Cora Stephan / 14.12.2009 / 12:10 / 0 / Seite ausdrucken

Volksfeinde. Oder: warum man manchmal die Franzosen beneidet…

Ein halbes Jahr tauschten sie elektronische Botschaften aus, die beiden französischen Publikumslieblinge, nun ist ein Buch daraus geworden – und, wer hätte das gedacht: es ist richtig lesenswert. Denn zunächst bestätigt der Austausch zwischen Bernard-Henri Lévy und Michel Houellebecq alle Vorurteile über Meisterdenker dieses Schlags: schamlos eitel und selbstverliebt lamentieren sie viele Seiten lang über neidische Kollegen und den Lynchmob der Kritiker und Publizisten, die beide zu „Volksfeinden“ abgestempelt hätten.
Doch hat man das abgehakt, liest man mit wachsender Spannung den Dialog zweier Männer mit stupender Bildung, fest verwurzelt in den besten Traditionen französischer Kultur.

Gewiß ist das kokett, wenn sich der eine als Spießer, „stilloser Autor platter Bücher“ und armer Wurm vorstellt, der auch und gerade für seine schlechten Seiten geliebt werden will – und der andere als „glücklicher Jude“ mit feuerfestem Ego, als geltungssüchtiger Abenteurer und Katastrophentourist, der Moral verkündet, obwohl ihn die am wenigsten antreibt. Dennoch wünscht man deutschen Geistesgrößen mehr von diesem Sportsgeist, dieser Souveränität, diesem Talent zu Selbstironie – und weniger Bierernst beim Kampf um die moralische Deutungshoheit.
Houellebecq vertritt das ungehemmt Private, verteidigt Egoismus und Feigheit, kennt nichts Allgemeines und Universales, verweigert das Engagement, die Steuern und den öffentlichen Raum – und weiß doch, mit Nietzsche, das nichts, was ihn betrifft, vollkommen uninteressant sein kann. Lévy wiederum gesteht das Theatralische seiner Rolle als Moralprediger ein, den Narzißmus, mit dem er die eigene Person inszeniert; er schätzt die Rollen und Masken und sieht Öffentlichkeit als ein Schlachtfeld, auf dem nicht die Wahrheit oder auch nur das bessere Argument zählen, sondern gelungene Kampagnen und Manöver.
Ein Buch der Selbstkritik und der Selbsterkenntnis also? Nun, beide sind keine Anhänger des Bekenntnishaften. Und im Verlauf des Meinungsaustauschs greifen bei aller ironischer Distanzierung auch die eingefahrenen Rollen wieder – schließlich bekennt sich Houllebecq dazu, ein Konservativer zu sein, wofür ihn Levy routiniert zurechtweist, im vertrauten hohen Ton moralischer Überlegenheit („jetzt wissen Sie, mit Verlaub, Bescheid“). Doch man fragt sich, ob er damit seinem Briefpartner nicht gehörig auf den Leim geht.
Denn der sich geduckt gebende Houellebecq, kein tönender Charmeur wie Levy, sondern bekennender Feigling, der sich hilfsweise damit herausredet, er sei so erzogen, er könne nichts dafür – dieser müde Zweifler gewinnt im Verlauf des Wortwechsels an Größe. Und zwar in aller Bescheidenheit. Das zeigt sich insbesondere bei der Diskussion über Goethes Beobachtung „Vor die Wahl gestellt zwischen Unrecht und Unordnung, entscheidet sich der Deutsche für das Unrecht.“
Lévy auch. Houllebecq nicht. Was er unter Schmerzen für richtig hält – lieber ein Unrecht hinnehmen, als die Ordnung, das staatliche Reglement und das staatliche Gewaltmonopol, riskieren – ist für Lévy ein „Satz, (der) tötet“. Dafür ist ihm Beifall gewiß. Ordnung ist kein sonderlich angesehener Wert und wird gern unterschätzt. Und gewiß würde niemand heutzutage dafür plädieren, eine Diktatur hinzunehmen, weil Tyrannenmord Unordnung stiftet (oder weil das Völkerrecht auch bei schlimmsten Vergehen die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates postuliert). Lévy hat die Geschichte und den französischen Mythos im Rücken, wenn er den „gerechten Krieg“ und den gewaltförmigen Widerstand gegen das absolut Böse verteidigt.
