Felix Perrefort / 27.07.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 93 / Seite ausdrucken

Was ist „gesichert rechtsextrem“?

Bemüht sich der Verfassungsschutz wirklich noch, zwischen rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal und rechtsextrem zu unterscheiden? 

Bei der Beantwortung der Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD legitim als eine rechtsextreme Partei einschätzt, spielt die persönliche Haltung gegenüber der Partei keine Rolle, sofern man es mit dem Rechtsstaat hält. Anders als Politiker, Journalisten oder Aktivisten, denen polemische Stilmittel (wie die rhetorische Übertreibung) zustehen, handelt es sich beim Verfassungsschutz um einen Inlandsgeheimdienst, der bei einer solchen Einstufung zu Mitteln und Methoden befugt ist, zu denen die Überwachung der Kommunikation, das Sammeln und Speichern von Daten und der Einsatz von V-Männern gehören. Daher ist der Verfassungsschutz eigentlich zu höchster Sachlichkeit und Genauigkeit verpflichtet. Er darf in seiner Auswertung des Materials nicht kreativ übertreiben und großzügig ausdeuten, sondern muss sich begrifflich streng und konsistent daran orientieren, was das Material von sich aus hergibt. Die folgenschweren Beurteilungen einer staatlichen Institution sollten vollständig und logisch nachvollziehbar durch die Tatsachen gedeckt sein, auf denen sie beruhen. 

In diesem Text geht es nicht um die Frage, ob und inwieweit die AfD Thüringen rechtsextrem ist, sondern ob der Thüringer Verfassungsschutz imstande ist, die Einstufung des Landesverbands als „gesichert rechtsextreme“ Bestrebung gegen die freiheitliche Grundordnung hinreichend zu begründen. 

Die Argumentation der Behörde erstreckt sich auf elf Seiten (S. 14–25), veröffentlicht im aktuellen Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2021, der im Jahr 2022 publiziert wurde (der Bericht für 2022 ist noch nicht verfügbar). Zunächst eine Vorüberlegung.

Folgt man dem Thüringer Verfassungsschutz, so ist in Thüringen die derzeit beliebteste Partei (34 Prozent) aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die NPD. Damit würde jeder dritte Wahlberechtigte einer handfesten Nazipartei seine Stimme geben. Schließlich ist „Rechtsextremer“ nur die höflichere Wortwahl für „Nazi“, wie der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer zu Recht festhält. Ein Vertreter dieser „rechtsextremen Partei“, der gewählte Landrat Robert Sesselmann, hat nun wiederum den „Demokratiecheck“ durch das Thüringer Landesverwaltungsamt, also die Prüfung seiner Verfassungstreue bestanden. Hält man die Einschätzung von Landesverwaltungsamt und Verfassungsschutz zugleich für wahr, handelt es sich bei einem Vertreter einer rechtsextremen Partei um einen dem Grundgesetz verpflichteten Mann, scheint es also möglich zu sein, dass sich unter die Thüringer Nazis auch Demokraten mischen.

Nun ein Blick darauf, wie der Verfassungsschutz sich gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigt, welche Argumente und Belege er heranzieht, um die Thüringer AfD als im Kern rechtsextrem, also verfassungsfeindlich zu bestimmen.

Je härter die Vorwürfe, desto schwerer die Beweislast

Der Verfassungsschutz definiert Rechtsextremisten als Menschen, die „unterstellen, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide. Dieses Werteverständnis konterkariert zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und steht damit in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz.“ Als rechtsextremistische Parteien nennt er die NPD, „Die RECHTE“ und den „Dritten Weg“. Laut aktuellem Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2021 richte die Thüringer AfD „sich als Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, ein Umstand, der sich „zu einer Gewissheit verdichtet“ habe, weshalb sie als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ geführt wird. Denn: In der Thüringer AfD „gelten verfassungsfeindliche Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richten, als die beherrschende und weitgehend unumstrittene politische Ideologie innerhalb des Landesverbandes.“ 

Je schwerwiegender die Vorwürfe, desto schwerer wiegt auch die Beweislast. Auf elf Seiten (ca. 4.500 Wörter) sucht der Verfassungsschutz sie zu stemmen. Es mag durchaus sein, dass es solche Beweise gibt, der Verfassungsschutz ist aber offenbar nicht in der Lage, sie zu präsentieren.

