Dushan Wegner, Gastautor / 27.02.2023 / 14:00 / Foto: Pixabay / 29 / Seite ausdrucken

Auswandern und Deutschsein – funktioniert das?

Man hört Deutsche übers Auswandern grübeln, doch zu oft denken sie ausschließlich praktisch. Zu selten stellen sie "weiche" Fragen, die später überraschend schwer wiegen. Etwa: Welche Aspekte von mir würde ich in Deutschland zurücklassen?

Ein Mensch, der beruflich Rezeptionist eines Urlaubshotels ist, erzählte mir kürzlich, dass er heutzutage mehrmals wöchentlich – nur halb im Spaß – von Deutschen gefragt wird, ob sich an jenen ausländischen Urlaubsort auswandern ließe, und was die Immobilien dort kosten. Zunächst werden Fragen im Spaß gestellt, doch wir wissen ja: Aus Spaß wird Ernst – und Ernst schlägt sich dann bald mit der mittelamerikanischer Bürokratie herum.

Ich habe über die Jahre immer wieder mit Menschen gesprochen, die nicht nur übers Auswandern grübelten, sondern es auch "durchzogen". Ausnahmslos zählen die mir bekannten deutschen Auswanderer zu den Menschen, die meiner Einschätzung nach Deutschland am dringendsten bräuchte.

Ich meine nicht unbedingt primär jene mythischen »Hochgebildeten«, die den höchsten Bieter für das ihnen innewohnende Versprechen suchen. (Und wenn einer sich auch noch für Geld gewissen Diktaturen andient, dann ist sein moralisches Innenleben mir ohnehin zu vulgär, um weiter interessant zu sein.)

Ich meine die Handwerker und Anpacker, ich meine jene Menschen, die "Sachen auf die Reihe kriegen" und "zum Laufen bekommen". Nicht wenige unter den tatsächlichen Auswanderern gehören zu jenen, welche eine Gesellschaft tatsächlich in Betrieb halten. Spätestens wenn es in Spanien oder Mittelamerika einfacher ist als in Deutschland, einen bezahlbaren und verfügbaren deutschen Handwerker zu finden, wird man merken, dass nicht nur die sogenannten »Spitzenkräfte« einem Land fehlen können – und dass die "Anpacker" auf eigene, extra schmerzhafte Weise fehlen.

Was bedeutet es, ein Deutscher außerhalb Deutschlands zu sein?

Nicht wenige Auswanderer stellen bald fest, dass sie einige der zentralsten Fragen des Auswanderns nicht wirklich vorher bedacht hatten – und dass sie sie gar nicht bedenken konnten. Das Ausgewandertsein, wie auch die Liebe, das Dazwischensein und das Sehen der Farbe Rot, ist ein Zustand, den nur der versteht, der ihn fühlt, und jedes andere Verstehen ist bestenfalls Beschreiben. (Zum Vergleich: Die Formel "H2O" beschreibt das Wasser, doch alles Studium der Chemie entspricht nicht dem Gefühl, im Wasser zu ertrinken oder zuvor mit Wasser seinen Durst zu stillen.)

Was bedeutet es und wie fühlt es sich an, ein Deutscher außerhalb Deutschlands zu sein? Wer bin ich als X außerhalb von X-land? Wie und was also soll jener Rezeptionist den Deutschen antworten, welche ihn fragen, ob und wie teuer sich unter Palmen das Deutschsein fortsetzen ließe? Was bedeutet diese Frage überhaupt? (Die Bedeutung der Frage, wie auch die der Kunst, sind die Lücken, welche durch die Frage und die Kunst jeweils markiert werden. Die Frage markiert die Lücke im Verständnis. Die Kunst markiert die Lücke in der Formalisierungsmöglichkeit; extra frei nach Wittgenstein: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man Kunst machen.)

Eine sehr zentrale und oft viel zu spät gefragte Frage: Lässt sich das persönliche und/oder das kollektive Deutschsein auch außerhalb Deutschlands fortsetzen? Welche Schritte muss man dafür unternehmen? Will man es überhaupt aktiv, und wenn nicht, wie sicher ist man, dass man mit der übrigbleibenden Persönlichkeit ganz zufrieden sein wird?

Bei aller Heterogenität sind die Schweizer und das geographische Gebiete namens "Schweiz" kaum ohneeinander vorstellbar. Die Juden und Israel sind begrifflich derart untrennbar, dass es linken und muslimischen Judenhassern immer wieder als nützliche Rampe dient, auf Israel zu schimpfen und die Juden zu meinen. Wie aber verhält es sich mit den Deutschen und Deutschland?

Sollte der Rezeptionist statt aktueller Preise für Immobilien besser die Bedeutung des Deutschseins debattieren, womöglich im Vergleich zu anderen Völkern? Es würde sehr schräge Debatten an der Rezeption ergeben – und dann zwischen dem Rezeptionisten und dem Hotelchef.

"Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee"

Die Frage erfordert ja ohnehin Präzisierung, eine genauere Markierung des emotionalen Rahmens. Erlauben Sie mir, zur Präzisierung einen der bekanntesten deutschsprachigen Autoren zu zitieren, den in Prag unter Tschechen lebenden Juden Franz Kafka – also einen Menschen, für den jedes Land in mindestens einer Absicht Ausland war.Kafkas kurzer Text "Die Bäume" ist nur einen Absatz lang, und das ist er:

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar. (Franz Kafka, Die Bäume; zitiert nach gutenberg.org)

In dieser Zeit der "digitalen Nomaden" und "globalen Mobilität" meint man, das es einfach sei, einen Menschen von einem Ort an den anderen zu verschieben. Tatsächlich ist das Gewicht, das uns an einem Ort und seiner Kultur hält, viel schwerer, als wir selbst zunächst meinen könnten.Der Mensch kann sich durchaus mit dem Körper an einem Ort befinden und mit der Seele an einem anderen, und so ist er zerrissen zwischen zwei Orten. Der Wanderer ist ein Dazwischenwesen. Er versucht irgendwie zu überbrücken, die Kultur des einen Ortes am anderen Ort zu leben, wie ein Vegetarier, der Salat beim Metzger bestellt, und es passt alles nicht. Bis es dann doch passt. Genauer: Bis es dann doch "zu passen beginnt", und der Mensch sich über sich selbst wundert, warum es wohl nur scheinbar war, dass es nie passen würde.

Was soll jener Rezeptionist also antworten? Ach, man will die Gäste ja nicht in existenzielle Krisen stürzen. Also spricht man vom Wetter, von Immobilientrends und von der Bürokratie.

Eine präzise Antwort wäre die Rückfrage: "Wie sicher bist du dir, dass du eben du bleiben kannst, wenn du den Kontext deines bisherigen Ich verlässt?" Ja, selbst wenn der Grübelnde nicht nur indirekte Fragen stellen sollte, wie die nach Immobilienpreisen und Papierkram, sondern direkt fragen sollte, ob er soll oder nicht, wäre die hilfreichste Antwort nicht "Ja" oder "Nein", sondern wieder: Erkenne dich selbst!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Dushan Wegner.com

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Friedrich Richter / 27.02.2023

Nach ca. 23 Jahren in Frankreich ist dieses Land meine Heimat geworden. Wer sich ganz darauf einlässt und nicht mit einem Bein anderswo stehenbleibt, den lässt man eines Tages spüren: Jetzt gehörst du dazu. Eine wunderbare Sache. Trotzdem bin ich zum grossen Teil deutsch geblieben, aber mein Deutschsein stammt aus einer anderen Zeit und das heutige Deutschland ist mir fremd geworden. Ein Zurück ist für mich unvorstellbar. Die zwei Kulturen in mir empfinde ich als Bereicherung.

Michael Schroeder / 27.02.2023

Frau Olmes, exakt, nur Mut….. Vielen Dank und Gruß aus Kapstadt…

Stefan Hofmeister / 27.02.2023

@Nikolaus Szczepanski - “Der profanste aller Grüne war buchstäblich das Brot. Das ist es, was wir von tatsächlichen Auswanderern (auch u.a. nach CH) immer wieder hören.” - Brot und Wurst sind uns mittlerweile hinterherausgewandert. Die expandieren sogar gerade. Und das im fernen Südamerika. Hoffen wir mal, dass das deutsche Wetter nicht auch irgendwann die Nase voll hat und uns hinterherauswandert ...

Thomas Roth / 27.02.2023

Ihr Landsmann Milan Kubndera schreibt, die meisten Auswanderern gehen nicht irgendwohin, sondern von irgendwo weg.

Roland Müller / 27.02.2023

Am wichtigsten ist es, die Mentalität vom Gastland zu akzeptieren und so schnell wie möglich die Landessprache zu erlernen. Wer diese zwei Punkte nicht beherzigt, sollte am besten gleich zu Hause bleiben, weil er für alle Zeit ein Fremder im anderen Land bleiben wird.

Emma W. in Broakulla, Schweden / 27.02.2023

Mein Mann und ich sind 2009 als frischgebackene Rentner ausgewandert und haben es noch keinen Tag bereut! Wir waren aber mit dem Land indem wir nun wohnen schon über 20 Jahre vertraut, wussten also in etwa worauf wir uns einlassen. Obwohl wir gut integriert sind und auch inzwischen einen großen Bekanntenkreis und Freunde gefunden haben, so sind wir doch Deutsche geblieben. Wenn man so spät im Leben dem Geburtsland den Rücken kehrt, kann man seine Herkunft nicht mehr verleugnen und das wollen wir auch gar nicht. Wir kennen allerdings auch Deutsche die schon Jahre hier leben und quasi nur körperlich anwesend sind. Mit Herz und Seele sind sie in Deutschland, sprechen kein Wort der Sprache ihres Gastlandes und interessieren sich auch nicht für dessen Kultur. Kurz gesagt: Kein Interesse daran sich auch nur annähernd zu integrieren. Aber wie gesagt, auch wir sind und bleiben Deutsche die aber, wenn es eben zu vermeiden ist, nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollen. Auch wenn unsre Familie dort noch lebt.

Milan Viethen / 27.02.2023

@ Hr. Krauter, naja, die Schweiz ist vielleicht nicht das beste Beispiel, um indirekt über Integration zu sprechen. Ich lebe in Frankreich und bin mir darüber im Klaren, dass ich jeden Tag Ausländer bin . Ich bin aber voll integriert, dass fängt immer bei der Sprache an und werde nicht wie ein Ausländer behandelt. Es würde vielen guttun, ihr Herkunftsland mal für längere Zeit aus einer gewissen Distanz zu sehen, das Denken würde sich ändern.

Karsten Dörre / 27.02.2023

@Andrej Stoltz, “Die Scholle der Vorfahren verlässt man nicht.” - Das mag bei Sesshaften der Fall sein. In der Modernen zieht man mehrmals im Leben um, wegen Arbeit, wegen neuem Partner, wegen Internet/WLAN, wegen Klima, Wetter, Corona usw.  Da ist nichts mehr mit Erdscholle.

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