Wende oder Weitermerkeln?

Oppositionspolitiker sprachen nach der Abwahl des von Angela Merkel unterstützten CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder von der Kanzlerdämmerung. In manchen Kommentaren hieß es, der einst als mächtigste Frau der Welt gepriesenen Regierungschefin würde die Macht entgleiten. Manch einer versuchte gar zu suggerieren, es könne ein Zeichen für eine bevorstehende Wende, gar einen absehbaren Regierungswechsel oder Umsturz sein.

Doch es ist womöglich nicht mehr als ein Sturm, vielleicht sogar ein kleiner Orkan, allerdings dennoch nur im sprichwörtlichen Wasserglas. Denn der neu gewählte Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus versuchte schon in Statements vor seiner Wahl, und erst recht danach, zu versichern, dass er sich nicht gegen die Kanzlerin stellen werde.

Mag er gegenüber Angela Merkel nicht so hörig und für sie nicht so pflegeleicht sein wie der langjährig treue Vasall Kauder, so kann er ihr zumindest kurz- und mittelfristig nicht gefährlich werden. Sollte seine Aussage, dass zwischen ihn und Merkel „kein Blatt Papier“ in der Zusammenarbeit passen werde und dass seine Wahl keine Absage an die Kanzlerin sei, nicht ernster zu nehmen sein als frühere Merkel-Statements, in denen sie Weggefährten ihr volles Vertrauen aussprach, wenn sie kurz vor dem Amtsverlust standen, so hat sie gegenüber der Fraktion immer noch eine entscheidende Trumpfkarte in der Hand. Es ist die Angst, die Angst vor Neuwahlen.

Mit dieser Angst sind die meisten Mandatsträger aller Koalitionsfraktionen erpressbar. Gerade die Hinterbänkler würden riskieren, noch knapp drei Jahre sichere Abgeordnetenzeit bei zweifelhaften Chancen auf einen Wiedereinzug in den Reichstag aufzugeben. Amtsinhaber müssten auf ihre Ämter verzichten. Das ist verständlicherweise kein leichter Schritt.

Flexibilität und Beliebigkeit

Wenn aber Angela Merkel die Möglichkeit hat, potenzielle Abweichler im Ernstfall – und ein solcher war die Fraktionsvorsitzenden-Wahl nicht – mit der Neuwahl-Drohung auf Linie zu bringen, kann sie weitermerkeln, wie bisher. Vielleicht wird sie – wie neuerdings im Falle Maaßen – ihr Handeln mit einem Fehlereingeständnis in einer Nebensache garnieren, aber grundsätzlich wird es unverändert bleiben. Dass sie über eine maximale inhaltliche Flexibilität – dank eigener inhaltlicher Beliebigkeit – verfügt, hat sie ja hinreichend bewiesen. Nur zu Kurswechseln, die mit einem Eingeständnis wichtiger früherer Fehlentscheidungen einhergehen müssten, ist sie leider nicht in der Lage.

Mag sein, dass wir einen kleinen Schritt auf dem Wege zur Kanzlerinnendämmerung erlebt haben, aber die Zeit des abnehmenden Lichts kann sich in diesem Falle noch verdammt in die Länge ziehen. All die voreiligen Wende- und Wechselträume werden wohl vorerst zerplatzen. Inwieweit es Ralph Brinkhaus gelingen wird, dennoch halbwegs das Bild des Unabhängigen zu wahren und nicht auch alsbald als Merkels Bettvorleger zu landen, kann heute noch niemand wissen.

Allerdings ist es kein unwichtiger Tag, denn der neue Haarriss im Machtgefüge der gefühlt ewigen Kanzlerin, kann selbstverständlich dazu führen, dass der eine oder andere, der von Wechsel, Wende oder Umsturz träumt, vielleicht etwas eher ans Handeln denkt. Robert Birnbaum hat im Tagesspiegel dazu einen passenden Gedanken formuliert:

„Merkel aber weiß jetzt, dass es nichts werden wird mit einem selbstbestimmten, einem geordneten Wachwechsel. Im Dezember muss sie sich selbst stellen; beim Parteitag in diesem Jahr steht die Wahl zum Parteivorsitz an. Dass da niemand gegen sie aufsteht, ist jetzt nicht mehr sicher. Denn für alle, die auf ihr Erbe spekulieren, hält Kauders Sturz ja auch eine kleine Lehre bereit: Wer zu spät aufzeigt, dem kommt womöglich irgend ein Brinkhaus dazwischen.“

Es hat sich ein Gegenkandidat zum Amtsinhaber gefunden und er hat überraschenderweise gewonnen. Das sollte ein demokratischer Normalfall sein, auch und gerade in der zahlenmäßig größten Bundestagsfraktion. Dass schon die Existenz eines Gegenkandidaten als etwas Besonderes galt, zeigt eigentlich einen bedenklichen Zustand der demokratischen Kultur. Das und die vielen verdrängten ungelösten Probleme des Landes wären ein guter Grund zu hoffen, dass es mit einem Wechsel schneller ginge. Aber welcher Kanzler oder welche Kanzlerin stünde denn gegenwärtig bereit, um die – trotz gegenwärtig guter Wirtschaftsdaten – vielen prekären, vernachlässigten oder sogar fahrlässig geschaffenen Probleme in einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede klar zu benennen und danach ideologiebefreite, pragmatische Lösungsansätze zu entwickeln?

