Steffen Meltzer, Gastautor / 17.03.2021 / 12:00 / Foto: Pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Unter Feuer: Die Flucht der Polizistinnen (Teil 4)

Am 28.01.202103.02.2021 und 10.03.2021 berichtete ich auf achgut.com über die erfolgte Festnahme eines Drogendealers, der mehrfach auf Polizeibeamte geschossen haben soll. Beim ersten Versuch schoss der zu Kontrollierende mit seiner Pistole auf einen Polizisten, der das Feuer erwiderte. Zwei hinzukommende Polizeibeamtinnen hielten am Tatort an. Anstatt in das Tatgeschehen aktiv einzugreifen, sollen sie bei dem Schusswechsel kopflos die Flucht ergriffen haben, indem sie einen zivilen PKW samt Fahrerin und deren Handy kaperten. Anschließend fuhren sie damit mutmaßlich ziellos durch die Gegend. Ihr Polizeifahrzeug stand währenddessen mit einer Maschinenpistole, Munition und weiterer Ausstattung unverschlossen vor Ort. Der Täter wurde Stunden später durch einen SEK-Trupp in einem Hinterhof festgenommen. 

Über das Ereignis der besonderen Art hatte die Westfalenpost in mehreren Artikelserien umfangreich berichtet. Auch darüber, dass einer der Elitepolizisten den schießfreudigen Drogenabhängigen als „Du Wichser“ tituliert hatte, nachdem er, verletzt am Boden liegend, noch mit einem Messer Polizeibeamte bedroht habe. 

Das angeführte Lokalblatt berichtete, dass die Verantwortlichen der Polizei über die Flucht der beiden Polizistinnen in den Ermittlungsakten nichts erfasst hatten. Nach Staatsanwalt Nils Warmbold soll „nichts, aber auch wirklich gar nichts von alledem in den Akten“ gestanden haben. Ja, wenn da schlussendlich nicht die „gekidnappte“ Fahrerin über das eigenartige Verhalten der beiden uniformierten „Anhalterinnen“ im Zeugenstand ausgesagt hätte. Weder der Richterin noch dem Staatsanwalt, geschweige dem Verteidiger waren bis zu diesem Zeitpunkt die konkreten Fluchtumstände der Beamtinnen bekannt.

Von Informationsdefiziten war auch über das Verhalten des Landrates Olaf Schade (SPD) als Chef der Kreispolizeibehörde zu lesen, das wiederum die CDU auf die Palme brachte und der Westfalenpost zur Spekulation Anlass gab, ob er damit vielleicht seine eigene Wiederwahl nicht gefährden wollte, denn die ominöse Flucht geschah ausgerechnet vor der Landratswahl. 

Tagelang über den Fluchtverlauf der Beamtinnen gerätselt

Ein 60-jähriger Polizeidirektor, beauftragt mit internen Ermittlungen, sagte im Zeugenstand aus, dass er sich in seiner Dienststelle tagelang über den Fluchtverlauf der Beamtinnen selbst ein Bild zusammenschnipseln musste. Auch der Chef der zuständigen Mordkommission soll vor Gericht recht wenig zur Sache beigetragen und sich in Widersprüche verwickelt haben. Eine junge Kollegin musste ihn im Zeugenstand korrigieren. Gesamtumstände, die nicht nur einmal bei den anwesenden Juristen ein erhebliches Stirnrunzeln ausgelöst hätten. 

Um den eigentlichen Täter ging es auch, ein Kasache, der in der letzten Artikelfolge der Westfalenpost als 37-jähriger Ennepetaler bezeichnet wird. Dieser berief sich gegenüber dem Gericht u.a. darauf, sich bei seiner Festnahme erschrocken und vor lauter Blaulicht die Orientierung verloren zu haben. Ein Gerichtsgutachter attestierte dem jungen Mann eine „verminderte Schuldfähigkeit“. Durch die schlampigen Ermittlungen und aktenkundige Erfassung (Glaubwürdigkeit!) der zuständigen Polizeibeamten konnten sich Vitalij K. und sein Verteidiger Hoffnung auf ein abgemildertes Urteil machen. 

