Peter Grimm / 27.09.2021 / 10:38 / 174 / Seite ausdrucken

Wähler-Quittung – für wen eigentlich?

Nach jeder Wahl fragen die Kommentatoren, was die Wähler mit dem Ergebnis sagen wollten. Da wird natürlich viel orakelt, dabei ist manche Ansage vielleicht viel klarer, als Meinungsbildner glauben.

Es ist der Montag nach der Wahl, und alle Politiker und Meinungsbildner arbeiten sich an der Frage ab, was denn die Wähler mit diesem Ergebnis sagen wollten. Während zumeist darüber orakelt wird, welche der möglichen bunten Koalitionsoptionen nun die größte Legitimität beanspruchen könnte, kommt nicht ganz so oft zur Sprache, dass es doch ein paar klare Antworten gibt.

Die Wahlbürger wollten keine Linksregierung. Rot-grün-rot bekam keine Mehrheit, die SED-Erben sitzen nur noch dank dreier errungener Direktmandate im Bundestag. Wohin sich ein rotrotgrün geführtes Gemeinwesen entwickelt, konnten die Wahlbürger am Wahlsonntag in Berlin beobachten. Man ist zwar „Regenbogenhauptstadt“ und hat sich auf vielen Gebieten zum Vorreiter des gesellschaftlichen Fortschritts erklärt, ist aber nicht mehr in der Lage, grundlegende Staatsaufgaben zu erfüllen. Was soll man in einer Demokratie von einem Staatswesen halten, das nicht einmal mehr Wahlen halbwegs ordentlich zu organisieren imstande ist? Da gibt es nicht genügend Stimmzettel und dann werden die Stimmzettel auch noch falsch angeliefert, Menschen, die nicht in der Lage sind, mehrere Stunden in einer Schlange zu stehen, können nicht wählen, und es wird noch abgestimmt, als die Parteien schon auf den Wahlpartys die ersten Prognosen feiern oder betrauern. Herrschen solche Zustände in einem anderen Land, wird üblicherweise nach OSZE-Wahlbeobachtern gerufen.

In der deutschen Hauptstadt haben sich offenbar viele damit arrangiert, und im Land Berlin könnte Rotgrünrot ja auch weiter regieren. Doch die Gesamtheit der deutschen Wähler hat das mehrheitlich abgelehnt.

Stattdessen gibt es im Bundestag eine knappe Mitte-Rechts-Mehrheit. Doch die darf nicht wirkmächtig werden. Die AfD ist unberührbar, und selbst wenn jemand in CDU und FDP auf die Idee käme, hier mit Lockerungsübungen zu beginnen – die Abstandsgebote wurden vor der Wahl so fest in Stein gemeißelt, dass solche Übungen kurz- oder mittelfristig kaum praktische Folgen hätten. Es muss Außenstehenden kurios anmuten: In dem einen Lager hätten die Parteien, die schon länger hier leben, ohne Scham mit Linksaußen kooperiert, doch die Wähler haben diese Pläne platzen lassen. Im anderen Lager würden die vom Wählervotum hinterlassenen Zahlen eine knappe Mehrheit für eine Kooperation mit Rechtsaußen bieten, doch die verbieten sich die Akteure. Und so muss wieder zusammenkommen, was nicht zusammengehört.

Viel von „Mutti“ gefallen gelassen

Noch drastischer haben die Wähler in manchen Bundesländern ihrer Obrigkeit, insbesondere der regierenden CDU, deutlich gemacht, was sie von ihr halten. Zwar fiel in der Wahlberichterstattung das Wort „Corona“ kaum, aber es waren Wahlen im Ausnahmezustand. Und auch wenn es fast alle Kandidaten tunlichst vermieden, über Corona-Grundrechtsentzug, Notstandsregeln und entsprechende Pflichten und Verbote zu sprechen, so spielte das sicher für die Bürger durchaus eine Rolle.

Die Sachsen haben beispielsweise der einstigen Beinahe-Staatspartei CDU eine Abfuhr erteilt. Jahrelang war die Partei dort auf Platz eins abonniert. Mit 24,6 Prozent wurde die AfD im Freistaat mit Abstand zur stärksten Partei gewählt. Das hatte sie zwar auch schon bei der Bundestagswahl 2017 geschafft – damals sogar mit 27 Prozent –, doch damals hatte sie der CDU den ersten Platz nur ganz knapp genommen. Gestern allerdings ist die CDU nicht einmal auf den zweiten Platz gekommen – den besetzte die SPD mit 19,3 Prozent –, sondern mit abgeschlagenen 17,2 Prozent. Nach dem CDU-Ergebnis nach der letzten Bundestagswahl sah sich CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich zum Rücktritt genötigt und installierte Michael Kretschmer in der Dresdener Staatskanzlei. Jetzt steht dieser nach eineinhalb Ausnahmezustands-Jahren vor einem weitaus größeren Desaster.

