Nicht aufgrund ihrer „Rasse“, sondern wegen der „Unmenschlichkeit des Menschen gegen den Menschen“ habe Hitler die Juden ermorden lassen, erklärt Whoopi Goldberg im Magazin der Londoner Times [1] und schon zu Jahresbeginn 2022 in „The View“ (ABC). [2]
Zorn, aber auch Spott treffen die – sich selbst zum Judentum zählende – Schauspielerin. Sie solle endlich Holocaust-Museen besuchen und Rabbiner konsultieren. Was merkwürdigerweise unterbleibt, ist ihre knappe und verständliche Unterrichtung über Hitlers Motiv. Gibt es dafür Gründe vonseiten der professionellen Forschung? Durchaus. So resümiert der langjährige FAZ-Herausgeber Joachim Fest (1926 bis 2006) seine jahrzehntelange Forschung: „Ich verstehe es [das Ermorden der Juden] nicht, und keiner, der sich je damit beschäftigt hat, ist einer überzeugenden Deutung [...] auch nur nahegekommen.“ [3]
Israels Nestor der Holocaust-Forschung, Yehuda Bauer (*1926), sieht es kaum anders: „Hitler ist im Prinzip erklärbar; das bedeutet aber nicht, dass er erklärt worden ist.“ [4]
Hitler macht es den Deutern nicht einfacher. In den Bormann-Diktaten vom Februar 1945 grenzt er seinen Judenhass vom gewöhnlichen Rassismus ausdrücklich ab:
„Ich war nie der Meinung, dass etwa Chinesen oder Japaner rassisch minderwertig wären. [...] Ich gebe zu, dass ihre Tradition der unsrigen überlegen ist. / Unser nordisches Rassebewusstsein ist nur gegenüber der jüdischen Rasse aggressiv. Dabei reden wir von jüdischer Rasse nur aus sprachlicher Bequemlichkeit, denn [...] vom genetischen Standpunkt aus gibt es keine jüdische Rasse. Die Verhältnisse zwingen uns zu dieser Kennzeichnung einer rassisch und geistig zusammengehörigen Gruppe, zu der die Juden in aller Welt sich bekennen, ganz gleichgültig, welche Staatsangehörigkeit der Pass für den einzelnen ausweist. Diese Menschengruppe bezeichnen wir als die jüdische Rasse. [...] Die jüdische Rasse ist vor allem eine Gemeinschaft des Geistes. / Geistige Rasse ist härter und dauerhafterer Art als natürliche Rasse. Der Jude, wohin er auch geht, er bleibt ein Jude [...] und muss uns als ein trauriger Beweis für die Überlegenheit des 'Geistes' über das Fleisch erscheinen.“ [5]
Schon in Mein Kampf deklariert Hitler – darin dem modernem White Supremacism ganz nahe – keineswegs eine jüdische Rasse, sondern die jüdische Bewegung gegen Rassismus als einen Grund für seine tödliche Gegnerschaft:
„Von Zeit zu Zeit wird in Illustriertenblättern dem deutschen Spießer vor Augen geführt, dass da und dort zum ersten Mal ein Neger Advokat, Lehrer, gar Pastor, ja Heldentenor oder dergleichen geworden ist. Während das blödselige Bürgertum eine solche Wunderdressur staunend zur Kenntnis nimmt, / versteht der Jude sehr schlau daraus einen neuen Beweis für die Richtigkeit seiner den Völkern einzutrichternden Theorie von der Gleichheit der Menschen zu konstruieren.“ [6]
Judentum wegen seiner Ethik der Lebensheiligkeit verfolgt
Selbst beim Vorgehen gegen seine eigenen Voll-Arier, die er wegen angeborener Behinderungen oder schwerer Kriegsverletzungen ermorden lässt (Euthanasie-Aktion), wird jüdischer „Geist“ als zersetzende Störung identifiziert. Hilters Zuständiger Dr. Eugen Stähle (1890 bis 1948) für die württembergische Anstalt Grafeneck, wo mit Injektionen und Gas getötet wird, erwidert am 4. Dezember 1940 dem Stuttgarter Oberkirchenrat Reinhold Sautter (1888 bis 1971), der ihm in einem privaten Gespräch die „Tötung lebensunwerten Lebens" vorhält: „Das 5. Gebot: Du sollst nicht töten, ist gar kein Gebot Gottes, sondern eine jüdische Erfindung.“ [7]
