folgen, mitzubringen hat. In der Praxis bedeutet das: Ein Publikum, das eigens gekommen ist, um Mario Barth zuzuhören, wird ihn auch erhören. Denn darum geht es: Barths Vortrag ist ­eigentlich ein Antrag, so inbrünstig fleht seine Vortragsweise, angenommen zu ­werden.”

Chris Deister / 07.06.2014

Nun ja, hoffentlich spricht sich das mit den neuen Geschäftsmodellen nicht allzu sehr herum. Schon bei Leuten wie Michael Mittermeier, Oliver Pocher oder Mathias Riechling weiß ich beim besten Willen nicht was an denen (bzw. ihren Auftritten/Figuren) lustig sein soll. Es war mein Neffe, der mich neulich in dieser Meinung bestärkte (dachte schon ich wäre jemand dem das Komiker-Versteh-Gen fehlt). Obwohl, was wiederum lustig ist: wenn Pocher über Mario Barth herzieht - aber das ist dann eher Komik der unfreiwilligen Art… Ansonsten gilt: die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, und somit ist im mittlerweile doch sehr differenzierten Bespaßer-Markt für jeden etwas dabei. (Ich, zum Beispiel, hasse eigentlich diese GEZ-Künstler mit dem DDR-Vorhersehbarkeitscharme - aber irgendwie mag ich den Urban Priol. Beispielsweise. Also, etwa im Sinne von ‘auf meiner Skala gehört er oberen Quartil seiner Zunft’.) Eines rechne ich Mario Barth hoch an: in einer aufwändigen RTL-Show zur besten Sendezeit prangert er Fälle von Steuerverschwendung an (und es geht dort um nichts sonst!). Hut ab! Der nächste Schritt wäre dann die Einnahmeseite (d.h. die [zu hohen] Steuern und Abgaben). Es (ist und) wäre ein Beispiel, wie jemand mit seinem Ruhm und dem vielen Geld tatsächlich Gutes bewirkt und Rückgrat zeigt. Schau’n wir mal…

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