Das AfD-Kapitel behandelt fünf Punkte: Islamfeindschaft/Menschenwürde, Demokratieprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Geschichtsrevisionismus und Corona-Proteste. Knapp die Hälfte davon fällt auf das Thema „Islamfeindschaft“, in der „Verstöße gegen die Menschenwürde“ zum Ausdruck kommen sollen (dazu später mehr). In gerade einmal zwei Absätzen (!) werden die „Angriffe auf das Rechtsstaatsprinzip“ abgehandelt. Konkret wird ein einziger Facebook-Beitrag angeführt, in dem sich Vorstandsmitglied Stefan Möller über das Bundesverfassungsgericht beschwert. Möller zufolge werden die Richter „von der herrschenden politischen Mehrheit sorgfältig ausgewählt und eingesetzt“, was er am Beispiel von Stephan Harbarth (saß bis 2018 für die CDU im Bundestag) festmacht, „dem er unterstellt, auch in seiner Funktion als Richter weiterhin an Positionen festzuhalten, die er als ‚Bundestagsabgeordneter der CDU‘ vertreten habe.“ 

Damit, so der VS, spreche er „den unabhängigen Gerichten ihre Kontrollfunktion und somit der Bundesrepublik ein System demokratischer Gewaltenteilung ab.“ Der VS belegt den Vorwurf einer gegen das Rechtsstaats-Prinzip gerichteten Position mit nur einem Social-Media-Beitrag, in dem nicht das Prinzip infrage gestellt wird, sondern eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit mit einem Befangenheitsvorwurf behauptet wird. Der VS deutet den von einer Person erhobenen Vorwurf eines rechtsstaatlichen Defizits als ihren Wunsch, den Rechtsstaat abzuschaffen und unterstellt diese Ambition wiederum der Thüringer AfD insgesamt (nachzulesen hier auf S. 21). 

Selbst in der linksliberalen Zeit findet Volker Boehme-Neßler, Professor u.a. für Öffentliches Recht, es problematisch, „wenn aktive Partei-Politiker unmittelbar aus einem politischen Amt ans Verfassungsgericht wechseln. Ob berechtigt oder nicht: In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Parteipolitik das unparteiische Bundesverfassungsgericht infiltriert.“ Für den VS ist das bereits ein Flirt mit einer verfassungsfeindlichen Position. Möllers vollständige Argumentation kann man sich hier anschauen. Er resümiert: „Wer wie wir das Grundgesetz für einen gelungenen Leitfaden des Zusammenlebens in Deutschland hält, kann sich nicht mehr auf den Schutz der Gerichte verlassen.“ Ob zutreffend oder nicht: Diese Vorwürfe sind kein valides Exempel für „Angriffe auf das Rechtsstaatsprinzip“, für die der VS nur dieses eine Beispiel anführt.

Interpretieren statt recherchieren

Nun zu den „Verstößen gegen das Demokratieprinzip“. Dieses beruht bekanntlich auf Volkssouveränität, also jener „Organisationsform politischer Herrschaft, bei der die Errichtung und Organisation der politischen Herrschaftsgewalt auf eine vom Volk ausgehende Entscheidung und Legitimation zurückgeführt werden kann.“ (bundestag.de) Gegen dieses Prinzip habe Björn Höcke nun mit diesen Äußerungen auf Facebook verstoßen: 

„Ab 2015 spaltete die illegale Zuwanderung Millionen kulturfremder Menschen unser Volk. Seit eineinhalb Jahren setzt der freiheitsgefährdende ‚Corona-Notstand‘ diese Spaltung unseres Volkes fort. Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß in Bälde ein wohlstandsvernichtender ‚Klima-Notstand‘ erneut unser Volk spalten wird. Wir Deutschen werden im Zustand permanenter Spaltung gehalten. Niemals seit der Wiedervereinigung war das deutsche Volk so zerrissen wie 2021. Eine wirkliche deutsche Einheit – jenseits von phrasengeschwängerten Sonntagsreden“ sei „in weite Ferne gerückt!” (S. 19.)