Die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen beanstandet erwartungsgemäß die unsaubere Arbeit der Polizei, die nun gezwungenermaßen strafmildernd zugunsten des Angeklagten gewertet werden muss. Weiterhin urteilt sie: „Wir haben eine Akte, die bestimmte Dinge stärker heraushebt als andere. Das mag Zufall sein, aber man muss sagen, dass durch eine solche Aktenführung die Verteidigungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind. Der Verteidiger hat seine Vorwürfe zu Recht erhoben.“

Anmerken möchte ich: Natürlich hat die Polizei gemäß Strafprozessordnung alles Be- und Entlastende vorurteilsfrei zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Verfahrens und/oder das Gericht urteilt. Lückenhafte Ermittlungen, keineswegs einmalige Vorgänge, entpuppen sich dann schnell als ein Bärendienst. In dem hier dargelegten Fall wurden Aussagen und Umstände mangelhaft erfasst, Projektile nicht ausreichend untersucht, Videos nur teilweise verschriftlicht oder vom Leiter der Mordkommission nicht vollständig angesehen.

Glück, dass in die schusssichere Weste getroffen wurde

Der Schusswaffeneinsatz gegen den Polizeibeamten wurde als „versuchter Totschlag“ abgemildert, die Verletzungen seien „nicht sehr schlimm“ gewesen, so die Vorsitzende. Gleichzeitig räumt die Richterin ein: „Wir können am Ende von Glück reden, dass der Angeklagte in die schusssichere Weste getroffen hat und der Polizeibeamte nicht verstorben ist“. Hinzu kamen ein tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte, gefährliche Körperverletzung und ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Nun gut, vorbestraft ist er auch noch. Die Mordversuche spielten somit keine Rolle mehr und wurden eingestampft. Am Ende sorgte das bewaffnete Handel treiben mit Heroin für den wichtigsten Strafrahmen. Das Urteil im Namen des Volkes: Sieben Jahre und sechs Monate Freiheitsentziehung.

Als strafmildernd wurden sein Geständnis und seine Drogenabhängigkeit gewertet. Das Gericht folgte dem Sachverständigen: Der unter Drogen Stehende habe auch nicht auf den Polizeibeamten geschossen, um sich seiner Festnahme zu entziehen, sondern um keinen Entzug machen zu müssen. Die Richterin verliest in ihrem Urteil: „Er hörte die Gespräche und bekam erhebliche Angst vor den Entzugserscheinungen. Die Kammer glaubt, dass er vor den körperlichen Folgen des Entzugs Angst hatte.“ Zugute gehalten wurde ihm außerdem, dass er von einem Oberschenkeltreffer bleibende Schäden davon trug – und in Lebensgefahr geschwebt habe. 

Vitalij K. hatte in der Tatnacht massiv Rauschmittel zu sich genommen, nachdem er vorher 52 Gramm Heroin gekauft hatte. Einen Teil wollte er weiterverkaufen, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Seine Pistole will er nur zu seinem Schutz vor anderen Drogendealern bei sich gehabt haben. In Gevelsberg geriet er in eine polizeiliche Kontrolle.

Ich habe die Zeilen überwiegend, bis auf wenige Ausnahmen, anhand der medialen Berichterstattung, weitestgehend frei von persönlichen Bewertungen wiedergegeben. Möge sich jeder selbst sein persönliches Urteil über den Fall bilden.

Gegen die Geflüchteten soll separat Anklage erhoben werden. Konkret gemeint sind die beiden Polizeibeamtinnen. 

Das Ende der Geschichte ist noch nicht geschrieben. 

Steffen Meltzer, Mitautor von „Die hysterische Republik“, Neuerscheinung am 15.06.2021, Vorbestellung ab sofort möglich

Foto: Pixabay

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Hans Reinhardt / 17.03.2021

“Die Verletzungen waren nicht sehr schlimm…aber wir können vom Glück reden, dass der Polizeibeamte nicht gestorben ist.” Auf so einen Satz kann nur ein deutscher Richter kommen, in jedem anderen Land würde er umgehend dafür eingewiesen. Aber es kommt noch besser: dem Angeklagten wird zugute gehalten, dass er Angst hatte: nicht, wie man denken könnte, vor dem Gefängnis, gottbewahre, wir sind ja immer noch in Deutschland, sondern vor dem Entzug. Da kann man natürlich schon mal um sich schießen, wer will hier den ersten Stein werfen? Ich meine, was fällt der Polizei auch ein, einen armen “suchtkranken” Gangster zu kontrollieren? War etwa keine unmaskierte Rentnerin in der Nähe, die man hätte zu Boden knüppeln können? So ein Pech aber auch, wenn sie all ihren Mut zusammen genommen hätten, wäre das doch eine schöne Aufgabe für die beiden Polizistinnen gewesen. Zumindest wissen wir jetzt wieder, wie froh wir sein können in einem funktionierenden Rechtsstaat zu leben.

