Alain Pichard, Gastautor / 13.08.2020 / 06:09 / Foto: Pixabay / 147 / Seite ausdrucken

Wer, wenn nicht wir?

Der Podcast Indubio der Achse des Guten gehört für mich zum Besten, was unter den zahllosen ähnlichen Sendegefäßen im Netz zu hören ist. Ein souveräner Gesprächsleiter, hervorragende Gäste, tolle Themen, ich verpasse kaum eine Sendung.

Neben den Inhalten gefällt mir das Selbstverständnis dieser Sendung. Der "Sender für No Nonsense" ist leicht abgedreht, oft witzig und frei von humorlosen Empörungsritualen. Ganz besonders habe ich mich auf die Sendung vom 9. August.2020 "Aggressiv aus Angst" gefreut. Da hatte Burkhard Müller-Ullrich wirklich einen guten Griff gemacht und den Kolumnisten Jan Fleischhauer, den Publizisten und den Ex-Chefredakteur der BAZ Markus Somm und den Anwalt Joachim Steinhöfel eingeladen. 

Ich wurde nicht enttäuscht. Der gut aufgelegte Fleischhauer spielte seine Rolle als Hinterfrager aller Positionen in seinem gewohnten britischen Understatement gut und verhinderte so die ab und zu eintretende Eintönigkeit, die sich bei zu ähnlichen Positionsbezügen einstellen. 

Als ich allerdings anschließend die vielen Kommentare auf der Achse las, wähnte ich mich zuerst in einem falschen Film. Natürlich weiß ich, dass Kommentatoren nicht repräsentaiv sind für das breite Spektrum der Leser und Hörer, von denen die meisten viel zu beschäftigt sind, um reihenweise Kommentare zu schreiben. Dennoch sind diese Kommentatoren Hörerinnen und Hörer der Achse, eines Mediums, das sich an Menschen richtet, die oft beklagen, dass öffentliche Medien und Mainstreamkanäle die Diskursbreite immer mehr verengen.

Wer, wenn nicht wir, sollte in einer Zeit, in welcher mit fast jakobinischem Eifer Denkmäler gestürzt, Gebäude und Straßen umbenannt sowie Professoren und Sportler entlassen werden, die Fahne der Diskursfreude aufrechterhalten.

Von meinen linken Freunden immer wieder gut versorgt

"Was ein Herr Fleischhauer in dieser Runde zu suchen hatte, weiss ich nicht!" "Die unsinnigen Ergüsse von Herrn Fleischhauer führen bei mir leider zu physischen Schmerzen!"  "Herr Fleischhauer, ich hab mal eine Menge von Ihnen gehalten."  "Was Jan Fleischauer angeht, bin ich sprachlos, was da an illiberaler Haltung zu Tage trat." "…dann muß ich mir nicht auch noch dubiose Journalisten wie den Fleischhauer antun!" "Sorry, aber in dieser Folge wurde Herrn Fleischauer deutlich zu viel Raum eingeräumt."

Die nun vorsorglich formulierte Bemerkung, dass ich nicht mit allem einverstanden bin, was der ehemalige Spiegel-Kolumnist aus seiner spitzen Denkmaschine entwirft, ist so banal wie unnötig. Es ist eine Selbstverständlichkeit und sollte es für Achse-Leserinnen und -Leser auch sein. 

In der Schweiz ist seit zwei Jahren ein großes digitales Zeitungsexperiment angelaufen. Die „Republik" wurde von linken Journalisten für ein explizit linkes Publikum konzipiert und beruht – ähnlich wie die Achse – auf Spenden. Es kam sehr viel Geld zusammen, die Spender durften sich Verleger nennen und wurden als Teil eines Projekts angesehen. Da ich an anderen Meinungen interessiert bin und ich mich auch freue, wenn innovative Wege beschritten werden, habe ich mich natürlich auch mit einem Probeabo versorgt und werde nach dessen Nichtverlängerung von meinen linken Freunden auch immer wieder gut versorgt.

Natürlich geriet das Projekt ziemlich bald in eine deftige Finanzkrise, wie es bei linken holistischen Projekten oft der Fall ist. Zu lange Artikel, zu viele Stellen, zu hohe Löhne. Aber immerhin schaffte es das Projekt dank drastischer Sparmaßnahmen und neuen Spenden in eine nächste Runde. So weit so gut. 

Man ist süchtig nach der Bestätigung der eigenen Meinung

Das Problem waren dabei gar nicht die Journalisten. Da gab es ab und zu spannende und durchaus lesenswerte Artikel. Das Problem waren die Leserinnen und Leser der Republik. Die Klientel der linken Digitalzeitung ist öfter genauso fanatisch, humorlos, dauerempört, uninformiert und intolerant wie die linke Antifa, linke Leserinnenzirkel, sozial engagierte Streetworker oder "Klimafreunde". Man ist süchtig nach der Bestätigung der eigenen Meinung. Man liebt seine Bubble und hasst die andere Meinung. Das verträgt nicht einmal ein kritisches Interview mit einem rechten Verleger oder einer grünliberalen Parlamentarierin. Die Kommentare (zugegeben weit weniger zahlreich als bei der Achse) scheinen aus demselben mentalen Holz geschnitzt wie viele Meinungsbeiträge zu Herrn Fleischhauer. Getreu nach dem Motto der altlinken Ikone Jean Ziegler, der einmal auf eine Frage einer Journalistin antwortete: "Selbstkritik? Nein, Selbstkritik schwächt!"