Höcke soll nicht weniger als die Demokratie infrage gestellt haben, indem er „illegale Einwanderung, ‚Corona-Notstand und ‚Klima-Notstand in einen Sachzusammenhang“ bringt, durch den die Deutschen in einem „Zustand permanenter Spaltung“ gehalten würden und „eine wirkliche deutsche Einheit“ verhindert werde. Die Interpretation im Wortlaut:

„Die extremistische Position, wonach Mächte im Hintergrund ‚das deutsche Volk‘ in „permanenter Spaltung“ halten, kommt auch hier durch den Sprachstil zum Tragen. Die Überwindung dieser Mächte und des gesamten ‚Systems, das sie hervorbringt, wird als alternativlos angesehen. Damit wird deutlich (!) formuliert, dass die Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland als vermeintlich diktatorisches System unabhängig vom konkreten politischen Thema bestehen bleibt.

Während die fantasievollen Interpretatoren „Mächte im Hintergrund“ und ein „System“ ins Spiel bringen, von denen nirgends die Rede ist, sagt der AfD-Politiker, wenn auch mit nationalem Pathos, in der angeführten Quelle lediglich: Die Zuwanderungs- und Corona-Politik habe die deutsche Gesellschaft gespalten und dies würde mit einem Klima-Notstand künftig fortgesetzt. Der VS interpretiert dies als eine Verschwörungstheorie, die die Bundesrepublik als Diktatur diffamiert und die Abschaffung des Grundgesetzes als „alternativlos“ behauptet. 

Es geht in der Kritik an der Vorgehensweise des Verfassungsschutzes nicht um Björn Höcke. Blenden wir ihn einmal aus. Wenn eine sachlich keineswegs gestützte Kreativität im Ausdeuten von Aussagen für eine „gesicherte“ Einordnung ins rechtsextreme Lager ausreicht, dann würde es dem Regierungs- und Staatsapparat möglich, sich die Opposition geradeso zu erschaffen, wie es nötig ist, um sie auch mit repressiven Mitteln zu bekämpfen. Hier müsste der VS sich schon die Mühe machen, eine belastbare Quelle anzuführen, das wäre seine Aufgabe, der er aber nicht nachkommt. Die Behörde läuft damit Gefahr, zu einer Waffe (partei-)politischer Auseinandersetzung zweckentfremdet zu werden.

Die Umdeutung von Lapidarem zu Verfassungsfeindlichem setzt sich in den anschließenden Beispielen fort. Als weitere „Verstöße gegen das Demokratieprinzip“ deutet der VS das „Opfer-Narrativ“ der Partei, sie würde undemokratisch und unfair behandelt, außerdem die Behauptung, Briefwahlen seien manipulativ eingesetzt worden. Dann wird es besonders interessant. Zitat Höcke: „Wer einer Regierung in Ausnahmesituationen erlaubt, das Recht zu brechen, wird bald erleben, daß die Regierung Ausnahmesituationen schafft, um Recht zu brechen.“ Damit habe er suggeriert, „die Regierung würde diese Situationen künftig absichtsvoll herbeiführen und unterstellt pauschal undemokratische Absichten.“ Während „Verstöße gegen das Demokratieprinzip“ der Sache nach darin bestehen, das staatliche Gewaltmonopol von der Legitimation durch Wahlen entkoppeln zu wollen (etwa einen Führerstaat errichten zu wollen), beginnen derartige Verstöße laut VS bereits mit der Unterstellung „undemokratischer Absichten“, was in Demokratien ständig vorkommt. 

Wieder soll gelten: Wer eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit behauptet, attackiere das zugrundeliegende Prinzip. Wohlgemerkt stammt das nicht von Politikern oder Journalisten, sondern von einem Inlandsgeheimdienst, der sich auf diese Weise dazu ermächtigt, Politiker und Parteimitglieder ausspähen zu dürfen oder sie zu infiltrieren. 

Das weite Feld zwischen rechts und rechtsextrem

Der Nachweis einer Demokratie- und Rechtsstaatsfeindlichkeit wurde in den entsprechenden zwei Unterkapiteln nicht erbracht, weil die quantitativ dürftigen Belege qualitativ nicht hergeben, zu was der Verfassungsschutz sie macht: Beweise oder wenigstens unmissverständliche Zeichen für Bestrebungen, den Verfassungsstaat abschaffen zu wollen. Noch einmal: Es mag solche Belege geben, man müsste sie dann aber auch anführen. Um seine Einstufung vorzunehmen, deutet der Verfassungsschutz zusammengeklaubte Quellen mit einer Kreativität, die selbst in einem journalistischen Text als fragwürdig gelten müsste, weil auch der Pressekodex zu Wahrhaftigkeit verpflichtet. Da fragt man sich schon, von welcher Qualität die Arbeit dieser Behörde eigentlich ist.

