Felix Perrefort / 27.07.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 93 / Seite ausdrucken

Was ist „gesichert rechtsextrem“?

Bemüht sich der Verfassungsschutz wirklich noch, zwischen rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal und rechtsextrem zu unterscheiden? 

Bei der Beantwortung der Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD legitim als eine rechtsextreme Partei einschätzt, spielt die persönliche Haltung gegenüber der Partei keine Rolle, sofern man es mit dem Rechtsstaat hält. Anders als Politiker, Journalisten oder Aktivisten, denen polemische Stilmittel (wie die rhetorische Übertreibung) zustehen, handelt es sich beim Verfassungsschutz um einen Inlandsgeheimdienst, der bei einer solchen Einstufung zu Mitteln und Methoden befugt ist, zu denen die Überwachung der Kommunikation, das Sammeln und Speichern von Daten und der Einsatz von V-Männern gehören. Daher ist der Verfassungsschutz eigentlich zu höchster Sachlichkeit und Genauigkeit verpflichtet. Er darf in seiner Auswertung des Materials nicht kreativ übertreiben und großzügig ausdeuten, sondern muss sich begrifflich streng und konsistent daran orientieren, was das Material von sich aus hergibt. Die folgenschweren Beurteilungen einer staatlichen Institution sollten vollständig und logisch nachvollziehbar durch die Tatsachen gedeckt sein, auf denen sie beruhen. 

In diesem Text geht es nicht um die Frage, ob und inwieweit die AfD Thüringen rechtsextrem ist, sondern ob der Thüringer Verfassungsschutz imstande ist, die Einstufung des Landesverbands als „gesichert rechtsextreme“ Bestrebung gegen die freiheitliche Grundordnung hinreichend zu begründen. 

Die Argumentation der Behörde erstreckt sich auf elf Seiten (S. 14–25), veröffentlicht im aktuellen Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2021, der im Jahr 2022 publiziert wurde (der Bericht für 2022 ist noch nicht verfügbar). Zunächst eine Vorüberlegung.

Folgt man dem Thüringer Verfassungsschutz, so ist in Thüringen die derzeit beliebteste Partei (34 Prozent) aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die NPD. Damit würde jeder dritte Wahlberechtigte einer handfesten Nazipartei seine Stimme geben. Schließlich ist „Rechtsextremer“ nur die höflichere Wortwahl für „Nazi“, wie der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer zu Recht festhält. Ein Vertreter dieser „rechtsextremen Partei“, der gewählte Landrat Robert Sesselmann, hat nun wiederum den „Demokratiecheck“ durch das Thüringer Landesverwaltungsamt, also die Prüfung seiner Verfassungstreue bestanden. Hält man die Einschätzung von Landesverwaltungsamt und Verfassungsschutz zugleich für wahr, handelt es sich bei einem Vertreter einer rechtsextremen Partei um einen dem Grundgesetz verpflichteten Mann, scheint es also möglich zu sein, dass sich unter die Thüringer Nazis auch Demokraten mischen.

Nun ein Blick darauf, wie der Verfassungsschutz sich gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigt, welche Argumente und Belege er heranzieht, um die Thüringer AfD als im Kern rechtsextrem, also verfassungsfeindlich zu bestimmen.

Je härter die Vorwürfe, desto schwerer die Beweislast

Der Verfassungsschutz definiert Rechtsextremisten als Menschen, die „unterstellen, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide. Dieses Werteverständnis konterkariert zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und steht damit in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz.“ Als rechtsextremistische Parteien nennt er die NPD, „Die RECHTE“ und den „Dritten Weg“. Laut aktuellem Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2021 richte die Thüringer AfD „sich als Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, ein Umstand, der sich „zu einer Gewissheit verdichtet“ habe, weshalb sie als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ geführt wird. Denn: In der Thüringer AfD „gelten verfassungsfeindliche Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richten, als die beherrschende und weitgehend unumstrittene politische Ideologie innerhalb des Landesverbandes.“ 

Je schwerwiegender die Vorwürfe, desto schwerer wiegt auch die Beweislast. Auf elf Seiten (ca. 4.500 Wörter) sucht der Verfassungsschutz sie zu stemmen. Es mag durchaus sein, dass es solche Beweise gibt, der Verfassungsschutz ist aber offenbar nicht in der Lage, sie zu präsentieren.