Für Houellebecq aber spricht eine ältere Geschichte: am Beginn der europäischen Zivilisation steht das im Mittelalter mühsam erkämpfte Gewaltmonopol des Staates gegen die alles verwüstenden Clanfehden, gegen Blutrache und Selbstjustiz; steht das für alle geltende Gesetz, das sich auf Verfahrensgerechtigkeit beschränkt, gegen die Gerechtigkeitswünsche des Einzelnen oder Partikularen. Oder, in jüngster Geschichte, gegen die Anmaßung einer Ideologie, die glaubt, ihr Zweck heilige alle Mittel. Houellebecq, der konservative Pessimist, sieht Irrtum und Fehlbarkeit, Lüge und Propaganda walten, wo andere Entscheidungen mit höchster Moral begründen und damit unantastbar machen.
Das aber ist ein Streit, wie er aktueller nicht sein könnte. Um diese Fragen geht es schließlich auch in der Diskussion um Notwendigkeit und Grenzen eines militärischen Engagements, vom Kosovo bis zu Afghanistan, das sich nicht mit dem Kriegsvölkerrecht, sondern mit Menschenrechten legitimiert.
Lévy ist bekanntermaßen kein Pazifist. Houellebecq auf andere Weise ebensowenig. Er argumentiert mit konservativer Fortschrittsskepsis, voller Widerwillen gegen all jene, die sich auf Volk und Freiheit berufen und doch durch nichts anderers legitimiert sind als durch die Gewalt, die sie ausüben. Lieber eine obrigkeitliche Entscheidung als der Furor der Masse, sagt er. Und: lieber ein gezielter Schlag als ein blindes Attentat. Also: lieber ein geregelter Krieg als die Revolution. Aber am allerbesten: nichts von all dieser „Zeitverschwendung“.
Diese Haltung entstammt nicht einem auf Versöhnung und Friedensutopien setzenden Pazifismus, sondern tiefster Resignation. Sie ist im übrigen auch nicht sonderlich sympathisch. Aber sie kommt der Realität näher, als man sich wünscht – näher auch als jener menschenrechtsorientierte Interventionismus, der über ein Grundgesetz des Krieges nur ungern spricht: daß man auch entschieden zuendebringen muß, was man anfängt, sonst soll man es lassen. Aus diesem Pragmatismus schöpft im übrigen auch das Völkerrecht, das Krieg zwar nicht ächtet, aber einen „guten Krieg“ nicht kennt.
Nun, wer von den beiden Meisterdenkern recht hat, muß hier nicht entschieden werden – ihr Briefwechsel zeigt, wie ertragreich man sich streiten kann, wenn man nicht kleinlich ist. Und deshalb folgt der Leser auch den privatesten Geschichten: „wie ich wurde, was ich bin“, Vater und Mutter, geistige Einflüsse, Begegnungen mit bedeutenden Männern, dramatische Schicksale. Will wissen, was Schreiben zu einem Akt wie die Liebe macht. Und findet den Vorschlag Houellebecqs bedenkenswert, Frankreich solle endlich als Grande Nation abdanken und sich dazu bekennen, ein „Touristenbordell“ zu sein.
Das Buch das „Literaturereignis der Saison“? Wohl eher nicht, aber man ahnt bei der Lektüre nicht ohne Sehnsucht, was intellektuelle Auseinandersetzung sein könnte, wenn man sie nicht unter Kuratel stellt.

Cora Stephan über Michel Houllebecq und Bernard-Henri Lévy, Volksfeinde, aus dem Französischen von Bernd Wilczek, Dumont 2009, 320 Seiten, in: Literarische Welt, 12. Dezember 2009

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