Mit Beispielen für „Islamfeindlichkeit“ sollen „Verstöße gegen die Menschenwürde“ begründet werden, wobei sich wiederum auf FB-Postings berufen wird: „Afghane verwüstet die Frauenbergkirche in Nordhausen: Gekommen um zu schänden.“, „Wer halb Kabul aufnimmt, hilft nicht etwa Kabul, sondern wird selbst zu Kabul“ (eine Anspielung auf ein Zitat Peter Scholl-Latours), „,Ortskräfte' aus Afghanistan? Kein Zweites 2015!“ Man kann diese Postings reißerisch und populistisch nennen, aber verstoßen sie gegen die Menschenwürde?  

Der erste Beleg im AfD-Kapitel ist ein Zitat Höckes anlässlich des Anschlags in Würzburg 2021, bei dem ein Somalier drei Frauen tötete und fünf weitere Personen schwer verletzte: „Es interessiert mich nicht, warum der Täter nach Deutschland kam – ob er tatsächlich auf der Flucht war oder hier nur ein besseres Leben suchte. Die Art, wie er die Aufnahme dankte, zeigt: Er gehörte von Anfang an nicht hier hin.” 

Damit hätte Höcke „apodiktisch angenommen“, der Somalier gehöre aufgrund seiner Ethnie nicht nach Deutschland, würde sich zeigen, dass Höcke individuelles Verhalten als irrelevant bewertet. Dabei macht dieser sein rückwirkendes Urteil ja am Verhalten fest, nämlich an der „Art, wie er die Aufnahme dankte“. Klar: Höcke spielt geschickt mit der Doppeldeutigkeit, denn völkisch könnte man den Satz auch auslegen. Nur: Eine rassistische Position, „die von einer biologisch begründeten und damit irreversiblen Ungleichheitsannahme zwischen einzelnen Menschen und Bevölkerungsgruppen ausgeht“, wie der VS kurz zuvor ausführt, ist damit nicht eindeutig belegt. Gibt es denn keine weiteren Belege? Statt beispielsweise unzweifelhaft rassistische Aussagen zu präsentieren, wie man sie von einer „gesichert rechtsextreme“ Partei erwartet, greift der VS auf interpretationsbedürftiges Material zurück – und das gleich beim ersten Beleg, dem er damit eine zentrale Stellung einräumt. 

Ein begründeter Verdacht ist keine gesicherte Erkenntnis

Wie gesagt: Es geht in diesem Text nicht darum, ob Bürger oder Medien die Thüringer AfD legitim als rechtsextrem bezeichnen dürfen, sondern darum, ob der Inlandsgeheimdienst seine folgenschwere Einstufung hinreichend begründen kann. Der VS ist eine Institution, die in der Bevölkerung und unter Journalisten ein hohes Maß an Vertrauen genießt, auf deren Einschätzungen man sich freilich auch in der politischen Auseinandersetzung beruft. Schaut man genauer hin, argumentiert diese Institution ausgesprochen dürftig, was entweder an der Unfähigkeit liegt, entsprechende Beweise zu sichern, oder daran liegen könnte, in illegitimer Weise in den politischen Machtkampf verwickelt zu sein. 

Hellsichtig argumentiert der Verfassungsschutz hingegen beim Thema Geschichtsrevisionismus. In einem angeführten Posting zum Volkstrauertrag gedenkt Höcke „unserer gefallenen Soldaten beider Weltkriege“. Zwar äußert der AfD-Mann nicht offen Sympathie für den Nationalsozialismus, doch tauchen Deutsche darin nur als Opfer eines diffusen europäischen Kriegsgeschehens auf, dessen Schuldiger, das nationalsozialistische Deutschland, nicht benannt wird. Dem VS ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Es bleibt hingegen gänzlich unerwähnt, dass es sich beim Zweiten Weltkrieg um einen Vernichtungskrieg handelte, der von deutschem Boden ausging und systematisch gegen Feinde im Sinne einer rassebiologischen Ideologie geführt wurde.“ Mit Recht deutet der VS dies als „Umsetzung seiner bereits 2017 geäußerten Forderung nach einer erinnerungs-politischen Wende“, die eine Form der Schuldabwehr darstellt. Ein solch ambivalentes Verhältnis zur NS-Vergangenheit, das den Schritt zu Verherrlichung und Parteinahme für den NS aber nicht geht, würde jedoch auch bei einer rechtspopulistischen, nationalkonservativen oder rechtsradikalen Partei nicht verwundern. Wichtig hierbei: Der Verfassungsschutz unterscheidet Radikalismus und Extremismus dahingehend, dass er Radikalismus gar einen „legitimen Platz“ zuweist: „Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.“  