Mit Markus Söder wurde ebenfalls einer der Protagonisten der rigorosen Corona-Politik abgestraft. Seine CSU bekam in Bayern das schlechteste Ergebnis seit 1949. Eigentlich wäre das ein Grund zu Einkehr und Selbstkritik, doch davon scheint der Ministerpräsident weiter entfernt denn je.

Der Sündenbock für das desaströse Unionsergebnis ist für alle anderen Wahlverlierer ausgemacht: Armin Laschet, der Kanzlerkandidat. Natürlich stimmt es, dass er kein klares Profil zeigte, nie wirklich für etwas einzustehen schien, außer dem Wunsch zum freundlichen Durchlavieren. Dennoch ist es beachtlich, dass in der Medien- und Politikerwahrnehmung kein Staubkorn des Zweifels auf die seit 16 Jahren amtierende CDU-Kanzlerin fällt, wenn die Wähler die CDU bestrafen. Vielleicht wollten die unter dem Corona-Label teilentmündigten Bürger mit ihrer Abkehr von der Union auch signalisieren, dass sie sich viel von „Mutti“ gefallen lassen haben, dass sie sich vielleicht auch ganz gern zuweilen bevormunden und erziehen lassen haben – es ihnen der Übergriffigkeit jetzt aber zu viel ist.

Foto: Imago

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Paul Franklin / 27.09.2021

Die Wahlniederlage der CDU kann man nun wirklich nicht Fr. Merkel anlasten. Noch Ende Juli war die CDU in den Umfragen 15 Punkte vor der SPD, die Grünen bei 20%. Die massive Verschiebung weg von Grün und Schwarz hin zu Rot ist meiner Meinung nach ausschließlich auf die Kandidaten zurückzuführen. Je länger man sich Laschet und Baerbock angeschaut hat, desto weniger war man gewillt sie zu wählen. Scholz hat im Wahlkampf rein vom Auftreten her eine gute Figur gemacht, oder zumindest keine groben Fehler. Baerbock ist ein Fake und das ist aufgeflogen, und Laschet hat einfach nicht das Format für die große Bühne, das hat er immer wieder bewiesen, von seiner Lacherei vor den Gräbern der Hochwassertoten bis zum falsch gefalteten Wahlzettel, man hat einfach das Gefühl, dass er der ganzen Situation nicht gewachsen ist. Laschet hätte den Biden-Wahlkampf kopieren müssen: je weniger die Leute von ihm sehen, desto eher wählen sie ihn.

Wolf Hagen / 27.09.2021

Ich denke nicht, dass Corona die große Rolle gespielt hat, die sich viele in den rechten Lagern wünschen, denn die Zahl der aus Überzeugung Ungeimpften, ist viel kleiner, wenn auch lautstark, als der Teil der Bevölkerung, der sich als bürgerlich, konservativ und/oder liberal, ergo rechts begreift und trotzdem geimpft ist. Etwas, was auch die AFD nicht zu begreifen scheint und neben internen Flügelkämpfen, zu dem mittelprächtigen Wahlergebnis im Bund geführt hat. Und das bei solch realitätsfernen und dadurch eigentlich schwachen Gegnern. Leider ist die Rechte in Deutschland genauso zersplittert und untereinander zerstritten, wie die Linke. Das ist ein Grund, warum es weder links, noch rechts eine Person gibt, die einigend wirken könnte. Nur hat die Linke mittlerweile, nach Jahrzehnten des Streits untereinander, begriffen, das es besser ist, wenn eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, wenn man regieren will. Deshalb, blieben Esken, Kühnert und Co im Wahlkampf so ruhig, deswegen vermied Scholz eine klare Abgrenzung zur Ex-SED, deshalb vermieden Grüne und SED-Rote tunlichst jeden ernsthaften Angriff auf die SPD. Mit dem Ergebnis, dass es wahrscheinlich einen SPD-Kanzler geben wird, die AntiFa unwidersprochen immer übergriffiger werden kann, die Medien weiter einen Kotau nach dem anderen vor den Links-Grünen machen werden und die Realität zugunsten von Gender-Gaga, Klima-Klamauk und ideologischer linker Identitätspolitik, weiter ausgesperrt bleibt. Zudem siegen die Linken auch in MV und Berlin, was unter der linken Betrügerin Giffey nun endgültig zum Irrenhaus mutieren wird und zeigt, was passiert, wenn zuviel Links gewählt wird, was aber zum Bundestrend werden wird. Zumindest wenn die Rechte sich weiterhin mit albernen Nebenkriegsschauplätzen, wie z.B. Corona und Flügelkämpfen beschäftigt, statt vernünftige Politik zu machen und einzufordern.

