Von Okko tom Brok.
Den Aufstieg der AfD glauben manche Politiker der etablierten Parteien nur noch mit einem Verbot der unliebsamen Konkurrenz verhindern zu können. Was hat es mit diesem Parteienverbot auf sich, und welche Erfahrungen hat Deutschland mit diesem Instrument bisher gemacht?
Angesichts immer neuer Umfragerekorde der oppositionellen AfD und immer steilerer Umfrageabstürze der regierenden Ampel-Parteien wird inzwischen deutlich vernehmbar die Option eines Parteiverbots gegen die AfD ins Spiel gebracht.
Eine Partei, die „darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“, kann verboten werden. So steht es im Grundgesetz (Artikel 21). Die Voraussetzungen eines solchen weitreichenden Eingriffs in die politische Willensbildung, die laut Art. 21, Abs. 1 GG den Parteien obliegt, sind im Grundgesetz nicht eindeutig festgelegt. Die Absätze 2 und 3 nennen zwei Instrumente, mit denen sog. „verfassungswidrige Parteien“ sanktioniert werden dürfen: das Verbot (Abs. 2) und den Ausschluss aus der Parteienfinanzierung (Abs. 3). Die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei liegt beim Bundesverfassungsgericht (Abs. 4).
Für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit genügt es laut bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich nicht, dass eine Partei mutmaßlich verfassungsfeindliche Ideen verbreite. „Hinzukommen müssen eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung, auf deren Abschaffung die Partei abzielt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint“ (Bundesverfassungsgericht.de, Stichwort: Parteiverbotsverfahren).
Parteien unterliegen in Deutschland keinem staatlichen Zulassungsverfahren, sind in ihrer Gründung also ausdrücklich „frei“, und dementsprechend ist auch ihr Verbot an strenge Regeln gebunden. Parteien müssen allerdings für ihre Zulassung zu den allgemeinen Wahlen formale Bedingungen erfüllen, die „demokratischen Grundsätzen entsprechen“. Dazu gehören übrigens auch die vom deutschen Parteiengesetz ausdrücklich geforderten Parteitage (PartG, §9), die in Deutschland im Falle der AfD regelmäßig zur Zielscheibe linksradikaler Angriffe werden.
Die drei Parteiverbotsverfahren
Im Umkehrschluss lässt sich folgern, dass Parteien, die in der jüngsten Vergangenheit an Wahlen teilgenommen haben, demokratischen Grundsätzen im Wesentlichen entsprechen, sofern die zuständigen Landes- und Bundes-Wahlleiter ihre Aufsichtspflicht verantwortungsvoll wahrgenommen haben. Eine wie im Falle der AfD inzwischen mehrfach vorgenommene nachträgliche Überprüfung auf Verfassungstreue sieht das Parteiengesetz nicht vor und stellt somit eine fragwürdige Ungleichbehandlung dieser Partei dar. Ein Verfassungstest für alle Abgeordneten einer bestimmten Partei, wie vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, im Sommer 2023 gefordert, wäre vermutlich ebenfalls nicht rechtmäßig und hätte offenbar auch (noch) keine parlamentarische Mehrheit.
Parteiverbote sind in westlichen Demokratien weitgehend unüblich. Weder in den USA noch in den Niederlanden, in Schweden oder in Italien, wo in jüngster Zeit „umstrittene“ Politiker und Politikerinnen des rechten Spektrums deutliche Wahlsiege errangen, wurden solche Forderungen je erhoben. Auch im Nachbarland Frankreich führen die Umfrageerfolge des Rassemblement National von Marine LePen keineswegs zu Verbotsforderungen, sondern zu einer (wenn auch zaghaften) Politikänderung der Regierung von Emmanuel Macron, die von deutschen Medien denn auch umgehend als „Tabubruch“ bezeichnet wurde.
In der Bundesrepublik Deutschland gab es hingegen bislang drei Verbotsverfahren gegen politische Parteien, von denen zwei „erfolgreich“ waren im Sinne des Verbotsantrages:
- Im Jahr 1952 verhängte das Bundesverfassungsgericht eine Verbotsentscheidung gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP), die als Nachfolgepartei der NSDAP eingestuft wurde. Die Unvereinbarkeit der SRP mit der Verfassung habe sich unter anderem in ihrer Ablehnung wesentlicher Grundrechte und ihrem Widerstand gegen das Mehrparteiensystem gezeigt.
- 1956 kam es am Ende eines mehrjährigen, heftig diskutierten Verbotsverfahrens zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht. Als marxistisch-leninistische Kampfpartei strebte die KPD die Errichtung der „Diktatur des Proletariats“ an und wollte auf diesem Weg die freiheitliche demokratische Grundordnung untergraben, wie es in der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts hieß.