Der Verfassungsschutz hat sich selbst auferlegt, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die AfD Thüringen nichts Geringeres vorhat, als „die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen“. Dieser Beweis wird zumindest im juristischen Sinne – und alleine darauf kommt es an  –  nicht in der erforderlichen Art und Weise geführt.

Verwässerung des Rechtsextremismus-Begriffs 

So entsteht der Verdacht, dass sich die Behörde eine strategisch motivierte Ausweitung des Rechtsextremismus-Begriffs zu eigen macht, die den bundesweiten Diskurs insgesamt prägt und die zu der verständlichen Wahrnehmung vieler Bürger führt, auch vollkommen legitime Meinungsäußerungen würden inzwischen als „nazi“ diffamiert. Diese Irrationalisierung der Öffentlichkeit führt dazu, dass sich ein erheblicher Teil der Bürger nicht mehr traut, öffentlich seine Meinung zu äußern, wie Meldungen stetig bestätigen (siehe etwa hierhier und hier). Die in der Corona-Zeit so offensichtlichen Versuche, Grundrechte-Protest in die Nähe von Rechtsextremismus zu rücken, finden ihr Äquivalent in der Argumentation des VS, wenn er die Rolle der AfD-Thüringen im Corona-Protestgeschehen thematisiert. Deren Kampagne zielte „darauf ab, staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als illegitim darzustellen und öffentlichen Widerstand gegen diese Maßnahmen zu legitimieren.“ Weil das für sich genommen zu demokratischer Normalität zählt, fügt der VS an: „Extremistisch wurde diese Kritik immer dann, wenn aus kritikablen politischen Entscheidungen – losgelöst von der Pandemie – eine grundsätzlich ablehnende Aussage gegenüber staatlichen Institutionen und rechtsstaatliche Verfahren abgeleitet wurde.“ Das Beispiel dafür: Höcke habe argumentiert,

„die ‚Globalisten‘ (d. h. das „globale […] Establishment und seine Dienstklasse hier) ‚hätten mit Corona eine Ablenkung‘ vom drohenden Zusammenbruch des Weltfinanzsystems geschaffen, um einen Überwachungsstaat zu errichten. Er bezeichnete die Impfung gegen das SARS COV-Virus als ‚gentherapieren lassen. Es werde massiv Druck geben, doch wer dem Druck widerstehe, so Höcke, ‚ist nicht nur ein aufrechter Demokrat, der ist in meinen Augen ein Freiheitskämpfer, ja, er ist ein Freiheitsheld und ich danke jedem, der sich nicht genmanipulieren lässt.

Das mag man für eine verquere Weltsicht halten, aber ist das wirklich eine „grundsätzlich ablehnende Aussage gegenüber staatlichen Institutionen“? Statt diesen Vorwurf auszuführen, geht der Verfassungsschutz zur nächsten Äußerung Höckes über. An ihr beanstandet er, dass Höcke Deutschlands Rechtsstaatlichkeit bestritt und sich mit unangemeldeten Demonstrationen solidarisierte. So habe Höcke „explizit Zweifel an den rechtsstaatlichen und durch die Verfassung garantierten Verfahren [geäußert], mit denen sich Bürger wehren oder ihrer abweichenden Meinung Gehör verschaffen könnten.“ Nun gehört das öffentliche Äußern von Zweifeln schlicht zur Grundskepsis eines Staatsbürgers, wie ihn bürgerliche Gesellschaften befürworten. Weiter heißt es: „Auch bestritt er, man könne politische Entscheidungen durch unabhängige Gerichte kontrollieren lassen, wie es in einem Rechtsstaat der Fall ist.“ Indem Höcke behauptet, die Judikative würde ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen, wozu es angesichts der Corona-Rechtsprechung reichlich Anknüpfungspunkte in der Wirklichkeit gibt, habe er den Verfassungsstaat angegriffen. 

