Die Angst nagt selbst an den stabilsten Zeitgenossen, und ich sehe sie auf beiden Seiten dieses gespritzten Krieges zerbrechen. Die Politik hat aus uns zwei Fronten gemacht, und wir haben es zugelassen.
Von Nicole Schneider.
Als ich zu Beginn der Pandemie alles noch leicht nahm, war mir in keiner Weise bewusst, dass wir nach fast zwei Jahren noch immer zu kämpfen haben werden und die Hoffnung sich langsam, aber sicher dem Virus geschlagen gegeben haben wird.
Die Angst nagt selbst an den stabilsten Zeitgenossen, und ich sehe sie reihum seelisch zerbrechen, meine Mitmenschen auf beiden Seiten dieses gespritzten Krieges. Sie haben aus uns zwei Fronten gemacht, und das vorbildliche Land und wir Bewohner haben es irgendwie zugelassen. Trotz unserer Historie und der mantraartigen Beteuerungen, dass wir doch alle begriffen hätten und gelernt und dass sich das nie mehr wiederholen wird und so weiter. Es gibt, aller Diversität zum Trotz, nur noch zwei Kästchen, in die wir alle sortieren und selbst sortiert werden.
Meine Tochter hat mir heute früh, als sie Angst hatte, ihr Impfzertifikat für den Zug nicht zu finden, von ihrer Panik und Wut berichtet. Sie nennt den gelben Zettel den Ausweis für Menschen erster Klasse, weil sie arg begreift, dass diese neuartige Impfung als häufig erscheinende Nebenwirkung offenbar die geglaubte moralische Überlegenheit auslöst.
Sie weinen mir am Telefon ins Ohr
Die Menschen um mich herum entwickeln sich in Richtungen, die sie mir fremd machen. Manche setzen sich nicht mehr mit Ungeimpften, aber Getesteten, an den Tisch, dafür feiern sie ohne jede Vorsichtsmaßnahme mit ungetesteten Geimpften, obwohl diese ja auch das Virus weitergeben. Andere weigern sich, Masken in einem Geschäft zu tragen oder einen kostenlosen Test zu machen.
Schon vor den neuen Gesetzen in Bayern gab es Läden und Gastro, die nicht schnell genug 3, besser 2-G-triple+ und Sternchen gehuldigt hatten und solche, die sich mit der Freiheit solidarisierten.
Ich habe auf der einen Seite viele Geimpfte in meinem Leben, die je nach Persönlichkeit kritisch bis bösartig mit Menschen wie mir umgehen. Ich kenne aber auch Geimpfte, die die Impfung als eine freie Entscheidung betrachten. Punkt. Dann gibt es welche, die trotz ihrer Impfung diese nicht mehr als Heilsbringer betrachten können, weil zu viele ihrer geimpften Bekannten plötzlich mittel bis derbe krank geworden oder sogar gestorben sind. Und solche, die es ankotzt und traurig macht, wie ihre Lagergenossen mit uns Gegnern umgehen. weil sie sich nicht mit uns, ihren Mitmenschen, in einem Krieg befinden wollen.
Auf der anderen Seite habe ich viele Ungeimpfte in meinem Leben, die einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen oder auf die Straße zum Demonstrieren gehen. Alle die, die ich kenne, betrachten die Entscheidung als frei und keiner von denen, die ich kenne, hat Angst vor wild umher impfenden Gullydeckelpartisanen. Die, die ich kenne, brechen langsam Stück für Stück zusammen und weinen mir am Telefon ins Ohr. Und keiner will sich mit seinen Mitmenschen permanent verbal in Gefechten wiederfinden.
Ich quäle mich durch die Bilder der Nacht
Aber ich möchte nicht über die anderen schreiben, auch wenn mich der Austausch und die Gespräche erschüttern und fassungslos machen. Mein Blick in die Welt lässt mich verzweifeln.
Es gibt kein anderes Thema mehr als die Impfung. Ja, die Flutkatastrophe. Wo war die noch gleich? Winter? Da ist doch sicher wieder alles fein. Ist ja schon eine Weile her und keiner berichtet mehr davon. Wird also auch keiner erfrieren.
Flüchtlinge als Druckmittel? Ja, ist ein Thema für einige wenige Politintellektuelle. Klimakrise? Puh, der Sprit wird auch immer teurer. ACAB als Außenministerin? Da haben wir Memes für. Der drohende Energiekollaps? Das wird schon alles laufen. Es ist immer irgendwie gelaufen.
Ich träume mittlerweile fast immer schlecht. Ich quäle mich durch die Bilder der Nacht, und am Morgen würde ich mich am liebsten zuhause einschließen und der Welt (außer den Baumärkten) den Rücken kehren. Ich war bisher immer diejenige, die den brechenden Menschen gesagt hat, dass das schon alles geschafft werden kann, dass wir nicht alleine sind und dass es so viele liberale Menschen gibt. Dass die Hoffnung noch lebt und das Morgen nicht gestorben ist.
Leider, leider, schaffe ich das nicht mehr so gut, und ich merke, wie ich dünnhäutig und labil werde. Manchmal schreie ich sogar meinen Mann an, weil ich so furchtbar wütend und verzweifelt bin.
