Wolfram Weimer / 19.06.2019 / 06:23 / Foto: Ralf Roletschek / 61 / Seite ausdrucken

Was der Schulz den Habeck lehrt

Sie sind jetzt beide Kanzlerkandidat-Kandidaten. Halb Deutschland stellt sich die Sommerfrage, ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck 2021 wirklich Bundeskanzler(in) werden könnten? Laut Umfragen könnten sie – die Grünen sind derzeit stärkste Partei in Deutschland. Sie haben die implodierende SPD wie ein grünes Zewa-Wisch-und-Weg-Tuch aufgesogen und die Verhältnisse von 2016 einfach umgekehrt. Damals lagen die Sozialdemokraten zwischen 22 und 26 Prozent, die Grünen zwischen 10 und 13. Heute ist es genau umgekehrt.

Von der „Spiegel”-Redaktion aus Hamburg bis zum bayerischen Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann erwarten nun viele die Berufung eines Kanzlerkandidaten. „Wenn es die Umfragen weiterhin hergeben, bin ich für eine klare Kanzlerkandidatur und gegen eine Doppelspitze bei der nächsten Bundestagswahl”, verkündet Hartmann und tritt damit die große Personaldebatte erst richtig los. Viele Medien berichten, das Magazin „Stern” bringt Habeck mit der Schlagzeile „Unser nächster Kanzler?” auf den Titel, die „Welt” schreibt einen Leitartikel mit dem Titel „Die nächste Kanzlerin heißt Annalena Baerbock”.

Eine erste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt nun, dass Baerbock in der Kandidaturfrage gegen Habeck ziemlich chancenlos wäre. Unter 21.000 Umfrageteilnehmern sagen nur 12,3 Prozent, dass sie „eindeutig” oder „eher” für Baerbock wären. Dagegen halten 43,9 Prozent Habeck für den besseren Kanzlerkandidaten. Viele sind noch unentschieden.

Das Grundgesetz kennt keine Teamkanzlerschaft

Für Habeck spricht sein Charisma, seine rhetorische Kraft und die Tatsache, dass er zumindest als Minister auf Länderebene schon Regierungserfahrung aufzuweisen hat. Er wird als die reifere Persönlichkeit wahrgenommen, weniger, weil er ein Jahrzehnt älter ist als sie, sondern weil er ein professionelles Schriftsteller-Leben neben der Politik hat. Baerbock hingegen ist reine Berufspolitikerin.

Unter den grünen Spitzenpolitikern gibt es ohnedies kaum einen, der offen für Baerbock als Kanzlerkandidatin eintreten würde. Habeck hat nicht nur die Umfragen sondern auch die Parteifunktionäre weitgehend hinter sich.

Trotzdem wird es den Kanzlerkandidaten Habeck erst einmal nicht geben. Auch im Fall einer Neuwahl wollen die Grünen mit zwei Spitzenkandidaten antreten. Das sagte Habeck im ZDF-Morgenmagazin. Die Doppelspitze sei auch rückblickend das Erfolgsgeheimnis seiner Partei. „Ein neues Verständnis von Macht bedeutet, im Team zu sein.”

Das klingt erhaben, doch es ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn das Grundgesetz kennt keine Teamkanzlerschaft. Und die Grünen haben – als sie im Bund mitregiert haben – auch keine Teamminister berufen.

Bitterstoffe im Smoothie

Die wahren Gründe für die Absage an eine Kanzlerkandidatur sind zwei andere Erwägungen: Zum einen würde Habeck im Moment der Kandidatur nicht mehr im milden Schein des politischen Erzählers bleiben können, sondern ins grelle Licht des schieren Machteroberers gestellt werden. Er würde schlagartig kritischer beäugt und hinterfragt werden – auch aus den eigenen Reihen. Ein Kanzlerkandidat wird an der Größe des angestrebten Amts gemessen, seine Biografie bis hin zu seiner Doktorarbeit würde durchleuchtet werden. Die politische Konkurrenz, insbesondere die SPD, ginge ihn ungleich härter an.

Der zweite Grund liegt darin, dass die Grünen eines ihrer derzeitigen Erfolgsgeheimnisse nicht aufgeben wollen: das Ungefähre. Ein wesentliches Element des Hypes besteht darin, dass sie eine diffuse Projektionsfläche für eine lässigere, moralisch bessere Welt sind. Wie einen süßen Smoothie gefühlter Weltverbesserer-Politik schlürft man ihre grünen Shakes. Im Moment einer Kanzlerkandidatur aber müsste die Politik konkret benannt werden. Und dann würden auch Bitterstoffe im Smoothie hochkommen. Von den gewaltigen Kosten für die grüne „Klimarettung” bis zu neuen Verboten, Steuererhöhungen und einer denkbaren neuen Zuwanderungswelle.

Kurzum: Die Absage an eine Kanzlerkandidatur erwächst aus der Sorge, wie weiland Martin Schulz zu enden, nämlich nach einem spektakulären Höhenflug brutal abzustürzen. Auch Martin Schulz war Anfang 2017 eine Projektionsfläche für Erneuerungssehnsüchte in Deutschland. Auch er hatte traumhaft hohe Umfragewerte. Als er aber laut über Rot-Rot-Grün im Saarland nachdachte, begann sein Schulz-Zug zu entgleisen. Die Grünen machen den gleichen Fehler derzeit in Bremen. Wieso also sollte sich Habeck in diesen Zug setzen?