Das AfD-Kapitel behandelt fünf Punkte: Islamfeindschaft/Menschenwürde, Demokratieprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Geschichtsrevisionismus und Corona-Proteste. Knapp die Hälfte davon fällt auf das Thema „Islamfeindschaft“, in der „Verstöße gegen die Menschenwürde“ zum Ausdruck kommen sollen (dazu später mehr). In gerade einmal zwei Absätzen (!) werden die „Angriffe auf das Rechtsstaatsprinzip“ abgehandelt. Konkret wird ein einziger Facebook-Beitrag angeführt, in dem sich Vorstandsmitglied Stefan Möller über das Bundesverfassungsgericht beschwert. Möller zufolge werden die Richter „von der herrschenden politischen Mehrheit sorgfältig ausgewählt und eingesetzt“, was er am Beispiel von Stephan Harbarth (saß bis 2018 für die CDU im Bundestag) festmacht, „dem er unterstellt, auch in seiner Funktion als Richter weiterhin an Positionen festzuhalten, die er als ‚Bundestagsabgeordneter der CDU‘ vertreten habe.“ 

Damit, so der VS, spreche er „den unabhängigen Gerichten ihre Kontrollfunktion und somit der Bundesrepublik ein System demokratischer Gewaltenteilung ab.“ Der VS belegt den Vorwurf einer gegen das Rechtsstaats-Prinzip gerichteten Position mit nur einem Social-Media-Beitrag, in dem nicht das Prinzip infrage gestellt wird, sondern eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit mit einem Befangenheitsvorwurf behauptet wird. Der VS deutet den von einer Person erhobenen Vorwurf eines rechtsstaatlichen Defizits als ihren Wunsch, den Rechtsstaat abzuschaffen und unterstellt diese Ambition wiederum der Thüringer AfD insgesamt (nachzulesen hier auf S. 21). 

Selbst in der linksliberalen Zeit findet Volker Boehme-Neßler, Professor u.a. für Öffentliches Recht, es problematisch, „wenn aktive Partei-Politiker unmittelbar aus einem politischen Amt ans Verfassungsgericht wechseln. Ob berechtigt oder nicht: In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Parteipolitik das unparteiische Bundesverfassungsgericht infiltriert.“ Für den VS ist das bereits ein Flirt mit einer verfassungsfeindlichen Position. Möllers vollständige Argumentation kann man sich hier anschauen. Er resümiert: „Wer wie wir das Grundgesetz für einen gelungenen Leitfaden des Zusammenlebens in Deutschland hält, kann sich nicht mehr auf den Schutz der Gerichte verlassen.“ Ob zutreffend oder nicht: Diese Vorwürfe sind kein valides Exempel für „Angriffe auf das Rechtsstaatsprinzip“, für die der VS nur dieses eine Beispiel anführt.

Interpretieren statt recherchieren

Nun zu den „Verstößen gegen das Demokratieprinzip“. Dieses beruht bekanntlich auf Volkssouveränität, also jener „Organisationsform politischer Herrschaft, bei der die Errichtung und Organisation der politischen Herrschaftsgewalt auf eine vom Volk ausgehende Entscheidung und Legitimation zurückgeführt werden kann.“ (bundestag.de) Gegen dieses Prinzip habe Björn Höcke nun mit diesen Äußerungen auf Facebook verstoßen: 

„Ab 2015 spaltete die illegale Zuwanderung Millionen kulturfremder Menschen unser Volk. Seit eineinhalb Jahren setzt der freiheitsgefährdende ‚Corona-Notstand‘ diese Spaltung unseres Volkes fort. Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß in Bälde ein wohlstandsvernichtender ‚Klima-Notstand‘ erneut unser Volk spalten wird. Wir Deutschen werden im Zustand permanenter Spaltung gehalten. Niemals seit der Wiedervereinigung war das deutsche Volk so zerrissen wie 2021. Eine wirkliche deutsche Einheit – jenseits von phrasengeschwängerten Sonntagsreden“ sei „in weite Ferne gerückt!” (S. 19.)

