Gastautor / 25.08.2016 / 06:00 / Foto: 玄史生 / 9 / Seite ausdrucken

Zivilschutz: Das Internet zwingt zur Revision

Von Ralf Ostner.

Die Lancierung des neuen Zivilschutzberichts der Bundesregierung während dem laufenden Wahlkampf, der die Sicherheit als herausragendes Thema hat, wird von Grünen und Linken gleichermassen als „Panikmache“, „Schüren und Instrumentalisierung von Ängsten“ kritisiert. Betrachte ich die meisten Reaktionen der Deutschen, auch in meinem Umfeld, so ist die verbreitertere Reaktion eher Heiterkeit, Unverständnis, Ungläubigkeit, Zweifeln am Verstand oder den Motiven der Bundesregierung, schwarzer Humor, Belustigtsein.

Auf Facebook kursieren Bilder von mit Bier vollgefüllten Kühlschränken und dem Kommentar: “Das reicht für 100 Tage!”. So ernst wird das Ganze momentan nicht genommen. Dabei ist die Sache nicht so ernst, wie es viele Verschwörungsseiten im Internet ausmalen, die neben apokalyptischen Worstcaseuntergangsszenarien reichlich Werbung für Edelmetall, ABC-Schutzanzüge, NATO-Dosenkost, Mad-Max-mäßigen SUVs, Waffen und Zivilschutzbunker schalten und sich auch damit finanzieren. Die Sache ist aber auch weniger lustig als das heitere Gemüt der meisten Deutschen, das die Realitäten zu verdrängen sucht.

Allgemein hatte der Zivilschutz in Deutschland nie eine grössere Bedeutung. Wurde im Kalten Krieg zwar mehr Gewicht darauf gelegt, so war die Einstellung doch eher, dass ein Krieg ohnehin ein Atromkrieg sein würde, dann alles aus und ohnehin egal wäre und die Überlebenden die Toten beneiden würden. Während der Kubakrise wusste ohnehin niemand wohin er flüchten sollte, sondern man betrank sich lieber, um den letzten Stunden noch eine erfreuliche Seite abzugewinnen.

Der Zivilschutzbunker war eine Touristen-Attraktion

Bewusst wurde mir das immer wieder, wenn ich als junger Mann die Schweiz besuchte. Im Hause unserer Gastfamilie hatte man einen Zivilschutzbunker wie fast in jedem Schweizer Haus, meine Gastgeber führten mich als Touristenattraktion durch selbigen und so konnte ich die dicken Stahltüren und Vorratslager bewundern, die einem eine recht romantische Vorstellung vom Krisenfall hinterliessen. Neben Dosen und eingemachter Marmelade, wurde auch Raklet gehortet: Denn im Atomkrieg wollte man es sich gemütlich machen beim Käsefondue bei Kerzenlicht, da man auf das gemeinschaftliche Hauptritual der Alpgenossen auch in Krisenzeiten nicht verzichten woillte. Der Sohn des Hauses hatte sein Zimmer mit Sweetpostern bestückt neben dem ein Örlikonsturmgewehr griffbereit für alle Fälle und ganz selbstverständlich in der Ecke stand, das jeder Wehrpflichtige nach Hause mitnehmen durfte.

Im Bücherregal das Standardwerk des Schweizer Militärs Hans Dach „Totaler Widerstand“– ein Guerillahandbuch, das auf den Erfahrungen der US-Guerillakriegsführung der Amerikaner auf den Philipinen gegen Japan aufbaute und diese Schweizer Verhältnissen angepasst hatte. Auf Einladung der Schweizer Armee besuchte ich dann noch die ausladenden Bergtunnelsystem in den Alpen, die einem wahrhaften Labyrinth glichen. Die Schweizer meinten, das wir Bayern auch zur Alpenfestung umrüsten sollten, falls der Russe käme. Zuletzt wurde mir  noch eine Brieftaubenbrigade gezeigt, die für den Fall des Ausfalls der Kommunikationssystme einsatzbereit gehalten wurde. Auf Alpenhörner schien man als Kommunikationsmittel inzwischen jedoch zu verzichten.

Viele Leute fragen sich, warum der Zivilschutzbericht gerade jetzt herauskommt. Einige vermuten dahinter Wahlkampftaktik, was zum Teil auch richtig sein dürfte. Aber abgesehen vom Timing war es ohnehin längst Zeit, dass der Zivilschutz eine Renaissance erfährt. Denn der letzte Zivilschutzbericht liegt bezeichnenderweise zwei Jahrzehnte zurück und stammt aus dem Jahre 1995, also aus einer Zeit, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, eine Konfronation mit Russland, Massenimmigration, Klimawandel und Terrorismus noch nicht so das Thema waren.

Cyberkrieg schien utopisch und irrelevant

Die Erscheinung des Zivilschutzberichts ist der neuen Weltlage geschuldet, die sich dadurch auszeichnet, dass die Welt heute vom Internet abhängig ist, Kriege, ja selbst Weltkriege nicht mehr ausgeschlossen werden können, dass der Islamismus und die Massenimmigration dazukommen und auch der Klimawandel, der - wenn die Szenarien stimmen - mehr Naturkatastrophen erwarten lässt.

