Der von mir bisher hochgeschätzte Bundestagspräsident Lammert fantasierte im Deutschlandfunk in einem durchaus lesenswerten Interview: „Aber wahr ist natürlich auch, dass sich durch solche breiten, bis in die Opposition hinein erkennbaren Mehrheiten für eine durchaus kontrovers diskutierte Politik, dann ein beachtlicher Teil der Öffentlichkeit in diesem Parlament im wörtlichen Sinne nicht repräsentiert fühlt …“
Erst mal: hä? Nach nochmaligem Lesen: das, verehrter Herr Lammert, ist entlarvend. Wenn das wirklich so ist, ist Ihre repräsentative Demokratie am Ende. Dann repräsentiert sie nämlich nicht mehr, sondern dann diktiert sie, gegen den Willen des Volkes.
Und das findet der Parlamentspräsident Lammert offensichtlich auch gut so: "Ich bin heilfroh, dass wir in Deutschland den Bundespräsidenten in einer eigens zu diesem Zweck zusammengerufenen Bundesversammlung wählen und nicht in einer Direktwahl". Er sagte das im Zusammenhang mit der Wahl in Österreich.
Wo kommen wir hin, wenn der Plebs mitredet?
Was meinte er wohl damit? Wo käme Deutschland hin, wenn der Plebs ein Mitspracherecht bekäme und womöglich einen anderen Bundespräsidenten wählen würde, als den sich die Etablierten vorher ausgekungelt hatten? Plebiszitäre Sodom-und Gomorrha-Verhältnisse in Berlin? Dann wären wir womöglich mit einem weniger famosen Bundespräsidenten gestraft, als mit dem amtsmüden Pfarrer Gauck?
Der Plebs versteht nach Ansicht unseres Parlamentspräsidenten sowieso nur die Hälfte von allem: „Ja, was haben wir falsch gemacht? Aufseiten der Politik bedienen wir sicher nicht ausreichend das Erklärungsbedürfnis bei den Themen, mit denen wir nun mal zu tun haben und die allesamt so komplex geworden sind, dass es natürlich gerade die Patentlösungen nicht gibt, die man sich am liebsten vorstellen möchte…“
Da haben wir’s: nach Meinung der Etablierten sind wir zu dümmlich für die komplexe Politik, selbst wenn sie uns erklärt wird. Weil wir „Patentlösungen“ wollen, die es nicht gibt. Und weil wir die Sätze von Herrn Lammert dreimal lesen müssen, bis wir sie einmal halbwegs verstehen.
Für unsere Politiker kommt es jetzt leider ganz dick: In einer N24-Emnid-Umfrage halten fast drei Viertel der Befragten (74 Prozent) die etablierten Parteien für realitätsfremd. Auf die Frage, ob sich die etablierten Parteien von der Lebensrealität der deutschen Bevölkerung entfernt haben, antworten 42 Prozent mit "ja, stark" und weitere 32 Prozent sogar mit "ja, sehr stark". Auch die Medien schneiden in der Umfrage schlecht ab: Fast zwei Drittel finden nicht, dass die Presse Sorgen und Nöte der Bevölkerung ausreichend abbildet.
Drei Viertel der Bevölkerung fühlen sich durch die Volksvertreter im Bundestag nicht mehr repräsentiert? Die Parteien und die Medien werden als „realitätsfremd“ wahrgenommen? Politiker sind nach Volksmeinung orientierungslos, Phrasen dreschend und weltfremd? Bei den Medien kommt politische Korrektheit vor Wirklichkeit?
Robin Hood - nur umgekehrt: Politiker gegen den Widerstand des Volkes
Natürlich sehen die Politik und die Medien das ganz anders als das nörgelnde Volk. Fakten mögen Fakten sein, aber Wahrnehmung ist nun mal Realität. Jetzt ist es passiert: das Volk hat eine andere Realität als die Etablierten. Ist das jetzt so eine umgekehrte Robin Hood Situation? Die Politiker müssen gegen den Widerstand des Volkes ihre richtige Politik durchsetzen? Sind Volksparteien, die glauben, gegen das Volk regieren zu müssen, noch Volksparteien?
Spitzenpolitiker kann man heute mit Fug und Recht als Polit-Celebrities bezeichnen. Zumindest lassen sie sich gern so feiern und das bedauernswerte Volk muss jeden Tag ihre Konterfeis in den Medien ertragen. Bei den Spitzen-Politikern kommt nur noch ein hochgradig gefiltertes Bild der Wirklichkeit an. Sie leiden an selektiver Wahrnehmung. Die Merkels und Gabriels unserer Tage sind umgeben von einer Phalanx von servil-devoten Hofschranzen, lauter kleinen Mini-Merkels und Mini-Gabriels, die jede böse Realität von ihnen fernhalten und nur gute Nachrichten durchlassen - weil sie dadurch die besten Chancen haben, selbst mal in den erlauchtesten Kreis der Merkels und Gabriels aufzusteigen. Schlechte Nachrichten, Kritik oder eigene Meinungen schaden nur der Karriere.
Die Folge: Politiker reden meist untereinander, bestärken sich gegenseitig in ihren Ansichten und glauben schließlich selbst an jeden Unsinn, den sie zusammenreden. Das geht so weit, dass eine Physikerin an eine Energiewende ohne Speicher glaubt, ein Finanzminister an Schuldenrückzahlungen der Griechen und beide zusammen an einen Demokraten namens Erdogan. Systematisch werden unliebsame Tatsachen und Themen ausgeklammert. Und die Medien mit ihrer linken Sendungs-Mentalität tun alles erdenklich Mögliche, um sie ja darin zu bestärken.
Hinter jedem Busch lauert heute ein Rechter
Wenn da nur die verdammte Realität nicht wäre. Hinter jedem Busch lauert heute ein Rechter und es werden immer mehr. Sie brüllen und hetzen und sind ihrer Meinung. Sie treiben die Politik vor sich her. So weit sind sie schon gekommen: alle Parteien und die Medien müssen sich „notgedrungen“ gegen das Volk in einer „Superkoalition“ zusammenschließen unter dem Dreyer-Motto: „Demokraten müssen sich zusammentun, um AfD zu verhindern“. So als würde die AfD nicht vom Souverän gewählt, sondern hätte sich an die Macht geputscht.
Deutschland droht 2017 nach der Wahl eine Greenpeace-Koalition: Schwarz-Rot-Grün-Gelb-Dunkelrot.