Gegenüber der Republik ist das "faschistoide, rechte Kampfblatt", die "Weltwoche", geradezu ein Hort der Diskursfreude. Dort schreiben der sehr linke Ex-SP-Präsident Bodenmann neben dem radikalliberalen Mörgerli, und auch mit Henryk M. Broder kann man sich vergnügen. Auf den Punkt gebracht: Wenn eine Zeitung genauso schreibt, wie es ihre Kunden wollen, Ihnen nie etwas zumutet, dann wird sie langweilig. Und die "Republik" wurde langweilig.

Als gelegentlicher Gastautor der Achse des Guten werde ich nicht selten darauf angesprochen, wie ich es verantworten kann, in diesem "Rechtsaußen-Blog" zu publizieren. Ich nehme es derweil gelassen und antworte nicht ohne Stolz: Es profitiert mit der Veröffentlichung unserer Texte der entspannte Bildungsbürger, der in erster Linie an gut geschriebenen und fundierten Texten interessiert ist und der sich gerne auch einmal für andere Meinungen interessiert. Die zurzeit schnell anwachsende Spezies des daueraufgeregten Empörungsbürgers soll es doch bleiben lassen. 

Mit selbstgerechtem Furor würden sich die Leserinnen und Leser der Achse auf die gleiche Stufe begeben. Vor allem wenn – wie Hans Ulrich Gumbrecht es kürzlich in der NZZ ausdrückte (Die Debatte läuft sich tot, 8.8.20) – "die einzigen Tugendwahrheiten den besoldeten Denkern der akademischen Linken gehören", viele Journalisten sich in den Mainstream einreihen und "mit unbeweglichem Ernst wiederholen, was als harmonische Meinung schon längst feststeht", sollte die Achse aufklärend wirken. Und wenn sie dazu auch noch den scharfsinnigen und nicht immer konformen Fleischhauer einlädt, umso besser.

Immerhin gab es unter den Kommentaren auch solche wie den von einem Herrn Ackermann, der schrieb: "Ihn eingeladen zu haben, ist die konsequente Entscheidung, dem Vorwurf, die Achse agiere in einer Blase, abzuhelfen. (…)". Will heißen: Lasst doch bitte die Kontroverse in diesem Medium zu, als sich ihr abzuwenden!"

Der Mann hat etwas begriffen. Und er ist garantiert nicht allein. Zumal – wie gesagt – die Kommentatoren nicht unbedingt die gesamte Leserschaft eines Mediums repräsentieren. 

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Belo Zibé / 13.08.2020

In der Sache gebe ich Ihnen vollkommen Recht, Herr Pichard. Mein erster Gedanke zum Podcast war: Das wäre eigentlich die Aufgabe unserer öffentlich rechtlichen Gebühren-Sender. Allerdings habe ich das von Ihnen bezeichnete »britische Understatement« Jan Fleischhauers eher als einen für ihn überlebenswichtigen Balanceakt auf dem Drahtseil des Mainstreams wahrgenommen. In einer Zeit, in der ein like unter einem (falschen) Bild oder Kommentar schon den Verlust der Arbeitsstelle nach sich ziehen kann ,durchaus eine Kunst für sich.

Max Wedell / 13.08.2020

Ich habe den Eindruck, das Problem mit Fleischhauer kommt für viele Achgut-Leser zustande, weil unterschiedliche Auffassungen bestehen, welches Publikum die Berlin-Demo hauptsächlich prägte. Fleischhauer scheint der Meinung zu sein, daß ein Großteil der Teilnehmer aus dem linksgrünen Esoterikbereich stammte und war damit nicht alleine… die Achse brachte ja hier eine Bildersammlung, nach deren Durchblättern ich mich wunderte: Merkwürdig, diese Reihe Fotos von Nichtganzaberfast-Hippies soll die bürgerliche Grundierung beweisen? Ein anderer Kommentator schrieb darunter: “ich hoffe, die Fotos sind nicht repraesentativ: ich sehe mich da nicht vertreten, denn das sind mehrheitlich Linke. Kann auch sein, dass Berliner immer noch aussehen wie Clochards…” Ich habe daher Fleischhauers Bewertungen nicht so verstanden, als gälten sie vernünftigen Personen, die mit handfesten, rationalen Argumenten die Coronapolitik kritisieren, sondern so, als gälten sie Esoterikern, die bei Mondschein mit Bergkristallen in der Hand gemeinsam menstruieren - wie er es glaube ich formulierte - um die Welt zu verbessern. Solchen Leuten, die meinen, Liebe könne Corona bekämpfen, aus Betten auf den Intensivstationen wegzuwünschen, wenn sie dort landen, scheint mir übrigens nicht “Mainstreammeinung” sondern eine deutlich konservativ geprägte Meinung zu sein: Die Aufforderung an die Menschen, für ihr eigenes Handeln die Verantwortung zu übernehmen und die Resultate ihrer Fehler nicht bei anderen abzuladen… konservativer gehts doch nicht mehr. Ich halte es für ausgesprochen links, zu sagen: Ich kann eigentlich jede Blödheit unternehmen (also etwa Corona mit Liebe zu bekämpfen versuchen), denn sollte was schiefgehen, fängt mich doch am Ende die Solidargemeinschaft auf.