1995 stand das Internet noch in den Anfängen. Als ich damals bei Focus TV arbeitete und als Vorschlag für einen Fernsehbericht einen Artikel der Computerfreakzeitschrift „Wired“ über Cyberkriegsführung auf kritische Infrastrukturen brachte, wurde dieser als zu utopisch und irrelevant abgetan. Während der US-Präsident in den 90er Jahren schon eine eigene Kommission zum Schutz kritischer Infrastrukturen gegen Cyberhackerangriffe aufgestellt hatte, war dieses Thema in deutschen Sicherheitskreisen, der Politik und ihren Medien immer noch ein weißer Fleck und völliges Neuland. Allein diesen Vorschlag gemacht zu haben, liess mich in die Ecke eines durchgeknallten, zu phantasievollen Computernerds rücken. Einer, der zuviel Illuminati und Sciencefictionromane im Chaos Computerclub gelesen und zu viel den Film 23 gesehen habe.

Das Erscheinen des Zivilschutzberichts liegt jedoch in zeitlicher Nähe mit dem neuen Weißbuch, in dem neue Sicherheitsgefahren aufgezeichnet werden, der Gründung des Cyberkommandos der Bundeswehr und der Bundesstelle für Informationssicherheit. Neben einem Krieg ist auch klar, dass Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, die wohl auch Teil eines solchen Krieges sein würden, jedoch auch von Hackergruppen oder Oragnsiserter Krminalität ausgehen können.  Sie können so ziemlich alles lahmlegen: Stromnetze und Kraftwerke, Wasserversorgungssysteme, Telekommunikation, Börsen, Industrieproduktion, Transport. Man muss sich eben auf solch einen Krisenfall einstellen. Zwar haben einige Subsytseme inzwischen Intranet, aber insgesamt ist die gesamte Gesellschaft immer noch primär vom Internet abhängig und selbst Intranetze sind nicht so hermetisch autark und abgeschlossen wie vermutet.

Helmut Schmidt ist der ungewollte Vordenker eines Bundeswehr-Einsatzes im Inland

Auch der im Weißbuch geforderte Einsatz der Bundeswehr nach innen und die nun wieder aufkommende Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht gehören zu diesem Sicherheitskomplex, der zwar auch der Abwehr des Terrorismus dienen soll, aber eben nicht hauptsächlich. Neuerdings wird angesichts des Terrorismus und der Flüchtklingskrisen wieder der Einsatz des Militärs im Innern diskutiert. Gerne verwiesen wird auf die mangelnde personale Decke von THW, Hilfsorganisationen, Polizei, manch ein Polizeigewerkschafter fordert auch noch die Aufstockung der personalen Resourcen. Aber auch sie gestehen dem Militär für den Fall des Notstandes und der Überbelastung eine neue Rolle zu. Übrigens: Zum Anlass von Helmut Schmidts Tod wurde immer wieder darauf verwiesen, dass er es war, der den Einsatz der Bundeswehr und verbündeter Militärs während der Hamburger Sturmflut trotz verfassungsrechtlicher Bedenken durchsetzte, was ihm den Ruf des Krisenmanagers und Pragmatikers einbrachte.

Helmut Schmidt ist somit der ungewollte Vordenker eines Einsatzes des Militärs, das heute in den USA und vor allem Grossbritannien unter dem Etikett des Sea Level Rise (SLR) verstanden wird – das Militär als die zentrale Krisenorganisation, wenn die steigenden Ozeanspiegel die grössten und meist bevölkerten Hafenstädte und Bevölkerungszentren entlang der Binnenflüsse infolge des Klimawandels fluten würden. Was bei all den Klimagipfeln nicht diskutiert wird, ist welche Institutionen diesen managen können, wenn sich der Klimawandel nicht mehr vermeiden ließe.  Hier bringen sich die jeweiligen Militärs selbst in die Diskussion.

Inzwischen gibt es auch die Tendenz, dass sich Bundeswehr und andere Militärs, allen voran das US- und britische Militär als zukünftige Krisenmanager kommen sehen. Bei der Bundeswehr wurden hierzu zwei wesentliche Studien in Auftrag gegeben, die ein Eingreifen der Bundeswehr innenpolitisch – wie auch außenpolitisch begründen. Zum einen die Peak-Oilstudie, die schildert, was geschehen würde wenn unsere ölbasierte Gesellschaft mangels Resourcen erodieren würde: Die Bundeswehr müsste die innere Ordnung wie auch neue Energiequellen im Ausland sichern. Zum zweiten eine Studie, die eine gesteigerte Rolle der Bundeswehr infolge von Umweltkrisen sieht, vor allem wenn Küstenstädte infolge des steigenden Ozeanspiegels geflutet würden oder andere Umweltkrisen Flüchtlingsströme auslösen.

Solche Planungen gibt es nicht nur in Deutschland

Es ist keineswegs so, dass nur die Bundeswehr solche Pläne in ihren Schubladen hat, inzwischen bereiten sich auch das US- und das britische Militär auf solche Szenarien unter dem Begriff der „vernetzten Sicherheit“ vor. Dass zu dieser vernetzten Sicherheit eben auch ein Zivilschutzbericht gehört, sollte nicht überraschen. Es zeigt zum einen, dass solche Szenarien für möglich gehalten werden, zum anderen aber auch, dass man sich auf solche Fälle wieder vorbereitet.

Ralf Ostner, 51, Diplompolitologe, Open-Source-Analyst, arbeitet als Übersetzer für Englisch und Chinesisch. Mehr vom Autor finden Sie hier

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Karl Schurz / 25.08.2016

Peak Oil Krise? Ist das vergleichbar mit der im 19. Jahrhundert prognostizierte Peak Coal Krise? Demnach sollte die Strinkohlevorräte seit fast 100 Jahren aufgebraucht sein. Oder Thomas Malthus Berechnung zufolge könne die Erde nicht mehr als eine Milliarde Menschen ernähren? Gähn. Da wirkt der mit Flüssigbrot gefüllte Kühlschrank für mich realistischer bzw. angemessener.

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