Konnte der Verfassungsschutz nichts Eindeutigeres finden?

Ist der Verfassungsschutz bei seinen Recherchen wirklich auf keine schlimmeren Zitate gestoßen? Die leichtfertige Zuordnung als „Rechtsextrem“ entwertet den Begriff, macht ihn beliebig und er wird harmloser. Hatten wir es in der Bundesrepublik nicht einmal gelernt, zwischen rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal und rechtsextrem zu unterscheiden? Warum kommen solche Unterscheidungen im Blick auf den gesamten Landesverband einer Partei mit verschiedenen politischen Strömungen nicht vor?

Wie wäre obiges Zitat eigentlich eingeordnet worden, wenn ein Anderer die gleichen Zeilen verbreitet hätte? Wenn der Name Höcke gar nicht vorkäme? Man mag aus verwendeten Begriffen und der Sprache eine grundsätzliche Gesinnung herauslesen können, aber reicht das, um gesicherten Extremismus zu belegen? Die Rolle der Justiz im Corona-Ausnahmezustand wurde im Übrigens mitnichten nur aus der AfD kritisiert. Der bereits zitierte Volker Boehme-Neßler urteilte: „Unsere Justiz hat bei Corona versagt“. 

Völlig losgelöst von der Debatte um die AfD hat doch die Corona-Zeit gezeigt: Diese Argumentation erlaubte es, Verfassungsfreunde zu Verfassungsfeinden zu erklären. Und auch unabhängig davon wohnt diesem Vorgehen ein brandgefährliches Potenzial inne: Indem der Verfassungsschutz von vornherein die Möglichkeit ausschließt, dass der real-agierende Staat seinem Verfassungsauftrag nicht gerecht wird, immunisiert er den Staat gegen Kritik. Indem er für unbestreitbar hält, dass Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland einwandfrei funktionieren, schützt er nicht die Verfassung, sondern den Staats- und Regierungsapparat in seiner faktischen Verfasstheit. 

 

Felix Perrefort ist Redakteur und Autor der Achse des Guten. 

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Helmut Driesel / 27.07.2023

  Ich denke, der VS hat da so eine Art Deutungshoheit, was rechts oder rechtsextrem ist und was nicht. Oder er glaubt nur, dieses Privileg zu haben. Speziell in Thüringen hatte man ja dem Vorgänger vom Herrn Kramer unterstellt, er sei zur NSU-Zeit auf dem rechten Auge blind gewesen. Ich weiß jetzt nicht, ob das schon extrem oder nur linkslastig war. Aber es wäre mal interessant, wie so ein Apparat, der ja aus mehr Mitarbeitern bestellt, die auch nicht alle mit Scheuklappen herum laufen, wie der auf so einen Gesinnungswechsel an der Spitze der Behörde reagiert. Die werden ja wohl nicht alle wie ein Sardinenschwarm die Richtung gewechselt haben? Die letzte Deutungshoheit liegt ja wohl beim Verfassungsgericht. Und so lange die nicht meckern, geht da alles seinen sozialistischen Gang. Der gerichtliche Aspekt ist in sofern interessant, als die anderen europäischen Länder ja dieselben Frage und Definitionen behandeln müssen. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass in der Frage der Zulassung zu demokratischen Wahlen oder der Einschränkung öffentlicher Aktivitäten da sehr unterschiedliche Maßstäbe gelten dürfen. Ich meine, solange die Damen in den gehobenen Positionen auf das Testosteron des Herrn Selenskyj herein fallen, können bekennende Rechte hier nicht widerspruchsfrei als extrem bezeichnet werden. Dazu kommt noch, dass es Menschen gibt, die mal rechte und mal linke Positionen vertreten, die aber als wenig oder nicht ernst zu nehmen wahrgenommen werden. Wir hatten aber auch schon zertifizierte DDR-Bürger- und Verfassungsrechtler wie den Herrn Büchner, die sich heute mit Kritik auffällig zurück halten.