Höcke soll nicht weniger als die Demokratie infrage gestellt haben, indem er „illegale Einwanderung, ‚Corona-Notstand und ‚Klima-Notstand in einen Sachzusammenhang“ bringt, durch den die Deutschen in einem „Zustand permanenter Spaltung“ gehalten würden und „eine wirkliche deutsche Einheit“ verhindert werde. Die Interpretation im Wortlaut:

„Die extremistische Position, wonach Mächte im Hintergrund ‚das deutsche Volk‘ in „permanenter Spaltung“ halten, kommt auch hier durch den Sprachstil zum Tragen. Die Überwindung dieser Mächte und des gesamten ‚Systems, das sie hervorbringt, wird als alternativlos angesehen. Damit wird deutlich (!) formuliert, dass die Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland als vermeintlich diktatorisches System unabhängig vom konkreten politischen Thema bestehen bleibt.

Während die fantasievollen Interpretatoren „Mächte im Hintergrund“ und ein „System“ ins Spiel bringen, von denen nirgends die Rede ist, sagt der AfD-Politiker, wenn auch mit nationalem Pathos, in der angeführten Quelle lediglich: Die Zuwanderungs- und Corona-Politik habe die deutsche Gesellschaft gespalten und dies würde mit einem Klima-Notstand künftig fortgesetzt. Der VS interpretiert dies als eine Verschwörungstheorie, die die Bundesrepublik als Diktatur diffamiert und die Abschaffung des Grundgesetzes als „alternativlos“ behauptet. 

Es geht in der Kritik an der Vorgehensweise des Verfassungsschutzes nicht um Björn Höcke. Blenden wir ihn einmal aus. Wenn eine sachlich keineswegs gestützte Kreativität im Ausdeuten von Aussagen für eine „gesicherte“ Einordnung ins rechtsextreme Lager ausreicht, dann würde es dem Regierungs- und Staatsapparat möglich, sich die Opposition geradeso zu erschaffen, wie es nötig ist, um sie auch mit repressiven Mitteln zu bekämpfen. Hier müsste der VS sich schon die Mühe machen, eine belastbare Quelle anzuführen, das wäre seine Aufgabe, der er aber nicht nachkommt. Die Behörde läuft damit Gefahr, zu einer Waffe (partei-)politischer Auseinandersetzung zweckentfremdet zu werden.

Die Umdeutung von Lapidarem zu Verfassungsfeindlichem setzt sich in den anschließenden Beispielen fort. Als weitere „Verstöße gegen das Demokratieprinzip“ deutet der VS das „Opfer-Narrativ“ der Partei, sie würde undemokratisch und unfair behandelt, außerdem die Behauptung, Briefwahlen seien manipulativ eingesetzt worden. Dann wird es besonders interessant. Zitat Höcke: „Wer einer Regierung in Ausnahmesituationen erlaubt, das Recht zu brechen, wird bald erleben, daß die Regierung Ausnahmesituationen schafft, um Recht zu brechen.“ Damit habe er suggeriert, „die Regierung würde diese Situationen künftig absichtsvoll herbeiführen und unterstellt pauschal undemokratische Absichten.“ Während „Verstöße gegen das Demokratieprinzip“ der Sache nach darin bestehen, das staatliche Gewaltmonopol von der Legitimation durch Wahlen entkoppeln zu wollen (etwa einen Führerstaat errichten zu wollen), beginnen derartige Verstöße laut VS bereits mit der Unterstellung „undemokratischer Absichten“, was in Demokratien ständig vorkommt. 

