Vera Lengsfeld / 12.02.2009 / 15:18 / 0 / Seite ausdrucken

Zwölfter Februar 1989/2009

Der ungarische KP-Chef Karoly Grosz verteidigt den Beschluss seiner Partei, in Ungarn zu einem Mehrparteiensystem überzugehen. In einem Mehrparteiensystem bestünde eine größere Möglichkeit, weniger Fehler zu machen. Das sehen seine Genossen von der SED noch lange nicht so. Sie sind bis heute überzeugt, eigentlich alles richtig gemacht zu haben. Der Kurzzeit- Parteichef Egon Krenz hat gerade in Berlin im Gebäude des „Neuen Deutschland“, früher Zentralorgan der SED, sein Buch „Gefängnis- Notizen“ vorgestellt. Der Saal war mit Ewiggestrigen gut gefüllt. Die meisten Leute, die auch dem Prozess gegen Krenz beigewohnt und mit ihren Zwischenrufen immer wieder gestört hatten. Krenz wurde 1997 wegen der Toten an der Mauer zu sechseinhalb Jahren verurteilt, von denen er nur vier absitzen musste, zum Schluss im offenen Vollzug. Tagsüber durfte er Socken nach Russland verkaufen, nachts musste er ins Gefängnis zurückkehren. Nun schildert er seine Leiden und seine Standhaftigkeit gegenüber dem Klassengegner. Leseprobe:“ Eine Beamtin forderte mich auf, einen Antrag auf Aushändigung einer Thermoskanne zu stellen. “Steht mir eine zu?“, fragte ich. „Ja“, sagt sie. „Was mir zusteht, werde ich nicht erbetteln. Ich stelle keinen Antrag.“ Schreibt allen Ernstes ein Mann, der maßgeblich mitgeholfen hat, ein ganzes Volk zu Antragstellern zu degradieren.

Was sagt uns die gestrige Meinungsumfrage von Forsa , die der FDP 18 Prozent prognostiziert, wäre am nächsten Sonntag Bundestagswahl? Die CDU ist auf einem historischen Tief von 34 Prozent gelandet, trotz einer populären Kanzlerin. Oder ist die Kanzlerin so populär, weil sie die CDU schwächt? Eines ist klar: die FDP hat ihren seinerzeit von Jürgen Möllemann kreierten Traumwert nicht aus eigener Kraft geschafft, sondern sie profitiert davon, dass der Merkel- CDU die Stammwähler abhanden kommen. Ein Prozess, der „Wir sind der Mittelstand“ genannt werden könnte,  hat eingesetzt.  Die Leistungsträger der Gesellschaft entscheiden sich offensichtlich, nicht länger die Zähne zusammenzubeißen und sich alle Zumutungen bieten zu lassen. Sie erleben, dass die Große Koalition den Großbanken und den Großkonzernen Geld hinterher wirft und auf der anderen Seite denen, die sich in die soziale Hängematte gelegt haben. Der Mittelstand dagegen wird schamlos ausgebeutet. Nun   wählt er die Partei, in der die letzten Neoliberalen vermutet werden. Ob es tatsächlich zu Schwarz-Gelb kommt, selbst wenn sich dafür eine rechnerische Mehrheit ergeben sollte, wird mit jedem Tag ungewisser. Wenn die SPD weiter über 20 Prozent bleibt und die CDU über 30, besteht die Gefahr der Neuauflage der Großen Koalition.

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