Das Dilemma freilich ist: Wenn man die Personalfrage dauerhaft verweigert, gibt man zu erkennen, dass man selber nicht daran glaubt, einmal einen Kanzler zu stellen. Etwas Mögliches zu definieren, ist ein Risiko. Etwas Mögliches nicht zu definieren, ist schon eine Niederlage. Wenn man die grüne Kanzleroption ernst nehmen soll, will man schon wissen, auf wen man sich wirklich einlassen würde. Wer Trump, Putin und Erdogan wirklich die Stirn böte. Traut man sich nicht, einen Kanzlerkandidaten zu benennen, wird einem das Kanzleramt irgendwann auch nicht zugetraut.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European.

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Christian Rapp / 19.06.2019

Die Grünen “wie ein grünes Zewa-Wisch-und-Weg-Tuch” gehören nach Benutzung in die Restmülltonne.

robert renk / 19.06.2019

Die Grünen , als Projektionsfläche für ein lässigeres und moralischeres Deutschland . Das kommt hin, leider werden dazu gute 100 Milliarden Euro versengt werden und Google und Co werden das nicht finanzieren wollen. Also wird der deutsche Mittelstand wieder herhalten müssen. Ein teures Experiment, wobei gegen eine nachhaltige Landwirtschaft und saubere Meere nichts einzuwenden ist. Die sogenannte Klima-Rettung ist ein großer Fake, wer glaubt ernsthaft, dass China, Indien und die USA einen deutschen Kurs einschlagen ? Deutsche Politik wird immer an den Landesgrenzen scheitern, Europa, dieses Kunstprodukt lässt sich nicht einigen und die ganze Welt schon gar nicht !      

Karsten Dörre / 19.06.2019

Wähler haben vor der Wahl eine Ahnung, wenn sie eine Partei wählen, wer aus dieser Partei zum Regierungschef erhoben werden könnte. Dass man Parteien mehrheitlich wählt, die auch einen Kanzlerkandidaten offiziell stellen, ist verstaubte, politische Schublade.

Klaus Reichert / 19.06.2019

Ich meine, die wahre Herausforderung für die Grünen wird kommen, wenn sie eine Bundesregierung bilden und tatsächlich den Kanzler stellen werden. Denn dann wird sehr Vieles von dem, was sie heute fordern, nicht umgesetzt werden können. Und die in sie gesetzten Träume vieler Wähler werden zerplatzen. Der in Deutschland ungewöhnlich große und stabile linke Wählerblock hat sich ja selbst von der Wirklichkeit abgekoppelt und lebt in seinem ideologiegetränkten Lummerland. Es sind eben nicht nur die Eliten, es ist ein nicht kleiner Teil von uns allen. Da gibt es Europa als unscharfes Ideal, nicht aber, wenn wir unserer nationalen Haken schlagen in der Migrations- Energie und Verteidigungspolitik. Da gibt es Energie aus Sonne und Wind, und wenn die nicht liefern, will man nicht wissen woher der Strom kommt. Da gibt es immerwährenden Wohlstand, auch wenn man dafür kämpft, dass unsere Schulen und Unis jedem mindestens eine Zwei im Zeugnis geben. Da gibt es immerwährenden Wohlstand, auch wenn man hunderttausende, ja Millionen Unqualifizierter in die Sozialsysteme einwandern lässt. Da gibt es billigen Wohnraum für alle, auch wenn man Wohnungsbau staatlicherseits so teuer wie möglich macht und gleichzeitig die Mieten deckelt. Und so weiter, und so fort. Die Grünen werden am Ende jedoch womöglich diejenigen sein, welche genau die idealistischen Traum- und Wunschszenarien werden zerstören müssen, die sie an die Macht gebracht haben.

F. Jung / 19.06.2019

Doch, es wäre gut, wenn er es würde….... Dann wäre schneller Schluß mit Lustig, und die Deutschen kämen schneller wieder zur Besinnung….. oder ????

Bernd Große-Lordemann / 19.06.2019

Ich hoffe auf die kommenden zwei Winter vor der BT-Wahl 2021, wobei nicht auszuschließen ist, dass es die Klimahysteriker mit medialer Hilfe schaffen, den Deutschen auch eisige Winter als Folge der globalen Erwärmung zu verkaufen! Am Kompetenzdefizit werden die Grünen sicher nicht scheitern! Eine Partei, die sich weiter eine Co-Vorsitzende leisten kann und mit ihr Umfragegipfel erklimmt, die von Stromspeicherung im Netz phantasiert, ist gegen rationale Argumente immun! Die Wähler der Grünen haben, “Wissen ist Macht” uminterpretiert in, “Nichtwissen macht nichts” !

Alexander Mazurek / 19.06.2019

Nun, die Revolution des Nihilismus ist voraussetzungslos, so Hermann Rauschning im Hinblick auf die damals Braunbewegten. Trifft auch auf die heute Grünbewegten zu,

Rolf Lindner / 19.06.2019

Wie geschrieben: Wenn es ernst wird, werden die Grünen abstürzen. Wohin deren Wähler wandern, ist eine offene Frage. Wer jetzt den Mut hat, die Grünen zu entschleiert, könnte der Gewinner sein.

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