Wieder soll gelten: Wer eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit behauptet, attackiere das zugrundeliegende Prinzip. Wohlgemerkt stammt das nicht von Politikern oder Journalisten, sondern von einem Inlandsgeheimdienst, der sich auf diese Weise dazu ermächtigt, Politiker und Parteimitglieder ausspähen zu dürfen oder sie zu infiltrieren. 

Das weite Feld zwischen rechts und rechtsextrem

Der Nachweis einer Demokratie- und Rechtsstaatsfeindlichkeit wurde in den entsprechenden zwei Unterkapiteln nicht erbracht, weil die quantitativ dürftigen Belege qualitativ nicht hergeben, zu was der Verfassungsschutz sie macht: Beweise oder wenigstens unmissverständliche Zeichen für Bestrebungen, den Verfassungsstaat abschaffen zu wollen. Noch einmal: Es mag solche Belege geben, man müsste sie dann aber auch anführen. Um seine Einstufung vorzunehmen, deutet der Verfassungsschutz zusammengeklaubte Quellen mit einer Kreativität, die selbst in einem journalistischen Text als fragwürdig gelten müsste, weil auch der Pressekodex zu Wahrhaftigkeit verpflichtet. Da fragt man sich schon, von welcher Qualität die Arbeit dieser Behörde eigentlich ist.

Mit Beispielen für „Islamfeindlichkeit“ sollen „Verstöße gegen die Menschenwürde“ begründet werden, wobei sich wiederum auf FB-Postings berufen wird: „Afghane verwüstet die Frauenbergkirche in Nordhausen: Gekommen um zu schänden.“, „Wer halb Kabul aufnimmt, hilft nicht etwa Kabul, sondern wird selbst zu Kabul“ (eine Anspielung auf ein Zitat Peter Scholl-Latours), „,Ortskräfte' aus Afghanistan? Kein Zweites 2015!“ Man kann diese Postings reißerisch und populistisch nennen, aber verstoßen sie gegen die Menschenwürde?  

Der erste Beleg im AfD-Kapitel ist ein Zitat Höckes anlässlich des Anschlags in Würzburg 2021, bei dem ein Somalier drei Frauen tötete und fünf weitere Personen schwer verletzte: „Es interessiert mich nicht, warum der Täter nach Deutschland kam – ob er tatsächlich auf der Flucht war oder hier nur ein besseres Leben suchte. Die Art, wie er die Aufnahme dankte, zeigt: Er gehörte von Anfang an nicht hier hin.” 

Damit hätte Höcke „apodiktisch angenommen“, der Somalier gehöre aufgrund seiner Ethnie nicht nach Deutschland, würde sich zeigen, dass Höcke individuelles Verhalten als irrelevant bewertet. Dabei macht dieser sein rückwirkendes Urteil ja am Verhalten fest, nämlich an der „Art, wie er die Aufnahme dankte“. Klar: Höcke spielt geschickt mit der Doppeldeutigkeit, denn völkisch könnte man den Satz auch auslegen. Nur: Eine rassistische Position, „die von einer biologisch begründeten und damit irreversiblen Ungleichheitsannahme zwischen einzelnen Menschen und Bevölkerungsgruppen ausgeht“, wie der VS kurz zuvor ausführt, ist damit nicht eindeutig belegt. Gibt es denn keine weiteren Belege? Statt beispielsweise unzweifelhaft rassistische Aussagen zu präsentieren, wie man sie von einer „gesichert rechtsextreme“ Partei erwartet, greift der VS auf interpretationsbedürftiges Material zurück – und das gleich beim ersten Beleg, dem er damit eine zentrale Stellung einräumt. 

