Arnold Vaatz, Gastautor / 09.01.2019 / 14:00 / Foto: Arnold Vaatz / 104 / Seite ausdrucken

“Wir ersticken”: Arnold Vaatz über Deutschland 2019

Wir haben entschieden. Spannung wie bei der Papstwahl: Am Ende siegte Annegret Kramp-Karrenbauer, die Wunschkandidatin der Kanzlerin. Gratulation. Hätten sich 17 von 999 Delegierten anders entschieden, hätte es Friedrich Merz geschafft.

Beinahe die Hälfte der Delegierten wollte das. Beinahe. Etwas mehr als ebenso viele wollten ein „Weiter so“. Und wie geht’s nun weiter? Gewiss werden wir uns schließlich zusammenraufen. Nur: Halb Europa hätte nicht derart gebannt nach Hamburg geschaut, wenn es um nichts gegangen wäre. Der CDU-Parteitag war eine Richtungsentscheidung. Für Deutschland. Und damit für Europa. Und diese Richtungsentscheidung ist gefallen. Sie war eine klare und eindeutige Niederlage für alle, die einen Politikwechsel für unser Land herbeisehnen. Man wird nachdenklich, wenn man sich erinnert, wozu dergleichen „Weiter-so-Signale“ vor 30 Jahren führten. Im Osten.

Der Hamburger Parteitag hat entschieden: Es gibt keine Korrekturen der gegenwärtigen Politik der CDU. Den unterlegenen Teil der CDU wird man beschwichtigen. Er wird sich murrend unterwerfen. In der Sache wird es keinen Millimeter Veränderung geben. Nicht in der Energiepolitik, nicht in der EZB-Geldpolitik. Nicht in der Migrationspolitik: Eine von inländischen Interessen geleitete Einwanderung ist in weiter Ferne, nicht die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Einwanderern, sondern deren Gleichsetzung findet statt. Die Ökologisierung aller Politikbereiche wird man weiter bis ins Groteske vorantreiben.

Es hilft kein „Weiter so“

Je mehr sich unsere Energiewende als europäische Geisterfahrt entpuppt, desto verbissener wird man an ihr festhalten. Immer ungezügelter wird sich die Wut auf das Auto als Inkarnation des Weltuntergangs Bahn machen. Von Fahrverboten bis zur allgemeinen Freigabe der Autos zum Abfackeln – und das nicht nur in der Nacht zum ersten Mai – ist es nur noch ein kleiner Schritt. Die Genderideologie wird weiter in alle Bereiche der Sprache, der Kultur und des täglichen Lebens eingebaut, dies und der seit Jahren währende Generalangriff auf die traditionelle Familie wird die Gesellschaft von Grund auf verändern. Die CDU ist zu solchen Tendenzen längst kein Gegengewicht mehr und weigert sich bis jetzt, es wieder zu werden. Auf den geräumten Positionen der CDU turnt die AfD herum; mit Rückendeckung aus Moskau. Ihre Stärke ist der Gradmesser für die schwindende Integrationskraft der CDU.

Diese aber gilt es zurückzugewinnen. Mit welcher Führung auch immer. Indem wir die Augen öffnen für unsere wirklichen Probleme: Linke und Rechte gehen aufeinander los wie seit der Weimarer Republik nicht mehr. Ost und West driften auseinander wie seit 30 Jahren nicht: Wut im Westen auf den Osten und Zweifel im Osten an der Zurechnungsfähigkeit des Westens. Osteuropa wendet sich immer mehr ab von Brüssel. Die Amerikaner dito. In Frankreich, Italien und Österreich spielen die EU-Gegner mit den Muskeln. Der Brexit reduziert das Gewicht Nordeuropas. Da ist Putins Krieg in der Ukraine; da ist der jämmerliche Zustand der Bundeswehr; da sind die Betonbarrieren vor den Weihnachtsmärkten. Wir überfordern unsere Solidarsysteme. Wir ersticken in endlosen Verfahren. Die Medien senden an den Menschen vorbei.

Es hilft kein „Weiter so“. Entweder wir ziehen den Kopf aus dem Sand oder wir verlieren ihn. Und das im Mauerfall-Jubiläumsjahr 2019.

Der Autor Arnold Vaatz, Jahrgang 1955, ist CDU-Politiker aus Sachsen. Er war 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Dresden. Heute ist er einer der Vize-Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.Dieser Beitrag erschien auch in der SUPERillu.