Auch öffentlich gegen Hitler Protestierende verstehen sofort, dass er das Judentum wegen seiner Ethik der Lebensheiligkeit verfolgt. Bischof Clemens August Graf von Galen (1878 bis 1946) greift ihn am 3. August 1941 in einer Predigt zu Münster an:
„Wehe den Menschen, wehe unserem deutschen Volke, wenn das hl. Gottesgebot: 'Du sollst nicht töten', das der Herr unter Donner und Blitz auf Sinai verkündet hat, das Gott, unser Schöpfer, von Anfang an in das Gewissen der Menschen geschrieben hat, nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird.“ [8]
Weitergreifende Debatte über das Judentum und seine Feinde nötig
Einen neuen Katechismus gegen die jüdische Ethik von Lebensheiligkeit und menschlicher Gleichrangigkeit adaptiert Hitler von Theodor Fritsch (1852 bis 1933):
„Du sollst den Feind nicht schonen, sondern ihm mit grimmiger Wehr begegnen, denn er will von Dir erschlagen sein. Seine Aufgabe ist, dich zu stacheln, und deine Aufgabe: ihn zu bezwingen. Sorge nicht, dass deiner Feinde ein Ende wäre; es entstehen dir immer neue.“ [9]
Warum also nicht das Gespräch suchen mit Whoopi Goldberg, statt ihr – in unausgewiesener Überlegenheit – immer nur neue Entschuldigungen abzufordern? Die Kernregel des Judentums birgt nichts Unbegreifliches: „Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute. / Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst" (5. Mose 30: 15/19). Gerade die unverstellte Ratlosigkeit der besten Gelehrten zum Holocaust darf als Einladung für eine weitergreifende Debatte über das Judentum und seine Feinde gelesen werden.
Gunnar Heinsohn (*1943) hat 1993 an der Universität Bremen Europas erstes Institut für vergleichende Völkermordforschung aufgebaut. 1994 hat er „Warum Auschwitz?“, 2014 „Hitler’s Motive for the Holocaust“ publiziert
[1] https://www.thetimes.co.uk/article/whoopi-goldberg-till-film-hollywood-race-cancel-culture-c5lgc656v
[2] https://www.cnbc.com/2022/02/02/abc-suspends-the-view-host-whoopi-goldberg-for-saying-holocaust-not-about-race.html
[3] J. Fest, Mitleidlosigkeit bis zum allerletzten Punkt”, in Die Welt, 10. September, 2004, S. 3
[4] R. Rosenbaum, Die Hitler-Debatte: Auf der Suche nach dem Ursprung des Bösen (Explaining Hitler, 1998), München et al.: Europa-Verlag, 1999, S. 7.
[5] H. Trevor-Roper, A. Francois-Poncet, Hg., Hitlers Politisches Testament. Die Bormann Diktate vom Februar und April 1945, Hamburg: Albrecht Knaus, 1981, S. 66/68/69.
[6] A. Hitler, Mein Kampf (19251), München: Franz Eher, 1930, S. 478f.
[7] H. W. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens", 1890 - 1945 (19871), Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1992, S. 321
„Du sollst nicht töten" heißt in wörtlicher Übersetzung aus dem Hebräischen "Morde nicht!" Das schließt das Verbot der Kindstötung ein, was bereits in der Antike als sensationell empfunden wird. Es untersagt aber nicht die militärische Verteidigung oder die Abwehr von Mordverbrechen.
[8] H. Portmann, Kardinal von Galen. Ein Gottesmann seiner Zeit. Mit einem Anhang: Die drei weltberühmten Predigten, Münster: Aschendorff, 1961; S. 357/361
[9] T. Fritsch, Der neue Glaube (19141), Leipzig: Hammer, 1936