Ein begründeter Verdacht ist keine gesicherte Erkenntnis

Wie gesagt: Es geht in diesem Text nicht darum, ob Bürger oder Medien die Thüringer AfD legitim als rechtsextrem bezeichnen dürfen, sondern darum, ob der Inlandsgeheimdienst seine folgenschwere Einstufung hinreichend begründen kann. Der VS ist eine Institution, die in der Bevölkerung und unter Journalisten ein hohes Maß an Vertrauen genießt, auf deren Einschätzungen man sich freilich auch in der politischen Auseinandersetzung beruft. Schaut man genauer hin, argumentiert diese Institution ausgesprochen dürftig, was entweder an der Unfähigkeit liegt, entsprechende Beweise zu sichern, oder daran liegen könnte, in illegitimer Weise in den politischen Machtkampf verwickelt zu sein. 

Hellsichtig argumentiert der Verfassungsschutz hingegen beim Thema Geschichtsrevisionismus. In einem angeführten Posting zum Volkstrauertrag gedenkt Höcke „unserer gefallenen Soldaten beider Weltkriege“. Zwar äußert der AfD-Mann nicht offen Sympathie für den Nationalsozialismus, doch tauchen Deutsche darin nur als Opfer eines diffusen europäischen Kriegsgeschehens auf, dessen Schuldiger, das nationalsozialistische Deutschland, nicht benannt wird. Dem VS ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Es bleibt hingegen gänzlich unerwähnt, dass es sich beim Zweiten Weltkrieg um einen Vernichtungskrieg handelte, der von deutschem Boden ausging und systematisch gegen Feinde im Sinne einer rassebiologischen Ideologie geführt wurde.“ Mit Recht deutet der VS dies als „Umsetzung seiner bereits 2017 geäußerten Forderung nach einer erinnerungs-politischen Wende“, die eine Form der Schuldabwehr darstellt. Ein solch ambivalentes Verhältnis zur NS-Vergangenheit, das den Schritt zu Verherrlichung und Parteinahme für den NS aber nicht geht, würde jedoch auch bei einer rechtspopulistischen, nationalkonservativen oder rechtsradikalen Partei nicht verwundern. Wichtig hierbei: Der Verfassungsschutz unterscheidet Radikalismus und Extremismus dahingehend, dass er Radikalismus gar einen „legitimen Platz“ zuweist: „Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.“  

Der Verfassungsschutz hat sich selbst auferlegt, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die AfD Thüringen nichts Geringeres vorhat, als „die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen“. Dieser Beweis wird zumindest im juristischen Sinne – und alleine darauf kommt es an  –  nicht in der erforderlichen Art und Weise geführt.

Verwässerung des Rechtsextremismus-Begriffs 

So entsteht der Verdacht, dass sich die Behörde eine strategisch motivierte Ausweitung des Rechtsextremismus-Begriffs zu eigen macht, die den bundesweiten Diskurs insgesamt prägt und die zu der verständlichen Wahrnehmung vieler Bürger führt, auch vollkommen legitime Meinungsäußerungen würden inzwischen als „nazi“ diffamiert. Diese Irrationalisierung der Öffentlichkeit führt dazu, dass sich ein erheblicher Teil der Bürger nicht mehr traut, öffentlich seine Meinung zu äußern, wie Meldungen stetig bestätigen (siehe etwa hierhier und hier). Die in der Corona-Zeit so offensichtlichen Versuche, Grundrechte-Protest in die Nähe von Rechtsextremismus zu rücken, finden ihr Äquivalent in der Argumentation des VS, wenn er die Rolle der AfD-Thüringen im Corona-Protestgeschehen thematisiert. Deren Kampagne zielte „darauf ab, staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als illegitim darzustellen und öffentlichen Widerstand gegen diese Maßnahmen zu legitimieren.“ Weil das für sich genommen zu demokratischer Normalität zählt, fügt der VS an: „Extremistisch wurde diese Kritik immer dann, wenn aus kritikablen politischen Entscheidungen – losgelöst von der Pandemie – eine grundsätzlich ablehnende Aussage gegenüber staatlichen Institutionen und rechtsstaatliche Verfahren abgeleitet wurde.“ Das Beispiel dafür: Höcke habe argumentiert,