Weil ich zusätzlich über die Covid-Zeit arg zugenommen habe, bleiben mir nicht mehr so viele Klamotten, in denen das alles hängen bleiben könnte. Aber sei es drum. Wir schaffen das. Mit der Raute im Schoß. Zu mehr Begeisterung bin ich nicht mehr willens.
Entscheidung zwischen zweier Risiken
Als ich mich gegen eine Impfung entschied, habe ich Risiken abgewogen. Die Impfung barg für mich das Risiko von Impfschäden. Dies multiplizierte ich mit meiner Thromboseneigung und meiner Autoimmunerkrankung. Das Virus barg für mich das Risiko von leichter Erkrankung bis zum Tod. Dies multiplizierte ich mit meinem leichten Sommerasthma und dividierte es durch die Möglichkeit, dass ich nicht erkranken würde. Also entschied ich mich gegen die Impfung.
Ich würde sicher einen Arzt finden, der mir dies bescheinigt. Außerdem habe ich Impfausweise von verschiedensten Quellen angeboten bekommen. Aber nein. Ich möchte mit meiner Entscheidung frei und ehrlich leben dürfen. Ich kann auch damit umgehen, dass ich den einen oder anderen Ort nicht mehr besuchen soll oder darf. Mit den Leuten, die da diese tollen Pics von Partys mit #Yihaajippijahoooo 2G posten, sorry, will ich eh nicht feiern.
Außerdem ginge ich getestet da hin und würde mich der größeren Gefahr im virenlastigen Sündenpfuhl aussetzen. Und was mit Impfverweigerern passiert, die leider dann halt doch Corona bekommen, seht ihr aktuell an der Häme, die über dem jungen Spalter der Nation, Joshua Kimmich, ausgeschüttet wird. Seit wann noch mal posaunen die Arbeitgeber die Krankheiten der Angestellten über die Presse in die Welt hinaus? „Neulich hatte der XYZ wieder mal nen Tripper ...!“ Aber beim Joshi hat das schon seine Richtigkeit, weil der ja seine Seele dem Teu…, weil der doch Nationalspieler der deutschen Natio…, ähm, weil der ja bei der Mannschaft vom Schland kickt.
Ich lese und höre in Permaschleife „... lass Dich impfen ... Du musst Dich impfen ... Du bist doch geimpft?! … Impfen ist wichtig ... Impfung macht frei ...“ Michael Niavarani könnte dies hier sicher gut vortragen, auch wenn es nicht um Trinken und Wasser geht. Aber die Impfdogmatiker predigen es wie Wasser und Wein. Und ich sitze da mit meiner Entscheidung zwischen zwei Risiken.
Ich weiß, dass meine Entscheidung mich auch mein Leben kosten kann. Und ich höre es mir an. Täglich. Stündlich. Im Radio auf der Arbeit und im Auto. Ich höre die Werbungen, die Statements der tollen „Stars“. Die mahnenden Worte „verantwortungsbewusster“ Politiker. Ich sitze an meinem Schreibtisch und muss zuhören. Und ich sehe es mir an.
Den Hass einer „Dame“ im öffentlich-„rechtlichen“ Fernsehen, die Werbebanner und Memes, die Profilbilder mit Impfrähmchen und die Mahnsketche. Ich will etwas Nettes online lesen und werde zugeballert mit Impfwerbung. Und ich lese es. Beleidigungen derbster Coleur, Nötigung, Drängen, Respektlosigkeit und immer wieder die gleichen Worte. Dumm, asozial, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Impfverweigerer. Sozialschmarotzer.
Im Endeffekt werden wir alle sterben
Und bei all dem Hören, Sehen und Lesen, bei all der Angst und dem Leid um mich herum, bei all den Menschen, die verzweifeln und denen, die zerbrechen oder hart werden, bei all dem, fühle ich mich kalt werden und ich fühle meine Herzlichkeit versiegen. Ich werde das den Menschen nicht vergessen.
Ich werde euren Beifall für Hass nicht vergessen, nicht eure Zustimmung für den elitären Kreis von Menschen erster Güte und ich werde die Beleidigungen nicht vergessen. Ich werde den Druck nicht vergessen, den ihr mir macht und all den anderen, die ihre Entscheidung gegen eine Impfung getroffen haben. Ich werde die Spaltung nicht vergessen, die ihr so beklatscht.
Ich weine mittlerweile fast an jedem Tag, entweder am Morgen oder am Abend und ich frage mich, was mir die Gesundheit meines Körpers nutzt, wenn ich meinen Geist von tiefem Schmerz befallen fühle. Ich will mit meiner Entscheidung in Frieden leben dürfen.
Ich bin so unendlich dankbar für all die wachen Geister, die ich meine Bekannten, Freunde, Kollegen oder Verwandten nennen darf. Ohne die wärmenden Hoffnungsschimmer, die, deren Worte noch immer selbst in die finstersten Nächte zu streuen vermögen, wäre ich längst verloren. Wir werden mit all dem leben müssen. Lange. Und im Endeffekt werden wir alle sterben. So oder so.