Die erste Lehre, die ich aus der “Corona-Krise” ziehe, ist, dass die Gesellschaft schwach und klagsam ist und dieser offene Brief bestärkt mich in dieser Erkenntnis. Wir können nischt, wir wissen nischt und wir beklagen uns bei jeder Kleinigkeit (oh doch, das, was hier Krise genannt wird, das ist in der Tat eine Kleinigkeit). Einfach mal Haltung bewahren, sich selbst kontrollieren - unmöglich. Nein, wir brauchen keine “Äpp” und wenns Klopapier alle ist nehmen wir die aktuelle Ausgabe der Tagespresse, denn wir wissen uns zu helfen. Und ja, das nihil nocere halten wir ein, unabhängig von “Krisen”, und frei nach Nelsons “England expects…” und nein, ich bin weder linksbürgerlicher Etatist noch Hofschranze. Gejammer, elendes.
Leute, Leute. Transgenerationale Traumatisierung durch ein paar Wochen Lockdown. Noch eine Nummer grösser geht nun wirklich nicht mehr. Die Kinder, die mit gutem Essen, warmen Betten und Multimedia-Bespassung eine begrenzte Zeit mit ihren gestressten Eltern zusammen verbringen müssen, tragen also ein schweres Trauma davon und vererben ihre psychischen Corona-Schäden dann sogar an nachfolgende Generationen? Fragt doch mal bei den ganz Alten aus den “Risikogruppen” nach, was echte existentielle Not war. Was Hunger, Gewalt und Tod der Liebsten in den Seelen hinterlassen und ob wir uns nicht schämen sollten, das mit “für kurze Zeit mal zu Hause spielen und lernen” zu vergleichen. Mir geht der Missbrauch des Traumatisierungsbegriffes für jede kleine Zumutung wie “ein paar Wochen mit den Eltern zu Hause verbringen” derart auf den Geist!
Wenn es den Frauen ernst wäre mit der beruflichen Gleichberechtigung, dann müsste man alle Kindergärten und Schulen schleunigst in Form von Internaten organisieren. Das tägliche Pendeln zwischen Schule und Familie ist die Virenschleuder par excellence; das spräche für Kasernierung. Wer das nicht will, muss sich eben entscheiden. – Eine Mutter kümmert sich in Vollzeit um ein Kind und arbeitet zugleich auf ganzer Stelle? Dass das nicht geht, sagt einem ja schon der gesunde Menschenverstand. – In unseren Nachbarländern ist die Erziehung in der Gruppe völlig normal, und in den Ferien gibt es eine Ferienkolonie. So kann die Frau ihre 40 Stunden arbeiten; sie muss eben lernen loszulassen. Dort sind Mütter nicht helikoptermäßig davon überzeugt, dass sie allein die verborgenen Talente eines Malte-Torben fördern können, dem alle Therapeuten in erster Linie eine pathologische Mutterbindung bescheinigen.
Primum nihil nocere, nun nicht bezogen auf die Betreuung eines Patienten, sondern ausgedehnt auf eine Aufgabe, die Pandemie insgesamt, mithin die Gesellschaft als Patienten therapieren zu müssen. Um das auch klar zu machen schreibt sie trickreich: “Wenn wir diese Pandemie aus dem Blickwinkel betrachten, als wäre sie unsere Patientin/Klientin.” Denn klar, die Pandemie ist die Krankheit, und nicht der Patient. Der Patient ist die Gesellschaft, die durch sie therapiert werden soll.
Die Zeit, in der in unserem Land Fakten hinterfragt und über die besten Lösungsansätze gestritten wurde, ist leider vorbei. Inzwischen ist alles alternativlos. Aber wir schaffen das…
Deutschland ist derzeit so sehr mental abgerüstet und intellektuell entkernt, dass nicht einmal mehr der Wille zum elementaren Selbstschutz vorhanden ist. Haben Länder wie Frankreich oder Polen 1914 und 1939 auch zuerst den Marktplatz gefragt, ob die psychologischen Kosten der Verteidigung eventuell höher sein könnten als eine Kapitulation? – Unsere Teens und Twens empfinden es als elementarstes Menschenrecht gemeinsam zu chillen, Frauen können offenbar ohne Schnäppchen und Treuepunkte nicht leben, Männer nicht ohne Baumärkte und Linke nicht ohne Protestdemos. Dafür gehen sie auch über Leichen, jedenfalls die der anderen. – „US Cities Spanish Flu Curve“ zeigt für Denver eindrucksvoll die fatalen Folgen der zweiten Infektionswelle. Mit Hedonismus und Halbherzigkeit gewinnt man keinen Krieg.
Noch ein Gedanke. Gut, dass viele Ärzte sich nicht daran halten. Sonst müsste man viele Patienten sterben lassen, weil die Therapie auch schadet. Chemotherapie schadet, Amputationen schaden, Operationen schaden, Medikamente schaden, fast jede Therapie schadet. Pharmkologen sagen: keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Gut dass es Ärzte gibt, die den Mut haben auch mal etwas schädliches zu tun um etwas noch schlimmeres abzuwenden. Ganz unabhängig von Covid 19: Unsere Medizin ist viel zu oft viel zu wenig risikobereit. Man lässt da schonmal Patienten leiden oder sogar sterben anstatt etwas zu probieren. Ja, das kann schief gehen. Aber nichts tun geht in manchen Fällen sicher schief. Daher kommt vermutlich das enge denken einiger Ärzte, das verhindert dass manche Patienten eine korrekte Therapie bekommen. Dieses Prinzip ist das Prinzip von Angsthasen. Was man tut oder auch nicht tut hat Konsequenzen. That’s life.
Schöner Aufruf, der uns auf unsere ethische Verantwortung hinweist. Die nicht erst seit Corona den Bach runter gegangen ist. Jetzt verstärkt sich das ganze Dilemma noch bei vor erkrankten Menschen. Psychisch als auch physisch. Ich sehe keine andere Möglichkeit als die der Selbstoptimierung jedes einzelnen. Diese Zeit kann eine Chance für uns sein, neue Möglichkeiten zu erforschen, im Umgang miteinander und nicht in einer Angst, wie auch immer sie sich darstellt, hängen zu bleiben. Aktiv werden, raus gehen, ja raus gehen ist nicht verboten, sich Gedanken machen, Familie motivieren, mitzumachen. Ein Therapeut nimmt mir nicht meine Sorgen ab, er hilft mir einen Weg zu finden - eventuell. Struktur ist wichtig. Ich kann Frau Dipl.Med. Abe verstehen, aber es bleibt theoretisch.
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