Roland Müller / 27.07.2023

Was soll man von einem Verfassungsschutz halten, der Tomaten auf dem linken Auge hat?

Hans-Hasso Stamer / 27.07.2023

Ich hatte schon Angst, die hätten wirklich was gefunden. Dabei ist es heute nicht anders als in der DDR: “WIR haben die Macht und die Deutungshoheit und weil wir es Demokratie nennen. ist es auch Demokratie.” NEIN. Sie haben nur fast alles, Außer der Wahrheit.

Bernhard Ferdinand / 27.07.2023

Schön recherchiert, aber tiefer hängen: es kommt bei Parteiverboten nicht auf irgendeinen VS-Präsiden an, sondern aufs VerfG. Und das hat in der Vergangenheit nur 2 Parteien in den 50er Jahren verboten. Und 2 Versuche die NPD zu verbieten dauerten insgesamt 16 Jahre: erfolglos. Die Rumhackerei auf der AFD dient nur dazu, ihr einen Hautgout anzuhängen, der brave Bürger bis in die Wahlkabine verfolgt, im Interesse der alteingesessen Parteien, die fürchten, das ihnen die Schäfchen wegrennen.

Fritz Dieterlein / 27.07.2023

Habe heute zufällig die ZDF -Nachrichten um 16°° Uhr gesehen. Eine unwahrscheinliche Hetze gegen Viktor Orban in Ungarn. Prof. Werner Patzelt, für mich der klügste politische Kopf in Deutschland, hat gerade ein Buch mit dem Titel „Ungarn verstehen“ herausgebracht. Die deutsche Bevölkerung wird es nicht lesen und die ÖR werden das Buch als „gesichert rechtsextrem“ verteufeln. Diese GEZ muss weg. M.f.G.

A. Smentek / 27.07.2023

Der Verfassungsschutz legt keine Beweise für den behaupteten “Rechtsextremismus” der AfD vor? Vielleicht deshalb, weil es dafür keine Beweise GIBT? Denn es ist schon merkwürdig: So permanent wie diese Behauptung gestreut wird, so konsequent wird auf belastbare Beweise dafür verzichtet. Ob Politik, Mainstreammedien oder Verfassungsschutz - niemand hat bisher überzeugende Beweise für die ständige Diffamierung der AfD vorgelegt, jedenfalls keine, die ich irgendwo hätte finden können. Das hat schon ein gewaltiges und sehr übles Gschmäckle.—- Stattdessen könnte man sich mal mehr um die Linkspartei kümmern, die “das 1% Reiche” zwar nicht umbringen will (obwohl es den Vorschlag gab), aber immerhin einer gemeinnützigen Arbeit zuführen will. Wie und wo? Was fällt uns dazu ein?

Gerald Weinbehr / 27.07.2023

Täusche ich mich, oder ist dieser - bzw. ein ähnlicher - Artikel vor acht Tagen schon einmal erschienen? Ich las ihn, kommentierte ihn - und wenige Stunden später war er nicht mehr auffindbar. Sei’s drum. Es ist jedenfalls ein Skandal, dass Verfassungsschutzbehörden mittlerweile ganz offensichtlich für einen politischen Kampf gegen unliebsame Opposition missbraucht werden. Der Hinweis auf den angeblich “gesicherten Rechtsextremismus” in der AfD wird bei jeder Gelegenheit angeführt, um den Umgang mit der Schwefelpartei zu rechtfertigen. Man wird ihn auch nutzen, um der Desiderius-Erasmus-Stiftung das ihr zustehende Steuergeld vorzuenthalten, darauf kann man getrost wetten. Bei dieser Gelegenheit: Vor wenigen Tagen war zu lesen, dass Mitglieder der “Letzten Generation” im Internet Sprengstoffanschlage besprochen haben (Recherche von “Apollo News”, die sog. Qualitätsmedien wollen so was ja gar nicht wissen). Hat das irgendwelche Konsequenzen für die LG? Man hört darüber NICHTS in den grünliebenden MSM. Ich fürchte, auch das BfV wird angestrengt wegsehen.

Richard Loewe / 27.07.2023

ist doch ganz einfach: wer sich um die verfassungsmäßige Ordnung sorgt, der ist rechtsextrem. Umkehrschluß ist auch gültig: wer die Verfassung verachtet, ist regierungsgenehmer Untertan.

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