- Von 2013 bis 2017 fand das Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) statt, das wegen „fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“ nicht zum Verbot der NPD führte. Hier mögen manche heute den Hebel für die wesentlich erfolgreichere Partei AfD sehen, die in immerhin zwei ostdeutschen Bundesländern demnächst die Landesregierung stellen könnte. Zu fragen wäre an dieser Stelle jedoch, warum ein Ministerpräsident der in Teilen gesichert verfassungsfeindlichen Partei die Linke (PdL), wie der Thüringer, inzwischen weitgehend ohne parlamentarische Legitimation „durchregierende“ Bodo Ramelow, nicht ebenfalls eine Verbotsdiskussion ausgelöst hat.
- 1995 wurden ferner die Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) und die Nationale Liste (NL) verboten. Weil diese Organisationen aber die formalen Anforderungen an Parteien erst gar nicht erfüllten, wurden sie nach dem einfacheren Vereinsrecht verboten.
APO statt kommunistischer Partei
Welche Erfahrungen hat nun die Bundesrepublik mit ihren Verbotsverfahren gemacht? Während der Streit um die als rechtsextrem eingestufte SRP offenbar rasch abebbte, bildete das KPD-Verbot den Humus, auf dem sich eine äußerst militante, außerparlamentarische Opposition bildete, die sich auch genauso bezeichnete und als APO in die Geschichte einging.
Das KPD-Verbot erfolgte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, bei dem sich viele westliche Staaten von der marxistischen Ideologie und dem aggressiven Hegemoniestreben der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten bedroht fühlten. In den USA führte zeitgleich zum deutschen KPD-Verbotsantrag der berüchtigte US-Senator Joseph McCarthy einen als „Hexenjagd“ sogar in die Literaturgeschichte eingegangenen Abwehrkampf gegen eine vermeintliche „kommunistische Unterwanderung der Regierung“. Die als „McCarthy-Ära“ bekanntgewordene Epoche der frühen 50er Jahre war von einer ähnlichen politischen Hysterie gekennzeichnet, die man heute mit Begriffen wie „Wokeismus“ und „Cancel Culture“ in Verbindung bringt. Gefragt wurde und wird nicht mehr, was politisch sinnvoll und rechtlich zulässig war oder ist, sondern ob es „dem politischen Feind“ nutzen werde.
Als Folge des KPD-Verbots gründeten sich zahlreiche Splittergruppen des linksextremen Spektrums, deren bedeutendste wohl die von der DDR finanzierte und vollkommen abhängige Deutsche Kommunistische Partei (DKP) darstellte, welche am 26. September 1968 ins Leben gerufen wurde. Sie erreichte zwar bei westdeutschen Parlamentswahlen nie mehr als 0,3 Prozent, verschaffte sich jedoch erheblichen Einfluss in diversen Friedens- und Umweltbündnissen der 80er Jahre. Mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Wegfall der DDR-Finanzierung (allein im Jahr 1989 immerhin 75 Millionen DM) versank die Partei endgültig in der Bedeutungslosigkeit.
KPD-Verbot kontraproduktiv
Mögen diese linksextremistischen Gruppierungen selbst also weitgehend irrelevant gewesen sein, so reiften jedoch in ihren Reihen zahlreiche spätere Politiker von erheblicher bundespolitischer Bedeutung heran, deren Verfassungstreue natürlich bis heute niemals „geprüft“ wurde. Exemplarisch seien hier einige wenige genannt:
- Der amtierende baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gehörte in den 70er Jahren dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) an, einer am damaligen China ausgerichteten maoistischen Politsekte.
- Der einstige Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) war bis 1980 Mitglied im orthodox-marxistischen Kommunistischen Bund (KB) und solidarisierte sich 1977 nach der Ermordung des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback ausdrücklich mit dem berüchtigten „Mescalero-Brief“ und seiner „klammheimlichen Freude“ über die Morde der RAF-Terroristen.
Interessanterweise hatte selbst die heutige AfD in Baden-Württemberg mit Wolfgang Gedeon ein ehemaliges Mitglied der KPD/ML in ihren Reihen, von dem sich die Partei jedoch aufgrund von als antisemitisch aufgefassten Äußerungen im Frühjahr 2020 trennte.
Insgesamt kann das KPD-Verbot als Misserfolg bezeichnet werden. Anstelle des beabsichtigten „demokratischen Befreiungsschlages“ verlor die junge Bundesrepublik ihre politische Unschuld und geriet fortan in den Verdacht, sich einer unbequemen politischen Opposition entledigen zu wollen, wie der damalige Strafverteidiger der KPD, Heinrich Hannover, zu Protokoll gab. Die fortan weitgehend im Untergrund operierende linksextreme Opposition schuf den Nährboden für ein weit verbreitetes Misstrauen gegen die (alte) Bundesrepublik selbst in gemäßigt-linken Kreisen, das bis heute anhält. Erst die stark linkslastige Politik Angela Merkels scheint dieses Misstrauen besänftigt zu haben.
Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung?
Die spätere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, kritisierte 1996 die Entscheidung ihrer Amtsvorgänger und bemängelte, dass Außen- und Innenpolitik sich in subjektiv verständlicher, aber juristisch unzulässiger Weise in dem Verbot überlappt hätten. Sie selbst hätte mit dem Wissen ihrer Zeit einem solchen Verbot nicht zugestimmt.
Das in Deutschland grundsätzlich mögliche Parteienverbot könne vor allem als eine Erblast des Scheiterns der Weimarer Republik gelten, wie Jutta Limbach in einem Interview mit der taz damals ausführte. Sie verwies seinerzeit darauf, dass schon die Bundesverfassungsrichter von 1956 bei ihrem Verbot der Hoffnung Ausdruck verliehen hatten, es könne eine Zeit kommen, in der es solcher Verbote nicht mehr bedürfe, weil die demokratische Verfassung und ihre Institutionen über ausreichend Rückhalt in der Bevölkerung verfügten. Ein Parteienverbot wäre demnach auch heute kein Ausdruck demokratischer Stärke, sondern ein Offenbarungseid der politischen Schwäche. Ist das heutige, nach Aussagen ihres Bundespräsidenten „beste Deutschland aller Zeiten“ tatsächlich so schwach, dass es missliebige Parteien verbieten muss?
Nun mögen AfD-Kritiker einwenden, eine rechnerisch mögliche AfD-Regierungsbeteiligung in mehreren Bundesländern stelle eine neue Ausgangslage dar. Man spricht in diesem Zusammenhang vom politisch und juristisch nicht unproblematischen „Potentialitätskriterium“, bei dem Parteien schnell „zu klein“ oder „zu groß“ sein können, um sie zu verbieten. Schon die relativ geringe Machtfülle einzelner deutscher Landesregierungen macht eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch eine oder mehrere AfD-Landesregierungen in jedem Fall eher unwahrscheinlich, ganz unabhängig davon, ob man die AfD nun als verfassungsfeindlich einschätzt oder eben ausdrücklich nicht.
Steinwürfe im Glashaus
Ferner weist die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) darauf hin, dass „verfassungsfeindlich“ nicht gleich „verfassungswidrig“ sei. Der Unterschied der beiden heute so gerne synonym gebrauchten Vokabeln liegt in der ausgeprägten Gewaltbereitschaft: Nur wer eine gesellschaftliche Ordnung „mit Gewalt beseitigen“ wolle, könne als verfassungswidrig gelten. Für eine solche Gewaltbereitschaft gibt es bei der AfD meines Wissens keine Anhaltspunkte, bei ihren Gegnern hingegen schon.
In einem meiner politischen Lieblingstexte aller Zeiten aus den besseren Zeiten des Spiegel erklärt der große Liberale Sir Karl Popper 1987, dass es letztlich für eine funktionierende Demokratie am Ende gar nicht von Belang sei, „wer“ regiere, solange dessen Abwahl zuverlässig möglich bleibe. Im Falle der Thüringer PdL-Minderheitsregierung ist der „Popper’sche Abwahl-Test“ bereits deutlich misslungen, im Falle der dortigen AfD steht er hingegen noch aus. Es gilt wie immer die Unschuldsvermutung.
Legt man schließlich die von dem Journalisten Michael Klonovsky kürzlich auf X, vormals Twitter, dargelegten Kriterien für ein Parteienverbot zugrunde, könnte es auch den übrigen Parteien, die in Deutschland aktuell zum Missfallen der Bevölkerung ihr Unwesen treiben, durchaus mulmig zumute werden. Hier seine fünf Kriterien für ein Parteienverbot:
- Angriff auf die Grundrechte;
- Aufweichung der Gewaltenteilung;
- Missbrauch des VS und des BVerfG zur Parteipolitik;
- Bekämpfung der Opposition mit Steuergeldern;
- Entmachtung des Souveräns durch EU, WHO, UN sowie durch permanente Migration.
Vielleicht wäre es an der Zeit, das allzu scharfe Schwert des Parteienverbots endlich in die Asservatenkammer der Politikgeschichte zu verbannen und sich stattdessen auf den fairen Wettstreit darüber zu konzentrieren, was einem Land tatsächlich politisch, wirtschaftlich und kulturell dient.
Okko tom Brok ist Lehrkraft an einem niedersächsischen Gymnasium und schreibt hier unter einem Pseudonym.