Alain Pichard, Gastautor / 03.05.2018 / 17:00 / Foto: Alain Pichard / 5 / Seite ausdrucken

Arte: Wenn Kritik auf Humor trifft

In Israel erzählt man sich folgenden Witz: Putin, Trump und Netanjahu werden zum lieben Gott gerufen. Dort erklärt er Ihnen: „Ihr seid die wichtigsten Staatsmänner der Welt. Deshalb habe ich euch zu mir gerufen, um gebe euch folgende Botschaft mit. Sagt euren Völkern, dass ich in drei Monaten die Welt untergehen lasse.“

Putin geht daraufhin zu seinen Genossen und sagt ihnen: „Genossen, ich habe zwei schlechte Nachrichten. Erstens, Gott existiert, zweitens, in drei Monaten geht die Welt unter.“

Trump kehrt ebenfalls zu seinen Leuten zurück und erklärt ihnen: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass Gott existiert, die schlechte lautet: In drei Monaten geht die Welt unter.“

Netanjahu geht in sein Kabinett und verkündet dort: „Ich habe zwei gute Nachrichten. Erstens, ich bin der wichtigste Staatsmann der Welt und zweitens, in drei Monaten sind wir die Araber los.“

Darüber können auch eingefleischte Likud-Anhänger lachen. 

Als man die säkuläre Premierministerin Golda Meir auf die Wurzeln ihres Volkes ansprach, meinte sie: „Was ist das für ein Gott, der uns dreißig Jahre in der Wüste herumführt, um uns danach auf dem einzigen Flecken abzusetzen, der kein Erdöl hat.“ Historisch verbürgt ist auch die Aussage dieser Frau gegenüber einem jordanischen Unterhändler: „Wir haben zur Kenntnis genommen, dass Sie uns ins Meer werfen wollen, aber Sie werden verstehen, dass wir Ihnen dabei nicht behilflich sein werden.“

Ostentativer Sarkasmus der Hochschule für Gestaltung

Durchaus souverän reagierte die israelische Botschaft in Deutschland auf die Website von Bushido, dem Träger des Integrationspreises. Auf derselbigen sah man das Gebiet von Palästina, ohne den Staat Israel. In einer Presseerklärung kommentiertee die diplomatische Abteilung diesen Fall lakonisch: „Zuerst die Frauen, dann die Homosexuellen, und nun wir. Wir sind stolz, auf der Abschussliste des Preisträgers für Integration zu stehen.“

Die Hochschule für Gestaltung in Tel Aviv gab ihren Studentinnen und Studenten für die Abschlussprüfung ein ziemlich unverfrorenes Prüfungsthema. Sie erhielten die Aufgabe, all die feindlichen Webseiten in ihren Nachbarstaaten, welche ohne Unterlassen Hass und Vernichtung des israelischen Staates predigen, grafisch auf Pepp zu bringen. 

Gewiss ist ein derart ostentativer Sarkasmus aufreizend, provokativ und für die Gegenseite ab und zu auch demütigend. Und er lässt sich in dieser Mannigfaltigkeit nur mit einem gewissen Fatalismus erklären. Die Fähigkeit zur Selbstironie könnte allerdings auch ein Grundstein für die Stärke des „Halbstarken“ (Henryk M. Broder) sein, dann nämlich, wenn sie einhergeht mit Selbstkritik und Reflexion.

Pünktlich zum 70-jährigen Jubiläum hat ARTE einen Themenabend zu Israel gestaltet. In der Dokumentation „70 Jahre Israel“ traten drei palästinensische und fünf israelische Historikerinnen und Historiker auf. Dabei fiel auf, wie stromlinienförmig die palästinensischen Experten die eigene Sache vertraten. Da passte kein Blatt zwischen die Phalanx der uniformen Argumentationskette. Einzig der Satz „Unsere Rhetorik war hier nicht ganz hilfreich“ ließ ein klein wenig Raum zum Nachdenken. Er bezog sich auf die martialischen Drohungen der Araber, die von „Massakrierung der Juden“, der „Vernichtung Israels“, „Ausradierung“ usw. im Vorfeld des Sechs-Tage-Krieges phantasierten.

Die drei Historikerinnen und zwei Historiker aus Israel hingegen argumentierten außerordentlich kritisch gegenüber ihrem Heimatland. Ihre Voten waren differenziert, selbstkritisch und zuweilen auch radikal israelfeindlich.

Selbstkritische palästinensische Historiker? Fehlanzeige

In meinem israelfreundlichen Freundeskreis sorgen solche Sendungen regelmäßig für Empörung gegenüber einer „einseitigen Nahostberichterstattung“. Weshalb – so die durchaus berechtigte Frage – finden sich eigentlich auf der palästinensischen Seite keine selbstkritischen Historiker? Oder weshalb lässt man für die israelische Seite nicht einmal eine – die Mehrheit repräsentierende – israelfreundliche Stimme zu?

Aber, so meine Frage: Ist die Existenz kritischer israelischer Staatsbürger nicht viel mehr eine der großen Stärken dieses einzigartigen Landes? Und erlaubt der Fokus auf diese Kritik – auch in massivster Form – diesem Land nicht auch, sich immer wieder neu zu erfinden? Kommt dann noch diese bissige Selbstironie und der Humor hinzu, schafft dies Distanz, beflügelt die kulturellen Leistungen, die Phantasie und die Vitalität einer Gesellschaft. 