Foto: Arnold Vaatz CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Andreas Rochow / 09.01.2019

Wann und wo haben Sie, lieber Arnold Vaatz, in den gefühlt letzen 30 Jahren einmal am Mikrofon des hohen Hauses gesunden Menschenverstand ausgerufen, kritisiert, was zu kritisieren ist, den Finger in die Wunde gelegt, das unverantwortliche Parlament geweckt mit einer heilsamen “Provokation”? Ich kann mich nicht daran erinnern. Es ist geradezu erbärmlich, dass Sie nun so tun, als hätten Sie nicht die Möglichkeit dazu gehabt. Ihr Posten als einer der stellv. Fraktionsvorsitzenden wird Sie abgehalten haben, also keine Kurskorrektur, also weiterso! Es muss ja die reine Angst um die Pfründe umgehen! Einen Kopf, den man schon verloren hat, braucht man nicht mehr in den Sand zu stecken. Zu Merkel und ihrer CDU ist alles gesagt; Historiker werden es aufschreiben und verwundert fragen, wie es passieren konnte, den Merkelismus zu installieren und dabei die Zivilgesellschaft an den Rand eines Bürgerkriegs zu treiben, der Energiesicherheit den Garaus zu machen, akademische Eliten zu vertreiben und mit Verfassung und mit Gesetzen nach Gutsherrenart umzugehen. Die CDU, speziell ihr parlamentarisches Personal sowie die Delegierten von Hamburg sind in ihrer Untertanentreue so schief gewickelt, so demokratievergessen, dass die Karten neu gemischt und ein Neuanfang gewagt werden sollte. Sie sehen das doch genau so, es sei denn - sorry, Ihre Worte - Sie haben den Kopf schon verloren.

Albert Sommer / 09.01.2019

“Wir haben entschieden. Spannung wie bei der Papstwahl”. Ja sehen Sie, ich vermochte da keine Spannung abseits einer von Merkel -ohnehin innerparteilich mit dem Rücken zur Wand stehend-  initiierten Phrase erkennen. Jedenfalls keine größere, als hätte die SED vor 89` die Wiederwahl Erich Honeckers simuliert. Auch möchte ich ergänzen, dass eben nicht nur Energiewende sich als europäische Geisterfahrt entpuppt. Es stellt sich eher die Frage, auf welcher Strecke die CDU nicht längst die Straßenschilder nur noch aus dem Rückspiegel lesen kann. Nichts desto trotz möchte ich Ihnen für Ihren aufrichtigen Artikel danken, als ehemaliger CDU-Wähler ist es zumindest tröstend, wenn sich doch noch nicht alle CDUler als die zukünftigen Sozialdemokraten verstehen und langsam erkennen, das ein Großteil der ach so bösen AFD-Positionen doch eigentlich aus dem Geburtshaus der CDU entstammen.  Diesem Mut, heute noch in solcher Klarheit die Irrwege der eigenen Partei “den Mund” zu benennen muss man Respekt zollen.

Bernd Diefenbach / 09.01.2019

Mitgegangen mitgehangen, die CDU unter Führung ihrer großen (Ex)Vorsitzenden hat ohne Not die Lebensweise die wir für uns als länger hier schon Lebende für gut befunden hatten zerstört. Ich widerspreche ausdrücklich den von der “großen Koalition” vorgenommenen Änderungen, ausdrücklich! Ich spreche kein Mitglied der Regierungsparteien frei von Schuld, keines.  Jedes CDU/CSU/SPD Mitglied hätte zu jeder Zeit die Partei verlassen können, aber Verlustangst hat diese bei der Stange gehalten. 11 Minuten Beifall klatschen, Bestätigung der Gottkanzlerin in allen Punkten, keiner hat die “Regierung” beim Atomausstieg gestoppt, keiner stoppt diesen Wahnsinn mit den Windrädern, das Volk wurde um den Asylwahn durchzuprügeln beschimpft. Zensurgesetz, Billionensicherung von maroden EU Mitgliedern. Die aktuelle Sau im Dorf, die deutsche Autoindustrie. Usw. Zu keiner Zeit war irgendetwas alternativlos. Nein, da haben Sie recht, es hilft kein weiter so, aber auch wenn es langsam geht, Änderungen sind in Sicht und werden zwangsläufig kommen. Wir brauchen heute weder eine solche CDU noch die Sozen um einen funktionierenden Staatsapperat zu wiederzubeleben. Nein Herr Vaatz, für mich klingt das nach die Ratten verlassen das sinkende Schiff oder wie eine erneute taktische Blendgranate. Wie war Ihr Abstimmungsverhalten zu den sich selbsterhöhenden Diäten, der Maaslosen Steigerung der Parteienfinanzierung? Ehe mit allem? Nein einem aktiven CDU Mitglied glaube ich nichts, gar nichts.

