Gastautor / 23.02.2010 / 14:03 / 0 / Seite ausdrucken

Warum viele Deutsche Amerika nicht mögen

Von Hansjörg Müller

Wer dieser Tage die Regale einer deutschen Buchhandlung betrachtet, wird bald die Euphorie bemerken, die der Wahlsieg Barack Obamas in Europa ausgelöst hat. „Dear Americans, schön, dass wir euch wieder haben“, lautet der Titel eines Buches. Ein anderes trägt gar den Titel: „Warum wir Amerika wieder lieben“. Ein unbedarfter Beobachter könnte nun annehmen, dies sei ein Zeichen dafür, dass sich das Amerikabild der Deutschen, das vor allem während der Regierungszeit George W. Bushs stark gelitten hatte, wieder ins Positive gewendet habe. Doch das ist nicht der Fall.

Barack Obama ist in den Augen der meisten Westeuropäer kein typischer Amerikaner. Als Schwarzer gehört er einer Minderheit an, die von vielen Europäern in einer ewigen Opferrolle gesehen wird. Wenn die Deutschen also Obama lieben, dann lieben sie einen Amerikaner, der in ihren Augen eigentlich kein Amerikaner ist, sondern vielmehr ein Angehöriger einer unterdrückten Minderheit, der durch seinen Wahlsieg das amerikanische System besiegt hat. Nichts könnte absurder sein als diese Ansicht. In Wahrheit ist der Wahlsieg Obamas ja gerade ein Zeichen für die Offenheit, Liberalität und Entwicklungsfähigkeit Amerikas – wohl in keinem europäischen Land könnte ein Schwarzer Präsident werden.

Diese Stärke Amerikas zeigt sich allerdings genauso auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums: Michael Steele, der neue Vorsitzende der Republikanischen Partei, ist ein Afroamerikaner. Und einer der möglichen Herausforderer Obamas in der Präsidentschaftswahl 2012, Bobby Jindal, der Gouverneur von Louisiana, ist ein ethnischer Inder. Diese Tatsachen sind in Europa bezeichnenderweise nur wenig bekannt, denn sie entsprechen nicht dem europäischen Klischee über die amerikanischen Konservativen, denen man gerne pauschal Rassismus vorwirft.

Die Deutschen und Europäer sehen sich gegenüber den USA häufig in einer Position der moralischen Überlegenheit. Darauf deuten die eingangs zitierten Buch-Titel hin: Vermeintliches politisches Wohlverhalten der Amerikaner wird von den Deutschen belohnt; vermeintliches Fehlverhalten dagegen mit Liebesentzug bestraft. Diese Sichtweise ist grotesk: Man verkennt in Deutschland, dass es die Amerikaner nur wenig interessiert, was man in Europa von ihnen denkt. Trotzdem sehen sich viele Europäer gegenüber den USA in der Position eines moralischen Schiedsrichters – man kann diesen Gedanken wohl nur mit einem Fall von kollektivem Narzissmus erklären, von dem die europäischen Gesellschaften befallen sind. 

Doch woher kommt dieses Gefühl der moralischen Überlegenheit, das viele Europäer gegenüber den USA empfinden? Es hat seinen Ursprung wohl vor allem darin, dass die amerikanische Geschichte – genau wie die Geschichte der meisten anderen Länder – auch ihre dunklen Seiten hat. Die Ausrottung der Indianer und die Sklaverei sind nur einige wenige Punkte, die man zu Recht kritisieren kann. Dabei vergessen die meisten Europäer jedoch, dass historisch denken auch immer vergleichen bedeutet. Gerade in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts hat es schreckliche Ereignisse gegeben, welche die amerikanische Geschichte in dieser Intensität nicht aufweist. Immerhin besteht die amerikanische Demokratie nun schon seit über 200 Jahren – eine demokratische Tradition wie sie sich mit Ausnahme der Schweiz und Englands in keinem europäischen Land findet. Und außerdem: Amerikanische Konzentrationslager, einen amerikanischen Gulag oder eine amerikanische Kulturrevolution hat es nie gegeben. 

Der Antiamerikanismus im deutschsprachigen Raum hat eine lange Tradition, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreicht. Als einen eigentlichen Begründer des intellektuellen Antiamerikanismus kann man den romantischen Dichter Nikolaus Lenau betrachten. Lenau stammte aus dem damals noch österreichischen Banat, einer Region, die inzwischen zu Rumänien gehört. 1832 wanderte er nach Baltimore aus und versuchte dort, ein Leben als Geschäftsmann zu führen. Nachdem dieser Versuch gescheitert war, verwandelte sich Lenaus anfängliche Amerika-Bewunderung in Hass. Dabei prangerte der Dichter vor allem den vermeintlichen Materialismus der Amerikaner an. Die amerikanische Sprache bezeichnete er als „englisches Taler-Gelispel“, die Vereinigten Staaten als die „Verschweinten Staaten.“ Nachdem auch ein Versuch, als Farmer in Ohio Fuß zu fassen, gescheitert war, kehrte Lenau nach Europa zurück. Das bürgerliche Erwerbsleben war ihm inzwischen gründlich verleidet; von nun an ließ er sich von einem württembergischen Prinzen aushalten.

An Lenaus Beispiel zeigt sich ein immer wiederkehrendes Denkmodell des Antiamerikanismus: Die moderne Welt als solche mit ihren vermeintlichen und tatsächlichen Übeln wird mit den USA identifiziert. Den Materialismus, den Lenau beklagt, hätte er aber genausogut in Wien, Berlin oder Paris antreffen können. Dieser Materialismus war ein allgemeines Phänomen des 19. Jahrhunderts, in dem der moderne Kapitalismus entstand – auf beiden Seiten des Atlantiks. Dennoch erscheint Lenau dieser Materialismus als etwas typisch Amerikanisches. Der Dichter lenkt hier den Selbsthass des modernen Europäers um auf die Vereinigten Staaten.