„die ‚Globalisten‘ (d. h. das „globale […] Establishment und seine Dienstklasse hier) ‚hätten mit Corona eine Ablenkung‘ vom drohenden Zusammenbruch des Weltfinanzsystems geschaffen, um einen Überwachungsstaat zu errichten. Er bezeichnete die Impfung gegen das SARS COV-Virus als ‚gentherapieren lassen. Es werde massiv Druck geben, doch wer dem Druck widerstehe, so Höcke, ‚ist nicht nur ein aufrechter Demokrat, der ist in meinen Augen ein Freiheitskämpfer, ja, er ist ein Freiheitsheld und ich danke jedem, der sich nicht genmanipulieren lässt.

Das mag man für eine verquere Weltsicht halten, aber ist das wirklich eine „grundsätzlich ablehnende Aussage gegenüber staatlichen Institutionen“? Statt diesen Vorwurf auszuführen, geht der Verfassungsschutz zur nächsten Äußerung Höckes über. An ihr beanstandet er, dass Höcke Deutschlands Rechtsstaatlichkeit bestritt und sich mit unangemeldeten Demonstrationen solidarisierte. So habe Höcke „explizit Zweifel an den rechtsstaatlichen und durch die Verfassung garantierten Verfahren [geäußert], mit denen sich Bürger wehren oder ihrer abweichenden Meinung Gehör verschaffen könnten.“ Nun gehört das öffentliche Äußern von Zweifeln schlicht zur Grundskepsis eines Staatsbürgers, wie ihn bürgerliche Gesellschaften befürworten. Weiter heißt es: „Auch bestritt er, man könne politische Entscheidungen durch unabhängige Gerichte kontrollieren lassen, wie es in einem Rechtsstaat der Fall ist.“ Indem Höcke behauptet, die Judikative würde ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen, wozu es angesichts der Corona-Rechtsprechung reichlich Anknüpfungspunkte in der Wirklichkeit gibt, habe er den Verfassungsstaat angegriffen. 

Konnte der Verfassungsschutz nichts Eindeutigeres finden?

Ist der Verfassungsschutz bei seinen Recherchen wirklich auf keine schlimmeren Zitate gestoßen? Die leichtfertige Zuordnung als „Rechtsextrem“ entwertet den Begriff, macht ihn beliebig und er wird harmloser. Hatten wir es in der Bundesrepublik nicht einmal gelernt, zwischen rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal und rechtsextrem zu unterscheiden? Warum kommen solche Unterscheidungen im Blick auf den gesamten Landesverband einer Partei mit verschiedenen politischen Strömungen nicht vor?

Wie wäre obiges Zitat eigentlich eingeordnet worden, wenn ein Anderer die gleichen Zeilen verbreitet hätte? Wenn der Name Höcke gar nicht vorkäme? Man mag aus verwendeten Begriffen und der Sprache eine grundsätzliche Gesinnung herauslesen können, aber reicht das, um gesicherten Extremismus zu belegen? Die Rolle der Justiz im Corona-Ausnahmezustand wurde im Übrigens mitnichten nur aus der AfD kritisiert. Der bereits zitierte Volker Boehme-Neßler urteilte: „Unsere Justiz hat bei Corona versagt“. 

Völlig losgelöst von der Debatte um die AfD hat doch die Corona-Zeit gezeigt: Diese Argumentation erlaubte es, Verfassungsfreunde zu Verfassungsfeinden zu erklären. Und auch unabhängig davon wohnt diesem Vorgehen ein brandgefährliches Potenzial inne: Indem der Verfassungsschutz von vornherein die Möglichkeit ausschließt, dass der real-agierende Staat seinem Verfassungsauftrag nicht gerecht wird, immunisiert er den Staat gegen Kritik. Indem er für unbestreitbar hält, dass Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland einwandfrei funktionieren, schützt er nicht die Verfassung, sondern den Staats- und Regierungsapparat in seiner faktischen Verfasstheit. 