Leo Hohensee / 09.01.2019

Mit welcher Selbstverständlichkeit diese EU mit Europa gleichgesetzt wird, ist in meinen Augen abartig. Das machen alle Politiker, das machen die Medien - das ist überheblich, irreführend und unangemessen. Nach Wikipedia gibt es in Europa 49 verschiedene Staaten. Diese EU wird ohne GB 27 Staaten haben. Man kann die Völker der europäischen Länder, die nicht in der EU sind nur davor warnen, diesem Behörden- und Vorschriften-haufen beizutreten. Da bestimmen selbsternannte Heilsbringer ohne demokratische Legitimation darüber, ob zukünftig die Gurken krumm oder gerade zu sein haben. Und von den Bürgern der EU-Staaten fordern sie ab, dass diese ihre Identitäten aufzugeben haben. Damit das besser klappt, findet gerade ein großes Experiment mit einer multiethnischen Durchmischung von Rassen statt (Sascha Monk) !

Guido Schilling / 09.01.2019

Lieber Herr Vaatz, leider haben wir (die deutschen Altbürger) den Kopf schon vor drei Jahren verloren.

Harald Hütt / 09.01.2019

Sehr geehrter Herr Vaatz, es würde Sie ehren, wenn Sie Ihre begründbare und verständliche Kritik dort präsentierten, wo Sie auf politische Anfeindung träfen - in Ihrer eigenen Partei und der GroKo - ergo im Plenum/Parlament. Es kommt mir langsam so vor, siehe auch die Kommentierung Ihres Kollegen Steiger aus der letzten Woche, als habe man die Strategie ausgerufen, vermeintliche Wähler der AfD politisch korrekt anzusprechen und die CDU -  als Vertreter einer konservativen Politik - für diese Gruppe wählbar erscheinen zu lassen. Fadenscheinig und durchschaubar. Haben Sie sich mal hinterfragt, bei all den von Ihnen aufgeführten Schwachpunkten, der von Ihrer Partei geförderten aktuellen Politik, wieso Sie noch Mitglied in dieser Partei sind? Und bitte unterlassen Sie das reflexartige Polemisieren gegen die AfD, dass von Ihnen und allen Ihren Kollegen so redundant - in jedem Beitrag und/oder politischer Auslegung - als Stilmittel der Verunglimpfung des politischen Kontrahenten angewandt wird. Zitat: “Auf den geräumten Positionen der CDU turnt die AfD herum; mit Rückendeckung aus Moskau.” Ist die AfD Ihrer Meinung nach eine 5. Kolonne Russlands, oder was wollen Sie mit diesem Halbsatz andeuten? Und mit solchen wirren und infamen - angedeuteten - Unterstellungen operierend, erwarten Sie allen Ernstes, dass Wähler, die sich von der Politik der Regierung abwenden, Ihren Weg zu dieser zurückfinden? Nein, Sie demaskieren nur Ihren unlauteren Ansatz, mit Täuschung und Opportunismus in der Wählergunst zu reüssieren! Soll ich/wir Politikern folgen, deren persönliche Kritik an den Verfehlungen aktueller Politik sich wie ein “Scheitern auf ganzer Linie” liest und die keine persönlichen Konsequenzen daraus ziehen? Für wie ignorant halten mich diese Leute, auf ihre Charade hereinzufallen?! Um es abschließend mit den Worten von John Stuart Mill auszudrücken: “„Ein Mann mit einer Überzeugung ist stärker als 99 Leute mit Interessen.” Und was für ein Mann sind Sie?

Albert Pflüger / 09.01.2019

Herr Vaatz, nehmen Sie Ihren Hut und wechseln Sie mit Ihrem gesamten Netzwerk gemeinsam die Partei. Wenn nur noch die Merkelianer “weiter so” machen wollen, dann heißt das für die CDU “der letzte macht das Licht aus”, den Spruch kennen Sie sicher noch. Wenn ein Drittel der CDU- Parlamentarier unter Mitnahme ihrer Mandate zur AfD wechselte, wäre es mit der Verteufelung dieser Partei vermutlich vorbei, und dieses Drittel könnte viel bewirken. Das eine oder andere Pöstchen ließe sich sicher finden. Und spätestens nach der nächsten Wahl wären dann auch Ministerposten drin, schätze ich.

Karl Schmidt / 09.01.2019

Merkels Chinademokraten haben über die Christdemokraten gesiegt. Von Ökonomisierung kann in diesem Zusammenhang übrigens nicht die Rede sein: Diese Einwanderung rechnet sich nicht. Weder bringt sie Fachkräfte ins Land; sie verbraucht nur staatliche Ressourcen auf allen Ebenen, das Einkommen und Vermögen der Deutschen. Ärzte werden knapp, staatliche Schulen unbrauchbar. Die Grenzkontrollen verlagern sich von den Außengrenzen ins innere. Wie oft inzwischen meine Taschen durchwühlt wurden, weil ich eine Veranstaltung besuchen wollte, kann ich nicht mehr zählen. Nie wurde ich vor Schengen an der französischen oder Schweizer Grenze kontrolliert. Nicht einmal. Die Regierung nach Berlin zu verlegen war ein Fehler. Berlin ist weiter weg von den Bürgern als der Mars, aber genauso rot. Und vor allem verbohrt - das hat sich nicht geändert.

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