Nico Schmidt / 17.03.2021

Sehr geehrter Herr Meltzer, Sie werden sehen, der Fall wird beendet, wie ich es in Leserbriefen in Ihren vorherigen Beiträgen geweissagt habe. Ergänzend muß ich sagen, das der arme Vitalij eine Invalidenrente bekommen wird. Deutschland 2021. Mfg Nico Schmidt

Fritz kolb / 17.03.2021

Mein Rechtsprofessor Bernhard, Gott hab ihn selig, hat immer konstatiert: wenn man eine Straftat begangen hat, soll man sagen, man hätte Stimmen gehört. Das mildere das Urteil in den meisten Fällen. Hab ich mir gemerkt, für den hoffentlich nie eintretenden Fall, davon einmal Gebrauch machen zu müssen. Ideales Entlastungsargument auch für Drogen- und Alkoholabhängige. Vielleicht irgendwann auch einmal für unsere Große Vorsitzende, sollte sie einmal wegen Landesverrat mit ihren Politlemuren vor Gericht stehen.

Klaus Keller / 17.03.2021

Ich habe den Eindruck das die Polizeibeamtinnen die einzigen waren die vernünftig gehandelt haben. Ihr Kollege hat nur zufällig überlebt und die Richterin kritisiert eher die Polizei als den durchgeknallten Spinner der geschossen hat. Achten Sie auf ihre Eigensicherung!

Johannes Schuster / 17.03.2021

Die Geiselnahme von Gladbeck nachgestellt durch zwei Polizistinnen in einem Theaterworkshop “Mutiger Einsatz endete ohne Quote” ? Ich stell mir gerade das weibliche Personal der BW in einer realen Gefechtslage vor: Der Chronist wird es als die “Hühneroffensive” in die Analen eingehen lassen. Realsatire vom Feinsten.

Claudius Pappe / 17.03.2021

Frage an die Richterin : Wenn ich besoffen mit den Auto einen Unfall baue, bekomme ich dann auch eine < verminderte Schuldfähigkeit >  zugestanden ?

Rainer Niersberger / 17.03.2021

Sehr gut, dass die Richterin ihre eugentliche Rolle der Koverteidigerin nicht nur erkannt, sondern auch ausgeübt hat. Ich empfehle allen potentiellen Totschlaegern jedenfalls den vorherigen Drogengenuss. Das spart etliche Jährchen. Bei solchen “Richterinnen” koennen wir uns die Verteidigung sparen. Der Taeter wird uns uebrigens, Drittelstraferlass und sonstige Hafterleichterungen einbezogen, deutlich vor Ablauf der Strafe wieder. begluecken. Hoffentlich wendet er sich dann, resozialisiert, an die “Richtigen”. Aber sie naechste Richterin wird wieder mit viel Verständnis und Empathie urteilen und dem Angeklagten nur helfen wollen. Mit (Straf) recht und tatangemessener Bestrafung hat das Alles nichts mehr zu tun, wobei ein bekennender, biodeutscher, drogenfreier AfD - Anhänger das ein oder andere Jährchen dazu bekommen haette. Das Vollversagen der ermittelnden Stellen mit vermutlich wenig (Aufklaerungs) ehrgeiz passt in das Bild eines Staates ohne Werte auf dem Weg nach “unten”.

F. Auerbacher / 17.03.2021

Siebeneinhalb Jahre dafür, dass mit Drogen gehandelt wurde und nicht etwa dafür, dass auf die Polizisten geschossen wurde? Anklage wegen Mordversuch wurde eingestellt? Weil die Ermittlungen nicht richtig geführt wurden? Hallo Jungs in den blauen/grünen Uniformen: So lassen euch eure Bosse sitzen. Mein Tipp für euch: Greift mal richtig durch bei Omas ohne Maske oder Jungs, die ihre Freundin umarmen. Da könnt ihr euch der 100%igen Unterstützung eurer Bosse sicher sein!

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