 

Felix Perrefort ist Redakteur und Autor der Achse des Guten. 

Foto: Pixabay

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R. Reger / 27.07.2023

. Eine wirkliche deutsche Einheit - jenseits von phrasengeschwängerten Sonntagsreden“ sei „in weite Ferne gerückt!” (S. 19.) Diese Aussage ist zumindest gesichert. Ganz aktuell durch die CDU in Person von F. Merz. Den Erfinder der “Brandmauer gegen die AfD”. Den jämmerlichen Begriff Brandmauer hätte er sich besser schenken sollen. Er stellt 20% der Bundesbürger, und gar 40% der Thüringer auf die andere Seite einer Mauer. So etwas nach dem Mauerfall noch einmal aus der Mottenkiste zu holen ist hochgradig unsensibel und verwerflich.  Daher, dass Merz ein Spalter ist, Menschen diesseits und jenseits gar voneinander trennt,  das nenne ich mal “gesichert”. Vor allem verdient das haarscharfe Sezieren des irregeleiteten Thüringer VS vollen Respekt. Kühl, unaufgeregt und präzise argumentiert, eine wahre Freude dies in klarem, verständlichen Deutsch zu lesen. Klasse Arbeit, Felix Perrefort!

Gustav Kemmt / 27.07.2023

Das zugrundeliegende Problem ist die Dummheit. Zu dieser einige Worte: Dass die Dummheit sich selbst nicht kennt oder erkennt, ist gewissermaßen schon ihr Kern: die Unfähigkeit zur Selbstkritik. Dieser Kern ist für sich zunächst nicht problematisch. Problematisch wird die Unfähigkeit zur Selbstkritik erst dann, wenn sie sich selbst für intelligent hält und gegen die wirkliche Intelligenz vorgeht. Um einen solchen Fall handelt es sich hier und wir sehen aber viele dieser Fälle, sei es in Politik, Wissenschaft und Bildung etwa. Nun kommt aber ein gewisses Moment hier noch hinzu: Nicht nur halten sich die Schwachköpfe beim VS für intelligent und diffamieren die Intelligenz, wie sie auch in den Äußerungen Höckes durchaus vorhanden ist. Nein, die Dummheit schlägt aus und will die vernichten, die die Dummheit desavouieren. Man könnte hier von einem Krieg dumm gegen intelligent sprechen. Allein, diejenigen, die die Dummen vor ihren Karren gespannt haben und die Gesellschaft für sich damit in Spannung halten, dürften wissen, was sie tun. Das Gute in meinen Augen: Dass es so dumm wird wie mit “Pandemie” und “Klima” spricht dafür, dass die Herrschaften auf dem letzten Loch pfeifen und wirklich davor Angst haben, das Volk, der Souverän, könnte es ernstnehmen mit seiner Demokratie und etwa auf Gewaltenteilung pochen. Mit den “Geflüchteten” und darunter nicht wenigen Islamfanatikern und diese ergo und per se Verfassungsfeinde, hat man sich aber noch ein paar Leute gekauft (auf Kosten des Souveräns, versteht sich), die das Begehr nach Demokratie gewissermaßen ausdünnen.