Es ist keine Überraschung, dass in beiden Diktaturen auf deutschem Boden, dem nationalsozialistischen Dritten Reich und der kommunistischen DDR, der Antiamerikanismus Teil der von oben verordneten Staatsräson war. Viel mehr verwundert es da, dass nach 1945 auch im demokratischen Westen Deutschlands antiamerikanische Parolen auf große Zustimmung in weiten Teilen der Bevölkerung stießen. Paradoxerweise war dabei die Bevölkerung gerade an den Orten, die den USA am meisten zu verdanken hatten, besonders antiamerikanisch eingestellt: In West-Berlin, einer demokratischen Insel inmitten des sozialistischen Europa, das sein Überleben nicht zuletzt der Präsenz amerikanischer Truppen verdankte, gab seit dem Vietnam-Krieg die antiamerikanisch eingestellte 68er-Bewegung den Ton an; absurderweise stellte dabei ausgerechnet die Freie Universität, die von den Amerikanern gegründet worden war, das eigentliche Zentrum des intellektuellen – oder besser: pseudo-intellektuellen - Antiamerikanismus dar. 

Doch was war die Ursache für diese Stimmungen? Hätte nicht gerade in Westdeutschland, das ja als Frontstaat im Kalten Krieg besonders gefährdet war, eine gewisse Dankbarkeit gegenüber der amerikanischen Schutzmacht vorherrschen müssen? Vermutlich hatte der westdeutsche Amerikahass zwei Gründe. Zum einen erschütterte die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg das Weltbild vieler Deutscher, das von kulturellem Hochmut gegenüber den USA geprägt gewesen war: Deutschland, die Nation Goethes und Schillers, hatte nicht nur entsetzliche Verbrechen begangen, sondern es hatte auch eine militärische und moralische Niederlage erlitten – und das ausgerechnet gegen das Land von Mickey Mouse und Coca-Cola. Das war für den deutschen Bildungsbürger – egal, ob er nun politisch links oder rechts stand – nur schwer zu ertragen.

Die andere Ursache des Antiamerikanismus liegt in der Art und Weise, wie die Außenpolitik Amerikas wahrgenommen wird. Dies ist jedoch kein spezifisch deutsches Phänomen, sondern ein europäisches. Spätestens seit dem Krieg in Vietnam betrachtet man die USA in Europa äußerst kritisch: Waren es nicht die Amerikaner, die großes Leid über die vietnamesische Zivilbevölkerung gebracht haben? Waren es nicht die Amerikaner, die Pinochet an die Macht gebracht haben? Haben nicht die Amerikaner in den 1980er Jahren Saddam Hussein gegen den Iran unterstützt? Haben nicht die Amerikaner die afghanischen Taliban mit Waffen versorgt, als diese gegen die Sowjets kämpften? All diese Fragen sind im Einzelnen nicht unberechtigt, und doch hat die europäische Kritik an den USA etwas Heuchlerisches an sich. Sie verkennt nämlich, dass nur der, der etwas tut, Fehler macht, während nur der, der nichts tut, keine Fehler macht. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben es sich die europäischen Nationen in der Beobachterposition gemütlich gemacht; sie ließen sich im Kalten Krieg gerne von den Amerikanern beschützen ohne selbst weltpolitische Verantwortung übernehmen zu müssen. Wie die weltpolitische Rolle Europas etwa in der arabischen Welt gesehen wird, zeigt eine Aussage des amerikanischen Reporters Seymour Hersh: „Neulich habe ich in Damaskus den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad getroffen, und er beschrieb die Europäer als Postboten – sie bringen dir Briefe“, erzählte Hersh dem Schweizer „Tages-Anzeiger“.

Interessanterweise wird in Europa meist verschwiegen, dass die amerikanische Außenpolitik auch positive Ergebnisse vorweisen kann: Im Zusammenhang mit dem Irakkrieg etwa ist in den europäischen Zeitungen vorwiegend von der Gewalt und Unsicherheit die Rede, der die irakische Bevölkerung nun ausgesetzt sei. Dagegen wird fast nie erwähnt, dass es den Amerikanern und ihren Verbündeten im Irak immerhin gelungen ist, einen menschenverachtenden Diktator zu entfernen und eine demokratische Regierung zu installieren.

Man kann davon ausgehen, dass der europäische Antiamerikanismus auch während der Präsidentschaft Obamas nicht abnehmen wird. Amerika wird weiterhin weltpolitische Verantwortung übernehmen müssen. Weder die EU noch die UNO werden den USA einen Teil dieser Verantwortung abnehmen können, zu sehr gehen die Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten dieser Organisationen auseinander. Zuletzt hat sich dies 2003 gezeigt, als Großbritannien, Polen und einige kleinere europäische Staaten die Irakpolitik der Bush-Administration unterstützten, während Deutschland und Frankreich diese ablehnten. Europa wird sich weiterhin über die Fehler Amerikas beklagen und dabei selbst weitgehend untätig bleiben: Als die Obama-Administration die deutsche Regierung aufforderte, mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, wurde dies von deutschen Politikern aller Parteien abgelehnt. Amerika wird weiterhin die Hauptlast für die Sicherheit des gesamten Westens tragen müssen – mit der Dankbarkeit Europas sollte jedoch auch Barack Obama nicht rechnen.

 

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