Frances Johnson / 13.08.2020

“Die Blase (@ Lotus) sehe ich so nicht, und bis auf die Einlassungen zur Schweizer Nationalmannschaft hatte ich mich zur Sache geäußert (@ Ackermann) und sowieso gemeint, man solle das zu Ende hören. Warum also auf einige picken, die sich ärgern? Ist das nicht in jedem comment-Bereich so? Und: Kann man das nicht auch ertragen? Ist es zudem nicht ein Kompliment für Autoren, wenn Leute sich ärgern, weil es bedeutet, dass sie bekannt sind? Auf w-on hat Don Alphonso einen Fan-Club. Regelmäßig sind aber Leute dabei, die ihm irgendwas ins Gesicht schleudern. Ist das schlimm? Sollen jetzt alle dialektisch und brav sein? Früher sagte man dann: Papier ist geduldig.

Alma Schmidt / 13.08.2020

Danke .Es lebe die Vielfalt der Meinungen! Als ehemalige DDR- Bürgerin/ Flüchtling vor Mauerbau, kenne ich die Verteufelung des politischen Gegners nur allzu gut. Meinungsdiktatur ist nun auch im vereinigten Deutschland da. da

Helmut Bühler / 13.08.2020

Besten Dank für diese (etwas zu langatmige) Mahnung zur Toleranz und Diskussionsbereitschaft. Wir wollen hier ja nicht den linksversifften Mainstream kopieren, der es nur noch in seiner Echokammer aushält und statt Information und widerstreitende Meinung ausschlißlich korrekte Haltung geliefert haben möchte.

Thomas Brox / 13.08.2020

Die wichtigste Waffe, die ein Oppositioneller/Dissident hat, ist das Argument. Optimal ist es, wenn es auf harten Fakten basiert. Der Mainstream - hinter dem die geballte staatliche Macht steht - kann sich Dummheit leisten. Aber wer quasi vor dem Panzer steht, sollte argumentieren können. Die Argumentation kann knallhart geführt werden (auch bei der Wortwahl), aber sie muss einen sachlichen Kern haben. Argumente können durchaus mit Witz, Sarkasmus, Ironie und auch Zynismus gewürzt werden - aber reiner Schmäh ist einfach zu billig. ++ Meiner Meinung nach kann die Achse ruhig öfters regimekonforme Meinungen publizieren. In den Kommentaren geht es dann (hoffentlich) argumentativ zur Sache. ++ Argumente schärfen den eigenen Verstand. Sie zwingen einem das eigene Weltbild zu überdenken (und eventuell zu korrigieren), allein schon deswegen, weil man die eigenen Ansichten nachvollziehbar und schlüssig formulieren muss.

K. Schmidt / 13.08.2020

Ich würde Herrn Fleischhauers Beitrag nicht wirklich als “britisches Understatement” bezeichnen. Auch habe ich unter den indubio-Beitrag geschrieben, dass ich niemals etwas von ihm lese. Trotzdem habe ich mir den ganzen Podcast angehört und würde mir eine weitere Folge mit ihm schon “antun”. - Bei seiner Kritik misinterpretiert Herr Pichard imho allerdings eine entscheidende Sache. Die Achse ist keine Echokammer, in die linke Ansichten nicht vordringen könnten. Die Achse beschäftigt sich ununterbrochen mit linken Ansichten. Man denke an Volleyball: Aufschlag von links, im rechten Feld spielt man sich den Ball zweimal zu, dann pfeift der Schiedsrichter ab, die linke Seite bekommt einen Punkt und darf weiter aufschlagen.

HaJo Wolf / 13.08.2020

@Hans-Peter Dollhopf: Bravo! —- Und nochmal an den Autor: Zu Meinungsfreiheit gehört auch, die Meinung eines anderen nicht gut zu finden und dies deutlich zum Ausdruck zu bringen. Sie fordern Toleranz und beleidigen dabei Andersmeinende mit ihrer “Furor-Aussage”. Damit haben Sie sich in meinen Augen bereits disqualifiziert und sind freiwillig in die linksgrüne Schublade gehopst. In meinem Verständnis heißt das: ich lasse Ihnen natürlich ihre Meinung, aber ich muss sie mir weder zu eigen machen noch sie künftig zur Kenntnis nehmen.

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