Rosemarie Könen / 27.07.2023

Alles richtig. Ich möchte nur zum angeblichen Geschichtsrevisionismus, der Höcke als rechtsextrem angeheftet wird, bemerken, dass die Ursachen von sowohl WK I als auch WK II von ausländischen Historikern im Gegensatz zur verordneten deutschen Sichtweise durchaus differenziert betrachtet werden. Auch das gut recherchierte und belegte Buch von Schultze- Rhonhof: “1939, der Krieg, der viele Väter hatte” eröffnet einen anderen als den offiziell gewünschten Blick.  Das GG verbietet das nicht . Was die Judenvernichtung angeht, hat sich Höcke nie zweifelnd geäußert.  Sein Holocaust -Mahnmal Zitat stammt übrigens von Augstein. Es besagt nur, dass kein anderes Volk sich ein Mahnmal der eigenen Schande ins Herz der Hauptstadt gepflanzt hat, diese im Gegensatz zu uns also nicht unter Missachtung der Zukunft zur Grundlage jeglicher Entscheidung auch gegen elementare Interessen des Landes macht. Und es gibt wahrlich viele Völker, die Schande über sich gebracht haben. Wenn man sieht, welche zerstörerischen Folgen dieser Schuldkult hat, kann man dem nur zustimmen. Das schreibt mitnichten eine Antisemtin. Ich habe jüdisch stämmige Verwandte. Leider ist heute dieser Hinweis nötig, um reflexhaften Einordnungen zu entgehen, obwohl ich solche voraus eilenden Rechtfertigungen hasse. Der Verfassungsschutz ist eine unsägliche Bedrohung des Rechtsstaats. Er entimmt dem GG Prinzipien, die dort nicht zu finden sind oder die nicht so gemeint sind, wie er es sich zurecht zimmert. Genau wie das unstreitig nach Parteienproporz besetzte BVerfG, ein Unding für eine Demokratie, das dementsprechend folgerichtig dem sog. Klimaschutz Verfassungsrang zubilligt.

Johannes Schumann / 27.07.2023

Das mit den “Mächten im Hintergrund” ist wirklich an den Haaren herbeigezogen, denn es werden ganz offen die “Mächte im Vordergrund” kritisiert und für schuldig befunden, also die Merkelregierung bzw. jetzt die Ampel, die linksgrünen Medien, der herrschende Zeitgeister, der eindeutig links-grün ist. Der Verfassungsschutz ist ziemlich dümmlich, wenn er solche Analysen herausbringt.

Fritz Irmgardson / 27.07.2023

Besten Dank für den Artikel! Unfassbar, was in diesem Land vor sich geht.

Jürgen Fischer / 27.07.2023

@Ilona Grimm, ich drücke das für meine Person ein bisschen kürzer aus: Ich bin rechtsextrem, weil ich das kommunistische Kroppzeug und sein Geschmarre nicht ertrage.

Jochen Brühl / 27.07.2023

Ach, hätte Helmuth Kohl doch nur solch einen Verfassungsschutz zum Schutz vor den damaligen Grünen gehabt. Es wäre doch so viel einfacher gewesen und der Spiegel wäre (spiegelverkehrt zum heutigem Compact) gesichert linksextremistisch gewesen und hätte ohne jegliche Werbeeinnahmen frühzeitig das Zeitliche gesegnet.

Bernd Neumann / 27.07.2023

Der Autor begibt sich auf dünnes Eis. Er unterstützt offenichtlich sämtliche Grundlagen des linksliberalen deutschen Staates nach 1990, so seinen postnationalen Charakter als Sühnenation, die zwar das Deutsche Reich nicht sein darf (sondern nur die „freiheitlich-demokratische Grundordnung”) jedoch mit ihm in ewiger Verbindung als nicht zun entkommender Bußverpflichtung lebt. Darum darf auch nach Ansicht des Autors nicht einfach den deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges gedacht werden, sondern muß mitinsinuiert werden, dass sie als Diener des Faschismus im Grunde zurecht getötet wurden. Höcke gehört zu den Kreisen, die diese Sichtweise fundamental infragestellen. Damit stellt der weder die Demokratie infrage noch eine Verfassung, wohl aber das Selbstverständnis der Eliten (nicht: de Volkes) dieses Staatswesens. Und diese zu schützen, notfalls auch VOR dem Volk, das ist der Sinn und Arbeitsauftrag des Verfassungsschutzes, der damit in jedem Fall dem MfS als „Schuld und Schwert” der DDR-Ordnung folgt. Daher halte ich seine Kritik am VS für phariäaerhaft. Der VS schützt auch ihn, damit Deutschland so linksliberal bleibt, wie er es am Ende auch schätzen gelernt hat.

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