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Leserpost

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Volker Heiser / 26.09.2018

Vielen Dank für Ihren letzten Satz! Wäre (Konjunktiv!) Merkel erst einmal weg, müsste (wieder Konjunktiv!) sie logischer Weise durch jemanden ersetzt werden. Na durch WEN denn? Und welche politische Wende oder Kurskorrektur würde denn durch eine(n) potenzielle(n) NachfolgerIn einsetzen? Etwas würde sich natürlich ändern, die AfD würde über Nacht dramatisch an Zustimmung verlieren und in den Umfragen erheblich abrutschen. Denn das erklärte Ziel (Wir werden sie jagen) wäre ja erreicht. Ist Merkel “erlegt”, hat sich die AfD erledigt - zumindest für all diejenigen, die gar nicht mit ihr sympathisieren, sondern einfach nur das Ende der Merkel-Aera herbeisehnen.

W.Schneider / 26.09.2018

Der letzte Satz Ihres Artikels erinnert doch stark an die offenbar immer gültige CDU-Propaganda, die da lautet: “Wer soll´s denn sonst machen?”  Kann man nicht feststellen, wenn man keinen Kandidaten zulässt. Wer suchet, der findet.

Bernd Ackermann / 26.09.2018

Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass Angela Merkel schon bald das Fell von Ralph Brinkhaus neben das von Jens Spahn an die Wand ihres Wohnzimmers nageln wird. Das heutige Parteiensystem spült leider immer wieder Opportunisten, weichgespülte Ja-Sager, Angepasste und Kriegsgewinnler nach oben und in Positionen, aus denen man diese Leute am besten fern halten würde. Auch Brinkhaus wird das Hemd näher sein als der Rock, die Merkel-Doktrin, dass Machterhalt wichtiger ist als Veränderung und wie man das Fähnchen in den Wind hängt, wird auch er verinnerlicht haben.

Gabriele Kremmel / 26.09.2018

Wenn Sie mich fragen - ich halte ich es für unwahrscheinlich, dass hier der Schaden für Merkel größer sein wird als ihr Nutzen. Mit der unerwarteten Abwahl Kauders tut sich für viele verprellte CSU-Wähler ein neuer Hoffnungsschimmer am Horizont auf, dass sie nicht Merkel bekommen wenn sie ihre Stimme der CSU geben. Es schaut aus wie ein Rebelliönchen, ist aber noch keins. Ohne verallgemeinern zu wollen, so wie viele Wähler ticken sind sie froh, dass das Problem Merkel sich augenscheinlich innerhalb der CDU löst. Die Abwahl von Kauder gibt hierfür das Signal, selbst wenn es sich später als Fehlalarm herausstellen sollte. So gewinnt man potentielle und bereits entschlossene Protestwähler zurück, und das ist das Ziel für die Bayernwahl. Merkel gibt einen Haufen Umfragen in Auftrag und orientiert sich an Stimmungen. Wenn die Wähler zur Opposition überlaufen weil sie Veränderungen wollen, Merkel aber keine Veränderung herbeiführen will, dann liefert sie eben die Illusion von Veränderung.

U. Unger / 26.09.2018

Bravo Herr Grimm, sehr gut kommentiert, passend zu einer Analyse von Roland Tichy, die ähnlich endet. Ihren Verweis auf die Hinterbänkler habe ich vor längerer Zeit in einem Beitrag von Herrn Sarrazin in ausführlicherer und fundierter Erklärung gelesen, Sie fassen das wesentliche, die Angst der Hinterbänkler. Egal ob Sie nur, einen weiteren Haarriss im Machtgefüge erkennen, langfristig dürften Alle, die dass Merkelsche Lügengebilde gestützt und schöngeredet in der Partei aussortiert werden müssen. Die SPD ist in Ihrem Niedergang schon einen großen Schritt voraus, planlos und ziellos. Die Chancen der CDU sich nach Merkel erneut in die Wählergunst vergangener Zeiten zu bringen, dürften minimal sein. Das finde ich gut! Ich hätte nichts dagegen, wenn “Volksvertreter” dieser Parteien vom Souverän so zahlreich in die Arbeitslosigkeit verabschiedet würden, wie bei Schließung einer großen Fabrik. Im Gegensatz dazu habe ich mit keiner dieser Personen einen Funken Mitleid, da erstens nicht Hartz 4 kommt, und jeder nur seinem Gewissen und garantierter Entscheidungsfreiheit gefolgt ist. Persönlich versagt, hoffentlich Konsequenzen! Besser wird es nur mit neuen Ideen und hochbegabten Leuten, die lernfähig die Fehler Ihrer Vorgänger aufarbeiten und ausbügeln. In jeder Fußballmannschaft wird Versagen derzeit besser aufgearbeitet, als in der Politik. Dies ist ein absolutes Armutszeugnis!

Wilfried Cremer / 26.09.2018

Backe, backe Kuchen - gähnende Leere, so weit das Auge in der Landschaft der Parteien reicht. Ergo: Es muss jemand von außerhalb kommen. Aber bitte keinen Käse!

beat schaller / 26.09.2018

“Aber welcher Kanzler oder welche Kanzlerin stünde denn gegenwärtig bereit, um die, trotz gegenwärtig guter Wirtschaftsdaten, vielen prekären, vernachlässigten oder sogar fahrlässig geschaffenen Probleme in einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede klar zu benennen und danach ideologiebefreite, pragmatische Lösungsansätze zu entwickeln?” Gute Frage Herr Grimm, und höchste Zeit wäre es. Aber wir müssen wohl warten, bis die Mundwinkel von A.M. unten zusammentreffen, damit dieser Kreis endlich geschlossen wird. Ob wir das schaffen? b.schaller

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