Ein Sender wie ARTE, der sich immer wieder auf diese kritischen Geister Israels beruft, zementiert damit unbeabsichtigt das Bild der Gegenseite. ARTE ist für mich nicht selten ein Abbild der palästinensischen Haltung: Ziemlich verbohrt, stark ideologisiert und völlig humorfrei. Der erwähnte Themenabend zeigte dies einmal mehr deutlich, nicht nur in der Auswahl der Zeitzeugen, sondern auch in der Gewichtung der Beiträge: Es fing an mit einer „Demontierung der israelischen Geschichtsschreibung“, ging weiter mit der „Killerstrategie des Mossads“ („Inside Mossad“), und um 23:30 Uhr kam dann doch noch ein wohlwollender Film über das pulsierende Tel Aviv. 

Eingefrorene gedankliche Immobilität

Solch Themenabende sind eingefrorene gedankliche Immobilität, die sich auf die Fangemeinde überträgt. Sie bedienen die eigene Klientel, die sich immer wieder bestätigt fühlen will. Man richtet sich so in einer engen Welt ein, in der alles klar ist. Das kritisierte Hassobjekt draußen hingegen lässt Kritik, Humor und Sarkasmus freien Lauf und wächst daran. Israel und seine Freunde sollten Beiträge dieser Art deswegen auch nicht als Ärgernis, sondern vielmehr als Trainingscamp betrachten. 

Letztes Jahr organisierte die israelische Botschaft in Bern einen Workshop über Antisemtismus. Dort erklärte uns ein israelischer Experte: „Nehmen Sie den Antisemitismus nicht zu ernst. Für uns in Israel ist Antisemitismus, wenn man die Juden etwas mehr hasst als nötig! Bringen Sie die Menschen nach Israel. Das ist das beste Gegenmittel.“

Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer schüttelten den Kopf. Aber der Mann hatte recht. Israel ist ein Selbstläufer. Vor allem die jungen Menschen, die ich immer wieder nach Israel mitnehme, sind ohne Ausnahme beeindruckt von der Vitalität und der Kreativität dieses jungen Landes. Im Herbst des vergangenen Jahres standen wir vor einem Nachtclub in Tel Aviv in der Schlange. Drinnen war Ragga angesagt. Meine Tochter traf dort zu ihrer großen Überraschung Nathalie, eine flüchtige Bekannte aus Basel, die sie einmal auf einer Party kennengelernt hatte. Sie sei mit ihren Freundinnen kurz entschlossen nach Tel Aviv geflogen. Nicht zum ersten Mal, wie sie betonte. „Tel Aviv“, schwärmte sie, „Tel Aviv ist einfach cool!“ Das sehen Millionen von Touristen auch so. Wohl zum Leidwesen von ARTE, BDS und Abbas.

Foto: Alain Pichard

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Leserpost

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Anna Kasperska / 03.05.2018

Toller Artikel, der meine eigenen Beobachtungen zu der „Leichtigkeit des jüdischen Seins“ absolut bestätigt. Vielen Dank dafür Herr Pichard. Dieses Fehlen von jeglicher Verkrampftheit, Verbissenheit, Humorlosigkeit, Steifheit sind schon sehr einzigartig. Ich liebe es, diese Spontanität und Kreativität des Geistes, diesen kreativen aus dem Nichts kommenden Humor, der wie Sie schreiben, eine Distanz schafft. Die Europäer, mit ihrer überheblichen, verkrampften Moral gegenüber Israel, sind hoffnunfslos bedauernswert, wenn sie sich von all der israelischen Leichtigkeit nicht anstecken lassen.  

Michael Markwardt / 03.05.2018

“ARTE ist für mich nicht selten ein Abbild der palästinensischen Haltung: Ziemlich verbohrt, stark ideologisiert und völlig humorfrei. “ Den wichtigsten punkt haben sie in der auflistung vergessen. * antisemitisch

Frank Holdergrün / 03.05.2018

Es ist kein Witz: als Agnostiker bete ich jeden Tag für Israel und bin auf alle Leistungen dieses Volkes ebenso stolz als ob ich Israeli wäre. Die Reaktion der israelischen Botschaft auf die muslimische Geistesgröße Bushido ist einfach großartig, das kannte ich noch nicht. So geht Humor! Achgut braucht jeden Tag eine solche Brise, anders ist der Irrsinn nicht mehr zu ertragen.

Sabine Schönfelder / 03.05.2018

Ein schöner und versöhnlicher Beitrag über die schwierige Nachbarschaft des israelischen Volkes. Israel hätte nicht überlebt ohne ihren kompromisslosen Sinn für Realitäten. Während man in Palästina, finanziell gepampert von der Weltgemeinschaft, um das Amt des Anführers streitet, befindet sich Israel immer in Anspannung, im Trainingscamp ( Klasse!) , immer bereit sich gegen den millionenfachen Haß seiner muslimischen Umwelt zur Wehr zu setzen. Da braucht’s viel Humor! Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer.( Mark Twain)

Helmut Bühler / 03.05.2018

Arte ist ärgerlich aber irrelevant. Das eine Prozent Zuschauer, das sich Arte antut, ist für Erkenntnisprozesse abseits seines festgefügten Weltbilds ohnehin verloren. Lasst Macher und Konsumenten doch im eigenen Saft schmoren und zappt weiter.

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