Karl Müller / 27.09.2021

Tut mir leid - den ganzen Analysen, die den Wählerwillen genau zu deuten wissen, messe ich keine Bedeutung bei. Ich sehe nur, dass viel zu viele Wähler gerne und freiwillig Teil der großen Masse sind, die sich von ARD und ZDF die Welt erklären lassen. Und dann gibt es noch immer viel zu viele, die sich nicht mal dafür interessieren. Je nach der Sau, die gerade von den Medien durchs Dorf getrieben wird, ist man heute für dies und morgen für jenes und übermorgen umgekehrt. Kein Wunder, dass die Wähler für machtbewußte Politiker nur Verfügungsmasse sind. Sie benehmen sich genau so. Wer sich eine konservativere CDU gewünscht hätte und aus Protest gegen den Merkelschen Linksruck nicht mehr CDU wählte - wo hätte der wohl logischerweise sein Kreuz machen müssen ??? Davon ist jedoch nicht das Geringste zu bemerken. Zudem sitzt das Framing bombenfest: ich könnte aus dem Stand drei Leute aus meinem Bekanntenkreis aufzählen, die erschrocken(!) feststellten, dass sie laut Wahl-o-mat AfD wählen müßten. Reaktion: o, die kann man doch aber nicht wählen. Tja, was will uns der Wähler also sagen? Ich vermute, er weiß es selber nicht und so ist er froh, dass ihm ARD und ZDF auch weiterhin beim betreuten Denken behilflich sein werden. Die Dummheit der Politik kommt aus der Mitte des Volkes.

Jörg Themlitz / 27.09.2021

Es war keine Parteienwahl. Es war eine Kanzlerwahl. Volker Pispers behielt recht. ´Die Wähler waren mit der Politik (CDU) unzufrieden. Aber eine überwältigende Mehrheit mit Frau Merkel zufrieden. Die Wähler bringen Merkel und Politik (CDU) einfach nicht zusammen.` Wie hier oben wurden Gestern alle möglichen Parteiführer, Stellvertreter usw. nach den schlechten Ergebnissen zu einem möglichen Rücktritt befragt. Außer Frau Baerbock und Herr Habeck. Die haben ja wohl innerhalb eines halben Jahres am meisten Stimmen verloren. Okay, ich sehe ein, die grüne Wahlkämpferin Tina Hassel kann ihrer Chefin ja nicht den Rücktritt nahelegen.

Harald Hotz / 27.09.2021

Vorallem aber ist es wieder eine Wählerquittung für die Nichtwähler! Und die Rechnung, die die kommende Koalition der stets Willigen aber Unfähigen den Bürgen ausstellt, wird uns alle arm machen!

Paul Salvian / 27.09.2021

Ich lese das Wahlergebnis etwas anders. Die Hälfte des Wahlvolks hat die Koalition aus Spahn-Partei und Lauterbach-Partei und damit die De-facto-Außerkraftsetzung des Grundgesetzes ausdrücklich bestätigt. Weitere 15 Prozent haben sich für die Grünen entschieden und damit zum Ausdruck gebracht, dass ihnen ihre eigene Entmündigung noch nicht schnell genug geht. Die Option einer RRG-Regierung nach Berliner Modell ist nicht am Wählerwillen, sondern bloß an der Fünf-Prozent-Klausel gescheitert. Und die einzige Partei, die das Corona-Regime dezidiert in Frage stellt, hat deutlich Stimmen verloren. Diesem Volk ist nicht mehr zu helfen.

Alexander Mazurek / 27.09.2021

Die Abkehr der Wähler von CDUCSU ist mir verständlich, die Zuwendung zu den Grünen jedoch nicht. Ein Parteienkartell mit austauschbaren Inhalten. Was die Corona-Politik angeht, z.B., so haben alle drei der genannten Parteien durchgängig für das neue Ermächtigungsgesetz gestimmt, na ja, Die Grünen haben sich beim ersten Mal noch enthalten. Und ja, die FDP treibt’s mit Jedem, Hauptsache der Preis stimmt. Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.  Vulgus vult!

Gotthelm Fugge / 27.09.2021

„Aber die AfD ist mit Verve stärkste Partei in Sachsen und Thüringen geworden, und sie hat diesen Erfolg in Sachsen-Anhalt nur knapp, nämlich um 16.797 Zweitstimmen (bei 1,2 Millionen abgegebenen Zweitstimmen) verfehlt.“ So sie gewandelte WeLT-Online heute Morgen (20210927). Die Sachsen waren schon immer „helle“. Jetzt hat Laschet aber viel zu tun, dieses gewaltige Wählerpotential „zu bekämpfen“. Und das vielleicht auch noch in einer Opposition, gemeinsam eben mit seinem Erzfeind AfD? Auf den Spagat bin ich gespannt. Eigentlich müßte der CDU-Kanzlerkandidat Laschet angesichts dieses Ergebnisses, als DER Vorreiter und Steigbügelhalter der AfD er ist, mitsamt seiner Riege von Brinhauses, Ziemiaks, Röttgens (so sollte sie noch ein Fünkchen Ehre verspüren) von allen Parteiämtern zurücktreten. Ein Neuanfang mit dieser verkrusteten Gilde ist nicht möglich, sondern zieht DE nur noch weiter dem Abgrund näher. Ein überaus „wohlfeiles“ Ergebnis des Merkel-Adlatus par excellence Laschet. Passt so, läuft.

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